0

Habib

Freiheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 1152. Jahrgang Saarbrücken , Sonntag- Montag, 20.- 21. Mai 1934 Chefredakteur: M. Braun

obertsH

Aus dem Inhalt

Die Becliner Handgranate

Die französisch­

Enchil

Seite 2

cussische Annäherung

Seite 2

Enthüllung des deutschen Wirtschaftswunders

Seite 4

Prangerzug( Photographie)

Seite 7

Die Krise der deutschen Diktatur

Der große Stimmungsumschwung im Reiche Originalberichte der Deutschen Freiheit"

Seit einigen Wochen erreichen uns Berichte aus dem Reiche, die einmütig den großen Stimmungsumschwung gegen das System feststellen. Zum Teil find ensere. Ber­trauensleute von einem Optimismus, der mit dem balt gen " Busammenbruch" rechnet. Ob dieser Optimismus berech tigt ist, lassen wir dahin gestellt. Unsere Kameraden drinnen und wir draußen wollen jedenfalls mit aller draft an der Berseßung und der Unterwühlung der Htlerdiktatur ar beiten, die übrigens selbst am meisten für hre Abnutzung tut. Die fommende revolutionäre Phase wird imwälzende Machtverschiebungen bringen und unsere Aufgabe ist es, sie nach links hin zu verlagern.

Wie wenig fich die Nationalsozialisten ihres Einflusses auf die Massen noch sicher fühlen, zeigt die' nweisung der Reichspressestelle im Propagandaministerium an die Redak­tionen, über die Ergebnisse der Vertrauens nänner wahlen" in den Betrieben nichts zu veröffentlichen. Ins liegen aber mehrere Dußend Ergebnisse oicher Betriebs­mahlen vor, die fast ohne Ausnahme große Mehrheiten gegen die nationalsozialistische Liste erbrachten. Große Teile der Belegschaften enthielten sich der Stimme oder machten die Stimmzettel ungültig und selbst bei dem so verbleiben den Rest ergab sich noch in den meisten Fälle eine Mehry 1 gegen die Nationalsozialisten. Trotz Terror. Troß der se­fahr, die Arbeitsstelle zu verlieren.

Stammten unsere bisherigen Berichte meistens aus G bieten mit alter gewerkschaftlicher und sozialistischer Schulung, so sind uns neuerdings Zahlen aus dem Aachener Kohlengebiet zugegangen, das stets nur schwache politische Organisationen und eine gewerffchaftlich und politisch nur wenig geschulte zusammengewürfelte Ar­beiterschichten hatte. Auch in diesem Gebiet zeigt sich aber die wachsende Ablehnung der Auflehnung gegen die national­sozialistische Diftatur. Hier einige Zahlen, wie sie uns ein Bergarbeiter mitteilt:

Auf der Grube Laurweg waren wahlberech tigt 2141. Stimmen wurden abgegeben 1912, demnach eine Wahlbeteiligung von 89,3 Prozent. Auf den Wahl­vorschlag entfielen jedoch nur 486 Stimmen.

Grube Gouley". Wahlberechtigt waren hier 1912. Stimmen wurden abgegeben 1622, jedoch erhielt der Wahl­vorschlag fage und schreibe nur 232 Stimmen. Die Bes teiligung betrug hier 84,7 Prozent.

Grube Eschweiler Reserve". Wahlberechtigte 2171. Stimmen wurden abgegeben 1854. Die Beteiligung war demgemäß 85,4 Prozent. Auf den Wahlvorschlag ent: fielen hier 1134 Stimmen.

Wenn man diesen Schwindel der Vertrauensratswahicn auch nicht als eine Wahl ansehen kann, da ja nar cin Wahlvorschlag gemacht werden kann, so ist das Ergebnis ein glänzendes Barometer für die Stimmung und ein noch befferes Mißtrauensvotum gegen die Wahlvorschläge der Nazis.

Auf Grube Adolf" war das Ergebnis auch kein beson deres. Wahlberechtigt waren hier von einer Belegschaft von 8434 Beschäftigten 2292. Die Zahl der abgegebenen Stimmen jedoch betrug hier nur 1444. Also 63 Perzent haben nur gewählt, Von diesen 63 Prozent, also den 1444 abgegebenen Stimmen wurden nur 68 Prozent für den Wahlvorschlag abgegeben. Es haben demnach 798 nicht ge wählt und von denen, die gewählt haben, gaben 32 Pro­zent ebenfalls ihre Stimme nicht dem Wahlvorschloge.

Es ist das, wenn man die Berhältnisse hier berück fichtigt, ein für die Nazis geradezu katastrophales Er: gebnis, denn es ist fast ohne Einwirkung nur aus der Stimmung der Arbeiter gekommen.

Auf der Mariagrube in Mariendorf sind die Bertrauensrätemahlen gar nicht bekannt gemacht worden. Das Ergebnis war so fatastrophal und die Bemerkungen auf den Wahlzetteln waren so regimefreundlich", daß man fich nicht getraute, diese zu veröffentlichen.

Aus einer Reihe von Industriebetrieben, deren Beleg­schaften uns bitten, die Firmen nicht zu nennen, wird uns geschrieben, daß zahlreiche Zettel, in einer Fabrik 10 v. H., mit reiheit!" und" Rot Front!" beschrieben waren. Es wurden große Untersuchungen mit Schriftvergleichen an­gestellt, ohne daß man die Uebeltäter hätte fassen können. In einem Textilbetrieb, der übrigens nicht im Rhein­lande liegt, mit etwa 400 Mann Belegschaft, wurde ein Kommunist aus dem Betriebe verhaftet und ermordet. Einige Tage darauf hing an der Mauer des Betriebes ein Aranz mit roten Nelfen zu Ehren dieses Kameraden.

Darunter stand in großen Buchstaben Vorsicht Dyna­mit"! Der Kranz hing fast eine Woche. Im Betriebe herrschte finsteres Schweigen Niemand sprach über den Vor­fall.

Sonst berichten unsere Vertrauensleute einmütig, daß Kritik bis zu lautem Schimpfen sich wieder öffentlich hervor­wagt. Das trifft neben den Mittelständlern vor allem auf Erwerbslose und Notstandsarbeiter, aber auch auf Bauern und namentlich Bäuerinnen zu. Briefträger berichten vom Lande, daß sie auf Bauernhöfen. wo die Leute bis zum Serbst begeisterte Nationalsozialisten waren, auf den ihnen amtlich vorgeschriebenen Gruß Heil Heilter!" entweder ein scharf betontes Guten Morgen oder Guten Tag hören, oder daß man das Heil Hitler" mit verächtlichen Gebärden und höhnischem Tonfall zurückgibt. Alles ist darüber einig, daß die Wahlen am 12. November der Höhepunkt waren. Seitdem gehts abwärts!

Aus dem Rheinlande werden viele unverheiratete Er­werbslose in die Landwirtschaft nach dem Osten vermittelt". Das heißt also, sie werden fommandiert und zwang 3- verschickt. Wer sich weigert befommt keine Unterstügung. Man muß sich vorstellen, wie das auf die Rheinländer wirkt, für die eine solche Fahrt nach Ostpreußen beinahe eine De­portation nach Sibirien ist. Mit allen Mitteln versucht man sich zu drücken.

Auch ein Teil der SA. ist nach dem Osten abfommandiert. Soweit die Leute verheiratet sind, erhalten die Frauen Unterstützung mit einer wöchentlichen Zulage von 2 Reichs­mart. Viele SA.- Leute suchen sich von diesen Kommandos nach dem Osten freizumachen. Zahlreiche SA.- Leute sind aus diesem Grunde verhaftet worden. Der Stimmungsum= schwung in der SA. äußert sich auch darin, daß manche ver­suchen, ihre Mitgliedschaft in der loszuwerden, was allerdings nicht leicht ist. Kennzeichnend ist auch, daß die SA. nicht mehr wagt, in der früheren Schärfe gegen rebellierende Andersdenkende vorzugehen Man fann ist schon manchmal hören, daß SA.- Leute sagen, sie hätten im März 1933 die Verkehrten gepackt, und die Richtigen fämen erst noch an die Reihe.

Während des großen Maiumzuges in Aachen kam die rheinische Spottlust in einem Karnevalslied zum Durch­bruch, das natürlich mit politischer Ueberlegung gesungen wurde. Eine große Anzahl von Gruppen sang oder summte immer wieder: Wenn das so weiter geht, ein halbes Jahr, haben wir das Delirium, hallejujah!" SA. und SS. suchten immer wieder das Singen und Summen zu unter­binden, aber zur großen Freude der Zuschauer und Zuhörer an den Straßen, hörte man das Lied immer von neuem. Auch Freiheit, die ich meine", wurde angestimmt; es war bei den abendlichen Feiern in den iWrtschaften das am meisten ge­jungene Lied. Auch begrüßte man sich mit Freiheit!" und fügte singend hinzu... die ich meine". So werden allerlei Auswege gefunden, die in aller Deffentlichkeit die wahre Gesinnung zeigen. Zu den Vertrauensrätewahlen ist übrigens noch nachzutragen, daß in einer Reihe von Betrieben in Aachen die Vertrauensmänner ernannt werden mußten, weil man feine NSBO.- Leute als Kanditen hatte.

Auffallend ist, wie viele Leute in der Aachener SA. sich frank melden, wenn sie zu militärischen Uebungen ausrücken sollen. In Aachen ist jetzt angeordnet worden, daß sich die frankmeldenden SA.- Leute bei bestimmten Vertrauensärzten vorstellen müssen. Wer dies nicht tut, wird mit Arrest be= Straft.

Ueber die Stimmung in den katholischen Organisationen braucht nichts gesagt zu werden. Sie ist von Zorn und Haß geladen. Am Himmelfahrtstage machten die katholischen Bünde als geschickt getarnte Gegendemonstration gegen die Uniformverbote und die Unterdrückung der katholischen Jugendorganisationen eine Marienwallfahrt nach Aachen. Etma 30 000 Jugendliche nahmen daran teil. Schon bei der Anfahrt der katholischen Jugend kam es zu Provokationen durch die Hitlerjugend und die SA. An mehreren Stellen prügelte man sich. Auf dem Kapuzinergraben im Zentrum der Stadt kam es schließlich zu einer wüsten Schlägerei, daß die Landespolizei eingesetzt werden mußte.

Als Stimmungszeichen ist wichtig, daß seit einigen Wochen das Vertrauen in die Währung erschüttert ist. Bei den einfachen Leuten ist das Gerücht verbreitet, die Mark gelte im Auslande nur noch 6 Pfennig und das wird ge­glaubt. Viele Menschen, die sonst den Handelsteil nicht lesen, interessieren sich für den Reichsbankausweis, für die

Ifingfigeift

von Pfarrer Carf Jatho Feuer kann man löschen, Wasser läßt sich eindämmen, Luft kann man absperren durch Steine und Glas. Aber der Geist läßt sich nicht dämpfen, seine Fluten brechen alle Deiche ent­zwei, seine Ströme brausen über Jahrtausende dahin. Als er zuerst seiner selbst inne ward, als er seine Fähigkeit an­fing zu fühlen, als er in den Schauern der Furcht und in den Wonnen der Hoffnung zum erstenmal sein Herz erbeben ließ,

da brach ein neuer Weltentag an. Ein Geschlecht stieg empor aus dem Dunkel eines dumpfen Naturlebens zum Mor­genrot bewußten Denkens, eigenen Wollens, selbstlosen Lie­bens. Aus dem Tier wurde der Mensch. Der Geist schaute sich selbst und in der Selbsterkenntnis über sich selbst hin­aus; die Seele entdeckte den ewigen Gott. Nun konnte sie atmen in ihrem Element, sie konnte steigen, fliegen, über. winden. Aus der Sklavin war eine Herrscherin geworden, und die Herrscherin ergab sich in freiem Dienst der An­betung des kommenden Gottes. Das Zukünftige ward ihre Lust.

Drum dämpfet den Geist nicht, ihr Freunde, die ihr euer Bestes von ihm empfangt. Fürchtet euch nicht vor der star­ken Hand, womit er euch faßt. Erschreckt nicht vor den Zickzackwegen, die er euch führt. Er hat euch zu lieb, um euch das Fertige zu schenken. Er schätzt euch zu hoch, um euch vom Suchen zu entbinden. Weil er selbst Leben, Licht und Allmacht ist, möchte er euch aus allem Schlaf erwecken, aus jedem Nibelheim verjagen, aus aller Ohnmacht auf. rütteln. Bedürft ihr der Ruhe, will er es sein, der singend und spielend sie euch schützt: und bricht der Morgen an, so drängt er euch lachend auf den Weg des Tags mit seiner Plage zu frohgemutem Wirken. Er bleibt euch hold, auch wenn ihr irrt und euch vergreift. Aber zornig wird er, wenn ihr ihm euer Vertrauen entzieht. Dann schüttelt er eifernd sein leuchtendes Haupt, um sich über den Schmerz hinweg. zuhelfen, der ihn im Innersten quält. Drum dämpfet den Geist nicht.

Aber verachtet auch Prophetenrede nicht. Sie ist ja seine er habendste Sprache. Der Genius ist sein Liebling vor allen. Ihn stattet er verschwenderisch aus; nirgends fühlt er sich so zum Geben gestimmt, als wenn er in ihm sein Haus sich baut. Da muß alles überfließen von Kraft und Milde, von Schönheit und Kunst. Da entfesselt er die ewigen Gegensätze der Menschlichkeit: Haß und Liebe, Wonne und Weh', Leben und Tod Aus Prophetenmund hält er die Predigt von Sein und Nichtsein, von Himmel und Hölle. Was in der Tragik des Lebens so oft zu niedrigster Allgemeinheit herabsinkt: hier gestaltet es sich zum hohen Schauspiel des ringenden Helden, der im Unterliegen diejenigen erlöst, die ihn ver­stehn. Hier lehrt er uns den Atem anhalten und bietet uns im Rollen der Begebenheit das Heiligenbild, vor dem man be­wundernd und anbetend stille steht. O daß wir dann bewun­dern, daß wir anbeten können!

Drum sei uns gegrüßt, Tag der Pfingsten, Frühling des Geistes, Jugend der Welt! Und bleibe bei uns, wenn das Geistlose unsere Seele bedroht!

Reden des Herrn Dr. Schacht, für die Transfer- Konferenz, für die Handelsbilanz. Man vermutet, daß dem Volke die Wahrheit über die Wirtschafts- und Finanzlage vorenthalten wird. Es beginnt die Flucht in die Sachwerte und das Hamstern. Sehr beliebt sind Anzugstoffe und Wolle. Man befürchtet nicht nur Preissteigerungen, sondern Material­mangel, weil man glaubt, daß bei der Sperre der Woll­einfuhr und dem Gerede von Ersatzstoffen in absehbarer Zeit gute Ware nicht mehr zu bekommen sein wird.

So geht aus allen Berichten die Erschütterung des Ver­trauens und der Zweifel an der Beständigkeit des Hitler­regimes hervor, auch bei manchen Leuten, die vor einigen Monaten noch glaubten, die Regierung werde für unabseh­bare Dauer bleiben. Die deutsche Diktatur ist in ein fri= tisches Stadium eingetreten. Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlic, daß sie diese erste Krise überwinden wird. Allerdings könnte der Tod des Reichspräsidenten, mit dem immer noch im Laufe des Jahres gerechnet wird, die Krise tomplizieren. Wie die Entwicklung der nächsten Monate auch sein möge, eine sehr starke Einbuße an Autorität und Ver­trauen wird sie für das Regime bedeuten und für seine sozialistischen Gegner die ersten Anzeichen einer Erhebung nach dem schweren Zusammenbruch.