Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschfien Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Samstag, den 26. Mai 1934

Es war einmal ein Stachelschwein

Heute ist es der braune Heinz Reimann

Der literarische Ausbeuter des letzten Sachsengeenigs, der Humorist Hans Reimann  , hat sich das Recht auf die Leitartikel- Honorare der gleichgeschalteten ,, Berliner Mor­ genpost   gesichert. In seiner Jugendschaffensblüte waren ihm die Morgenpost" und ihr Leserstamm nur willkom­mene Modelle für seinen Humor. Jetzt schwitzt er in diesem Musterblatt für Vollblutspießer zeilenlang Hitlertreue aus. Sein Gesinnungssalto ist nicht von Pappe. Im Januar 1927 begann er mit der Herausgabe der literarischen Monatszeit­schrift ,, Das Stachelschwein", für die er auch als ver­antwortlicher Schriftleiter zeichnete. Volle drei Halbjahre haben er und seine Mitarbeiter, unter denen u. a. Karl Schwarz, Erich Weinert  , George Groß   und Walter Mehring  zu finden waren, den furor teutonicus, den preußischen Kommiẞstiebel und die deutsche   Gartenlaube mit Wit und Bosheit auf die Seiten seiner Zeitschrift genagelt.

Der Hitlerknabe Hänschen orakelte damals stramm hit­lerfeindlich:

99

, Wie deutsch ein Teil der Tschechoslowakei   ist, beweist die Reaktion, die sich mausig macht wie allerorten, auf Hitler   schwört und sich rechter als rechts gebärdet."( ,, Sta­chelschwein" ,, Februar 1927, S. 26.)

Unter seine verantwortlichen Schriftleiterflügel nahm er diese köstliche Studie über den Oberosaf, dem er neuer­dings Mottenpost"-Weihrauch spendet:

,, Und der Hitler hat natürlich im Löwenbräukeller ge­sprochen( Intelligenten ist der Eintritt verboten!). Wer mag ihm nur den guten Plakattext entworfen haben:, Strese­mann, der Kandidat von Frankreichs   Gnaden"? Das sah nämlich originell aus und versprach viel überraschenden Blödsinn. Aber ein Schmarren wars. Bleierne Langeweile senkte sich über alle Hakenkreuze, als der bleiche, leidlich schneidig aussehende Adolf   seine endlosen Wirtschaftsta­bellen ablas und historische Verleumdungen von 1870 bis 1918 ausgrub. Ein gleichgültiges Sammelsurium wirtschafts­politischer, machtpolitischer und rassenhegerischer Phrasen. Nebulos. Fadenscheinig. Die hinterhältige Redewendung vom zu erwartenden Dank der französischen   Freimaurer   machte den alten Kohl auch nicht fett. Und noch vor mir schlichen sich viele unverkennbare Anhänger gähnend hinaus."( ,, Sta­chelschwein", Juni 1928, S. 9-10.)

Ueber die hakenverkreuzte Elite, deren Sonne jetzt seinen Redaktionssessel erwärmt, spottete er.

Seine Parodiesammlung Von Karl May   bis Max Pallen­ berg   in 60 Minuten" enthält eine originelle Fassung der Hakenkreuzhymne:

Blondine saß auf einem Stein

Mit sieben Siegeln!

Blondine saß auf einem Stein Und putt ihr Hakenkreuzlein rein! Blondinchen saß auf einem Stein Ofropax vobiscum!

Blondinchen kreuzte Bein mit Bein

Und schmetterte die Wacht am Rhein!"

( S. 32-33.) Hänschen dachte bestimmt nicht dran, was aus ihm noch wer­den kann, als er den Ariern diese Visitenkarte verfaßte: ,, Deutschland   konfessionell: Ein sehr indifferentes Gebiet, aber immerhin noch eine Art Dreiteilung. Erstens Juden, welche durch Reiben des angeborenen Geldbeutels das deut­ sche   Nationalvermögen vermehren. Stabreim nach Wolf­ ram von Eschenbach  . Zweitens Nichtjuden. Diese schimpfen auf jene und beweisen damit ihre Existenz. Drittens Zwitter."( Stachelschwein", Oktober 1927, S. 3.)

Werden sich die Hitleriken jeden Alters und Geschlechtes nicht die Vergißmeinnicht- Pupillen um 90 Grad verdrehen, wenn ihnen Hänschen zwecks Reinigung der deutschen Moral aus seinen ,, Stachelschwein"-Werken vorbetet?

oder

ach rosige Thusnelda

komm auf mein weißes Fell da."

Am Rassen- Scheidewege

Junger Mann im Deutschland   der Erhebung, So du nicht zur Herrenrasse zählst, Hüte dich vor sündiger Bestrebung, Wenn du eine Maid zur Gattin wählst. Greif nicht in erotischer Verblendung Nach des Nordens lichten Töchterlein. Auf die Missetat der Rassenschändung Steht zumindest Zuchthaus  , Judenschwein! Sei auch du nicht lüstern nach Semiten, Wotanstochter im totalen Staat; Die Erneurer völkisch- deutscher Riten Strafen streng den rassischen Verrat.

Es bedarf nur einiger Befehle, Und ein Prangerzug ist aufgestellt. Auf Kommando kocht des Volkes Seele, Reist ihr per Expreß aus dieser Welt.

Lest zur Warnung in des ,, Stürmers" Spalten; Dort wird euch Belehrung rasch zuteil, Wieviel noble Mühe wir entfalten

Für des deutschen Menschen Rassenheil.

Horatio.

( Januar 1928, S. 25.) Mensch zwischen Gott   und Tier

,, sie lag in ihres bettes kute und schaute mit betrübtem mute auf das verlassene Samos hin mann her mann her

oder ich fall über michselbst her aber das hilft ihnen nichts mehr."

( August 1927.) Die Kostproben gehören zu Hänschens harmlosen Moral­beiträgen für das ,, dritte Reich". Er kannte die Stelle, wo er sterblich war. Voraussehend hat er sie bedichtet: ,, Es ist im Leben mulmig eingerichtet, daß man, von Altersschwäche angeknockt, höchst ungern auf Bequemlichkeit verzichtet und kompromißgelaunt am Ofen hockt.. Ach unterm Kaiser Wilhelm   wars doch besser! Wir haben keine Republik   gewollt! Bleibt Sklaven, Byzantiner, Speichelfresser! Gott   schütze unser bißchen Schwarzrotgold!" ( ,, Stachelschwein", Mai 1927, S. 29.) Was bleibt übrig, wenn einem Stachelschwein die Stacheln ausgerissen sind? Unter dergleichen Wesen, die Hitlers Literatenhimmel zahlreich zieren, wird die deutsche Kultur bestimmt verwesen. Jobs.

Nordische Renaissance

Wertgesättigte Schönheit   und andere Gemeinthingplätze

Der Stadt Bremen   ist ein hohes Glück widerfahren. Hier ist endlich die erste Nordische Kunsthochschule feierlich eröffnet worden. Sie soll der Geburt der wahren und unsterblichen Kunst des Nationalsozialismus dienen, ihr Programm ist eindeutig in Geiste des Hakenkreuzes erkürt. Prophetisch verkündete der Bürgermeister Dr. Markert: " Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst überhaupt wird der nordische Gedanke Leitstern einer Hochschule, denn erst der Nationalsozialismus brach der Erkenntnis Bahn, daß die Kunst nur völkisch sein kann. Der nordische Mensch ver­langt wert gesättigte Schönheit; die Nordische Kunsthochschule wird sie ihm geben." Leiter dieses wunder­lichen Institutes ist ein seit langem bekannter, nicht gerade jugendlicher Herr, der Professor Mackensen, ein landläufiges Mitglied der sogenannten Worpsweder  . Man darf also wohl annehmen, daß es sich um eine penetrantere Wiederholung jener bereits reichlich überlebten Provinzlerei handelt, die nur eine wahre Künstlerin hervorgebracht hat: Paula Becker­Modersohn, früh verstorben und immer auf der Flucht von Worpswede   nach Paris  .

-

Nordisches geht auch in Halle vor sich; dort wird im Auf­trage des Propagandaministers eine Schulungswoche für Thingplatgestaltung stattfinden. Auf den Thing­plätzen werden künftighin, nicht etwa bürgerliche Schauspiele zur Vorführung kommen, vielmehr teutonische Laienspiele, die den großen Atem der Vorväter rhythmisch entströmen lassen wollen.

Nordische Renaissance kommt ferner über die deutschen Museen, deren Generaldirektor den Auftrag erteilt hat, daß die Museumsbestände im Sinne des nationalsozialistischen Bildungszieles auszuwerten seien. Der Fernstehende kann sich fürs Erste nicht vorstellen, was der beauftragte Pro­fessor Dr. Alexander Langsdorff da anrichten wird.

nächst wird in Neuyork eine große Ausstellung des Werkes von Max Liebermann   vorbereitet, dessen Bilder, weil er Jude ist, in Deutschland   nicht mehr öffentlicht gezeigt wer­den dürfen. Neuyork wird hundert Bilder Liebermanns zu sehen bekommen; an den Vorbereitungen ist der ehemalige deutsche   Vizekonsul Jordan beteiligt. Uebrigens soll auch in London   demnächst eine Ausstellung deutscher jüdischer Künstler stattfinden; an erster Stelle wird hier Jankel Adler  , der ethnographische Expressionist, gezeigt werden. Von der neudeutschen Kulturpropaganda werden allent­

Schemmerei wider die Kultur

Es lohnt sich im allgemeinen nicht, die Reden, die bei den zahlreichen festlichen Veranstaltungen in Deutschland  die offiziellen Vertreter halten, zu registrieren. Sie sind eine ständige Wiederholung des nationalsozialistischen Kate­chismus. Wenn wir heute einen Bericht der Berliner Lehrerzeitung" über die Eröffnung des Seminars für nationalpolitische Pädagogik im Auszuge bringen, und zwar die Ausführungen des Staatsministers Schemm, so nur, um den Tiefstand des Niveaus zu kennzeichnen, zu dem selbst wissenschaftliche Institute heute herabgesunken sind.

-

Nach den üblichen Phrasen über nationalsozialistische Volke und Weltanschauung, über SA.- Geist, Dienst am Rassenbewußtsein riẞ in seinen weiteren Ausführungen der Redner( Schemm) die Frage nach der Aufgabe unseres Volkes auf( wörtlich!!): in der Beantwortung der Frage kam er zur Placierung der Menschen zwischen Gott   und Tier.( Man beachte Stil und Problemstellung.) Der Mensch müsse ent­scheiden zwischen Licht und Finsternis, Geist und Stoff, Himmel und Hölle. Bei gutem Willen(!) könne er das und würde dem Geistigen und dem Ganzen nahekommen und die Ungeistigkeit überwinden. Heute macht im Gegen­satz zu früher das gesamte Volk die Geschichte. Das Volk habe den Führer herbeigesehnt. Gottes Gnade hat ihm den­selben geschenkt. Führer führen das Volk zu bisher uner­reichten Höhen auf allen Gebieten. Die beste Durchorga­nisation des Volkes gewährleiste höchste Leistungen. Auf dem Fluge zur Höhe seien Blut und Rasse die besten und die hehrsten Wegweiser. Es gehe um den deutschen Menschen der nach einem Wort Nietsches ,, nicht ist, sondern wird". Der Lehrer müsse klug sein und Güte und Heiterkeit be­sitzen, in diese Tugenden sei das Klima gelagert, in dem die Erziehung zum deutschen Menschen gedeihen könnte.

Dieser objektive Bericht aus der ,, Berliner Lehrerzeitung" vom 10. Mai stellt tatsächlich den Tatbestand einer Ver­ächtlichmachung der deutschen Kultur dar. Aber schließlich kann die ,, Berliner Lehrerzeitung" nicht dafür, daß das Auf­treten des Herrn Schemm eine Verächtlichmachung der deut­schen Kultur in Permanenz ist.

halben Maler, Bildhauer und Schauspieler in den Vorder- SA. glänzte...

grund geschoben, deren Namen bisher unbekannt waren; noch mangelt der Beweis, daß einer dieser Geförderten mehr als parteiamtliches Interesse verdient. Recht fragwürdig scheint die Wiederbelebung der bäuerlichen Trach­ten, die von einer Denkschrift des Nürnberger Germani­schen Nationalmuseums gefordert wird, und allzu hoffnungs­voll braucht man wohl nicht der nächsten Unternehmung des Münchener Prinzregenten- Theaters entgegenzusehen, das Teile der Edda  , jener etwas vergilbten nordischen Götter­sage, zur Aufführung bringen will.

Nach wie vor hat man von dem Kunstleben des ,, dritten Reichs" den Eindruck großsprecherischer Hilflosigkeit. Das Gute, was geboten wird, war schon ehedem da; das Neue aber ist belanglos. Am belustigsten wirkt das propagandi­stische Pathos, das Problem und Erscheinungen, die hundert­

Die Pirmasenser Zeitung" schreibt: In der Volksgarten­halle brachte das Landestheater für Pfalz   und Saargebiet vor fast leerem Haus Fr. Forsters   symbolisches Hitlerdrama ,, Alle gegen einen, einer für alle" zur Aufführung. Diese mehr als mangelhafte Anteilnahme der Pirmasenser   an dem kulturpolitischen Geschehen unserer Zeit ist einfach be­schämend und steht nicht allein in der Pfalz   beispiellos da. Die Aufführung geschah im Rahmen des Werkes Kraft durch Freude.(!) Man muß sich deshalb um so mehr über den Ganz besonders unangenehm miserablen Besuch wundern. berührte es, daß unsere SA., die Trägerin des jungen Staates, durch Abwesenheit glänzte."

-

jährige Geschichte haben( oft tausendjährige), als Urzeugen Blutvolle Wohlfahrt

Adolf Hitlers   ausgibt, und nicht minder komisch ist es, wenn Allgemeingültiges und Alltägliches mit bewundernswerter Naivität auf Nazi frisiert wird. So etwa, wenn man im letzten Heft der letzten deutschen Kunstzeitschrift, das unter anderem Bilder zeigt von Gärten, wie sie zu Tausenden in der ganzen Welt zu finden sind, liest: Gartenkunst ist heute ausschließlich germanische Angelegenheit..." Germanisch scheinen vor allem die Gemeinthingplätze zu

sein.

Baldur

Von dem neuen Reichskúltusminister Rust erwartet nie­mand eine klare Kunstpolitik; er schwankt zwischen Frick und Göbbels   zickzackig, zwischen dem banalsten Spießertum und der revolutionär getarnten Gaunerei. Eingeweihte erwarten unterirdische Kämpfe, bei denen Rosenberg, der Mystiker des Hakenkreuzes, aber auch die letzten jüdischen Schauspieler in die Versenkung geraten könnten. Auch für den Direktor ,, Volk der bisher noch wirkenden, ausgeweichten Folkwang­Schule, der letzten deutschen   Lehrstelle schöpferischer Kunst, wird gefürchtet.

Von der Darmstädter   Frühjahrsausstellung wurde Max Beckmann  , der bisher als bedeutsamster Vertreter Frankfurts   galt, verbannt; an der diesjährigen deutschen  Ausstellung in Venedig   dürfen Nolde, Barlach  , Heckel und Dix nicht teilnehmen. Dafür wurde Karl Hofer  , in Deutschland   als Kulturbolschewist verrufen, mit zwanzig Bildern nach Florenz   eingeladen, wo er einen großen Erfolg hat. Renée Sintenis  , wohl die begabteste deutsche  Bildhauerin, mußte, weil sie nicht hundertprozentig arisch ist, aus der Preußischen Akademie der Künste   ausscheiden; auch sie wird demnächst in Frankreich  , England und Ame rika, wo sie sehr geschätzt wird, neue Arbeiten zeigen. Zu­

singt: ans Gewehr!"

In diesem Kampfe geht es nicht um Kronen und nicht um Geld!

Dies ist die Brandung einer neuen Welt, ein heiliger Krieg um Freisein oder Fronen! Drum her zu uns! Hier stehn die braunen Horden mit festen Fäusten, schwielenhart und schwer.

Wir wollen die Feinde deutscher Freiheit morden! Volk ans Gewehr!

Baldur ist die gesamte deutsche   Jugenderziehung über­antwortet worden. Und sein Lied wird in den deutschen Volksschulen gelehrt,

Der Herr Kultusminister Dr. Rust hat jetzt einen Erlaẞ herausgegeben, nach dem in Zukunft Bewerber und Bewer­berinnen nichtarischer Abstammung von den Prüfungen zur Aufnahme in Wohlfahrtsschulen, sozialpädagogische Institute usw. nicht mehr zugelassen werden können. Ueber die Be­handlung von Anträgen nichtarischer Ausländer entscheidet der Minister persönlich. In einer kurzen Begründung zu dem neuen Erlaß wird hervorgehoben, daß die Wohlfahrtspflege im neuen Staat nur noch von blutvollen Volks­genossen ausgeübt werden darf.

Die blutvolle Wohlfahrt des ,, dritten Reiches" kann mit viel mehr Recht wahrscheinlich die blutige Wohlfahrt ge­nannt werden.

,, Hätte er sich nicht gebückt"

Alte Geschichte  

In Kischinew   ging vor etwa fünfzig Jahren ein jüdischer Theologe auf der Straße spazieren. Ein russischer National­sozialist warf einen Stein nach ihm, der Theologe bückte sich und der Stein flog in eine Fensterscheibe. Der Besitzer der Scheibe klagte den Steinwerfer um den Schadenersatz, das hohe Gericht verkündete jedoch im Namen des Zaren:..Der Jude hat zu zahlen, denn hätte er sich nicht gebückt, so wäre die Scheibe nicht zerschlagen worden."

Diese Geschichte ist, wie gesagt, mindestens 50 Jahre alt. Aber klingt sie nicht wieder wie ganz neu?