Deutfore

Nr. 120 2. Jahrgang

Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Sonntag/ Montag, 27./28. Mai 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Marxistische

Arbeitersiege

Dokumentarisches

Material aus dem Reiche

Seite 3 und 4

Volksmonarchisten an der Arbeit

Rechtsströmungen zur Entmachtung der Nationalsozialisten

Nur noch Monate?

Berlin , 25. Mai( Eigener Bericht). Von einem nennens­merten Widerhall der groß angekündigten Kampagne gegen die Kritiker des dritten Reichs" ist nach wie vor in der Deffentlichkeit kaum etwas zu spüren. In führenden Kreisen der SA. erzählt man sich, daß der Stabschef Röhm mit dieser neuesten Rede- und Papieraktion gegen die Feinde des Regimes feineswegs einverstanden ist, sondern revolutio­näre" Aktionen wie im Frühling vorigen Jahres forderte. Er habe gebrüllt, man möge ihm und der SA. das Recht zum Aufräumen geben, und es werde sich zeigen, daß der reaktionäre Spuk verfliege und das Regime fester stehe denn fe. Solche neuen Barbareien im Stile des Landsknechtfüh­rers Röhm fonnte aber die Reichsregierung aus außen­politischen und wirtschaftspolitischen Gründen nicht brauchen, und das ist ihr von den verschiedensten Seiten recht deutlich flar gemacht worden.

Die Rundfunkreden und Zeitungsauffäße zeigen, daß sich die nationalsozialistischen Machthaber zur Zeit von rechts und teilweise wohl auch schon aus ihren eigenen Reihen beunruhigt fühlen.

Es ist feineswegs so, daß die Grenzen zwischen den National fezialisten und der schwarzweißroten Gegenrevolution scharf gezogen wären. Wie schon die Tatsache beweist, daß der Erfronprinz sich jest mit Vorliebe in SA. - Uniform zeigt, gibt es reaktionäre Monarchisten in der nationalsozialistischen Bewegung. Ebenso sind aber auch zahlreiche führende Na­tionalsozialisten in den monarchistischen 3irfeln zu finden, von denen sie sich schon aus gesellschaftlichen Gründen sehr angezogen fühlen.

Diese monarchistischen Klubs find über das ganze Reich verbreitet und arbeiten hinter den Kulissen etwa so, wie in den letzten Jahren vor der Kanzlerschaft Hitlers der Herrenklub fich politisch betätigt hat.

Sie versuchen wirtschaftlich und politisch einflußreiche Män­ner an sich zu ziehen und ohne viel Aufsehen in der Deffent­lichkeit Personalpolitik in den hohen und höchsten Sphären der Staatsführung zu treiben. Man führt auf diese mon­archistischen Intriguen den Sturz des unbequemen Treu­Händers der Arbeit in Berlin , Engel, und des Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, von Ren tein, zurück, der durchaus ständische Ideale verwirklichen wollte. Auch die Kaltstellung Görings in Preußen auf die mehr dekorative Ministerpräsidentschaft gilt als das Werf dieser monarchistischen feinen Gesellschaft", wie fie in der nationalsozialistischen Presse genannt wird. Die feinen Beute", gegen die früher einmal Goebbels in schönen Oppositionszeiten getobt hat, ehe er selbst gesellschaftlich zu ihnen emporgekommen ist. sind wieder am Werf. So wenig fie zahlenmäßig bedeuten mögen, ist ihnen doch auch schon gelungen, den stürmischen Energien des Stabschefs der SA. mit seinen Millionen Milizmännern Zügel anzulegen, gegen die er immer wieder in soldatischen Reden bei paraden im Lande aufbegehrt.

Da die monarchistischen Gegenrevolutionäre sehr wohl wiffen, daß fie ohne eine hinreichende Grundlage in den Massen weder zur Macht kommen noch fich behaupten fönnen, lassen fie fich gerne Volksmonarchisten" betiteln und tokettieren mit Schichten der Bevölkerung, die mit der Hitlerdiktatur so unzufrieden sind, daß fie ihr jede andere Regierungsmacht vorziehen würden, die Kommu niften ausgenommen.

Die Volksmonarchisten" geben sich den Anschein, als seien sie ihres Erfolges sehr sicher und unter sich prophezeihen sie den Untergang der jetzigen Reichsregierung innerhalb meniger Monate. Diejenigen, die ihr noch eine Frist von einem Jahre gewähren, gelten schon als Pessimisten". Die schwarzweißrote gegenrevolutionäre Bewegung rechnet mit dem Zusammenbruch des Regimes spätestens im Herbst oder im Winter, wenn nicht das Ableben Hindenburgs, der

zu belasten. Daß Göring keine wirkliche Macht mehr bedeutet, wissen die Volksmonarchisten" schon deshalb, weil sie erlebt haben, wie leicht er in Preußen beiseite zu schieben war.

Mit Spannung beobachten die schwarzweißroten Gegen­revolutionäre die rasche Abnutzung des Systems, und sie find überzeugt, daß die Vertrauenskrise rapide Fortschritte machen wird, zumal von der Wirtschaft und von der Wäh­rung her. Die Volksmonarchisten" sind der Auffassung, daß diese Krise sich noch zuspizzen müsse, ehe der Umschwung kommen dürfte. So müsse die Verantwortung für die Entwertung der Reichsmark noch voll auf das Konto des dritten Reiches" tommen. Den Verfall der Währung halten die Volksmonarchisten" für sicher und weder Dr. Schacht noch Graf Schwerin rosigf, der Reichsfinanzminister, verhehlten troß ihrer gegenseitigen öffentlichen Reden in engerem Kreise, daß die Mark ver­ĭoren ist.

Die schwarzweißrote Gegenrevolution hält die Reichswehr nach wie vor für monarchistisch. Der Reichswehrminister von Blomberg sei längst der mächtigste Mann im Kabinett, wenn er auch von dieser Macht teinen rechten Gebrauch zu machen wisse, da er keinen politischen Instinkt habe. Immerhin sei der Reichswehrminister eine Barriere gegen die demagogische Politik der Naziführer, und Blomberg habe den Reichskanzler Hitler selbst mehr und mehr an die Seite der kommenden voltsmonarchistischen" Macht gedrängt, aber die Bolksmonarchisten" seien sich darüber im Klaren, daß auch das Prestige Hitlers in den nächsten Monaten er­schüttert und aus der jetzt schon vorhandenen Krise des Dritten Reichs " eine Krise Hitlers werde. Noch werde das in den führenden Nazischichten nicht begriffen. Sobald man die Gefahr erkenne, würden wohl die sich jetzt be= fämpfenden nationalsozialistischen Cliquen wieder zusammenstehen und Hitler merde dann seinen Anschluß an die Partei und ihre Führer wieder ganz eng gestalten. Man müsse eben dafür sorgen, daß es dann schon für die Nationalsozialisten zu spät sei.

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Die kommende volksmonarchistische" Regierung wisse, daß sie mit ungeheuren Schwierigkeiten zu rechnen habe; weniger außenpolitisch, da sofort eine Entspannung eintreten werde, als innenpolitisch und wirtschaftlich. Sie werde also sehr starf und autoritär sein müssen, streng national und auch antisemitisch, aber ohne jede Gewalttat und Ausnahme­gesetzgebung gegen die Juden. An die Spitze der Regierung merde ein General treten.

Die Reffortministerien würden von Fachleuten befekt werden, von denen der eine oder andere früher auch " links" gestanden haben fönne. Erfahrung und Alter werden nicht entbehrt werden können.

Allmählich werden diese Pläne, obwohl sie nur in fleinen 3irfeln gesponnen werden, auch schon im Volke, auch in den Betrieben diskutiert. Vielen ist jedes Mittel recht, das zum Sturz des verhaßten Systems führt, aber das bedeutet feineswegs, daß in den politisch geschulten Arbeiterschichten irgendwelches Vertrauen in eine Volksmonarchie" gesetzt wird. Die enttäuschten Massen und auch die intellektuelle Jugend wollen nicht die monarchistische, sondern die soziali­stische Lösung; sie hoffen, daß in absehbarer Zeit die wirklich sozialistischen revolutionären Kräfte, die sowohl unter ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten wie auch unter den proletarischen und intellektuellen Schichten des Nationalsozialismus vorhanden sind, sich zu Aktionen zusammenfinden werden. Wir sind und bleiben der Ueber= zeugung, daß jede Regierung in Deutschland scheitern muß, die nicht aus der kapitalistisch unlösbaren deutschen Krise und aus der Zersetzung des deutschen Gesellschaftskörpers die notwendigen Folgerungen zieht. Der Phrasensozialis­mus wirtschaftet ab, und der Tatsozialismus rückt heran.

sich wegen seiner Krankheit noch immer nicht öffentlich Die heilige Partel!

zeigen fann, schon vorher Entscheidungen erzwingt. Aeußert man gegen diese optimistische Auffassung der Volfsmonarchisten" Zweifel, so weisen fie lächelnd darauf

Braunschweig , 25. Mai. Das Amtsgericht in Vorsfelde verurteilte die Landwirte Wilhelm und Friz Hoppe wegen

Gestern und fieute

Es war am 1. Mai. Der Reichskanzler sprach zu tausenden von deutschen Jungens und Mädels im Lustgarten. Noch haben wir das Brausen junger Stimmen im Ohr: immer wieder Heil und Jubel im Trommelwirbel des Lautsprechers.

Aber wer genauer hinhörte, dem wurde nachdenklich. Hitler redete die Jugend an diesem Morgen an, als habe er mit ihr etwas besonderes vor. Sie, die Jugend, werde das zu vollenden haben, was die ältere braune Generation ange­fangen, aber nicht beenden könne: die Gestaltung Deutschlands im nationalsozialistischen Zeichen.

War das mehr als eine Phrase? Wir möchten es glauben. Aus dem einfachen Grunde, weil der Nationalsozialismus heute bereits soweit ist, den kindlichen Enthusiasmus als Machtfaktor einzusetzen. Bei den Erwachsenen bröckelt die Begeisterung ab; da sind bekanntlich die verruchten Mies­macher und Nörgler immer schwieriger zu halten. Aber bei der Jugend gibt es noch feurige Resonanz, in diesen Herzen kann man sich von Blutströmen umrauschte Denkmäler setzen.

Kurz, die Flucht zur Jugend, die wir heute bei dem Führer und seinen Paladinen sehen, ist die Flucht vor der Vernunft der langsam wieder denkenden und wägenden Generation der Aelteren.

Wie aber, wenn die Jugend selber schon wieder kritisch zu werden beginnt? Wenn sich sogar in den Reihen der Hitlerjugend überall unangenehme Typen" bemerkbar machen? Typen, die wir ablehnen," so lautet ein an die Hitlerjugend gerichteter Alarmartikel, der soeben seinen Weg durch die nationalsozialistische Zeitung macht. Wir er­fahren aus ihm, was ,, hitlerjungenhaft" ist und was nicht, und das ist aufhellend.

Da wird zunächst der ewige Primaner" in der Hitler­jugend geschildert. Albern, hochnäsig, theoretisch. Neben ihm der Besserwisser". Das sei eine durchaus ekelhafte Pflanze, die bald alle gefressen hätten. Ihm folgt als großer Feind ,, hitlerjungenhafte Haltung" der böse Nörgler", be­sonders gefährlich, wenn er politisch zu werden sich an­schicke. Was sei gegen ihn zu tun? Man hat ein probates Mittel: helfe alles nicht, so könne man ihm eine handfeste Abreibung zukommen lassen. Durch Keile wird bekanntlich von altersher der Widerspruchsgeist verscheucht. Aber auch der Typus des..Prahlers" ist unbeliebt, der den Mund immer so voll nehme und immer sage: ,, damals, als wir noch..." Der letzte aus der Reihe der besonders widerlichen Gesellen der Hitlerjugend ist endlich der Hämling". Seine beißende Ironie störe den Aufbau, und ,, der Speichel seines hämischen Hohns weicht am Ende auch den besten Kitt, der die Ge­folgschaft bindet".

Der junge Anonymus, der das schrieb, hat seine Er fahrungen Er sieht, daß die Geschlossenheit junger Lebens­bejahung" in der braunen Jacke bedroht sei. Es ist ein Angstartikel: wie lange geht das noch gut?

Neulich sahen wir in einem illustrierten Blatt ein Bild, das, wir gestehen es gerne, auf uns Eindruck gemacht hat. Zehn- bis vierzehnjährige Gymnasiasten legten ihre bunten Schülermützen auf einen Haufen und vernichteten sie- zum Zeichen dafür, daß sie von den Kameraden in den Volksschulen durch keinerlei äußeres Merkmal mehr ge­jugendlicher Volksverbundenheit, als Abkehr vom sozialen trennt sein wollten. Die Tat wurde gepriesen als Zeichen Schulklassendünkel.

Soweit gehen wir mit. Aber tragisch wird das Ereignis, wenn wir fragen: zu welchem Ende? Dieser jugendliche Ueberschwang wird nicht zur Güte, sondern zum Hasse geeint, zum Rassedünkel erzogen, zum Wehrwillen gestählt, zum Einsatz mit dem Leben, dessen Lorbeer die national­sozialistische Schule mit ,, Volk ans Gewehr" schon heute auf

hin, daß auch führende Nationalsozialisten den Umstura Beleidigung der Nationalsozialistischen Partei und ihrer künftigen Schlachtfeldern Europas verteilt.

wittern. So habe Göring schon vor einiger Zeit Anschluß an sie gesucht, weil er davon träume, in einer Volksmonarchie Reichswehrminister zu werden, jedoch denke man nicht daran, fich durch eine so kompromittierte Persönlichkeit bei den außerhalb des Nationalsozialismus stehenden Arbeiiermassen

Mitglieder zu zwei und zu zweieinhalb Monaten Gefängnis. Die Angeklagten hatten den deutschen Gruß in Gastwirtschaften herabzufezen versucht und die Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei als Proleten" bezeichnet. Das Gericht ging mit seinem Urteil über den Antrag des Staatsanwaltes noch hinaus.

Aber wir haben gesehen; es gibt Besserwisser, Nörgler, Hämlinge bereits unter der Jugend! Miesmacherreden sind auch hier fällig.

Unter den Kometen am Hitler himmel ist dies einer der bedrohlichsten Argus