LCllückC Sinzigs unabhängige Tageszeitung VsnischlanbS Nr. 116 2. Jahrgang Saarbrücken , Mittwoch, 23. Mai 1934 Chefredakteur: M. B r a u n Aas dem Inhalt Rapens Pachecuf. Seite 2 i TCittecdeutscfilands SoorniedertoQe Deutsches Dumping Deutscher Arheitecieiet Seite 3 Seite 1 Seite 7 ) V Deutsch^Kaiserträunre Die Vorbereitungen der deutschen Monarchisten« Das Ringen um die Reichswehr Gegensätze zwischen Wehrmacht und Miliz Deutsche Thronprätendenten Wir haben am Pfingstsamstag einen Stimmungsbericht ans Westdeutschland veröffentlicht und werden in den nach- sten Tagen einige weitere Berichte aus allen Teilen des Reiches bringen. Die folgenden Darlegungen, die aus der Reichshauptstadt stammen, find eine Analyse der um die Mach» ringenden Gruppen. Diese seit Monaten hinter den Kulissen sich entwickelnden latenten Machtkämpfe können in absehbarer Zeit auf die offene Bühne des politischen Geschehens treten. Berlin . 21. Mai. Di«Flügel" Während nach außen die Geschlossenheit und Einheit der nationalsozialistischen Bewegung immer aufs neue demonstriert wird, spielen sich hinter den Kulissen Macht- und andere Juteressenkämpfe, aber auch erbitterte Aus- einandersetzungen der verschiedenen grundsätzlichen und tak- tischenKonzeptionen" ab, die an Umfang und Schärfe den politischen und Jnteressenkämpfen in der Republik nicht nach- stehen. Man hat sich daran gewöhnt, innerhalb der NSDAP , einenrechten Flügel" von Göring bis zum Kronprinzen und einenlinken Flügel" von Röhm bis Gregor Straffer zu unterscheiden. Aber in Wirklichkeit besteht die Be- wegung nicht nur ausFlügeln", sondern die Difserenzie- rungen und Gegensätze sind viel mannigfaltiger und gerade dadurch ergeben sich für die Männer der Mitte zu denen neben Hitler vor allem Heß und Frick gerechnet werden müssen zahlreiche Möglichkeiten, die verschiedenen Strömungen geschickt auszunützen. Nur mit diesen Bor- behalten kann man von den beiden Flügeln der National- sozialisten sprechen und die zahlreichen Kombinationen be- werten, die heute in den sogenannten gut unterrichteten Kreisen im Lande in Umlauf sind. Es erscheint mindestens als eine starke Vereinfachung der Wirklichkeit, wenn man den rechten Flügel als den monarchistischen, den linken als den sozialrevolutionären be- zeichnet. Das heißt die Gegensätze der Extremen auf die Flügel" überhaupt übertragen und noch fehlt der Beweis dafür, daß diese Gegensätze im ganzen so unüberbrückbar sind, wie es nach einer solchen Charakterisierung den An- schein hat. Schließlich fehlt es nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Nationalsozialistischen Partei fast durch- weg an den einfachsten Möglichkeiten, irgendwelche Rich- tungen zu organisieren und die verschiedenen Schattierungen der politischen Auffassungen aus einheitliche Nenner zu bringen To bestehen die beiden Flügel einstweilen mehr in der Fantasie der Beobachter als in der Wirklichkeit der Kräfte- Verteilung, mehr als Ausdruck allgemeiner Stimmungen und Einstellungen, denn als reale auch nur einigermaßen klar abgegrenzte und zusammengefaßte Machtgruppen. Die Machtpositionen Allerdings diese Stimmungen und Einstellungen können sehr schnell reale Bedeutung bekommen und in sehr labilen Verhältnissen plötzlich den Ausschlag für eine wesent- liche Umgruppierung der Machtverhältnisse geben. Heute liegen die Tinge offensichtlich so, daß der rechte Flügel sich auf die wichtig st en Macht- Positionen,insbesondereaufdie Reichswehr stützen kann. Aber der linke Flügel verfügt dafür über den weitaus stärkeren Anhang in den Massen, ins- besondere auch in der SA. und SS. Und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Entwicklung schließlich doch vor allem wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiter wamsen in der Richtung auf einWeitertreiben der Revolution" verläuft. Nach der bisherigen schwankenden Haltung Hitlers müßte man in diesem Falle sogar damit rechnen, daß er der sich jetzt auf die realen Machtpositionen des rechten Flügels stützt eines Tages auf die andere Seite schlagen würde und damit vorausgesetzt, daß er in diesem Zeitpunkt noch das Vertrauen der Massen hat den Sieg der Linken entscheiden würde. Einstweilen scheint allerdings die Entwicklung anders zu verlaufen. Während die Massengrundlage des linken Flügels außerhalb der nationalsozialistischen Organisationen im Schwinden begriffen zu sein scheint, verstärkt sich der Ein- druck, baß die Aktivität des rechten Flügels zunimmt. Wachsende Bedeutung der Reichswehr Berichte, die mir von drei sehr verschiedenen, aber gut unterrichteten Beobachtern zugehen, stimmen darin überein, daß die politische Bedeutung der Reichswehr ständig zunimmt. Schleicher soll seinen Einfluß auf die Reichswehr wieder hergestellt haben und wieder in engen Beziehungen zur Umgebung Hindenburgs stehen. Es sollen allerdings noch insofern Meinungsverschiedenheiten bestehen, als Schleicher den linken, der Kronprinz den rechten Flügel der NSDAP , einbeziehen will. Schon spricht man von einem neuen Kabinett, für das neben Schleicher, Brüning sals Außenminister) und P o p i tz lals Finanzminister) ge- nannt werden. Aber auch die M o n a r ch i st e n selbst glauben völlig auf die Reichswehr zählen zu können. In einem Bericht aus monarchistischen Kreisen heißt es: Eine große Zahl gerade unter den jungen Reichswehr - osfizieren drängt unter dem Eindruck der national- sozialistischen Provokationen auf Losschlagen, denn sie sind der Auffassung, daß die monarchistische Bewegung im Bund mit der Wehrmacht schon heute stark genug ist, um das Regime zu stürzen. Aber die Führung sder Monarchisten) hält den Zeitpunkt noch nicht für gekommen. Sie glaubt schon heute ohne weiteres in der Lage zu sein, bei guter Gelegenheit den ganzen Führerstab der National- sozialisten gefangenzusetzen, aber sie ist sich klar darüber, daß der smonarchistischen) Bewegung einstweilen noch die Massengrundlage fehlt. Ohne ausreichenden Anhang ist den Massen wäre aber ein noch so erfolgreicher Gewalt- streich nur ein Putsch. Deshalb wartet die Leitung ab. bis die Massengrundlage der Nazis weiter schwindet und die Sympathien sich stärker den monarchistischen Bestrebungen zuwende». Allerdings bleibe es möglich, daß man doch eines Tages schnell und vorzeitig losschlagen muß, wenn die Taktik des Abwartens aus irgend einem Grund nicht mehr durchführbar ist. Vorläufig glaubt mau das Ab- warten weiter dadurch zu ermöglichen, daß man den Nationalsozialisten in der Reichswehr in kleinen Dingen wie z. B. Hoheitsabzeichen» Gruß usw. entgegenkommt." Die Zersplitterung des Monarchisten Die Schwäche der monarchistischen Bewegung ist ihre Zer- splitterung, die natürlich von den Nationalsozialisten, vor allem von Göbbels , aber auch von Göring nach Kräften ge- steigert wird. Nach dem vorliegenden Bericht rechnet man heute in den Kreisen der Monarchisten selbst mit nicht weniger als 5 Richtungen: 1. die sogenannten V o l k s m o n a r ch t st e n, die sich be- mühen, allmählich die Voraussetzungen für eine spätere Massenbasis herzustellen, 2. die Anhänger des Exkaisers, die allen Ernstes dessen Rückkehr für möglich halten, 8. die Bewegung derA u w i st e n" sum den Prinzen August-Wilhelm): von dieser Bewegung nimmt mau an, haß Hitler und Göbbels sich ihrer bedienen werden, wenn sie einer wachsenden monarchistischen Welle begegnen, 4. eine besondere monarchistische Richtung, die von Göring unterstützt wird und sich gegen dieAuwisten" durchsetzen soll» 5. eine Richtung in der SA. , die Hitler selbst zum Monarchen machen möchte. Die einsichtigeren monarchistischen Kreise sind klug genug, um zu wissen, daß sie nicht unmittelbar die Monarchie als Ziel anstreben können: sie wollen sich deshalb vorerst mit einer aufgeklärten Reaktion begnügen. Diese Kreise scheinen weniger an einen gewaltsamen Sturz des Regimes als an seine allmähliche Aushöhlung zu denken, die es schließlich ganz in die Abhängigkeit der Reichswehr und der Reaktion bringt. Ob diese Bewegung dem Regime ernsthaft gefährlich werden kann, ist noch nicht zu übersehen. Hat doch das Regime zwei scharfe Waffen gegen sie in der Hand: 1. Eni- eignungsmaßnahmen lFürstenenteignung, Enteig- nung des Großgrundbesitzes) und 2. scheinsoziali- stische Maßnahmen. Es fragt sich nur, ob das Regime noch stark genug ist, solche Enteignungen durchzuführen und ob es nicht schon zu unsicher ist, umsozialistische" Experi- mente zu wagen. SystemKlumpfuß" Ueber das Verhältnis der Reichswehr zum Nationalsozialismus wirb übereinstimmend be- richtet, daß die Gleichschaltung trotz aller äußeren Anzeichen und trotz der beutlich erkennbaren Annäherung zwischen Blomberg und Hitler bisher nicht gelungen sei. Fortsetzung stehe 2. Seite Gestern und heute Rückwärts, rückwärts, Don Adolfo, eure Ehre ist ver­loren, rückwärts, rückwärts, stolzer Cid! Das Zitat ist ein bißchen frei, aber die Sache ist richtig. Adolf Hitler zieht sich zur Zeit ganz beträchtlich zurück. Ruhg, ihr Mannen, der Führer weiß, was er will, und wenn er jeßt ganz vorsichtig hinter sich tritt, dann tut er es einzig und allein deshalb, weil er muß. Aus keinem andern Grunde. Noch immer gibt es nationalsozialistische Zeitungen, die tragen im Kopf die stolze Devise: Für deutschen Sozialismus gegen westlichen Kapitalismus . Diese Blätter müßten jetzt eigentlich die Aufschrift ändern in: Für deutsche primitive Barbarei gegen westliche Dekadenz. Denn der Führer hat auf dem Kongreß seiner sogenannten Arbeitsfront er­klärt, daß Sozialismus nichts als primitive Barbarei sei. Wahrscheinlich dachte er an den deutschen Sozialismus, zu dem man in den Konzentrationslagern erzogen wird. Wer das troßdem einen Rückzug nennt, ist natürlich ein Miesmacher. Glücklicherweise gibt es von dieser gräßlichen Sorte nur noch so wenige, das ein paar Millionen Verhaf­tungen zu ihrer Unschädlichmachung durchaus genügen würden. Der Rest steht vertrauensvoll hinter dem Führer und mit einem Bein in Oranienburg . Da gab es mal, um von was anderm zu reden, eine inner­deutsche Angelegenheit, die hieß Oesterreich . Ging keinen was an außer dem deutschen Volk, geeint unter seinem Führer Adolf Hitler . Man hört so gar nichts mehr davon. Oder vernimmt jemand im Krachen der Papierböller noch die Stimme Adolf Hitlers ? Polnische Journalisten fliegen nach Berlin . Deutsche Journalisten fliegen nach Warschau . Auf Diners begießt man sich mit liebenswürdigen Toasten. Dazwischen verhallt die Stimme des Danziger Senatspräsidenten Rauschning, der mit seinem Rücktritt drohte, weil Polen seine Zusagen an Danzig nicht gehalten hat und weil das deutsche Bollwerk im Osten darum wirtschaftlich im Sterben liegt. Die deutsche Presse hat den Fall einfach totgeschwiegen. Denn unter Adolf Hitlers kraftvoller Führung sind wir wieder ein Volk der Ehre geworden, und die andern haben Respekt vor uns so viel man hört. Und was die Abrüstung oder die Saarfrage angeht mein Gott, die Lage ist alles andere als rosig. Je mehr wir uns der Bilanz nähern, desto unheimlicher blickt durch die Ziffern ein schauerlicher Rechenfehler der deutschen Diplo­matie. Sie hat es fertig gebracht, die Engländer aus ihrer Beschaulichkeit aufzujagen. Wenn jeßt das Wettrüsten wirk­lich losgeht, dann wehe den von vornherein Besiegten! Wenn unsereins behauptet, daß das deutsche Volk von dem ganzen Schwindel schon nichts mehr hören will, dann wird er ein weltfremder Phantast gescholten. Also lassen wir die Herrschaften selber Zeugnis ablegen. Die Gaue der NSDAP , sind bekanntlich die großen Organisationen zur Propaganda; sie sollen, wie das so schön heißt, das Gedanken­gut Adolf Hitlers ins deutsche Volk tragen. Da dies Ge­dankengut nun wirklich nicht mehr zieht, hat der Gau Süd- hannover-Braunschweig wie ein verständiger Kaufmann das Geschäft m Politik kurzerhand eingestellt und macht Musik. Wörtlich:In allen Orten des Gaues wird in den nächsten Wochen eine.große Gemeinschaftsveranstaltung unter dem MottoDer Gau singt" stattfinden. In der Zeit von 21 bis 23 Uhr sollen hier von allen Kreisen der Bevölkerung die poli­tisch und heimatlich bekanntesten Lieder gesungen werden." So endet die Bewegung Adolf Hitlers als Singakademie als Abkürzung schlagen wir SA. vor. Die Sache ist gar nicht scherzhaft. Das Volkk entgleitet dem Apparat. In die Versammlungen geht freiwillig kein Mensch mehr. Das politische Theater hat seinen Zauber ein­gebüßt; also müssen die Politiker schon richtiges Theater machen, wenn sie die Leute halten wollen. Das wird aber nur kurze Zeit gehen bis das Volk merkt, daß auch dies Theater schlecht ist, weil es ebenso wie die Politik von Dilettanten gemacht wird. Darum hat der Gau Südhannover-Braunschweig sich bei­zeiten noch nach andern Attraktionen umgesehen. Er macht eine Nachtmusik im Harz ", was auf Interesse am Fremden­verkehr schließen läßt, und es würde uns kaum wundern, wenn werte Gäste ohne Rücksicht auf Konfession und Rasse willkommen wären. Die schönste Veranstaltung scheint uns aber die zu sein, die unter dem Titel startet(es ist keine Er­findung):Der Gau verreist". Hoffentlich recht bald und ohne Rückfahrkarte. Argue, Ritterliche Raff Wie», 22. Mai. sEuropapreß.) Am Pfingstsonntag wurden die ehemaligen sozialdemokratischen Führer Dr. Renner sfrüherer Präsident des NationalratS), Breitner sehe- maligerFtnanzminister" der Stadt Wien ) und Dr. Ellen- bogen sowie etwa 60 bis 80 Unterführer der früheren Sozialdemokratischen Partei Oesterreichs , denen weder eine direkte noch eine indirekte Mitschuld an den Ereignissen de» Februar nachgewesen werden konnte, in Freiheit ge- setzt. Ihre Hast wurde in eine sogenannteritterliche Hast" umgewandelt, was bedeutet, daß sie sich in ihrer Wohuuug aufhalten müssen.