01 Aus dem Inhalt
1612 13b
Nr. 117 2. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Stimmungsumschwung
der Mittelständler
und Bauern
Eigenbericht
der Deutschen Freiheit"
Seite 4
en morbow. TH
Die Miesmacherschlacht verloren
Gegenteilige Wirkung des Kampfes gegen die Kritikaster allorbal Widerstand gegen die neue schamlose Judenhetze
Ein Oberpräsident!
Dortmund , 22. Mai. Im Industriegebiet ist die so großartig angefündigte Schlacht gegen die Miesmacher und Meckerer bisher in der Oeffentlichkeit gar nicht zu spüren, es sei denn, daß man die Zunahme der öffentlichen Kritik auf die Parole der Herren Hitler und Göbbels zurückführt. Es scheint so, als wenn viele Leute nun erst richtig Mut bekommen haben, ihre Meinung über das verhaßte Korruptionssystem zu sagen, seitdem ihnen von den höchsten Regierungsstellen mitgeteilt worden ist, daß es so viele Miesmacher im Lande gibt. In ihrer Verlegenheit versuchen die Nationalsozialisten gerade hier im Industriegebiet die allgemeine Mißstimmung auf die Juden abzulenken, was aber keinen Erfolg verspricht, denn nirgendwo sind die Alaffengegensätze so klar ausgeprägt und bedeutet das Judentum in der Wirtschaft so wenig wie in Rheinland und West falen . Um so dicker trägt die nationalsozialistische Presse auf. Den Gipfel gemeiner Judenheße neben Julius Streicher , dem fränkischen Gauleiter und Regierungsleiter, dürfte nun ein anderer sehr hoher Beamter, der preußische Oberpräsi dent Kube, erreicht haben. Er ruft zum Pfingstfest in der Westfälischen Landeszeitung" geradezu Austilgung der Juden auf, indem er schreibt:
zur
Was Pest, Schwindsucht und Syphilis für die mensch liche Gesellschaft bedeuten, das bedeuten die Juden für die Sittlichkeit der weißen Völker. Die Pestträger müssen isoliert und ausgemerzt werden. Die zwei Millionen deutscher und die zehn Millionen Toten aller Völker im Weltkrieg fallen auf das Schuld: fonto der Juden. Nur rücksichtslose Brutalität wird helfen. Unsere Kinder und Enkel brauchen ja schließlich auch einen Lebensinhalt. Und der Kampf gegen die Juden bis zur Vernichtung soll ein Teil unseres stolzen Vermächtnisses sein. Jude ist, wer noch zehn Prozent Judenblut in sich hat. Wer seine Rasse durch eine Mischehe schändet, muß unfruchtbar gemacht werden...
Sauherdenton gemeinster Perversitäten und frechfter Kunstschändung! Wenn die frummnafigen Theaterhuren männlicher und weiblicher Anatomie heute nicht in Prag , Wien usw. säßen, sollte man sie noch nachträglich sterili: fieren und einsperren. Die Sau wühlt im Mist, und der Jude in dem, was er Kunst nennt. Prügelstrafe für die Bande wäre noch ein sanftes Streicheln. Aber wir passen auf. Wir sind bereit, euch an die Ketten zu legen, wie es Hyänen und stinkenden Coyoten( Far: bigen. Red. D. F.")) gebührt."
Rube ist Oberpräsident für Berlin und die Marfen. Der Preußische Ministerpräsident Göring und der Reichsfanzler Hitler werden die Verantwortung für diesen Menschen nicht ablehnen fönnen. Der Aufsatz Kubes, den man nach dieser Leistung hier allgemein für geistesfrank oder doch für stark pathologisch hält, wird sehr besprochen. Er wirft sich bei allen anständigen Menschen für die Juden aus, denen sich nun
Göring war von Anfang an gegen die Vertrauens männerwahlen als einen Rückfall in demokratische Methoden. Dr. Göbbels war erst unsicher, ließ sich aber für die Zulassung von Betriebswahlen gewinnen, als Dr. Ley, berauscht von seinen Deutschlandreisen zu befohlenen Betriebsversammlungen sich verbürgte, daß die Vertrauensmännerwahlen einen großen Erfolg für das System bringen würden. Dr. Len, seit Jahren schon infolge seiner alkoho= lischen Ausschweifungen eine geistige Ruine, ist durch seine sinnlosen Predigten vor Arbeitermassen, wie er sie sonst nie um sich gesehen hat, ganz aus dem Gleichgewicht geraten und nimmt seine rednerischen Hanswurstiaden ernst.
Als die Wahlergebnisse eintrafen, hat Göring gegen Len und Göbbels getobt, die ihm aber entgegneten, wenn man seinen Standpunkt einnehme, dürfe man auch keine Reichstagswahlen mehr machen, die doch der Führer" für jeden Herbst zugesagt habe. Man wird sich nun überlegen, wie man dieses Versprechen preisgeben kann. Hitler selbst war tief niedergeschlagen und war stundenlang nicht zu einer Aeußerung zu bringen. Die Leitung der Arbeitsfront hat zugeben müssen, daß troß aller Vorsichtsmaßregeln sich mehr als/ der Belegschaften gegen die Nationalsozialisten erflärt haben. Besonders nachdenklich wurden die nationalsozialistischen Führer, als sie merkten, daß die Erfolge der Opposition bei den Betriebswahlen auf die Arbeiter= schaft aufrüttelnd und anfeuernd gewirkt und das Selbstbewußtsein sehr gestärkt haben.
Die großspurig angefündigte Offensive gegen die Miesmacher und Kritikaster ist infolgedessen schon in ihren Anfängen gebrochen und stecken geblieben. Während sonst die Nazipresse angefüllt war mit Siegesberichten über„ VerNazipresse angefüllt war mit Siegesberichten über„ Versammlungsschlachten" und ruhmredige Nazibonzen verkünden ließen, wie sie überall getrommelt" hatten, ist es um die Miesmacherſchlacht ganz still geworden. Sie ist gründlich verloren. An diesem Ergebnis wird auch nichts ehr geändert, wenn man jetzt noch da und dort versuchen sollte, einen fleinen Auftrieb zu verschaffen, denn die allgemeine Volksstimmung wendet sich gegen die nationalsozialistischen Bonzen und Oberbonzen, und gerade in der Arbeiterschaft wirkt sich nun die Festigkeit der geschulten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler aus, die in überzeugter Ruhe den Sturm überdauert haben und nun mehr und mehr zu Mittelpunkten in den Betrieben werden.
Infolge des Stimmungsumschlags haben NEBO.- Leute von den nationalsozialistischen Zeitungen verlangt, daß sie aufhören, den nationalsozialistischen Führern täglich Weihrauch zu streuen und immer wieder Bilder von Gauleitern, Haß Bürgermeistern usw. zu veröffentlichen, auf die sich der Has konzentriert. Die meisten Nazizeitungen haben infolgedessen diese Art der Berichterstattung und Illustration starf eingeschränkt. Auch das ist ein Zeichen für die Bedeutung des Stimmungsumschwungs.
Sympathien von Arbeitern und Bürgern zuwenden, bie„ Es wird gepumpt"
empört find über die antisemitische Heze durch hohe Beamte.
Die Niederlage
Berlin , 22. Mai. Man hat sich vielfach gefragt, wie sich die Nervosität der Kanzlerrede am 1. Mai und die einige Tage später gehaltene Rede des Reichspropagandaministers gegen die Nörgler und Mederer erklärt, und welche Ursachen zu diesen überraschenden Vorstößen in der Oeffentlichkeit geführt haben. Wir können nun mitteilen, daß die alarmierenden Reden erst gehalten wurden, als auch dem Reichsfanzler nicht mehr zu verbergen war, daß in allen Bevölferungsschichten und in allen geistigen Richtungen die Unzufriedenheit mit der Regierung bedrohlich wächst. Die Streitigkeiten mit den Kirchen, der Krach mit dem„ Stahlhelm", die Wühlarbeit der Bolfsmonarchisten, die Bedenfen der Wirtschaftsführer gegen die Wirtschaftserperimente und manches andere glaubte man durch das Vertrauen der Arbeitermassen zum Regime kompensieren zu können. Tat sächlich war bis vor kurzem die Meinung weit verbreitet, die Mehrheit der Arbeiter stehe hinter der Regierung oder habe doch Vertrauen zu Hitler persönlich. Da kamen die Ergebnisse der Vertrauensmännerwahlen, die der Reichsregierung zahlenmäßig das Gegenteil zweifelsfrei bewiefen.
Genau Unterrichtete bezeugen, daß der Eindruck der Wahl
Anwachsen der schwebenden Reichsschulden
Berlin , 21. Mai. Am 30. April betrug die schwebende Schuld des Reiches 2344,8 Mi II. gegen 2188 Mill. am 31. März. Sie setzte sich zuſammen aus: 1461,2( 1362,8) Mill. Schabanweisungen mit Gegenwert 44,8( 46) Mill., Schazanweisungen, für die ein Gegenwert nicht zugeflossen ist, 440( 394,2) Mill. Reichswechseln, unverändert 26 Mill. furzfristigen Darlehn und 41,2( 34,3) Will. Betriebsfredit bei der Reichsbant. Dazu fommen dann noch 369,6( 324,7) Mill. Schaganweisungen zum Zwede der Sicherheitsleistungen. Die dem Tilgungsfonds zugeführten Schabanweisungen betragen 341,6 Mill., die im Umlauf befindlichen Steuergutscheine 1268,3 ( 1368,8), mozu noch 600 Mill. Steuergutscheine fommen, die als Sicherheitsleistung der Reichsbanf gelassen werden.
, 21. Mai. Wie der Berliner Stadtkämmerer Dr. Steiniger mitteilte, wird sich in Berlin 1934 nach dem Haushaltsplan ein Fehlbetrag von 87 Mill. ergeben. Der Fehlbetrag für 1983 wird 80 bis 90 Mill. betragen. Bei der ordentlichen Verwaltung fehlen haushaltsmäßig außerordentlige Ausgaben treten.
Gestern und freute
Das Thema vom Ritualmord wird so bald nicht zur Ruhe kommen. Streicher findet Sekundanten. Ein Mann namens Holt ist darauf gekommen, daß schon Herder und Fontane Balladen über einen Fall aus der englischen Legende geschrieben hätten.
Es sind über manche unverbürgte Schauermär aus alter Zeit Balladen geschrieben worden. Es sind auch Hexen verbrannt worden, nachdem sie ihr Bündnis mit dem Teufel aufs genaueste und mit nicht wiederzugebenden Einzelheiten beschrieben hatten. So könnte man mit der gleichen Logik mit der nach mittelalterlichen Ritualmordmärchen die gesamte Judenschaft als Teufelsvolk hingestellt werden, alle europäischen Völker Verbündete des Satans nennen.
Der Ritualmord ist eine Legende. Aber Tatsache ist, daß es bei Jeremia , dem Propheten des alten Bundes in Kapitel 32, Vers 35, von abtrünnigen, zum Heidentum überge. gangenen Juden heißt: ,, Dazu haben sie die Höhen des Baal gebaut im Tal Ben Hinom, daß sie ihre Söhne und Töchter dem Moloch verbrennten, davon ich ihnen nichts befohlen habe und ist mir nie in den Sinn gekommen, daß sie solchen Greuel tun sollten, damit sie Juda also zu Sünden brächten."
Aber die Menschheit braucht nun einmal ihre Greuelmärchen. Wenn die Kinder abends nicht von der Gasse nach Hause kommen wollten, dann drohten verständige Mütter ihnen mit Moses. Freudenstein, dem Handelsjuden mit dem langen Bart. Wilhelm Raabe erzählt das, melancholisch- heiter, in seinem Hungerpastor": Moses Freudenstein mache aus den unartigen kleinen Jungens Würste, und als Wursthaut benutze er ihre Strümpfe.
Das war sicher mindestens ebenso wirksam und ebenso vernünftig wie die Drohung mit dem Schornsteinfeger. Die Juden und die Schornsteinfeger erfreuten sich jedenfalls bei der heranwachsenden Jugend keiner Beliebtheit.
Was dabei die Juden betrifft, so ist der Verdacht groß, daß sie in erster Linie die Opfer fremder Sünden, fremder Erinnerungen, Gewissensbisse zuletzt vielleicht fremder Gedankensünden waren. Man schob ihnen Taten in die Schuhe, die man selber einmal begangen hatte und vielleicht gern noch begehen würde, wenn nicht gewisse Gelüste allzu tief unterm Kalk der Zivilisation begraben lägen.
In den deutschen Kinos läuft gegenwärtig ein Film, dem die amtliche Zensur das Lob ,, besonders wertvoll" erteilt hat. Es ist„ Der Schimmelreiter ", nach der Novelle von Theodor Storm . Wer den Film sah, erinnert sich noch der Szene, in der der Deichgraf Hauke Haien einen kleinen Hund davor rettet, von den friesischen Deichbauern lebendig in die Erde gebuddelt zu werden. Warum wollten die friesischen Männer das? Storm erzählt es so:
Da trat von einem Fuhrwerk ein stiernackiger Kerl vor ihn hin: ,, Ich tat es nicht, Deichgraf," sagte er, und biß von einer Rolle Kautabak ein Endchen ab, das er sich erst ruhig in den Mund schob; aber der es tat, hat recht getan; soll Euer Teich sich halten, so muß was Lebendiges hinein!" ,, Was Lebendiges? Aus welchem Katechismus hast Du das gelernt?" ,, Aus keinem, Herr!" entgegnete der Kerl, und aus seiner Kehle stieß ein freches Lachen; ,, das haben unsere Großväter schon gewußt, die sich mit Euch im Christentum wohl messen durften. Ein Kind ist besser noch; wenn das nicht da ist, tuts wohl auch ein Hund!"
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Das Eingraben eines lebendigen Kindes schien also diesen Friesenbauern eine nützliche Sache und mit dem Christentum wohl vereinbar zu sein, Storm hat die Szene als solche wahrscheinlich erfunden; ihren Inhalt aber nahm er aus dem Glauben und den Bräuchen seiner schleswigschen Heimat. Blut galt in Deutschland wie anderswo immer als ganz besonderer Saft, und die Chronik des Mittelalters aller Länder wimmelt von Berichten über Kinder, die man zur besseren Haltbarkeit, des Bauwerks lebendig eingemauert habe. Die Stadt Magdeburg soll angeblich ihren Namen davon haben. Der ganze Greuel und die Greuelfantasien hängen zusamen mit dem uralten Blutmythus. Die christliche Gesinnung und die Naturwissenschaften hatten das allmählich zurückgedrängt. Die Nazis haben die Mystik des Blutes wieder zu Ehren gebracht kein Wunder, daß auch das Blutopfer wieder bei ihnen spukt. Vorläufig als Ritualaber wohin mag das noch führen? Denn
mordmärchen
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ergebnisse auf die Regierung und gerade auch auf den noch 185 bis 195 Mill., zu denen noch erhebliche daß sie Blut auch wirklich vergießen können, haben sie ja
Reichskanzler verheerend gewesen ist.