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alambibo

Freiheit

Nummer 112-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 17. Mai 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Genf   und die Saar  

2335wib 2

Seite 3

Geheimnis um Thälmann  und seine Mitgefangenen

Seite 2

Ach, nur die SA..."

Seite 7

Prinz Auwi hat Angst

Seite 7

Reichsgesetz für Zwangsarbeit

Aufhebung der Freizügigkeit und zwangsweise Verschickung von Landhelfern

Berlin, 16. Mai. Das Reichskabinett hat ein Gesez zur Reglung des Arbeitseinsatzes beschlossen. Es soll, wie es in der halbamtlichen Verlautbarung heißt, den Bedarf der Landwirtschaft mit den notwendigen Arbeits­fräften sicherstellen und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Großstädten wirksamer gestalten. Das Gefen schafft die Möglichkeit, Bezirke mit hoher Arbeitslosigkeit für zuziehende Personen, die sich dort als Arbetter oder An­geftellte betätigen wollen, von einem bestimmten Zeitpunkt ab zu sperren. Gedacht ist zuerst an eine Anordnung für das Wirtschaftsgebiet Großberlin. Die Beschäftigung von Personen, die mit landwirtschaftlichen Arbeiten vertraut find, in landwirtschaftlichen Berufen oder Be trieben tann gefordert werden.

Aus dem gewundenen und abfichtlich unflar gehaltenen Amtsstil in flares Deutsch übersetzt: das Reichskabinett hat die Freizügigkeit für Arbeiter aufgehoben und die 3wangsverschidung und 3wangsarbeit für solche Arbeitskräfte eingeführt, die behördlich als geeignet für landwirtschaftliche Berufe oder Betriebe bezeichnet wer= den. Irgendwelche Sicherungen für Arbeitszeit, Lohn und Behandlung find nicht gegeben.

Man erfährt aus der Mitteilung, was sonst seit Monaten bestritten wird, daß es Bezirke mit hoher Arbeitslosigkeit" gibt. Obwohl hinreichend bekannt ist, mit welchen Elends­fäßen an Unterstützung sich die Erwerbslosen   begnügen müssen, drängen doch noch zahlreiche Arbeiter und An­gestellte in die Städte und Industriegebiete, weil sie sich der Sklaverei des Randhelfers" entziehen wollen. Diese Menschen sollen nun mit geseglicher Gewalt auf dem Lande

festgehalten und der Landwirtschaft als sehr billige Arbeits­fräfte zr Verfügung gestellt werden. Da sie nicht aus­reichen, soll außerdem in den Städten die Aushebung und Verschickung von Vandhelfern" erfolgen. Das ist in großem Maße schon im vergangenen Jahre geschehen. So machte zum Beispiel Oberpräsident Koch in Ostpreußen   seine Pro­vinz frei von Erwerbslosen   und errang seinen großen Sieg in der Arbeitsschlacht. Nun aber soll dieses System der Sklaverei für das ostelbische Junkertum und den sonstigen Großgrundbesig allgemein durchgeführt werden.

Man sieht aus diesem neuen Reichsgesetz, was es mit der fürzlich erfolgten Ankündigu des Reichsministers für Er­nährung und Landwirtschaft Darre auf sich hat, daß den Estelbiern keine Subventionen mehr gezahlt werden sollen. Die Subventionen erfolgen dennoch, und zwar neben den in voller Höhe aufrechterhaltenen Lebensmittelzöllen als 3wangsarbeit der Landlosen. Die Reichsregierung greift auf die mittelalterlichen Frondienste zugunsten des Großgrund­besizes zurück.

Für Wohlfahrtserwerbslose, die als Landarbeiter verschickt wurden, sind bisher schon nur Löhne von 27 Pfennig die Stunden die Frauen von 18 Pfennig die Stunde gezahlt worden bei einem Deputat von 25 Pfund Kartoffeln die Woche. Um wieviel werden diese Jammerlöhne nun noch gesenkt werden?

Von allem abgesehen, was die reinen Arbeiterinteressen berührt, zeigt das neue Reichsgeseß, daß nicht einmal binnen­wirtschaftlich eine echte Belebung vorhanden ist. Der Sozialismus der Tat", den die wirtschaftlichen Dilettanten des faschistischen Systems in Deutschland   verüben, besteht in dem Zurückſinken in vorfapitalistische Manipulationen, die das Wirtschaftsleben ruinieren müssen.

Delirien des Dr. Ley

Was der internationalen Presse geboten wird

Berlin  , 16. Mat. Im Zusammenhang mit dem heute beginnenden Arbeitskongreß sprach vor der in- und aus­ländischen Presse Dr. Le y über den Sinn der Deut. Ichen Arbeitsfront" und ihre grundsätzliche Ver­schiedenheit gegenüber den früheren Gewerkschaften.

Der Arbeitsfongreß wird in diesen Tagen zur Erinne­rung daran abgehalten, daß am 10. Mai 1933 die Deutsche Arbeitsfront   gegründet wurde. Dr. Len erinnerte daran, daß von der Arbeitsfront 169 Arbeiter- und Angestelltenverbände und 46 Arbeitgeber verbände übernommen worden seien. Aus ihnen sei die größte Organisation der Welt geworden, die Arbeits­front, die sich auch gründlich innerlich gegenüber den Ge­werkschaften gewandelt habe. Die früheren Gruppen waren," so sagte er, geboren zum Teil aus weltanschau­lichen Gründen heraus. Die Industrialisierung hatte als neuen Menschentyp den wurzellosen Industriearbeiter ge­schaffen, der sich schon früh in den verschiedenen Vereinen durch Solidarität eine neue Heimat gesucht hat. Die Ge­werfichaften wurden aus den idealsten Gründen ge­boren, aus Kampf um Achtung und Anerkennung, um Heimat und Boden. Im Laufe der Jahrzehnte sanken die Organisationen aber zu Parteigruppen herab, aus den rein idealen Gründen wurden rein materielle. Der Kampf ging später um schemenhaften Internationalismus. Wäh­rend man den Arbeiter ursprünglich zu höchsten Ehren bringen wollte, bekämpfte man sich später selbst als Proletarier". Schließlich wurden aus den Gewerk­schaften Versicherungsvereine. Ihre gegenseitige materielle Hilfe war auf einen Schwindel beispiel­Tofer Art aufgebaut, da die Versicherungsleistungen in den Gewerkschaften nur eine Rannvorschrift gewesen ist. So santen die Gewerkschaften allmählich zu Gauner­firmen herab, was nicht allein für die freien Gewerk­schaften gilt, die an sich noch die saubersten Ver=

Präsidenten der deutschen   Arbeitsfront gemacht. Greifen wir uns aber noch einen Satz aus einer späteren Partie der Ley- Rede heraus:

Ich kann versichern, daß nirgends geringere Löhne als am 30. Januar 1933 gezahlt werden. Nirgends ist die Urlaubsfrage so gut geregelt wie in Deutschland  ."

Diesem Schwindel halten wir einfach entgegen, was Reichsminister Dr. Göbbels   am Freitag, 11. Mai, im Sportpalast in Berlin   gesagt hat, und was in der ganzen deutschen   Presse nachzulesen ist:

,, Wenn ich vier Millionen Arbeit gebe, muß ich in der ersten Phase der Entwicklung in Kauf nehmen, daß diesen vier Millionen nicht die Löhne bezahlt werden, die ein der Kulturhöhe eines Wolfes ent sprechender Lebensstandard bedingt." Diesmal hat Göbbels   recht. Dem unwissenden Präsi­denten der Arbeitsfront wollen wir nur die Löhne einer Berufsschicht vorhalten, und zwar einer, die an der Binnenkonjunktur am meisten teilnimmt. Die Stunden­hne der Maurer waren

Hamburg  

am 30. Januar 1983 im April 1934

Berlin 126

München Köln

115

118

Breslau

106

Königsberg ot

96

110

108

95

87

88 89

So unterscheiden sich die Tatsachen von ben Delirien des Herrn Dr. Robert Len.

hältniffe gehabt haben. Während die freien Ge- Bergwerksdirektor ermordet

wertschaften aus einer gewissen Angriffslust entstanden waren, wurden die christlichen und die bürgerlichen aus Abwehr gegründet, also eigentlich aus Feigheit und Angst. Eine dritte Klasse endlich entstand aus den Motiven reiner Geschäftstüchtigkeit. Alle drei verkauften sich an Par­teten und führten den Kampf untereinander nur zum Schein."

-

Es genügt wohl, diese Theorien" sprechen wir beut. lich eines alkoholisierten Jgnoranten kommentarlos

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Köthen  , 16. Mai. In der Nacht zum Dienstag wurde der Direktor der Grube Leopold, Dipl.- Ing. Bruno Wieder­hold aus Bitterfeld  , ermordet und beraubt. Die Leiche wurde in den Morgenstunden des Dienstag in einem Straßengraben zwischen den Dörfern Oppin   und Niemberg unter einer Decke aufgefunden. In der Nähe lagen eine Attentasche, lose Papiere und eine goldne Brille. Dem Er­mordeten wurde eine Brieftasche mit 500 RM. Inhalt, Kraft­wagenpapiere, sein Paß und seine goldene Uhr entwendet.

Gestern und heute

Für alles, was ihnen fehlt, schaffen die Nazis geschwind ein Amt. Darum haben sie eins für Devisenkontrolle, für Roh­stoffüberwachung, für Kirchenfrieden und zu Ehren von Dr. Göbbels   und anderen hochgewachsenen Ariern haben sie ein Amt für Rassehebung.

Das neueste auf diesem Gebiet ist das ,, Amt für Grund­satstreue".

Aber nein, das ist kein Wits. Ernst ist der Anblick der Notwendigkeit, sagte sich der pfälzische Gauleiter Bürckel  , und da die Grundsaytreue der Nationalsozialisten es offenbar sehr notwendig hat, schuf er für sie ein Amt. Es soll von amtswegen das besorgen, was sich bei den Herrschaften nicht von selbst versteht.

Lassen wir den Herrn Bürckel   selbst sprechen:

,, Es wird beim Gau   ein Amt für Grundsagtreue errichtet. Es hat die Aufgabe, alle dem Gauleiter unterstehenden poli­tischen Leiter in ihrer gesamten Lebenshaltung zu kontrollie­ren. Der Leiter der Abteilung Führerkorps ist eine Verpflich­tung eingegangen, nach der er sich selbst als Schädling der Partei bezeichnet, falls er auch nur die kleinste Unehren­haftigkeit irgendeines Unterführers unbeachtet läßt."

Also die Lebenshaltung soll kontrolliert werden... Da möchten wir doch zu gern mal Göring   vor den Schranken dieses Amts sehen. Auch Göbbels   wäre nicht schlecht. Denn eine Villa mit 40 Zimmern oder eine Mitgift von zwei Mil­das lionen von dem geschiedenen Gatten seiner Frau scheint uns ein bißchen viel für die Grundsatztreue eines deutschen Sozialisten.

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Aber vielleicht kennen wir uns in diesen Grundsätzen noch nicht genügend aus. Manche Leute meinen ja, ihre Grund­sätze stünden in ihrem Programm. Aber das glauben wir nun mal nicht. Denn da fordern sie zum Beispiel die Brechung der Zinsknechtschaft, die Verstaatlichung aller Trusts, die Gewinnbeteiligung an Großbetrieben, die Kommunalisierung der Warenhäuser und die unentgeltliche Enteignung von i wo! Grund und Boden. Das sind doch keine Grundsätze Das haben sie bloß hineingeschrieben, weil es so schön ist. Adolf Hitler   ist nun mal eine künstlerische Natur.

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Die Grundsätze der Nazis müssen in etwas anderem be­stehen. Anscheinend sind sie so wertvoll, daß die Guten sie sorgfältig für sich behalten. Aber solch ein Amt für Grund­sattreue müßte wenigstens für sich selbst ein paar tüchtige Grundsätze haben: sozusagen einen Tarif für Grundsätze. Etwa: der Führer selbst hat seinen Geburtstag auf einer Autotour mit sechs ausgewachsenen Kraftwagen gefeiert. Da könnte man Göring   immerhin vier zubilligen und einem ein­fachen Gauleiter anderthalb: einen Achtzylinder und einen Vierzylinder. Denn wir glauben schon, daß Grundsätze der Nationalsozialisten sehr eng mit der Zahl ihrer Automobile zusammenhängen.

Bei der Bewirtschaftung des knappen Vorrats an Grund­satztreue wird das Amt noch manches Mal Sorge haben, denn das Angebot ist nicht groß. Da die Nazis ja immer mehr in die Kriegswirtschaft hineinschlittern, wird es ihnen mit der Grundsatztreue wohl so ähnlich gehen wie im Kriege mit den Brotkarten: Karten gab es wohl, aber kein Brot.

Wir sehen es schon kommen, wie das geplagte Amt einen Pappdeckel mit folgender Aufschrift vor seine Tür hängt: ,, Da das Amt zur Zeit noch mit der Aufstellung von zur Treuehaltung geeigneten Grundsägen beschäftigt ist, ist Sprechstunde vorläufig nur Sonntags zwischen 12 und 1. In Zweifelsfällen gilt bis zur endgültigen Regelung als allge. meiner Grundsats wie bisher:

,, Das Volk darf nichts merken. Keinesfalls sich erwischen lassen." Argus.

getötet worden. Er hatte fich Montagnachmittag mit feinem eigenen Wagen zu einer Besprechung, die bis gegen Abend gedauert hatte, nach der Grube Leopold in Edderis begeben. Dann war er allein mit dem Wagen über Köthen  zurückgefahren, um nach Bitterfeld   zurückzukehren. Man nimmt an, daß Wiederhold entweder in Köthen   oder auf dem Wege dorthin von dem noch unbekannten Täter oder den Tätern angehalten worden ist mit der Bitte, ihn oder sie mit­zunehmen. Anscheinend hat man ihn dann sofort erschossen. Wahrscheinlich ist die Reiche dann mit dem Kraftwagen nach dem Fundort gebracht worden. er Wagen wurde heute

wiederzugeben. Einen solchen Menschen hat man zum Wiederhold ist durch einen Schuß unter der rechten Bruſtſeite morgen in Röthen herrenlos aufgefunden.