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Freiheit
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Nummer 119-2. Jahrgang
Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Wir setzen unsere Original
berichte über Tatsachen und Stimmungen im Reiche fort:
Scheingefechte der ... Arbeitsschlacht"
Seite 3
Aufstand im Saargebiet?
Der Oberbürgermeister von Saarbrücken droht dem Völkerbund mit einer„ Explosion"
Vor einigen Wochen hat eine Gruppe von Polizeibeamten an der Saar an die Regierungsfommission die Forderung gerichtet, bestimmte nichtgleichgeschaltete Kollegen zu entlaffen. Diese den Befehlen der Völkerbundsregierung unterstehende Polizeigruppe fühlt sich so stark mit der Hitlerdiftatur des dritten Reiches" verbunden, daß sie überzeugte Gegner dieses Regimes als störend empfindet. Der Vorfall beleuchtete grell die Zustände in der Exekutive des Saargebietes.
Am zweiten Pfingsttage, in lichter sonniger Abendstunde, fonnten zahlreiche Aftenschränke der französischen Bergwerksdirektion in Saarbrücken ausgeräumt und die Aktenpakete fonnten ungestört auf offener Straße verladen werden. Beamte der Direktion waren im Bunde. Polizei wurde nicht gesichtet.
In Saarlouis konnte dieser Tage eine verhette Menschenmenge friedliche französische Gäste, deren taftvolles Benehmen auch von der nationalistischen Presse des Saargebietes nicht bestritten wird, stundenlang belästigen und geradezu aus der Stadt hinausjagen, ohne daß polizeilicher Schutz sich rührte. Die ganze Umgegend konnte von den wilden Nationalsozialisten mobilisiert werden. Eine Musikfapelle zog auf und Siegesfahnen flatterten. Die Polizei von Saarlouis aber sah nichts und merkte nichts.
Diese Atmosphäre ist es, die den Präsidenten der Regierungskommission des Saargebietes, Herrn Knog, nicht gerade ein Sensationen liebender Mann, veranlaßte, in einem Brief an den Völkerbund von den Putschgerüch= ten im Saargebiet zu schreiben. Spott und Hohn der gleichgeschalteten Presse antworteten ihm. Nun aber hat der höchste nationalsozialistische Beamte des Saargebietes, Oberbürgermeister Tr. Neifes von Saar brücken , offen zugegeben, daß die Gefahr eines Aufstandes unmittelbar vor uns ist. Dann nämlich, wenn sich der Völkerbund den Diktaten der Deutschen Front" an der Saar nicht fügt.
Ein Beitauffag der Basler National- 3eitung" ( Nr. 280) vom 24. Mai schildert den Besuch eines Vertreters dieses Blattes und ein hochpolitisches Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Saarbrücken so:
Ich fühle die unerträgliche Spannung dieses Landes draußen auf der bewegten Straße kaum stärker als im Amtszimmer des Oberbürgermeisters von Saarbrücken und ich richte die Frage an Herrn Dr. Neikes, ob er nicht befürchte, daß diese bedrückende Spannung zu Zusammen stößen führen müsse.
Herr Dr. Neifes antwortet mir: Eine Beruhigung wird sofort eintreten, wenn der Völferbundsrat endlich den Abstimmungstermin festsetzt. Betonen Sie das bitte in Ihren Berichten. Verschiebt aber der Völkers
bund die Festlegung des Termins wieder bis zur Herbsttagung, so kann man nicht garantieren für das, was geschieht! Es ist wohl möglich, daß der unerträgliche Drud, unter dem die Saarbevölkerung seit fünfzehn Jahren steht, jetzt, wo die Erregung aufs höchste gestiegen ist, zu einer Explosion führt! Will der Völkerbund dafür die Verantwortung tragen, wenn mitten in Europa ein solcher Brandherd entsteht?
Ich erfülle die Bitte des Herrn Oberbürgermeisters und ich gebe die bedeutungsvollen Worte, die ich mir sogleich notierte, in ihrem ge nauen Wortlaut wieder. Sie stehen in einem unlengbaren Widerspruch zu anderen sogenannten autoris tativen Erklärungen, nicht allein im Widerspruch zu den Erklärungen des Herrn von Papen, sondern auch zu den neuerdings in Genf abgegebenen Versicherungen der ,, deutschen Front".
Soll man diese Worte hintergründig nennen? Ich glaube nicht, denn sie enthalten ein überraschend aufrichtiges Geständnis über die wahre Lage im Saar: gebiet und über die Möglichkeiten, die nach der Meinung eines so wohl informierten und unantastbar national gesinnten Mans nes, wie er in der Person des Oberbürger meisters der Stadt Saarbrüden verkörpert ist, gegeben sind in diesem Lande.
Das ist nun feine Emigrantenheze irgendeines marristischen Blattes. Es sind wortwörtliche Erklärungen des Saar brücker Stadtoberhauptes, bezeugt durch eines der ruhigsten und vorsichtigsten Blätter der Schweiz , eine Zeitung von unbestrittenem europäischem Ansehen.
Die Worte des Oberbürgermeisters sind ganz und gar eindeutig; sie sind klar und richtig und entsprechen der Hochspannung an der Saar . Eine Entscheidung des Völker= bundes gegen die Forderungen der deutschen Front", die auf baldige Termine angewiesen ist, wenn sie nicht ab= bröckeln und zerfallen soll, rückt die Wahrscheinlichkeit von „ Explosionen" in die Nähe. Es sind unzweifelhafte Drohungen, die der Oberbürgermeister ausspricht. Ein Mann, dem die größte Verwaltung des Saargebietes untersteht, und der sich kaum noch die Mühe gibt, seine Drohungen als Warnungen zu tarnen.
Die neue Völkerbundssitzung, die sich mit der Saarfrage beschäftigt, steht unmittelbar bevor. Die Vertreter der Nationen, die den Frieden Europas sichern wollen, haben run endlich dafür zu sorgen, daß an der Saar eine Autorität aufgerichtet wird, die den Oberbürgermeister von Saar brücken , die„ deutsche Front" und das gesamte Saarvolk von der Sorge um„ Grplosionen" befreit.
Vor der Erklärung Bartheus über die Saarfrage
DNB. Paris, 25. Mai. Die Morgenpresse vom Freitag beschäftigt sich noch stark mit den„ Saar- Zwischenfällen". Immer fehrt die Forderung nach einer starten inter national organisierten Polizei im Saargebiet wieder; doch zweifeln manche Blätter daran, daß der Völker bund überhaupt in der Lage sei, das von ihm verwaltete Gebiet fest in die Hand zu nehmen. Die französische Presse erwartet von der am Freitag in der Kammer stattfindenden außenpolitischen Interpellationsaussprache eine Erklärung des Außenministers Barthou zur Saarfrage.
Das Journal" verteidigt das französische Verlangen nach einer besonderen Saarpolizei. Denn das Sicherheits
die Dokumentendiebe naturalisierte Franzosen seien, und es sich um Diebstahl des gemeinen Rechts handele, die Auslieferung beantragen fönnte. Aber selbst wenn unwahrscheinlicher Weise die Diebe ausgeliefert werden würden, würden die Dokumente doch nicht zurückgegeben werden. Auch„ Le Jour" zweifelt, daß der Völkerbund der Lage gewachsen sei.
Der sozialistische Populaire" schreibt, die Saar - Zwischenfälle dürften nicht als Gelegenheit, noch als Vorwand für eine Prestigepolitik dienen, die in Wirklichkeit nur eine Abenteuerpolitik mit unübersehbaren Folgen wäre.
die Deutschland übernehmen würde, ersetzen.
Der Petit Parisien" erklärt, der Völkerbund würde sein Ansehen verlieren, wenn er zulassen würde, daß sich der Vorstoß gegen die Saar - Regierungsfommiffion wiederholen würde. Die Regierungskommission müsse die notwendigen Mittel in die Hand bekommen.
Das„ Echo de Paris" setzt sich für den Schutz der im Saargebiet wohnenden Franzosen ein, der nur durch Aufstellung einer starken Polizei oder durch Verschiebung der Abstimmung verbürat werden könne.
Besonders scharf schreibt der Figaro". Die deutsche Anmaßung sei der Erfolg der Schwäche und der Verblendung der früheren Alliierten.
( FSU ) Der Vorsitzende der Sowjetgewerkschaften M. Schwernik empfing die vor einigen Wochen in Moskau eingetroffenen Teilnehmer an den österreichischen Februarfämpfen. 3wed des Empfanges war, die Schutzbündler mit den Arbeitsbedingungen in der Sowjetunion vertraut zu machen, da sie, ihrem Wunsche entsprechend, in Kürze in russischen Betrieben arbeiten sollen. Bei der Besprechung teiste Schwernik mit, daß die Sowjetaewerkschaften jedem der Schutzbündler die Summe von 500 Rubel aus den Sammelgeldern auszahlen werde, um ihnen die notwendigen Anschaffungen zu ermöglichen. Schwernif und die anderen Redner betonten, daß dies ein Aft brüderlicher Solidarität der Sowjetarbeiter sei, an den keinerlei politische Bedingungen geknüpft sind.
Gestern und heute
Seit dem Siege der ,, nationalen Revolution" wird unsere armselige Vernunft arg strapaziert. Aber manchmal ist das Tempo der Ueberraschungen und Aufregungen nahzu atemraubend.
Wir haben, zum Beispiel, früher schon das Wort„, Kerl" gekannt. Was verstanden wir darunter? Einen etwas rauhen Burschen mit steter Gebrauchsfertigkeit der Faust, wobei manchmal die derbe Schale ein goldiges Herz umhüllen konnte. Hören wir, was heute ein Kerl ist: ,, Er ist ein Priester seiner Weltanschauung. Er ist Persönlichkeit und nicht Individuum. Er ist Glied der Gemeinschaft, Rücksichtslosigkeit und sture Subjektivität in seiner Weltanschauung sind gepaart mit höchster Pflichterfüllung, Manneszucht und Kameradschaft."
Wir werden uns also daran gewöhnen müssen, in einem Kerl einen Priester der nationalsozialistischen Liturgie zu Gemeinschaft des dritten Reiches"." Donnerwetter, Donnererblicken. Sein eiserner Bizeps legitimiert ihn als Glied der wetter, das sind Kerle": das hat schon vor Jahrzehnten der Revuesänger Gampietro gesungen, während Potsdamer lange Kerls im Stechschritt über die Bühne marschierten. So etwas kommt eben wieder.
Eine zweite Neuprägung: der Landsknecht . Darunter ver standen wir während der erbärmlichen 14 Jahre und vorher einen übelbeleumundeten vagabundierenden Söldner, dessen grobe Soldatentugenden im Mittelalter Bauern und Städter in Angst und Schrecken versetzten; Mord, Brand und Plünderung zeigten ihre Wegspur. Aber auch in bezug auf den Landsknecht müssen wir umlernen: ,, Als Landsknecht ist das Aeußerliche für ihn sekundär, der Charakter dagegen das alles Ueberwiegende, Aus dieser Einstellung entstand der politische Soldat, der Nationalsozialist, der SA.- Mann, der Hitlerjunge, der Deutschland für sich eroberte.
Dieses und noch vieles andere erklärt uns Hugo Hagen in einem Aufsatz über den„ Politischen Soldaten", der durch einen großen Teil der nationalsozialistischen Presse geht.
Wir sind dem Leser eine Aufklärung schuldig, warum wir ihm diese Zitate vorsetzen. Sie zeugen von der vollkommenen Umwertung aller Werte, die das Hitlerregime begleitet. Aus dem Gewöhnlichen ist auf einmal eine Weltanschauung, aus dem Gemeinen Heroismus, aus Pechblende Gold geworden, und Millionen deutscher Menschen verkehren mit ihren Führern den Sinn alten deutschen Sprachgutes in ihr krasses Gegenteil.
Die ersten Signale gab Hitler selber. In„ Mein Kampf " wird Fanatismus als oberste menschliche Qualität gerühmt. Stur: dieses Kennzeichen für undurchdringliche menschliche Scheuklappen beweist heute, daß einer ,, mit eiserner Konsequenz als Glaubensträger seinen Weg geht und da zuschlägt, wo zugeschlagen werden muß". Also Hugo Hagen. Dieser Glaube: er muß natürlich ,, blind" sein. Die Bezeichnung für ein menschliches Gebrechen, Blindheit der Augen, Blindheit gegenüber allen Tatsachen und Wahrheiten, die außerhalb der Gedanken des Führers vorhanden sind das ist heute die Parole für ein ganzes Volk.
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Wenn eines Tages die Stunde kommt, wo der braune Alltag Objekt der psychologischen und pathologischen Forschung ist, ein hinter uns liegender Spuk der Besessenheit und des Massenirrwahns, dann wird man auch an diesen krausen und verbogenen Fassaden nicht vorübergehen können. Aber vielleicht machen wir hier den Fehler, die Argumente der Logik zu überschäzen.
In Gustav Le Bons klassischem Buche Psychologie der Massen" liest man diese Sätze:„ Sie( diese Führer) rekrutie ren sich namentlich aus jenen Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die an der Grenze des Irrsinns sich befinden. So absurd auch die von ihnen verfochtene Idee oder das von ihnen verfolgte Ziel sein mag, gegen ihre Ueberzeugung wird alle Logik zunichte. Oft sind es subtile Rhetoren, die nur ihr Eigeninteresse verfolgen und durch Schmeichelung niedriger Instinkte zu überreden suchen... Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von allem Scheine von Beweisen und Demonstrationen ist, desto autoritativer ist sie
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Das Werk Le Bons erschien vor 25 Jahren. Dieser franzö sische Denker hatte sich den Adolf Hitler bereits psychologisch ausgerechnet, ehe er noch existierte.
Argus.