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100 man

2030

Freiheit

Nr. 130 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 9. Juni 1934

Chefredakteur: M. Bra un

Aus dem Inhalt

Hindenburg   und Meißner

als Zeitungsgründer

Seite 2

Nationalsozialistische

Dokumente

Seite 3

Hitler und

die Rüstungsinternationale

Frauen in Barbarien

Seite 4

Seite 7

Kommt die Binnenmark? Gestern und heute

Experimente der deutschen Währungspolitik

Nachdem die Reichsmart im Auslande zwei Tage start gefallen war, ist sie am Donnerstag wieder auf 5,73 bis 5,78 französische Franken gestiegen, aber immerhin noch 5 v. H. unter der Goldparität geblieben. Die leichte Er holung ist durch eine Intervention der Reichsbank bewirkt worden. Die Reichsbank schien zunächst die Bedeutung des diesmaligen Sturzes nicht erkannt zu haben; sie hat erst am Donnerstagnachmittag stügend eingegriffen. Die gleich geschaltete Presse, soweit sie überhaupt zu dem Marksturz Stellung nimmt, tröstet sich damit, daß es der Reichsbank wieder gelungen sei, die angebotenen größeren Mark: beträge aufzufangen.

In einigen Kommentaren kommt ziemlich unverhüllt zum Ausdruck, daß die Entwicklung einer Binnen­mart zusteuert. Ueber die tieferen Gründe dieser Ent: widlung lassen wir nachstehend unseren wirtschaftspoliz tischen Mitarbeiter zu Worte kommen.

Nach offiziellen deutschen Angaben ist die Rohstoffver forgung der wichtigsten deutschen Industrien durch die Anlage von eisernen Beständen" angeblich auf vier bis fünf Monate gesichert. Daß im ersten Quartal 1934 bei der Einfuhr eine sehr starke Vorversorgung betrieben wurde, ist auch im Auslande allgemein vermerkt worden. Angesichts der bevorstehenden Transferkonferenz hatte man damals in Berlin   ein großes Interesse daran, die Devisenlage so un­günstig wie irgend möglich darzustellen und für die Fort­fézung des Aufrüstungsprogrammes blieb es schließlich ziem­Itch gleichgültig, ob man über den betreffenden Devisenstand ober über die hierfür eingeführte Rohstoffmenge selbst ver­fügte.

Auch sonst geht die deutsche Wirtschaftspolitik offensichtlich darauf aus, lieber Rohstoffe als Devisen anzusammeln. Erst kürzlich kam dies darin zum Ausdruck, daß man Sowjetrußland ersuchte, an Stelle der im Jahre 1934 aus alten Lieferungen fällig werdenden Goldzahlungen von etwa 700 Millionen Reichsmart entsprechende Rohstoffliefe: rungen vorzunehmen.

Es mag dahingestellt bleiben, ob diese an und für sich zwei­fellos vorhandene Vorversorgung tatsächlich für vier cder fünf Monate ausreicht, oder ob man, diese etwas optimistische Behauptung hauptsächlich deswegen aufgestellt hat, um die im dritten Reiche" selbst immer deutlicher werdende Skepsis über die kommende Wirtschaftsentwicklung zu bekämpfen. Je­denfalls steht fest, daß man heute schon selbst im Export­geschäft darauf bedacht ist, mit Rohstoffen, die man in abseh­barer Zeit kaum mehr ersehen kann zu sparen, und daß man fogar lieber Auslandsbestellungen ablehnt, als daß man in der Form von Fertigfabrikaten Rohstoffe exportiert, die man für den Zweck der Aufrüftung faum so leicht wieder einkaufen fann. In gleicher Linie liegen die mehr oder weniger phan­tastischen Angaben über Methoden, die wichtigsten auslän­dischen Rohstoffe durch inländische Surrogate zu erseßen. Er­fahrungen dieser Art hat man im Krieg sammeln können, und es hat sich fast immer herausgestellt, daß es selbst bei größtem Rostenaufwand und hervorragenden technischen Leistungen, von wenigen Einzelfällen abgesehen, nicht möglich war, auf diese Weise längere Zeit hindurch die ausländischen Roh­stoffe zu erseßen.

Dies gilt in erster Reihe gerade von den für die militä­rische Aufrüstung Deutschlands   wichtigsten Industrien. Die Erzbasis des Landes ist völlig unzureichend und es war nur im Weltkriege durch die Besetzung französischen und belgischen Gebietes möglich, sie zu erweitern. Heute stammen minde­ftens 60 Prozent der Rohstoffe der deutschen   Schwerindustrie aus dem Auslande und bei der für militärische Zwecke eben­falls hochwichtigen Textilindustrie beläuft sich der auslän­dische Rohstoffanteil sogar auf 95 Prozent. Auch in der Er­nährungsfrage sollte man sich vor der Ueberschäßung des hitlerdeutschen Schlagwortes von der Lebensmittel- Autarktie hüten, dern die Beträge, die Deutschland   besonders in der Fettversorgung noch immer für den Bezug ausländischer Roh­stoffe benötigt, gehen in die Milliarden.

Das allernötigste wird man allerdings weiter im Austausch gegen den Erport von Fertigfabrikaten hereinbekommen tönnen, aber diese Mengen werden, ganz abgesehen von der ständigen Zuspigung der politischen Situation immer geringer, weil Deutschland   beim Festhalten am Gold: standard durch seine hohen Preise die Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt immer mehr einbüßt.

Bisher war es möglich auf dem rene er das Scrips­verfahren, das nur eine besondere Abart des Dumpings dai­

stellt, die in den hohen Exportpreisen liegenden Ausfuhr­schwierigkeiten zu mildern. Jetzt wird man auf andere Mittel sinnen müssen, denn ohne besondere Dumpingmaßnahmen näre die deutsche Ware im Auslande schon aus Gründen der isstellung selbst dann nicht abzusehen, wenn die Schwie­ligkeiten der Handelspolitik, der bevorstehenden Zwangs­claerings, des politischen Boyfotts usw. nicht bestehen würden. Ein Vergleich der Großhandelsindizes der wichtigsten Exportstaaten( Deutschland  : 94) zeigt dies ganz deutlich. Von den außerdeutschen Ländern steht hier die Schweiz   mit einem Index von 91 etwa an erster Stelle. Es folgen die Tschechoslowakei  ( nach der Devalvation der Kc.) mit 81, Frankreich   mit 79, England mit 65, die USA  . mit 64 und Japan   mit 49. Zur Verbilligung seiner Preise hat Deutschland   bisher unter dem Hitlerregime so gut wie nichts getan und aus innenpolitischen Gründen auch nicht tun kön= nen, weil Industrie und Landwirtschaft jeden Versuch einer wirklichen Preissenkung mit einer oppositionellen Haltung beantwortet hätten, der sich die Hitlerregierung nicht aus­sehen konnte. Ebenso wenig hat man sich bisher in Deutsch­ land   dazu entschlossen, den Weg der Devalvationspolitik zu betreten mit dem zuerst England, später die USA  . und schließlich die Tschechoslowakei   eine Besserung ihrer Export­möglichkeiten durchsetzten. Dieser Weg war dem Hitlerregime bisher durch den Widerstand des Mittelstandes auf dessen Gefolgschaft man angewiesen ist und auch durch die immer wiederholten Erklärungen verbaut, daß man den Kurs der Mark unier allen Umständen aufrecht erhalten werde.

Heute ist man auf diesem Gebiete gezwungen, politische Rücksichten preiszugeben. Hente rüstet Deutschland   zu ei­nem neuen gefährlichen Erperiment, das die internationale Besserung der Konjunktur in vielleicht nicht geringem Maße beeinträchtigen dürfte: Hitlerdeutschland bereitet eine Bin nenwährung vor.

Der Export von Reichsbanknoten ist seit einiger Zeit auf ein Minimum reduziert worden, da der im Auslande notierte Kurs der sogenannten freien Reichsmark" seit Monaten nur noch dadurch auf seiner Parität gehalten werden kann, daß Die Reichsbank die angebotenen Beträge durch Hergabe von Devisen übernimmt. Angesichts der Kapitalflucht, die sich heute infolge des engmaschigen Kontrollnetes der deut­schen Devisengejeze ganz vorwiegend auf dem Wege über den Schmuggel von Marknoten abspielt, ist die Erfül­lung dieser Aufgabe für die Reichsbank immer schwieriger und kostspieliger geworden. Jetzt ist man bereit, das hon früher von Professor Wagemann empfohlene Rezept durchzuführen

und die mit Gold gedeckten Reichsbanknoten lediglich für den Wirtschaftsverkehr mit dem Auslande zu reservieren, während der Zahlungsmittelbedarf des Inlandes durch ein Binnengeld gedeckt wird das über keine Golddeckung ver­fügt.

Nach den von Schacht jetzt aufgenommenen Plänen Wage­manns will man den Wert dieser neuen deutschen Binnen­mark dadurch aufrecht erhalten, daß man nur eine bestimmte Menge diefer Noten in Umlauf setzt, und von i en nicht mehr druckt, als es in dem Inlande umgesetzten Warenmen­gen entspricht. Selbstverständlich ist es ganz unmöglich, die richtige Höhe dieses Notenumlaufes zu errechnen und den mährungspolitischen Experimenten, vor allem aber die Mög= lichkeit. sich durch Geldschöpfung immer neue Galgenfristen zu erkaufen, ist auf diese Weise freier Lauf gelassen.

Unter diesen Verhältnissen dürften sich die neuen Geseze, die alle Preiserhöhungen, mit Ausnahme der agrarischen, mit hohen Strafen bedrohen, ebenso als ein Schlaa ins Wasser erweisen wie die ähnlichen Maßnahmen in früheren Inflationsperioden.

Tatsächlich haben sich besonders bei denjenigen Waren, die oorwiegend aus ausländischen Rohstoffen hergestellt werden, auch schon Preiserhöhungen von 10 bis 12 v. H. ergeben. Sie mögen teilweise rein psychologisch durch die Erwägung be­gründet sein, daß die Rohstoffe knapp werden und daß die Industrie, vor allem die Textilfabrikanten ihre Ware be­reits zurückhalten. Angesichts der bevorstehenden währungs­politischen Experimente wird sich aber diese Entwicklung auch durch die schärfsten Strasbestimmungen nicht aufhalten lassen. Angesichts der bevorstehenden würgenden Rohstoffnot und des ohne ausländische Hilfe nicht mehr heilbaren Rohstoffmangels steht Deutschland   am Vorabend einer Periode gefährlicher Währungs- und Wirtschaftsexperimente, die den ökonomischen - und damit schließlich den politischen Zusammenbruch des Hitler- Regimes allenfalls für einige Monate verzögern und verschleiern, aber niemals verhindern werden.

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Der Stabschef der SA., Reichsminister Röhm, hat einen Um mehrwöchigen Strantheitsurlaub angetreten. allen Mißdeutungen, die daran etwa geknüpft werden könn ten, von vornherein vorzubeugen, läßt der Stabschef erklä­ren, daß er nach Wiederherstellung seiner Gesundheit sein Amt in vollem Umfange weiterführen werde.

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Seit einigen Wochen läuft in Berlin   der sogenannte zweite Gereke- Prozeß. Die Zeitungen melden fast nichts davon, und das Publikum ist auch nicht neugierig. Eine wunderbare Teilnahmslosigkeit umschwebt diesen Prozeß, in dem die interessantesten Geheimnisse aus der Vorgeschichte des ,, dritten Reiches" ans Tageslicht kommen könnten.

Gestern aber hat Goebbels   mit einem Mal den eisernen Vorhang aufgezogen. Das amtliche Deutsche   Nachrichtenbüro bringt plötzlich ein Stück aus der Verhandlung, und alle Zeitungen drucken es nach. Warum, wieso?

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von

Der ehemalige Landrat, Reichskommissar und Minister. Dr. Gereke gehörte einmal zu Hindenburgs bevorzugten jungen Männern. Der alte Herr hatte unter den jüngeren Konservativen immer einen besonderen Liebling seinen alten Junkern in Ostpreußen   nicht zu reden. Mal war es der einstige Kapitänleutnant Treviranus, dann der ins Zentrum verirrte Konservative Dr. Brüning zuletzt eben jener Dr. Gereke. Diesem Dr. Gereke hat das ,, dritte Reich" wegen angeblicher Unterschlagungen den Prozeß ge­macht. Er wurde in erster Instanz auch verurteilt, doch stand dies Urteil auf nicht sehr festen Füßen. Jetzt läuft die Be­rufungsverhandlung.

Aber nicht die angeblichen Veruntreuungen des Dr. Gereke sind das Interessante an dem Prozeß. Das sind vielmehr seine Beziehungen zu Hindenburg  , die dort mit breitem Behagen auseinandergelegt werden. Dr. Gereke war der Mann, der im Frühjahr 1932 neben Brüning am stärksten den Wahlkampf für den Reichspräsidenten von Hindenburg   gegen den Reichs­präsidentschaftskandidaten Hitler   führte. Vor allem mobili­sierte er die Geldleute durch einen sogenannten Hindenburg, Ausschuß, der mehrere Millionen für den Wahlkampf zu­sammenbrachte. Einen Teil dieser Mittel dachte er dann später für eine politische Parteigründung unter dem Protek­torat Hindenburgs zu verwenden eine Sache, mit der schwerlich alle Geldgeber und sicherlich die wenigsten Wähler Hindenburgs einverstanden gewesen wären.

Eine saftige politische Schiebung ist da probiert worden. Und was für feine Leute waren alles beteiligt! Nicht nur Herr von Gleichen, der Präsident des Herrenklubs, nicht nur der ewige Finanzier der Reaktion Dr. Regendanz( wo kamen eigentlich Hitlers Kreuger- Millionen her?), sondern auch Hindenburgs Staatssekretär Dr. Meißner und selbstverständ­lich des alten Herrn leiblicher Sohn Oskar von Hindenburg  . Die haben in aller Biederkeit das Scherflein der armen Witwe und auch das Gold des reichen Mannes, die beide nur die Wahl Hindenburgs sichern sollten, dazu benuren wollen, um eine neue Partei und eine neue Zeitung auf die Beine zu bringen. Und was waren die geheimsten Ziele dieser Gruppe? Im vorigen Prozeß hat Herr Treviranus aus­geplaudert, man habe im geheimen vorgehabt, nach einer Anstandsfrist Hitler   doch noch an die Mht zu bringen; Brüning wollte zu diesem Zweck freiwillig zurücktreten. Das war im engeren Kreise schon früher bekannt; nun aber hat ein Zeuge es bestätigt. Möglich, daß diese Plänemacher auch mit diesem Projekt im Grunde nur Hitler hereinlegen wollten aber das, was sich im Schicksalsjahr 1932 deutsche Innenpolitik nannte, erscheint jedenfalls immer mehr als ein einziger Sumpf des Betrugs und der Unaufrichtigkeit.

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An diesem perfiden Spiel waren Hitler  , Göring   und Goebbels   ebenso beteiligt, wie die Männer, die jetzt teils auf der Anklagebank, teils auf der nicht viel besseren Zeugen­bank sigen. Das Nachrichtenbüro aber zieht den Vorhang gerade in dem Augenblick hoch, in dem ein schiefes Licht auf die Zeugenbank fällt. Denn dieser Prozeß erschüttert in erster Linie die Autorität eines Mannes: des alten Reichs­präsidenten von Hindenburg   selbst. Der große alte Mann über uns" so hat Goebbels ihn in seinem soeben ver­öffentlichten Tagebuch noch angehimmelt. Zugleich aber ver­öffentlicht er Prozeßberichte, die den großen alten Mann" als Schutzpatron und Nutnießer der erwähnten Treibereien erscheinen lassen.

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Das ganze heißt deutsche Treue.

Le Figaro  "

Argus.

Paris  , 8. Juni. Die alte Zeitung ,, Le Figaro  " ist mit einer neuen Leitung ausgestattet worden, die sehr bekannte Namen bring. In dem Direktionsausschuß fizt unter andern Graf Wladamir d'Ormesson, dessen neues Buch Was ist ein Franzose?" heute erscheint. Dem Leitungsausschuß gehören ferner an die bekannten Schriftsteller Pierre Brisson  , André Maurois  ( Pseudonym für Herzog), Paul Morand   und ein früherer Chefredakteur des Figaro, Lucien Romier  . Der Bezztgenannte ist auch der eigentliche Direktor des Blattes, eine Stellung, die nach französischem Brauch Verlag und Schriftleitung zusammenschließt. Politischer Haupt­schriftleiter ist René Lara, literarischer Hauptschriftbeiter Pierre Brisson  .