Ein Heldenleben
Dienstag, den 12. Juni 1934
Za Richard Strauß ' 70. Geburtstag( geb. 11. Juni 1864)
Im Verlaufe jener geistigen Selbstentmannungsseuche, die unter dem unschuldigen Namen Gleichschaltung" in die deutsche Geschichtsfälschung eingehen wird, gab es zwei Geschehnisse, die auch den abgebrühtesten Zyniker für Augenblicke aus der Fassung bringen konnte: der Umfall des ,, greisen Dichterfürsten" Gerhart Hauptmann und die Charakterlosigkeit" des„ meist aufgeführten, lebenden deutschen Komponisten" Richard Strauß . So eng schien die persönliche und sachliche Bindung des Weber"-Dichters wenn nicht an das Proletariat, so doch an die republikanischdemokratischen Bürgerschichten Deutschlands , daß die Nibelungentreue des Goethe- Kopfes unfaßbar schien.
55
Aber ein vorsichtiger, mit mussolinischer Rückversicherung angetretener Weg ins ,, dritte Reich" durfte noch einen Heiligenschein beanspruchen im Vergleich zu dem Marathonlauf, den der bajuwarische Weltmann Richard Strauß gleich am ersten Tage des neudeutschen Kulturniedergangs ins Berliner Propagandaministerium unternahm. In jener Stunde, da Goebbels zur höheren Ehre heldischen Deutschtums das Weiterwirken Bruno Walters im dritten Reiche" unter offener Pogrom- Drohung unmöglich machte, bot sich der Komponist des Heldenlebens" als willkommener Er sat" dem Blutsystem der Rassenschnüffelei an. Und als ein Künstler vom Range Toscaninis auf die Ehre verzichtete, den entweihten deutschen Kunstschauplatz wieder zu betreten, da wurde der Garmisch - Partenkirchner Gutsherr, der smarterweise soeben noch gegen klingende Münze in amerikanisch- jüdischen Warenhäusern dirigiert hatte, der Hüter des Bayreuther Gralstempels.
Der Lohn blieb nicht aus: Richard II. , der reinrassige Edelfreund jüdischer Großindustrieller und Bankkapitäne, der bis dato so sehr das liberalistisch- demokratische Ideal vertrat, daß er den rassisch Minderwertigen Enkel, den ihm eine jüdische Schwiegertochter ins Haus brachte, infolge der Millionenmitgift schmunzelnd übersah, wurde Präsident der neugegründeten Reichsmusikkammer. Mit Dekreten, die seinen Namenszug trugen, wurden hunderte deutscher Musiker und Theaterangehörige aus ihren Stellungen vertrieben und brotlos gemacht. Die Lücken, die die Ausschaltung jüdischer und kulturbolschewistischer Komponisten in Opern- und Konzertspielplänen gerissen hatten, füllte kein anderer als Richard Strauß , er blieb, nachdem er den Stiefel der Diktatur ohne Not und als einer der ersten geküẞt hatte, Deutschlands meist aufgeführter, lebender Komponist.
Ist der Umfall" dieses Mannes, der bislang zu Deutsch lands Elite gezählt wurde, der für die ganze Welt, obwohl seine Entwicklung längst abgeschlossen war und andere, jüngere Kräfte ihn als Träger des deutschen musikalischen Schaffens ablösten, auch heute noch als Repräsentant der zeitgenössischen deutschen Musik gilt, nur ein bedauerlicher Fall von persönlicher Charakterlosigkeit, von krankhaftem Geld- und Geltungsbedürfnis, der in dem Gesamtbild dieser Künstlerpersönlichkeit einen peinlichen Riß zurückläßt? Der 1864 in München als Sohn eines Hofmusikus geborene Richard Strauß ist die beherrschendes musikalische Er
scheinung der großen Aufstiegsperiode des deutschen Kapi talismus . Er ist in strengster klassischer Schulung aufgewachsen, er lernt erst spät, unter Alexander Ritters freundschaftlicher Führung die Werke Wagners, Liszts und Berlioz kennen. Das mag wesentlich sein. Entscheidend wird für den erstaunlich schnell über Meinungen, Weimar , München zum Berliner Hofkapellmeister und kgl. Generalmusikdirektor aufsteigenden Dirigenten und Komponisten das Technische. Die Kunst der Orchesterverwertung, die äußerliche Prachtentfaltung eines übersteigerten Instrumentalapparates, die Ausnutzung klanglicher Möglichkeiten nicht im Dienste einer Idee, eines schöpferischen Prinzips, sondern als Selbstzweck, das wird das Charakteristikum der Straußschen Kunst, die 20 Jahre hindurch die bürgerliche Vorkriegs- Musikwelt in Atem hält.
Großmütterlein
Niemand kann in Deutschland mehr ruhig schlafen, ehe er nicht den Nachweis erbracht hat, daß in seiner Familie, bis in Urväters Zeiten hinein, kein jüdisches Blut Einlaẞ gefunden hat. Gelingt diese Beweisführung nicht, ist es aus mit der eingeschlagenen Beamtenlaufbahn, kann dies dem Geschäftsmann die Kundschaft kosten, sind alle gesellschaftlichen Beziehungen zerstört. Darum hat ein wahrer Sturm auf die Pfarrämter eingesetzt, um die so wichtige amtliche Bestätigung seiner Rassenreinheit zu erhalten. Ein in Norddeutschland amtierender Pfarrer hat kürzlich eine Reihe solcher an ihn gerichteter Briefe veröffentlicht, um damit aufzudecken, welche schauderhaften Stilblüten diese Schreie nach der Großmutter enthalten. Wir bringen einige Kostproben davon. Engis
1. Für meinen Stammbaum suche ich einen Grenadier. 2. Zam Zwecke der arischen Abstammung suche ich meine Großmutter, aber nicht die amtlich vorgeschriebene.
55
3. Zwecks allgemeiner Umwälzung" brauche ich den amtlichen Nachweis meiner Geburt.
4. Da ich in Hannover keine Kenntnisse besitze, komme ich mit meiner Geburt zu Ihnen.
5. Heute komme ich zu Ihnen mit einer Angelegenheit, die sie aber gar nichts angeht, ich brauche nämlich meine Großmutter, aber amtlich ist es noch nicht gefordert.
6. Senden Sie mir bitte meine Geburt. Zweck ist die Eheschließung.
7. Ich bin ein Hochzeitskind. Am Hochzeitstage meiner Eltern wurde ich geboren, meine Eltern getraut und ich auch gleich getauft.
8. Nähere Angaben kann ich nicht machen, da meine Mutter schon 1878 starb und mich als einziges Vermächtnis 06 zurückließ.
9. Um meine arische Abstammung nachzuweisen, bitte ich, meine arische Abstammung nachtzuweisen.
-
-
In Wien wird um Mahlers und Schönbergs Werke erbittert gekämpft, die beide die Umwertung aller Werte schon voraussahen; in Paris kommt in der gleichen Stagione des Diaghilef- Balletts Igor Strawinsky , mit seinem noch ungebrochenen Russentum zu Wort. Der Weltkrieg scheint eine Generationen- und Weltanschauungsgrenze aufzurichten. Aber Richard Strauß dankt nicht ab, will nicht als ein Vollendeter, Abgeschlossener gelten. Der 50jährige trägt ja nicht wie etwa noch Wagner eine solche Ueberfülle an bereits konzipierten Ideen mit sich herum, daß er den Lebensabend zu ihrer Ausführung brauchte. Er ist leer, sucht deshalb nach ewig neuen Anlässen, um die Maschine seines Könnens in Bewegung zu setzen. Er dreht sich dabei im Kreise, verwertet immer wieder das Alte, läßt es mit gereiftester Artistik in neuem Glanze erscheinen. Er hat nichts Neues mehr zu sagen. Unschöpferisch, steril im wahrsten Sinne des Wortes, schafft er doch Surrogat auf Surrogat. Das breite Publikum für diese Werke fehlt. Es ist jene berühmte ,, hauchdünne Schicht", die ihm treu bleibt. Jeder, Musikstudent weiß, daß Strauß kein Moderner mehr ist, aber der ehemalige Hofkapellmeister weiß sich auch mit demokratischen Ministern gut zu stellen. Er übt direkt und indirekt eine fast unbeschränkte Tyrannis im deutschen und österreichischen Musik- und Theaterleben der Nachkriegszeit aus. Kein Dirigent wird ohne seine Empfehlung engagiert,
keine Akademieprofessur ohne seine Einwilligung vergeben,
kein Intendant auch des kleinsten Stadttheaters kann ohne
Strauß- Feste, ohne Strauß- Gastspiele seines Amtes sicher sein. Er ist ebenso in Berlin wie in Wien , in Dresden wie in München der eigentliche Drahtzieher, was kleine oder größere Dollar ausflüge nicht zu hindern braucht. Hat man 1917 noch mit Gerhart Hauptmann betreffs einer kaiserlichen Siegeshymne korrespondiert, so kann man die roten Bonzen doch auch auf die pseudorevolutionären Steinklopfer" und den ,, Arbeitsmann ' verweisen.
Die Wiener Sozialdemokraten geben für die Schenkung der Rosenkavalier- Partitur an die Stadtbibliothek und eine Turmmusik anläßlich der Wiener Festwochen mit Freuden Baugrund für ein Wiener Stadtschloß der Familie Strauß. Warum also soll man nicht zu Zeiten Republikaner sein? Und warum schließlich, da die Herren von Börse, Halm und Schlot Herrn Hitler und Konsorten als salonfähige Retter ihres siechen Systems willkommen heißen, sich nicht als braven Faschisten zum Musikdiktator ernennen lassen? Der Verrat an einigen treuen Freunden und großen Künstlern wird zum 70. Geburtstag mit offiziell befohlenen Festwochen an 100 deutschen Theatern bar bezahlt.
カラ
Hier gibt es, wie man sieht. keinen Verrat", hier ist kein Bruch in der Person des Helden zu erkennen, hier bleibt bei näherem Zusehen gar kein ,, schwarzer Punkt". Hier hat ein in der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft verwurzelter und von ihr bewußt emporgetragener Künstler konsequent seinen Weg vollendet.
Die Gipfelpunkte dieses Gesamtwerkes sind und bleiben qualitativ hochwertige Beispiele für eine bestimmte allgemeine und damit auch musikalische Entwicklung. Ob sie darüber hinaus in dem Sinne wie die Werke eines Mozart, Beethoven und auch Wagner in einem sich wandelnden Musikbetrieb und Musikpublikum lebendig bleiben werden, das erscheint schon heute zweifelhaft. Denn ihnen fehlt gerade das, was die Musik jener Meister unsterblich macht: die bauende Idee, das wahrhaft schöpferische Grundprinzip, das künstlerische Ethos, as d
Das fehlte der Zeit Richard Straußens, und da er im Leben
•
Melodie: Deutschland , Deutschland über alles! Deutschland , tief in Schmach und Schande, Ohne Freunde in der Welt; Von der feigen Hitlerbande Vergewaltigt und geprellt! Nie war in den alten Zeiten So entseglich Deine Net. Deutschland , Deine Völker schreiten In die Nacht und in den Tod!
-
Deutschland ! Jene, die Dich lieben, Gehen dunklen Leidensgang: Doch die Hoffnung ist geblieben Wie ein heiliger Gesang. Deutschland ! Werde wach und schlage Die verfluchte Tyrannei! Deutschland , werde rein und klage An die braune Barbarei!
Deutschland , Deine treusten Kinder Rufen Dich, beschwören Dich! Jage die gemeinen Schinder Aus dem Haus! Erkenne Dich! Reiße ab das Truggewebe Einer frechen Lügnerschar! Deutschland , werde wach und lebe Wieder frei, gerecht und wahr!
Horatio.
Zwei Geschichten aus Hitlerien Weg mit dem Monokel
Als letzte Windmühle, gegen die die reformlustigen Don Quichottes des ,, dritten Reiches" nun Sturm laufen, muß das harmlose Monokel herhalten. Die Hitlerjugend hat es auf die süffisanten Allüren der Bonner Studenten und der immer noch zahlreichen Offiziere a. D. oder in spe abgesehen, die sich mit dem Einglaskneifer recht distinguiert vorkommen. Aber die heutige Gleichschaltung duldet keine Superiorität, weder tatsächliche noch scheinbare, drum: ,, Weg mit dem Monokel!" Nach dem neuen SA.- Comment muß der Snob beim Hitlergruß sein vom linken oder rechten Auge so unzertrennliches Einglas fahren lassen. Die Grimasse, die eben auch der geübteste Monokelträger bei Achtungsstellung ganz unwillkürlich schneidet, wird als Arroganz taxiert und fortan nicht mehr geduldet.
,, Das Monokel paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge", erklärte unser Gewährsmann. ,, Wer das nicht einsehen will und beim Gruß sein Glas festkneift, der sei auf der Hut, daß ihm der streitbare Nazi nicht die Faust auf das unbeglaste Auge schlägt.
Eine Wühlmaus
In einem Straßenbahnwagen in der Charlottenburger . Kantstraße. Eine Bürgersfrau sitt da, sie hat einen Schnauzer auf dem Schoß, und weil die Hitze groß ist, nimmt sie dem Tier den Maulkorb ab. Darauf der Schaffner:„ Das verstößt gegen die Vorschrift, meine Gnädige. Tun Sie dem Tier den Korb bitte wieder an!" Die Frau:„ Aber Herr Schaffner, nur einen kleinen Augenblick, Sie sehen doch, wie das Tier leidet!" ,, Tut mir leid, es ist gegen die Vorschrift." Jetzt mischt sich der gemütliche bärtige Fahrgast ein, der neben der Frau sitzt und meint begütigend: Stülpen Sie ihrem Schnauzer den Maulkorb doch wieder über. wir haben ja alle einen an." Auf der nächsten Haltestelle wird die Wühlmaus" der Polizei in Verwahrung gegeben. Basler ,, National- Zeitung"
クラ
und in der Kunst nicht mehr als ein überaus begabtes, aber Die Radieschenfcont
auch, trotz aller anfänglichen Extravaganzen, ein sehr folg sames Kind seiner war und ist, so wird die Nachwelt ebensowenig wie die Mitwelt es in seinem Werke finden können. Paul Walter.
dortigen Sterberegistern mein toter Großvater erscheint. Er starb von 18211850.
11. Meine Großmutter ist auch schon 1860 in der alten Gartenkirche geboren gewesen, weil sie aber nicht mehr existieren soll, frage ich sie nach der Zuständigkeit.
12. Senden Sie mir bitte meine arische Großmutter, sie ist schon 1871 verschieden.
13. Da ich arabischer Abstammung bin, wollen Sie mir solches bescheinigen.
14. Ich bin agrarischer Herkunft, was ich zu beglaubigen
bitte.
15. Mein Schwiegervater gibt an, arisch zu sein, mündlich will man das nicht wissen, aber schwarz auf weiß kann man daran nicht zweifeln.
16. Helfen Sie mir bitte zu meiner arischen Großmutter, sie muß sich im dortigen Kirchenbuch befinden.
Der diesen Stilübungen innewohnende unfreiwillige Humor verdeckt nur dürftig die beklemmende Angst, die den Briefschreibern die Feder in die Hand gedrückt hat. In eine solche Geistesverfassung wird ein Volk hineingetrieben, das alle Verrücktheiten einer Abenteurer- Diktatur auszukosten hat.
Es ist nicht etwa ein Wit, wenn wir hinzufügen, daß es, um das Maß der Verrücktheiten voll zu machen, auch eine Volksschicht in Deutschland gibt, die aus Angst vor der Feststellung ihrer Rassereinheit krampfhaft nach einer jüdischen Großmutter sucht. Das sind die Bauern, die sich vor den drückenden Fesseln des ihnen als Belohnung zugedachten Erbhofgesetzes befreien wollen. Weil sie durch dieses Gesets, das von ahnungslosen Dilettanten geschaffen wurde, als Erbhofbauern unpfändbar sind, erhalten sie auch keine Kredite, ganz abgesehen von den anderen Bedrückungen, die dieses Gesetz schafft. Also suchen jetzt die Schlauberger unter ihnen eifrig nach einer jüdischen Großmutter, weil die mit einem solchen Makel behafteten Familien nicht Freidenkerzeiturg.
10. Sodann bitte ich Sie um gefällige Auskunft, ob in den als Erblobauern gotten können.
Uns liegt folgender Aufruf aus Sachsen vor:
An alle Gartenfreunde des Vereins!
Es geht Ihnen heute die Teilnehmerkarte zur Kundgebung am 4. 3. 34 zu. Es ist Pflicht eines jeden Gartenfreundes, an der Kundgebung teilzunehmen und es wird schärfste Kontrolle geführt. Der Kontrollstreifen ist ausgefüllt am Sammelplatz Maurienstr. mittags 12 Uhr 30 Min, an die dazu bestimmten Vereinsfunktionäre abzuliefern.
Wer nicht erscheint, stellt sich gegen die heutige Regierung und hat die Folgen zu tragen. Mit deutschem Schrebergartengruß!
Zeit- Notizen
Das Fest von Salzburg
Heil Hitler! gez.: K. Schreiber Vereinsführer.
Das endgültige Programm der Salzburger Fest spiele , die vom 28. Juli bis 2. September dauern werden, ist jetzt veröffentlicht worden. Im Rahmen der Festspiele wird wieder ,, Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal in der Inszenierung Max Reinhardts gespielt werden, ferner der erste Goethes Faust ", den gleichfalls Reinhardt inszenieren wird und für den in dekorativer Hinsicht besonders großartige Vorbereitungen getroffen werden. Die Opernaufführungen werden von Richard Strauß , Bruno Walter und Clemens Krauẞ dirigiert werden, für die Leitung der Kon zerte wurden Toscanini, der Holländer Mengelberg und Furtwängler gewonnen.
Musik in Neuyork
Die kommende Saison des Neuyorker Philharmonischen Orchesters, von Oktober 1934 bis April 1935, wird von den berühmtesten Dirigenten geleitet werden. Es sind bereits Toscanini, Bruno Walter , Otto Klemperer verpflichtet wor den. Die Konzerte der ersten vier Wochen wird Klemperer leiten, dann werden abwechselnd Toscanini und Bruno Walter das klassische Reportorie dirigieren. Walter vor allem Wagner. Die amerikanischen Musikwerke werden von Werner Janssen dirigiert. einem amerikanischen Komponisten von erst vierunddreißig Jahren, der in letter Zeit als Dirigent auch in Europa großen Erfolg hatte.