Den
Nummer 111-2. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Seite 2
Seite 3
Die Goldbewegung
Seite 4
Protest spanischer Frauen
Seite 7
Röhms zweite Revolution Gestern und hieute
Drohende Reden und demonstrative Paraden
Berlin , 15. Mai. Die schweren Gegensäße zwischen nationalfonservativen und nationalrevolutionären Kräften haben eine tiefe luft aufgerissen, die vom Reichskabinett über die preußische Regierung durch die ganze Verwaltung hinabreicht bis in die kleinsten Gemeinden des Landes. Der Reichs= propaganda minister versucht über die Krise auf seine Art hinwegzufommen: durch große Reflameversammlungen gegen die stritifer an der Geschäftsführung des Reiches und durch ein Wiederaufleben der Judenverfolgungen. Der Oberste Stabschef Röhm aber mobilisiert die SA. gegen alles, was sich als„ Reaktion" gegen die nationalsozialistische Diktatur sammelt Er hat sich in das Reich Julius Streichers begeben, hat dort eine drohende Parade seiner Miliztruppen abgehalten und verfündet:
Reinen Zentimeter wollen wir nachgeben und niemals zurückgehen. So bleiben wir die unverzagte. kompromißlose SA. Hitlers .
Dieses„ Nichtnachgeben" ist an den Reichswirtschaftsminister Schmitt, an den Reichsarbeitsminister Seldte und an den Reichsbantpräsidenten Sch a cht gerichtet. Wie früher in Hugenberg , so erblickt die SA. jetzt in diesen drei Herren die Vertretung der reaktionären fapitalistischen Kräfte, die den großen Führer Adolf Hitler hindern, endlich seine sozialistischen Wundertaten zu verrichten. Die Unzufriedenheit der braunen Truppen ist so groß, daß Röhm der Reichsregierung mitgeteilt hat, die sozialen Zustände hätten fich in einer Art entwidelt, die es der SA. unmöglich mache, Länger untätig zuzusehen. Die Reichsminister Schmitt und Seldte sehen in Röhm und seiner SA. einen Unruhefaftor schlimmster Art und wären froh, wenn die„ kompromißlose SA. Hitlers", die lángst auch die große Sorge des Reichsfanzlers ist, verschwinden oder doch dezimiert werden würde. Hitler selbst schwankt zwischen den Gegenpolen und hat sich bisher weder für die eine noch für die andere Seite erklärt.
Die Gegenfäße haben sich an zahlreichen Stellen im Lande in schweren Zusammenstößen zwischen SA. und„ Stahlhelm" entladen. Ueber eine blutige Saalschlacht anläßlich der Maifeier fonnten wir schon berichten. Ein Erlaß des Stabschefs Röhm gibt zu, daß es an vielen Stellen im Reiche zu „ Einzelaktionen" gegen den„ Stahlhelm" gekommen ist. Bei diesen Zusammenstößen werden weniger Klassenunterschiede als Gegensäge zwischen der wirklichen Fronts generation und der Nachkriegsjugend aufgerissen. Im „ Stahlhelm ", der bekanntlich nach seiner Umgründung sich aller militärischen Uebungen enthalten und nur die Kameradschaft pflegen soll, besteht das Gros der Mitglieder aus Frontfämpfern Bei der SA .. in die die Stahlhelmmitglieder zum militärischen Dienst eintreten sollen, handelt es sich meist um Bürschchen, die den Weltkrieg nur von der Schulbank her fennen.
Die Zeitschrift„ Der Stahlhelm" hat nun eine„ revoIutionäre" Rede des Reichsjugendführers Baldur v. Schirach
dahin kommentiert, daß die Jugend revolutionär fühlt und schwärmt, ist selbstverständlich, weil es eine Pubertätserscheinung ist".
Darauf antwortet nun der Pressechef der Reichsjugendführung:
alteteuch den Reattionärfern! Saltet euch den Reaktionär fern! Es ist Aasgeruch um ihn!" Dieser Fall" aber soll ein für allemal ausreichen, um das alberne Geplapper von dem mangelnden Respekt der Hitlerjugend vor der Frontgeneration armen Frrenzu überlassen. Wer die Hitlerjugend wirklich kenne, wiffe um ihre tiefe und göttliche Ehrfurcht vor dem grauen Unbe: kannten des mörderischen Krieges. Die Hitlerjugend kenne ihre Fehler und ringe mit ihnen. Das mache sie aber mit fich selber aus und nicht mit Leuten, die vor Ueber: heblichkeit aus ihrer Monotelperipettive pöglich tief unten auf der deutschen Erdeden Nationalsozialismus entdecken.
Die nationalsozialistische Presse scheint aber diese armen Frren" als eine große Gefahr zu empfinden, denn sie wimmelt von Leitaufsäßen unter den Ueberschriften„ Schluß damit!" Den„ Stahlhelmern" und ähnlichen zweifelhaften Ge= sellen wird gefagt, daß fie zu schweigen haben, um möglichst wenig aufzufallen.
Revolution ist wieder die große nationalsozialistische Mode. Der„ Führer" hat zwar vor nun einem Jahre das Gerede von der zweiten Revolution verworfen und die Revolution als beendet erflärt, aber bei den trostlosen Zuständen im Lande muß man nun der revolutionären Stimmung neue Konzessionen machen und niemand weiß noch, wo diese enden werden. Der fränkische Gruppenführer Robert Berg= mann hat den Obersten Stabschef Röhm am vergangenen Samstag mit Worten begrüßt wie diese:
Noch als Lettes. Unterordnung und Marschieren macht nur erst einen Teil von Soldaten des Führers. Schutzstaffelmänner tangen nur dann etwas, wenn sie bis auf die Knochen revolutionär sind und es immer und auf ewig bleiben!
Eine Schußftaffel, die ihren revolutionären Geist aufgibt und anfängt weich zu werden, Kompromisse für richtiger zu halten als absolute Kompromißlosigkeit, eine solche Schutzstaffel würde von Rechts wegen aufgelöst. Darum haltet den alten revolutionären Geist!
Ob die Redner das ernst meinen, bleibe dahingestellt. Die Massen der SA. - Männer, die erwerbslos sind oder zu Hungerlöhnen in den Betrieben und auf den Aeckern arbeiten müssen, verstehen jedenfalls unter dem revolutio= nären Geist" nicht eine seelische Erneuerung, sondern den Zugriff auf reale Dinge des Lebens, und sie werden sich nicht mehr lange mit Predigten und Paraden begnügen.
Eine Prophezeihung
-Und eine Aufgabe b
" Die p: opagandistische Ausstrahlung des Nationalsozialismus muß zunächst verfinstert werden von dem Schatten, den feine erste innere Krise wirft. Diese Krise ist nach dem Stegeslauf des Sommers 1933 unvermeidlich, und geschickte Regie hat nur die eine Möglichkeit, sie nach Kräften zu verschweigen und zu verheimlichen.
Die ungesunde, zweideutige Machtverteilung zwischen Revolution und Reaktion; die Spannungen innerhalb der nationalsozialistischen#hrerschaft, die objektive Krankheit von Wirtschaft und Gesellschaft und die bevorstehende Reaktion auf die gewagten Heilmittel, die man dagegen eingab; schließlich die Außenpolitik- all dies muß das Regime in seine erste Kri führen Es wird nicht daran sterben. Aber sein Einfluß auf die Gemüter wird nachlassen. Werden die sozialistischen Parteien außerhalb Deutsch lands diese Chance nüz n? Die Massen erwarten das; Beweis find die Wahlsiege. mit denen überall in Europa die Arbeiterparteic auf den deutschen Faschis.us geantwortet haben. Aber in einen Sieg fönnen diese Parteien die bevor stehende psychologische Krise des Faschismus nur verwandeln, wenn sie die Krise überwinden, die in ihnen selbs: fteckt und die fich in offener Spaltung oder in Dogmenstreit und damit Zielofigfeit ausdrückt. Die Parteien, deren Ziel
fren."
Planwirtschaft ist, müffen es noch lernen, auch den politischen Rampf nach großen Plänen zu Aus Robert Heiden, Geburt des dritten Reiches", Seite 261. Erschienen November 1933.( Zürich , Europa- Verlag.)
„ Gewöhnen Sie sich daran!" Elendseinkommen
Beim Autostraßenbau in Norddeutschland( Strecke Bre men - Hamburg ) find rund 200 Arbeiter beschäftigt. Lohn 20-22 Mart in der Woche. Davon erhält die Familie 12 Mart. Mit 8 Mart muß der Arbeiter, während der Woche von seiner Familie getrennt, leben. In St. hat ein Zollsefretär mit einem Nettogehalt von 120 Mart an seine Aufsichtsbehörde den Antrag gestellt, ihm eine Familienbeihilfe zu gewähren, da er durch Krankheit in der Familie eine befondere Notlage hat. Der ablehnende Antrag bemerkte: Gewöhnen Sie sich daran, bescheidener zu leben. Millio nen Volksgenoffen müffen mit der Hälfte Ihres Einkommens auch leben.
In Hannover ist einem Junker die Galle übergelaufen. Er hat es gewagt, den Führer Adolf Hitler einen Hetzer zu nennen, und hat das sogar schriftlich von sich gegeben. Das kam so:
Ein Geschäftsmann hängte in seinem Betrieb ein Plakat aus, das die Worte trug: ,, Es gibt nur einen Adel, den Adel der Arbeit. Adolf Hitler ." Darauf erhielt er folgenden Brief: ,, Sehr geehrter Herr! Zu meinem großen Erstaunen habe ich soeben festgestellt, daß in dem Schaufenster Ihres Geschäftes ein Hegplakat gegen den Adel angebracht ist. Wenn das in einem kleinen Kramladen im Kaschemmenviertel geschieht, wundert man sich nicht; wenn das ein großes Geschäft macht, das seit Jahrzehnten den Adel zu seinen Kunden zählt, so empfindet man das als eine Takt- und Geschmacklosigkeit ersten Ranges. Es ist selbstverständlich, daß wir sämtliche Standesgenossen, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe, stimmen mir darin bei einen Laden nicht betreten,
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in dem tendenziöse Hegplakate gegen uns öffentlich aushängen.
Hochachtungsvoll!
gez. H. v. Kramsta Kgl. Rittmeister a. D.
Als der Geschäftsmann den Brief gebührenderweise dem zuständigen Bonzen von Hannover , einem gewissen Thomas, vorlegte, bekam dieser Zustände. Das gab es also noch! Ein nationalsozialistisches Plakat, so schrieb er wuterfüllt in seinem Blatt, ist also ein tendenziöses Hetzplakat! Ein Plakat mit einem Ausspruch des Führers selbst!! Plakate mit einem Wort Adolf Hitlers gehören in das Kaschemmen viertel!!! Und der wohledle Herr von Kramsta organisiert gar einen Boykott gegen nationalsozialistische Geschäftsleute. Da begannen dem Thomas die Worte zu fehlen, und er konnte nur noch röcheln, daß Herr von Kramsta am Holzgraben 5 wohne ob nicht irgendeine Behörde sich für den Fall interessiere? Das nächste Konzentrationslager sei in Papen. burg. Dort ist der Herr Kgl. Rittmeister a. D. wie die. ,, Niedersächsische Tageszeitung" triumphierend meldet, schon eingeliefert worden.
Für Thomas mag mit Hilfe Papenburgs der Fall einfach liegen. Wir selbst gestehen, daß wir ihn etwas kompliziert finden. Wir meinen, daß in diesem Fall ausnahmsweise Adolf Hitler recht und der gereizte Sproß derer von Kramsta unrecht hat. Dieser Kramsta mag an einen Spruch seines Landsmanns, des Dichters Börries von Münchhausen , gedacht haben:
,, Adel ist gut und Bauer ist recht, aber ich hasse das kleine Geschlecht. Adel ist recht und Bauer ist gut, aber ich hasse unedles Blut.
Seit wann ist Adelsblut so gering, daß es mit dem Gefreiten ging?"
... wobei wir in der letzten Zeile uns eine kleine Aenderung erlaubt haben; statt Gefreiten heißt es bei Münchhausen ursprünglich Krämer. Aber der Herr von Kramsta dürfte wohl so gedacht haben, wie wir zitierten.
Die Nazis werden an ihren Junkern noch viel Freude erleben. Ihr Bauernführer Darré hält wütende Reden gegen sie. Sogar enteignen will er. Aber dagegen gibt es Gott sei Dank noch einen Göring . Der Ministerpräsident aller Preußen hat am Sonntag in Breslau seinen Freund Darré knapp, aber deutlich korrigiert: Im ,, dritten Reich" gebe es nur Bauern, ob mit viel oder wenig Grund und Boden.
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Die Bauern von 12 000 Morgen Grundbesitz an aufwärts sind gerade in Schlesien ziemlich zahlreich. Sie werden den Sat gern gehört haben. Gewiß, Herr Kamerad, leben in anderen Zeiten; muß mit alten Vorurteilen brechen, Standesprivilegien gibt es nicht mehr. Der eine hat 12 Morgen, der andere 12 000 sonst ist da kein Unterschied. Bis zu welcher Verrücktheit diese Verlogenheit gehen kann, bewies Herr Darré in einer schwungvollen Ansprache zum Preise des preußischen Ministerpräsidenten:„ Hermann Göring ," sagte er ,,, ist Soldat und ist auch Bauer." Ungefähr ebenso, wie ein Vogelbauer ein Bauer ist. Herr Göring hat sich mal von der Gemeinde Berchtesgaden 10 000 Quadratmeter zum Bau seiner vierten oder fünften Villa schenken lassen- sonst hat man von seinem Bauerntum noch nichts gehört. Dagegen haben wir schon gelegentlich gelesen, daß er Arbeiter sei. Nämlich wegen des oben erwähnten Adels der Arbeit, der schon eine besondere Uniform rechtfertigt.
Der Adel für 40 Pfennig Stundenlohn braucht es ja nicht gerade zu sein. Argus.
In der Verwaltungsakademie sprach am Montag Reichss finanzminister Graf Schwerin v. Krosigk über„ Haushaltsgestaltung im„ dritten Reich", wobei er hervorhob, daß die in den letzten Jahren entstandenen Fehlbeträge von sechs Milliarden infolge der Wirtschaftsbelebung mit Bestimmts heit in den nächsten fünf Jahren abgedeckt werden könnten. - Wahrscheinlich durch die Pumpwirtschaft, zu der sich Graf Schwerin- Krosigk bekennt.