Pentfaze

Fretheil

Nummer 107-2. Jahrgang

Aus dem Inhalt

Fluchtlingskommissar

und Reichsregierung

Seite 2

Verfassung des Austcofaschismus

von Otte Bauer

Seite 3

Tragödie der Schweizer Freiheit

Seite 3

Handstreich an der Saar

Seite 7

Chefredakteur: M. Braun

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag/ Freitag, 10./11. Mai

Die gefesselte Presse

Statt Auflockierung neue Ketten

Berlin , 9. Mai. Im Hotel Kaiserhof war die erste Reichs­pressetagung der NSDAP . versammelt. So sehr auch der offizielle Bericht retuschiert sein mag, er kann doch nicht ganz verbergen, welche Sorge die alleinherrschende Partei sich über die Zukunft des deutschen Pressewesens macht. Auch der Reichskanzler und Parteiführer Adolf Hitler hat zu den Echriftleitern gesprochen. Ueber seine Rede wird aber nur mitgeteilt, daß er Anregungen auf allen Gebieten dargereicht habe. Das ist bei dem größten Manne des Jahrtausends

selbstverständlich.

Aufschlußreich waren die Reden der führenden national­sozialistischen Journalisten. Sie laffen feinen Zweifel dar­über, daß der Wille auf die Vernichtung der nicht stramm rationalsozialistischen Presse gerichtet ist. Die Totalität des Parteistaates erzwingt eine Presse, die diesem Staat und der ihn beherrschenden und durchdringenden Partei gehorsam dient.

Dabei fühlen offentfichtlich selbst die nationalsozialistischen Journalisten, welche bedrückenden Gefahren auch ihnen unter diesem Zwangssystem drohen. Der Reichspressechef Dr. Dietrich begrüßte es, daß Reichsminister Dr. Göbbels eine Empfehlung an die Dienststellen herausgegeben habe, im Interesse einer lebendigeren und individuelleren Gestaltung der Zeitungen mehr Bereitwilligfeit zu zeigen, fich auf journalistische Notwendigkeiten einzustellen. Denn gerade die nationalsozialistische Presse, die Disziplin zu hal­ten gewohnt sei, sei verpflichtet, sich gegen journali stische Unzuträglichkeiten unbefugter Stel= Ien, die sie an der Entfaltung ihrer schöpferischen Arbeit hinderten, zu wehren.

Mithin: auch die nationalsozialistischen Zeitungen leiden unter dem Unverstand und dem Größenwahn der Partei­und Staatsbonzokratie, die ahnungslos und kenntnislos in die Journalistit hineinverfügt und den Redaktionen lang­weilige Beiträge aufdrängt. Da aber der Reichsminister Göbbels nur eine Empfehlung" an die Dienststellen geben fonnte, wird praktisch nichts gebeffert werden.

Der Reichspropagandaminister setzte seine Schauspielerei ür den Mut zur Kritif fort. Er verkündete:

Mehr Mut! Unmöglich sei aber eine Kritik um der Kritik willen. Ein Mensch, der es als seinen Beruf auf fasse, andere zu kritisieren, ohne selbst Positives aufzuwei­sen, übe einen Beruf aus, vor dem man wenig Achtung haben könne. Kritik müsse sich immer mit positiver Leistung verbinden. Dr. Göbbels wies dann darauf hin, daß er der Kritik seiner Ausführungen freien Lauf gelassen habe, wenn sie von jemanden geschrieben sei, der es ehrlich meine und ehrlich um die Probleme ringe, die es heute zu lösen gelte. Er habe auch andere Meinungen als seine gehört und sei gegen die Männer nicht eingeschritten, die Biese Meinung vertreten hätten. Wenn aber Menschen, die

bisher grundsäglich gegen den Nationalsozialismus eins gestellt gewesen seien, jegt in plumper Vertraulichkeit die ihnen gegebene Freiheit dazu mißbrauchten, Mißtrauen zwischen Volk und Führung zu säen, dann könne man dem natürlich nicht untätig zusehen.

Welcher Journalist soll da noch ein Wort der Kritik zu ver= öffentlichen wagen? Kritik müsse sich immer mit positiver Leistung verbinden." Wie leicht wird es den regierenden Herren sein, wenn nicht zu beweisen, so doch zu behaupten, daß die positive Leistung des Kritikers fehle und er daher im Konzentrationslager landen müsse. Und alle die Journa listen die bisher Gegner des Nationalsozialismus waren, mißbrauchen ohnehin unerhört die ihnen gegebene Frei­heit", wenn sie ein Wörtlein riskieren wollen. Es wäre wirf­lich sonderbar, wenn ein so gerissener Junge wie Göbbels ernsthaft glaubte, mit seinen Reden den Mut zu einer sach­lichen Kritif heben zu können. Nein, er weidet sich innerlich an den Qualen der gleichgeschalteten Verleger und Redak­teure, für die es feinen Ausweg mehr ins Freie gibt. Sie müssen unter dieser Sklaverei zu Grunde gehen. Manchmal wird der grausame Hohn des Reichsministers offenbar. So wenn er sagt:

Er habe seinen neuen Erlaß mit Absicht vor der natio­nalsozialistischen Presse verfündet. Er begrüße es sehr, wenn die bürgerliche Presse mit der nationalsozialistischen Presse um die Lösung der Aufgaben der Zeit ringe und fämpfe. Die weltanschaulich überlegenere 3eitung dabei sei aber immer die natio= nalsozialistische Zeitung.

Das heißt doch: Ihr bürgerlichen Journalisten dürft zwar mit uns ringen, aber die Sieger sind unter allen Umständen und allein wir Nationalsozialisten. Nötigenfalls wird die nationalsozialistische Staatsmacht entscheiden, wer welt­

anschaulich überlegen ist.

So geht die deutsche Presse, soweit sie nicht der regierenden NSDAP . gehört, zu Grunde. Immer vorsichtiger werden die Verleger, um den Rest ihres Kapitals zu retten. Immer ängstlicher werden die Redakteure, weil sie von der überlege­nen Weltanschauung ihrer nationalsozialistischen Kollegen nicht durch die Fäuste der SA. und das Konzentrationslager überzeugt werden wollen. Immer gleichgültiger werden aber die Maffen gegenüber der gleichgeschalteten und immer miß­trauischer gegen die nationalsozialistische Presse. Das ist die Stelle, wo der nationalsozialistische Staat allmählich ver­mundbar wird. Der große Feldzug gegen die Kritikaster und Miesmacher wird das allgemeine Mißtrauen nur vertiefen und vermehren. Weil es keine Freiheit des Schreibens und des Redens gibt, schwindet der Glaube an Regierung und Partei. Der Uniformität des offiziellen Lügens von oben, stellt sich ein millionenfacher Unglaube von unten entgegen.

Hendersons Jetzter Versuch"

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Die Gegensätze im britischen Kabinett

London , 9. Mai. Der politische Korrespondent des Daily Herald" schreibt, Henderson werde in Paris bei Barthou einen letzten Versuch machen, der Abrüstungskonferenz zu einem, wenn auch noch so begrenzten, Ergebnis zu verhelfen. Das Höchste, was erreicht werden könne, sei der alte Plan der Stillhaltevereinigung für fünf Jahre mit einem darauf folgenden fünfjährigen Abschnitt allmählicher Rüstungsver­minderung. Es sei aber zu befürchten, daß Frankreich dies ablehnen werde. Dieser Lage sehe sich das Kabinett auf seiner Wochen- Sigung am Mittwoch gegenüber. Macdonald, der von Lord Halifax und Baldwin unterstützt werde, sei bereit, wesentliche Zugeständnisse an den französischen Stand­punft zu machen. Lord Hailsham, hinter dem die Mehrheit des Kabinetts stehe, soll sich gegen weitere Verpflichtungen auf dem europäischen Festland ausgesprochen haben und wolle lieber die Beendigung der Abrüstungskonferenz und den Beginn einer Aufrüstung sehen. Sir John Simon neige mehr oder weniger zu der Auffassung von Lord Hailsham. Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph " meldet, in diplomatischen Kreisen werde jetzt zugegeben, daß Frankreich bei Wieberzusammentritt des allgemeinen Aus­schusses der Abrüstungskonferenz am 29. Mai es nach wie vor ablehnen werde, einer Verminderung oder auch nur einer Begrenzung seiner jezigen Kampfkraft zuzustimmen.

Der politische Korrespondent der Morning Post" berichtet, in politischen Kreisen werde dem Beschluß in der Ab­rüstungsfrage und über die fünftige britische Außenpolitif,

die das Stabinett auf einer Wochenfizung faffen werde, große

Bedeutung beigemessen. Eden werde am Montag bei Er­öffnung der Sigung des Völkerbunds rates Großbritannien vertreten. Simon werde Mitte der Woche zu ihm stoßen. In gut unterrichteten Kreisen werde allgemein angenommen, daß die Regierung auf der Abrüstungskonferenz nicht wieder die Initiative ergreifen werde. Es werde geglaubt, daß die der Kabinettsmitglieder zu= überwiegende Mehrheit gunsten eines engen Einvernehmens mit Frankreich set.

Der parlamentarische Korrespondent der Times" schreibt, die Minister seien sich klar darüber, daß die Aus­sichten der Ueberwindung des toten Punktes gering sind. Zudem werde aber auch berücksichtigt, daß fein Land den Wunsch haben werde, die Verantwortung dafür zu über­nehmen, das Werk der Abrüstungskonferenz zu einem un­zeitigen Ende zu bringen. Aus diesem Grunde würden die. britischen Minister bereit sein, jede Anregung zu prüfen, die etwa gemacht werde

Gestern und heute

Scheiden tut weh. Zumal, wenn man Minister war und es nun auf einmal nicht mehr ist.

Herr Göring nahm soeben Abschied vom Preußischen Innenministerium. Es war eine trübe Feier in dem alten rot­plüschenen Festsaal des Hauses Unter den Linden . Der Staatssekretär Grauert richtete Worte an seinen Chef. Wir glauben dem Bericht, daß es ,, herzliche und bewegte" waren. Die Worte des Ministers selbst waren, wenn der Bericht zu­trifft, nur ,, herzlich". Bewegtheit kommt bei dem granitenen Göring natürlich nicht in Frage. Im Gegenteil, er scheint sich geradezu wie ein Schneekönig gefreut zu haben, daß er nun weg muß. Förmlich danach gelechzt hat er: ,, Immer meine Auffassung gewesen... in erster Linie dem Reich dienen... alter Traum aller echten Deutschen ... ohne den geringsten Druck von außen... persönlich den Entschluß gefaßt...

Wo Göring nur auf einmal diese Sprache her hat? Früher klang das ganz anders. Früher kam bei ihm zuerst Preußen und nochmal Preußen und zum dritten Mal Preußen. Preu­Ben war bei ihm das Wesentlichste und Wichtigste am Deutschen Reich . Am 18. Mai 1933 sagte er in seiner Pro­grammerklärung als Ministerpräsident im Preußischen Land­tag: ,, Preußen wird, wie schon im vorigen Jahrhundert, das Fundament des Deutschen Reiches bilden."

Wie im vorigen Jahrhundert... Da war es nämlich ein souveräner Bundesstaat. Dazu wollte es Göring natürlich nicht wieder machen. Aber er wollte verhindern, daß es im Reich aufgehe. Darum stemmte er sich mit aller Kraft gegen eine ernstliche Reichsreform. Diese hätte mit einer Neuauf­

teilung der Länder beginnen müssen. Das hätte selbstver ständlich die Zerschlagung Preußens bedeutet; daher das Projekt von 12 oder 18 Reichsgauen an Stelle der früheren Länder. Herr Göring behauptet heute, dieser Plan stamme von ihm. Möglich, daß er ihm auf den Schreibtisch gelegt worden ist, möglich, daß sein Name darunter steht; wir kön­nen das nicht nachprüfen. Aber freiwillig und ohne den ge­ringsten Druck, wie er heute der Welt vormacht, hat er ihn bestimmt nicht darunter gesetzt. Dazu hat er seine wahre Meinung früher viel zu deutlich gesagt. In der gleichen Rede vom 18. Mai erklärte er nämlich: Unter keinen Umständen werde ich dulden, daß preußischer Besitz von Preußen ge­trennt wird."

Und nun duldet er noch ganz andere Dinge. Warum das hat er in seiner Rede angedeutet. Was er von seinem persönlichen Entschluß ,, ohne den geringsten äußeren Druck" sagte, war wohl mehr Verzierung. Aber ernst meinte er es mit den Worten, er fühle sich nur als Soldat, für den allein der Befehl des Führers maßgebend sei." Die Preisgabe des Preußischen Innenministeriums an den Bayern Frick ist ihm also befohlen worden. Man scheint ihm zum Widerstand ge­raten zu haben, denn Göring sprach von Einflüsterungen und Ratschlägen, die ständig an ihn herangetragen worden seien". Wer mag da wohl geflüstert haben? Sein bisheriger Pressechef, Sommerfeld, hat dieser Tage plötzlich seinen Ab­schied genommen. Vielleicht hat Göring den Herrn, der über ihn eine vierhunderttausendmal gedruckte Biographie schrieb nicht ganz freiwillig gehen lassen.

In der Bürokratie des Dritten Reiches wackelt es gerade während dieser Tage an verschiedenen Stellen. Göring sagte seinen Mitarbeitern, auch unter Frick brauche sich niemand von ihnen zu sorgen, wenn er seine Pflicht tat." Nette Zu­stände müssen da sein. Herrn Frick geht offenbar der Ruf voraus, daß er unter der Göring - Clique gewaltig aufräumen werde. Die Begründung soll offenbar sein, daß dieser oder jener seine Pflicht nicht getan habe. Wir dachten bisher, das komme nur bei Marxisten vor.

Eine Clique wirft die andere hinaus. Das ganze heißt: autoritärer Staat. Argus.

40 Jahre Kerker!

Für 28 illegale Kommunisten

Raffel, 9. Mai. Vor dem Straffenat des Kasseler Ober­landesgerichts hatten sich in zweitägiger Verhandlung 28 Rommunisten aus Frankfurt a. M. wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu verantworten. Die Angeklagten hatten sich für die Ziele der verbotenen APD. eingefeßt, indem sie kommunistische Zeitungen vertrie­ben, Gelder fassierten und Beiträge bezahlten. Von den 28 Angeklagten wurden drei freigesprochen, während die anderen zu insgesamt rund 40 Jahren 3uchthaus und Gefängnis verurteilt wurden. Die Hauptschul­digen Nebel, Gesang und Bukowski erhielten Zuchthausstra­sen zwischen zwei und drei Jahren und fünf Jahre Ehrver­lust. Strafverschärfend wurde einem Teil der Kommunisten ihr Leugnen vor Gericht angerechnet.