Freiheil
Nummer 110-2. Jahrgang
Aus dem Inhalt
Seite 3
Wer bezahlt
Seite 4
Die Stimmung im Reiche
Seite 7
Seite 7
Chefredakteur: M. Braun
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, 15. Mai 1934
,, Thälmann des Todes schuldig"
Der große Kommunistenprozeß- Es werden Es werden Todesurteile gefordert
Berlin , 14. Mai. Aus der Deutschen Wochenschau" macht ein Aufsatz die Runde durch die ganze nationalsozialistische Presse, der die legale Ermordung des Kommunistenführers Thälmann fordert. Sowohl in der erwähnten Zeitschrift wie in den nationalsozialistischen Zeitungen trägt der Aufjazz die Ueberschrift:„ Thälmann des Todes schuldig". Es wird der Beginn des Prozesses gegen den Kommunistenführer angekündigt und das Todesurteil gefordert. Da Thälmann nach der Beiseiteschiebung des Reichsgerichts vor das neue rein politisch zusammengesetzte Boltsgericht gestellt werden wird, ist die Preiseaktion der Beginn eines Massendrucks auf die Richter, unter allen Umständen ein Todesurteil zu fällen. Man will eine Niederlage des Regimes, wie sie im Reichstagsprozeß vor der ganzen Welt offenbar wurde, vermeiden. Dieser Gedankengang übersieht allerdings, daß ein Bluturteil, für das auch im Falle Thälmann feine Unterlagen vorhanden sein werden, noch größere Schande für das dritte Reich", zumal im Auslande, bedeuten würde, als die Einterferung, die monatelange Fesselung Unschuldiger und die Roheiten des preußischen Ministerpräsidenten gegen wehrlofe Angeflante im Leipziger Prozeß. Es scheint so, als begriffen das manche Leute in der Reichsregierung sehr wohl, und als ob deren Gegner die Rachegefühle roher Massenkräfte gegen vernünftige Erwägungen mobilisieren wollen.
Aus kraftmeierischen und unvorsichtigen Reden Thälmanns, an denen freilich kein Mangel ist, will man eine persönliche Verantwortung für kommunistische Terrorafte, insbesondere für Morde herleiten, an denen Kommunisten beteiligt waren. Daß im Grunde nichts gegen Thälmann vorliegt, geht aus folgendem Abschnitt des Aufsatzes hervor:
Wenn auch die KPD. meisterhaft bei allen ihren Aktionen die Spuren zu verwischen suchte, in dem Falle Thälmann handelt es sich nicht um die Verantwortung für eine Einzeltat, sondern für unzählige Bluttaten, um die Verantwortung für eine Methode politischer Verhegung, die Deutschland jahrelang einem Zustand des Bürgertriegs überantwortet hat.
Es kommt nicht darauf an, ob ein direkter Befehl an diese oder jene untergeordnete Stelle ergangen ist, trosdem selbstverständlich auch das sehr leicht nachweisbar ist. Es kommt darauf an, ob die oberste KPD - Führung und Thälmann selbst den Anstoß zu dem Terror gegeben
haben und ob sie ihn nachträglich in Wort und Schrift guthießen.
Unter anderem wird Thälmann für den Blutsonntag in Altona , der 17 Todesopfer forderte, verantwortlich gemacht. Der sozialdemokratische Polizeipräsident Eggerstedt, der damals den nationalsozialistischen Umzug erlaubte, in dessen Verlauf es zu den schweren Schießereien zwischen Nazis und Kommunisten und zum Einsatz von Polizeifräften fam, ist bekanntlich vor einiger Zeit im Konzentrationslager ermordet worden. Nun soll die Rache an dem Kommunistenführer folgen.
Der bevorstehende Prozeß soll noch einmal die Welt glauben machen, daß die Nationalsozialisten Deutschland vor dem Bolschewismus bewahrt haben und Thälmann soll als der Inbegriff bolschewistischer Mordlust dargestellt werden. Gegen den Kommunistenführer ist sehr viel einzuwenden. Vor allem dies: er hat weder die intellektuellen noch die charakterlichen Fähigkeiten, die an einen Mann gestellt werden, der eine so hochentwickelte Arbeiterklasse wie die deutsche führen soll. Das festzustellen wird uns die geheuchelte Entrüstung kommunistischer Journalisten nicht hindern. Verlogen und verroht aber ist es, Ernst Thälmann zu einem Mordbrenner stempeln zu wollen.
Der geplante Prozeß soll die von verblendeten Rachepclitikern für notwendig erachtete Ermordung Thälmanns legalisieren und dem Volk ein großes Schauspiel zur Ablenkung von den täglichen Notzuständen bieten, soll außerdem die vielen Millionen Gegner des Systems einschüchtern und niederhalten.
Der Prozeß wird das Gegenteil von dem erreichen, was beabsichtigt ist. Er wird die Revolutionierung in fch= land beschleunigen. Das System hat fein Glück mehr, und Blut und Schrecken werden das Glück nicht zurückbringen. Die Sozialisten aber haben die Pflicht, mit allen zusammenzustehen, die Thälmanns und seiner Kameraden Rettung vor den Blutrichtern und Henkern des deutschen Reichskanzlers fordern und betreiben. Thälmann und seine Mitangeklagten, gegen die nichts vorliegt als kämpferische Reden, wie sie viel terroristischer vom Reichskanzler selbst und tausenden seiner Unterführer gehalten wurden, sind in höchster Lebensgefahr. Die öffentliche Meinung der zivilisierten Welt muß gegen die Justizbarbarei des„ dritten Reichs" aufgerüttelt werden, um Justizmorde an den kom munistischen Führern zu verhindern.
Keine Naziuniformen in katholischen Kirchen
Versöhnliche Rede des Gauleiters von Kön
Köln, 13. Mai. Vor kurzem ist der katholische Regierungspräsident zur Bonsen nach Stettin versetzt worden. An seine Stelle trat der frühere Leiter der Geheimen Staatspolizei Diels . Noch ehe dieser Gelegenheit hatte, in die schweren Auseinandersetzungen einzugreifen, die gerade im Rheinland zwischen katholischer Kirche und Natio nalsozialismus um die katholische Jugend geführt werden, hat der Gauleiter und Staatsrat Grohe in dem Städtchen Waldbröl im Siegkreis eine Rede gehalten, die auf ein Einlenken der Nationalsozialisten hinzuweisen scheint. Laut dem„ Westdeutschen Beobachter"( Nr. 205) sagte er:
Die Kirche habe bis in die jüngsten Tage es ungern gesehen, daß Volfsgenossen mit der Uniform der nationalsozialistischen Bewegung in der Kirche erschienen seien. Sie habe auch mehrfach erklärt, daß das Mitbringen von Fahnen der NSDAP. in die Kirche nicht gestattet werden fönnte Dre NSDAP . sei immer bestrebt gewesen, den Wunschen der Kirche so weit als möglich entgegenzu tommen. Es sei deshalb richtig, wenn alle Parteigenossen In Zukunft ihre Kirchenpflichten in ziviler Kleidung er füllen und die Uniform nur außerhalb der Kirchen tragen wärden.
Die NSDAP . habe sich immer mit Recht dagegen gewandt daß das Zentrum die Kirche zu seinen politischen 3wecken mißbrauche. Die NSDAP . dürfe sich auch nicht den Anschein geben, als wolle sie heute durch den Besuch der Kirche i Uniform dasselbe tun, was sie früher mit Recht den fonfeffionellen Parteien vorgeworfen habe.
Tie Vertreter der Kirche hätten ihre Geistlichen angemieien Anträgen auf Abhaltung von Feldgottes diensten nicht stattzugeben, weil durch die übliche Teilnahme vca Katholiken und Protestanten an solchen Feld
gottesdiensten die konfessionelle Verschiedenheit verwischt werden könnte. Auch in dieser Beziehung wolle man der Sorge der Kirche durchaus Rechnung tragen, und zwar dadurch. daß in Zukunft Feldgottesdienste nicht mehr in die Veranstaltungsprogramme aufgenommen würden.
Im übrigen läge es auch ganz in der Richtung des nationalsozialistischen Wollene das Braunhemd als Symbol der Gemeinschaft aller Deutschen ohne Rücksicht auf Konfeffionen zu beitrachten und ebenso bei nationalsozialistischen Veranstaltungen alle trennenden Momente, wie sie ja auch im Konfessionellen lägen zu vermeiden.
Bei dieser versöhnlichen Geste darf aber nicht übersehen werden, daß sie ein tatsächliches Entgegenkommen an die Forderungen her Kirche noch nicht bringt. Es bleibt bei der Verboten des Uniformtragens, der öffentlichen Aufmärsche, des Sports und aller Betätigungen nichtreligiöser Art für die konfessioinellen Jugendvereine. Die Rede Grohes ist veranlaßt durch die große Unzufriedenheit im Rheilinde, wo die Nationalsozialisten längst wieder nur eine Minderheit im Bolke geworden sind.
Katholische ,, Aasgeler"
Eine Beschwerde des Bischofs von Berlin
Die„ Oberschlesische Volkszeitung" bringt einen Bericht über eine Versammlung der Hitlerjugend in Hindenburg , den sie mit folgender Ueberschrift versieht:„ Ammerlahn gegen die Aasgeier der Nation. Der Obergebietsführer - Das Lager der VerOst der HJ. wider die 3mietracht. Fortsetzung siehe zweite Seite.
Gestern und heute
,, Was aber den jetzigen Aufschwung betrifft, so verdient ein Teil der neueingestellten Arbeiter vorläufig nicht sehr viel mehr als Lohn als zuvor an Arbeitslosenunterstützung." In welchem Hegblatt stand das schon wieder? In der ., Frankfurter Zeitung " vom 13. Mai, Handelsteil, Seite 5 in einem langen Artikel gut versteckt, aber doch nicht eben unauffindbar.
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Das ist noch präziser ausgedrückt, als wenn man bloßt sagt, ,, daß diesen vier Millionen nicht die Löhne bezahlt werden, die ein der Kulturhöhe des deutschen Volkes entsprechender Lebensstandard bedingt und daß das Los des Arbeiters noch nicht das menschenwürdige Kulturniveau erreicht hat". Immerhin, für Herrn Dr. Göbbels ist solch ein Zugeständnis allerhand. Er hat es in seiner letzten großen Rede im Sportpalast machen müssen.
Am kräftigsten war es freilich, als einer schrie:„, Den deutschen Arbeitern werden heute Hungerlöhne gezahlt- im Interesse des nationalen Wiederaufbaus." Der dies, halb ergrimmt, halb beklommen zugab, war Herr Dr. Ley. Führer der Deutschen Arbeitsfront . Er sagte es vor mehr als einem Monat, und wie man sieht, ist es inzwischen nicht besser geworden.
Und dann wundern sich manche Leute, wenn auf der Werft von Blohm u. Voß in Hamburg nur 23 Prozent der Belegschaft für die Naziliste stimmten, die zugleich die Liste des Unternehmers ist; wenn es bei Siemens u. Halske in Berlin auch nur etwa 30 Prozent waren und auf den Zechen des Ruhrgebiets gar nur vier bis zehn. Ja, wer von der deutschen Arbeiterschaft nur gehört hat, daß sie ,, dem Führer zugejubelt", der muß sich freilich mächtig wundern: Hitler hat in den deutschen Betrieben anscheinend im Durchschnitt nur ein Viertel der Arbeiter hinter sich.
Die übrigen drei Viertel, von denen Herr Dr. Göbbels zugab, daß sie noch kein menschenwürdiges Kulturniveau erreicht hätten, sind offenbar dieselben, von denen er in der gleichen Rede sagte: ,, Sie haben an allem etwas auszusetzen. Sie kleben sich an die lächerlichsten Kleinigkeiten."
Darum, sagte Göbbels , soll man Opfer bringen. Der Unternehmer so gut wie der Arbeiter, der Arbeiter so gut wie der Unternehmer. Dieser Göbbels merkt schon gar nicht mehr, wie geläufig er bereits den Unternehmerjargon spricht.
,, Frollein," sagt der Chef ,,, Sie müssen nicht gleich ein Gesicht ziehn, wenn Sie mal ne halbe Stunde länger bleiben müssen. Ich rackere mich täglich vierzehn Stunden für den Betrieb ab und sehe auch nicht auf die Uhr." Seht ihr: Der Unternehmer bringt wirklich Opfer für seine des Unternehmers Sache. Da kann er wohl verlangen, daß auch der Sache Arbeiter Opfer für seine, des Unternehmers bringt. Das nennt man die trennenden Unterschiede be seitigen.
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Und darum, so meinen Hitler, Göbbels und Ley, sei es schließlich doch keine übertriebene Zumutung, wenn der Arbeiter eine Zeitlang seine Arbeitskraft fast umsonst verkauft. Es geschieht ja im Interesse des nationalen Ausbaus.
Ja, im Interesse dieses Aufbaus würde der Arbeiter seine Arbeitskraft wahrscheinlich gerne für geringes Entgelt in den gemeinsamen Topf werfen. Wenn er wüßte, daß es sein Topf und sein Aufbau sei. Statt dessen sieht er nur das alte, trübselige Geschäft, das man seit Jahrzehnten kennt: Verkauf der Ware Arbeitskraft zu gedrückten Preisen. So gedrückt wie noch nie.
Das Materielle an dem Vorgang ist schlimm. Das Moralische vielleicht noch schlimmer. Die Arbeitskraft ist des Arbeiters einziger Besitz. Man mutet ihm zu, ihn für einen Bettelpfennig herzugeben. Kein Minister, kein Unternehmer kann nachempfinden, was das für die Selbstachtung des Arbeiters bedeutet. Ihre Geltung in der Gesellschaft ist dugendfach gesichert durch Besity und sozialen Einfluß. Die Geltung des Arbeiters hängt von der Geltung seiner Arbeitskraft ab. Sinkt diese ab, dann sinkt er ihr auf die Dauer unweigerlich nach. Diese Senkung ist unter Hitler in vollem Zug. Kein Gerede von vorübergehenden Opfern" kann die Arbeiter. darüber täuschen. Darum das stellt sich jetzt bereits
heraus
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