" Deutsche Freiheit", Nr. 115

Das bunte Blatt

Eine Begegnung

Es ist spät und es regnet.- Das Großstadtpflaster spie­gelt in seiner blanten Fläche tausend bunte Richter. Refla­men, Kaffehauslampen. Es ist, als ob die Menschen nicht genug daran häten, was an Licht und Klang von oben, von den Seiten auf sie einströmt, als müßten sie unter ihrem hastigen Schritt jogar, die Möglichkeit sich zu vergnügen, sich zu betauben, finden.

Margarete oder wie man sie hier in Paris   nennt ,,, Made­moiselle Marga" fommt mit ihrem Freund aus einer Revue. Er ist freundlich, lacht und hat seinen Arm um sie ge­schlungen.

Sie duldet es lächelnd.

Am Anfang war es schwer, sich an diese Art zu gewöhnen. Sie, die kühle Norddeutsche, die es besser versteht die Gefühle zu verbergen als zu zeigen, fand es unangenehm, so vor aller Leute Augen ihre Zweisamkeit spazieren zu führen. Jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Warum auch? René ist eben zärtlich.

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Sie hat sich daran gewöhnt, wie sie sich, bevor sie René kannte, an andere Sachen gewöhnt hatte.

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Daß man arbeiten muß, wenn man Hunger hat. Daß man von zu Hause, wo Vater ein riesiges Geschäft hatte, nichts kriegt, weil erstens das Geschäft, da es jüdisch ist, boykottiert wird, und zweitens ein Sperrgesetz die Aus­juhr der Mark verbietet.

Daß Arbeit nicht immer zu finden ist.

Daß das Waschen der Wäsche, das Besohlen der Schuhe ein Problem sein kann. Daß die Wirtin im Hotel, nachdem man ihr eine Woche schuldet, eine Here wird, trotzdem sie noch vor kurzer Zeit Jammertränen über das Schicksal der armen Refugiés vergossen.

Daß man auf der Straße, und gewöhnlich gerade dann, menn man feinen Sous mehr in der Tasche hat, von lauter unangenehmen Männern angesprochen wird, und es Ueber­windung kostet, nicht eine Tasse Kaffee trinken zu gehen. Uebrigens hat sie der Unfitte des Ansprechens vergeben, denn auf diese Weise hat sie René fennengelernt. René, der jetzt noch, nachdem er bereits 3 Monate mit ihr verbracht hat, immer derselbe treusorgende Freund und stets auf­merksamer Begleiter geblieben ist. Immer gleich besorgt, gleich zärtlich. Zu zärtlich denkt manchesmal Made­

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moiselle Marga".

Gert war nicht so.- Gert....

Wie weit liegt das zurück.-

Gert, mit den blauen, harten Augen, in denen nur manch­mal ein Funken aufsprühte, Gert, der die Zähne zusammen­biß, um nicht laut zu jauchzen, wenn das Glück sie beide zu sehr überfam.

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Wo bist Du, Gert?

Denkst du noch an mich?

Weißt du noch die Schaukel in Großmutters Garten und bie Bank, auf der deine Schülermüße eines Tages gefunden wurde, eines Morgens?

Weißt du noch den Strand und das Boot und den ersten Ball und all das, was Jugend war und erste Liebe?

Tief in der Schublade ihres Schreibtisches( Rokoko und erstes Geschenf von René), so tief, daß er, der gerne stöbert, es nie entdeckt hat, liegen Bilder.

Kleine Aufnahmen, weit davon entfernt, fünstlerisch zu sein.

Ein lang aufgeschossenes Mädel ist drauf und ein Junge, der merkwürdig schmale Lippen, ein merkwürdiges, eigen­sinniges Rinn hat. Immer derselbe Junge, immer dasselbe Mädel.

Auf dem Baren, im Boot, dann anscheinend eine gewisse Zeit später, beim Tanzen. Sie im ersten Ballkleid( es war rosa mit schwarzen Samtbändern), er noch ungeschickt im ersten Smoking.

Wo wohl die anderen Bilder waren, die gleichen? In Deutschland   noch?

Sie hofft es nicht. Man sprach viel davon in der Familie, daß Gert sich mit Dingen befaßte, die mit seinem Studium nichts zu tun hatten, man munkelte, daß Gert, der Sohn und Erbe eines Regierungsrates, sich einer Partei ange­schlossen, die die Partei der Enterbten" hieß.

Marga hatte ihn einmal gefragt, was daran wahr sei. Daraufhin hatte Gert sie in eine Versammlung mitge­

nommen.

Dort hatte sie sich kaum beherrschen können dazubleiben, eingefeilt war sie zwischen Männern und Frauen, wie sie sie noch nie gesehen hatte.

Männer mit harten Gesichtern, hervorstehenden Backen­fnochen, eingefallenen Wangen. Frauen, deren Kleidung jeder Beschreibung spottete, deren Haare ungepflegt und deren Hände groß und rot waren.

Auf der Tribüne, die mit rotem Tuch bespannt war, stand ein fleiner Mann und sprach. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte, ab und zu unterbrach den Redner ein Beifalls=

Singende Tiere

Man wird an das Konzert der Bremer Stadtmusikanten  erinnert, wenn man die Erfolge hört, die ein spanischer Dresseur mit seinen Eseln, Hunden und Katzen hat. Herr Alfonso Cadiello hat tatsächlich eine Tierfapelle zusammen­gestellt, die auf den Märkten in den fleinen spanischen  Städten große Erfolge und klingende Münze für ihren Kapellmeister einheimsen kann. Gadiello hat einem Esel, drei Hunden und zwei Kazzen das Singen beigebracht. Diese sechs Tiere bekommen zusammen eine Art von musikalischen Tönen zusammen, die nach Aussage des Rapellmeisters und auch einiger Zuhörer die Melodie eines spanischen   Volks­liedes wiedergeben soll.

Eine Kolossalstatue für Lenin  

In Moskau   soll jetzt eine gigantische Statue von Benin  errichtet werden. Sie wird aus verchromten Stahlplatten zusammengesetzt und wird die doppelte Höhe der Freiheits­statue am Eingang des Neuyorker Hafen erhalten. Die Sta­

sturm. Dann hob Gert, ihr Gert seine schmale langglied­rige, geliebte Hand und hob sie geballt zur Faust empor und dann sprühte ein Feuer auf in seinen Augen, heller als daß, das sie aus ihren Liebesstunden kannte, härter als das, das sie einmal sah, als Gerts Vater ihn ungerecht strafte.- Sie hatte das alles nicht verstanden.

Du wirst es vielleicht einmal verstehen sagte Gert, ein­mal, wenn du Not gekannt und selbst gelitten hast. Sie hatte gelacht.

Nach diesem Abend sah sie nur selten Gert.

Er habe sie immer noch heiß lieb, schrieb er ihr, aber andere Dinge, wichtiger als die Liebe eines einzelnen, stün den jetzt auf dem Spiel.

Schmerz

Sonntag- Montag, 20./21. mai 1984

Schmerz ist ein Meister, der uns klein macht, Ein Feuer, das uns ärmer brennt, Das uns vom eigenen Leben trennt, Das uns umlodert und allein macht.

Weisheit und Liebe werden klein, Trost wird und Hoffnung schal und flüchtig; Schmerz liebt uns mild und eifersüchtig, Wir schmelzen hin und werden Sein.

Es frümmt die irdne Form das Ich, Und wehrt und sträubt sich in den Flammen. Dann sinft sie still in Staub zusammen Und überläßt dem Meister sich.

Das war kurz vor dem Staatsstreich Hitlers   gewesen, Der größte Tunnel der Welt

seit der Zeit, nichts.

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" Cherie", Renés Stimme tam zu ihr wie durch einen Nebel, ,, chérie pourquoi ces yeux tristes? As tu des embarras? Est ce que c'est une petite robe de printemps qui te ferai plaisir? Je connais une modiste qui est vraiment bien, veut tu qu'on y aille demain?"

Mademoiselle Marga schickt sich an zu antworten. Plößlich zuckt sie zusammen. Eine Stimme, eine geliebte, erfehnte Stimme, eine Stimme, die sie unter tausenden fen­nen würde.

" Freiheit" ruft diese Stimme, Deutsche Freiheit" Ein Zeitungsverkäufer.- Gert...

Mademoiselle Marga ist zu einer Bildsäule geworden und starrt den Zeitungsverkäufer an.

Jedes Land möchte gerne den Rekord aufstellen, den längs ften Tunnel der Welt zu haben. Jetzt ist nach jahrelanger Arbeit in Italien   ein Tunnel fertiggestellt worden, der auf der Linie von Florenz   und Bologna   das Apennin  - Gebirge in einer Länge von 18 Kilometern durch kreuzt... Mehr als eine Milliarde Lire hat der Bau der Linie, im ganzen 85 Kilometer, gekostet. 111 einzelne Unterführungen und 38 Viadukte mußten für diese verhältnismäßig furze Strecke fonstruiert werden. Der Haupttunnel hat eine Länge von 18 Kilometern und soll nach Angabe der Italiener der längste Tunnel der Welt sein. Zu seinem Bau ist eine Million Tonnen Dynamit für die Sprengungen verwandt worden.

Es ist es. In einem alten, abgetragenen Anzug, ſein ſchö Man( ah das Seeungeheuer

nes, blondes Haar zerzaust vom Wind, vom Regen durch näßt. In seinen immer noch schönen, heute zersprungenen, roten Händen hält er Zeitungen.

" Freiheit" ruft er, immer wieder Freiheit".

Und es klingt nicht so, als böte er eine Zeitung an, son­dern als schmettere er diesen Ruf um des Rufes willen hin= aus in das Großstadtgetriebe. Freiheit.­

Er dreht sich um. Seine Augen werden weit.- Einen Augenblick, dann, erkennt er sie nicht, will er sie nicht in der eleganten, geschminkten Dame erkennen, die sich auf den Arm eines reich angezogenen Herrn stüßt ,?- dann schallt der Ruf Freiheit" wieder durch die Nacht. Und nur die Stimme des Zeitungsverkäufers ist vielleicht einen Ton härter geworden.-

Mit einem Ruck reißt sich Mademoiselle Marga empor.

Eine Viertelstunde lang

London  . Das berühmte Seeungeheuer von Loch Neß  ist wieder aufgetaucht. Zwei schottische Motorradfahrer wollen das Seeungeheuer fünfzehn Minuten lang geſehen haben. Sie beschreiben es als einen großen schwarzen Gegen­stand, der mit erheblicher Geschwindigkeit durch das Wasser glitt und mächtige Wellen schlug. Die Motorradfahrer wollen aber deutlich einen fleinen Kopf und zwei Höcker auf dem Rücken des Ungeheuers gesehen haben. Das Un­geheuer habe eine ähnliche Haut gehabt wie ein Elefant. Es sei noch zu sehen gewesen, als die beiden Motorradfahrer sich zur Weiterfahrt entschlossen.

Er hat sie nicht erkannt, er soll sie nicht erkennen. Ero Napoleons Totenmaske versteigert

sie nicht so sehen. Nicht geschminkt, nicht auf den Arm eines Fremden, ja eines Fremden, denn sie begreift jetzt, daß jeder Mann, der nicht Gert ist, ein Fremder immer sein wird, gestützt.

Sie springt in ein Tari, von dem völlig verblüfften René gefolgt. Und erst als der Wagen in Bewegung ist, bricht sie in ein hemmungsloses Schluchzen aus.

Als der Tari vorbei war, hielt der Zeitungsverkäufer mit seinem Rufen an. Starrte auf seine nassen Schuhe.- Auf den Plaz, wo die elegante Dame, seine Grete" gestanden hatte. Griff in die Tasche, zog ein abgetragenes Portefeuille heraus, nahm ein Bild und zerriß es. Der Wind fam. Die Fezzen flogen auf das Pflaster. Es kam ein Auto vorbei und unter seinen Rädern wurde das Papier des Bildes schmutzig und zerrissen.

Unter riesigem Andrang der Historifer und Sammler Frankreichs   und auch Englands tamen jetzt in Paris   einige Napoleonreliquien zur Versteigerung. Napoleon   erzielt auch in der Krise noch gute Preise. So wurde eine Brieftasche des Kaisers für über 10 000 Fr. ersteigert. Noch mehr erzielte ein längerer handgeschriebener Brief. Am heißesten aber ging der Kampf um eine der drei vorhandenen Original­totenmasken des Empereurs. Sein Leibarzt Antommarchi  hatte seinerzeit drei Masken für die Mutter Napoleons  , für Marie- Louise   und die dritte für sich selbst angefertint inie dritte fam nun zur Versteigerung und wurde von dem Napoleonforscher Octave Aubry   für mehr als 11 000 Fr. er

worben.

Der Zeitungsverkäufer sah das. Tächelte, armes Lächeln, Anna Pawlomas Mutter klagt

das nach Tränen aussah. Dann, ein Blick auf seine Zeitun­gen, ein Ruck.

" Freiheit" scholl es troßig, verzweifelt durch die Nacht " Freiheit".

In ihrem Zimmer liegt Mademoiselle Marga auf dem Divan und schluchzt.

René geht auf und ab. Besorgt, ein wenig befremdet, was Frauen im allgemeinen so immer haben. Speziell Marga, die sonst so beherrscht, so kühl ist. Er versteht das nicht. zufriedenzustellen.

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Er hat doch alles getan, um sie

Nachdem er ihr zum zehntenmal angeboten hat, nach Nizza  

zu fahren und sich dort zu erholen, richtete sie sich auf ein­

Vor den Londoner   Gerichten fand dieser Tage ein auf­sehenerregender Prozeß statt, den die Mutter der welt­berühmten, vor längerer Zeit verstorbenen Tänzerin Anna Pawlowa   gegen den Gatten der Toten angestrengt hatte. Der Gatte Victor Daudre hatte sich geweigert, der Mutter einen Teil der Erbschaft auszuhändigen, obgleich die Mut­ter, lange arbeitsunfähig, schon zu Lebzeiten der Tochter, von ihr eine Rente bezogen hatte. Der liebevolle Schwieger­sohn aber mußte vom englischen Gericht dazu gezwungen wer­den, der völlig mittellosen Frau die nötigen Existenzmittel zur Verfügung zu stellen.

mal auf und bittet ihn freundlich, aber bestimmt, sie alleine Kohlenrauch als Dünger

zu lassen, und nie wiederzukommen.

Er begreift nicht, dann offenbar in seiner Mannesehre gekränkt, geht er nicht, ohne nachzusehen, ob seine Telefon­nummer auch in ihrem Notizbuch steht.

Demoin elle me téelphonera, denkt er. Vielleicht hat er recht, aber heute steht vor dem Spiegel ihres Zimmers eine Marga, die er nicht kennt. Die Tränen haben die Schminke weggewaschen. Nicht mehr das Gesicht einer Weltdame, das Gesicht eines armen, traurigen und ernsten jungen Weibes, schaut aus dem Spiegel( zweites Geschen Renés auch Ro­fofo), die Lippen bleich und verzogen murmeln, ich werde dich finden, Gert". Und dann sollst du mich erkennen."

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tue wird sich genau auf dem Platz der früheren Christus­firche erheben, die zu Weihnachten 1931 in die Luft gesprengt wurde. Die Figur Lenins   selbst wird 180 Fuß messen, das Monument 800 Fuß; Lenins   Kopf wird also von einer Höhe von ungefähr 1000 Metern die Stadt überblicken. An der gleichen Stelle soll ebenfalls ein riesiges Gebäude erstehen, mit einem Rauminhalt von 160 Millonen Kubikmeter, ein­geteilt in 10 Säle, deren jeder 20 000 Personen Plazz bieten soll. In demselben Gebäude soll die größte Bühne der Welt

Der australische Ingenieur Jack Stribbley hat für Far­merhäuser die Rauchabzugsvorrichtungen so konstruiert, daß die Fettrückstände der Kohle nicht unverwertet in die Luft verpuffen, und durch ihren Niederschlag der Fauna und Flora schädlich werden, sondern er führt den Rauch durch Exhaustoren in unterirdische Kanäle, die in Gemüsegärten enden. Dem Nährboden der Pflanzen soll diese fetthaltige Kohle, die mit fünstlichem Dünger in den Kanälen gemischt wird, recht gut bekommen. Der Ackerbau- Ingenieur rechnet nach den ersten Versuchen mit einer Gewinnsteigerung von zirka 15 Prozent.

vergönnt ist, die Diftathefte seiner Schüler zu prüfen, forri­giert er jetzt mit unermüdlichem Fleiße die Druckfehler aus den Zeitungen, streicht sie am Rande an und liefert diese Exemplare dann mit mehr oder weniger schlechten Noten bei den betreffenden Redaktionen ab. Die Redaktionen kennen ihren gestrengen Lehrer schon und behandeln ihn artig und nett, wie es sich eben für Schüler, die Fehler gemacht haben, geziemt.

untergebracht werden und eine Straße von ungeahnter Ein lateinisches Diner

Breite soll den Zugang zu dem Palast bilden.

Der korrekte Lehrer

Jeden Morgen pünktlich um 9 Uhr fikt in einem Pariser Cafehaus ein korrekt angezogener älterer Herr mit Kneifer auf der Terrasse, neben sich einen Stoß Zeitungen. Die Zei­tungen sind nicht neuesten Datums, darauf fommt es ihm aber auch gar nicht an, er lieft sie trotzdem Zeile für Zeile in seiner Rechten einen Rotstift schwingend. Der seltsame Leser ist ein pensionierter Lehrer, und da es ihm nicht mehr

Dreihundert Mediziner aus Frankreich   und Amerika  haben dieser Tage zusammen gesessen, zusammen gegessen und sich nur in gutem Latein unterhalten. Es ging sehr ge= bildet auf dieser Gesellschaft der Union   Medicale Franco­Ibero- Americaine zu. Man hielt Ansprachen mit der Be­redsamkeit eines Cicero und war aber im übrigen doch sehr schweigsam, denn die Herren Mediziner wissen wohl die den lateinischen Ausdrücke, schwierigsten medizinischen menigsten aber ist bekannt, wie eine solide getrüffelte Beber­pastete in der Sprache des Cäsar heißt.