Hoge

Freiheit

Nr. 133 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 13. Juni 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Jst Röhm besiegt?

Man spricht vom Krieg

Abwertung der Mack

Seite 2

Seite 2

um 40 vom Hundeet

Hitler arbeitet für Stalin

Seite 4

Seite 7

Kirchlicher Steuerstreik Gestern und fieute

Der zerrüttete Protestantismus

Berlin  , 12. Juni. Vor zwei Monaten hat die deutsche Presse den Befehl erhalten, über die Kämpfe in der Evangelischen Kirche nichts mehr zu veröffentlichen. Folgsam hat sie sich dem Propagandaministerium gefügt. Aber es zeigt sich, daß die Entscheidungen des Gewissens durch Drohung und Zensur nicht verheimlicht werden können. Trotz aller Verbote wird durch mündlichen Austausch und durch von Hand zu Hand gehende Flugblätter immer wieder bekannt, in welchem Umfange der Auflösungsprozeß der kirchlichen Organisationen schreitet. Der deutsche Protestantismus bietet das Bild tiefer innerer Unruhe, und der Beauftragte des Haken­kreuzes, der längst jeder Autorität bare Reichsbischof Müller, bringt ohne Aufhören die Evangelische Kirche in die Nähe des Schismas. Sie schwankt ungesichert zwischen Opportunismus und neuer kämpferischer Belebung der Gläubigen, die die evangelische Freiheit gegen die hitler­offiziellen Kirchenbeamten behaupten wollen.

Wir lassen heute eine Reihe von Tatsachen sprechen: Westfälische Kirchen rebellieren

fort

Die westfälische Befenntnissynode, der sich zweihundert

Gemeinden einer einzigen Provinz angeschloffen haben, hat

ihre Anhänger zur

Verweigerung der

Kirchensteuer aufgefordert. Sie sollen die Steuer

gelder fünftig an Präses Koch, den Vorsitzenden der Bekenntnissynode, abführen. Wird dieses Beispiel in andern Provinzen nachgeahmt, so muß das zu einer vollkommenen Aushungerung der Berliner   Kirchenregierung führen. Die gleiche Bekenntnissynode hat an sämtliche durch Zwangs­persetzung bestrafte Pfarrer die Aufforderung gerichtet, die Maßreglung unbeachtet zu lassen, da sie rechtswidrig sei.

Diese Rebellion hat den reichskirchentreuen Bischof Adler in Münster   auf den Plan gerufen. Wer die Steuern an den

Superintendenten Koch abführe, mache sich strafbar. Die jenigen Kirchenmeister und Rendanten, die Kochs Aufforde­rung nachfämen, werden gleichzeitig mit Disziplinarstrafen bedroht. In diesem Falle würde auch Koch, so erklärt Bischof Adler, wegen Aufforderung zur Begehung strafbarer Hand­Iungen mitangeflagt werden müssen.

Ueberall

Eine ähnliche Zuspizung wird aus anderen Landesteilen berichtet. Seit Monaten wird in Württemberg   der Kampf um den Landesbischof Wurm geführt. Hinter ihm steht, im Gegensatz zum Reichsbischof Müller, die Mehrheit im Landeskirchentag. Eine eilige Reise Müllers nach Stutt­ gart   führte dazu, daß sich die Mitglieder des Sydonalrates erneut hinter Wurm stellten, der ein scharfer Gegner der ,, deutschen Christen  " ist. Der Kirchenverfassung zuwider ver­fügte darauf Müller, daß die Einberufung des Landeskirchen­tags seiner Genehmigung bedürfe. Der Wahrheit zuwider mußte das Deutsche   Nachrichtenbüro berichten, daß die Stutt­ garter  

Berhandlungen mit einem Siege des Reichsbischofs

geendigt hätten.

In der Landeskirche von Oldenburg   macht sich ein ähnlicher, von großen Teilen der Geistlichkeit gestützter Widerstand gegen die Unterstellung unter die Berliner  Reichskirche bemerkbar. In einer Entschließung bezeichnete die Mehrheit der Oldenburger   Pfarrer die Gleichschaltung als unannehmbar". In Schleswig- Holstein   sind die Bemühungen, eine Einigung zwischen den deutschen Christen  " und den Anhängern des Pfarrer- Notbundes herbeizuführen, gescheitert. Der Pfarrer- Notbund bezeichnet den Reichsbischof Müller als Störer des kirchlichen Friedens und verweigert die Zusammenarbeit mit den deutschen Christen  " mit der Begründung, daß sie die Führung des Landesbischofs durchkreuzten.

Widerstand aus evangelischem Geiste

Kurz, die Auflehnung wächst, und sie erhält Nahrung durch geistig führende Kreise des Protestantismus  . Weitere dreißig Professoren der protestantischen Theologie haben sich einer Erklärung von Karl Barth  angeschlossen, in der gegen den Versuch protestiert wird, der evangelischen Kirche die Staatsauffassung des National sozialismus aufzuzwingen. Es gebe feine fonfessionelle Frei­heit mehr, wenn die Kirche einer nichtgeistlichen weltlichen Hierarchie unterworfen würde und Proteste gegen diese Will­für als Aufflehrung gegen die äußere, Ordnung der Kirche bestraft würden.

Sturmlauf gegen den Katholizismus den Katholizismus

Einen sehr starken Eindruck hat in Berlin   eine Ent­schließung gemacht, die soeben das Oberhaus der Kirchen= versammlung von Canterburyzur Lage der Kirche in Deutschland   gefaßt hat. Einstimmig stellten sich die hervor­ragendsten firchlichen Autoritäten Englands auf den Stand­punkt, daß es in Deutschland   nicht um organisatorische Fragen, sondern um das Wesen des kirchlichen Glaubens überhaupt gehe, wovon alle Christen be­rührt seien. Einhellig billigte das Oberhaus die Haltung der oppositionellen Pfarrer und drückte seine tiefe Besorgnis über die damit verbundene Entfremdung der wahrhaft Gläubigen von der Kirche aus.

Wie berechtigt diese Besorgnis ist, zeigt ein Protokoll von Berliner   Theologiestudenten, das den Probst Eckert, eines der Mitglieder der Berliner   Kirchenregierung, betrifft. Es heißt darin, sie hätten aus Eckerts eigenem Munde gehört, Theologiestudenten, die beteten, seien in seinen Augen nicht ganz normal". Niemand kann sich über solche Bemerkungen

wundern, seitdem die deutschen Christen" die Parole aus­gaben: Die deutschen Christen sind die SA. des lieben Gottes".

Goebbels  '

fromme Gottesmänner"

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Throne barsten, Reiche splitterten, Nord und West und Süd erzitterten aber Ullstein blieb Ullstein. Ja, er wurde sozusagen durch all dies Weltuntergehen nur noch mehr Ull­stein. Die granitene Säule in der allgemeinen Auflösung. Das Unzerstörbare in der Zerstörung, das Ewige vor dem Chaos, die Erkenntnis vor dem Nichts, das letzte Telefonat unseres

Korrespondenten vom Weltuntergang.

Hitlers   Revolution scheint noch mehr als ein Weltunter­gang gewesen zu sein. Hitler   hat sogar Ullstein bezwungen. Der babylonische Turm ist erstiegen. Das gabs noch nicht. Wilhelm II.   verging, Friedrich Ebert   starb, Stresemann   wurde fünf Jahre lang zum Halbgott gemacht und in einem halben Jahr vergessen, Brüning mühte sich, Schleicher intrigierte, Papen kam aus dem Dunkel und Hindenburg   entwickelte sich zum Rätsel die Herren Ullstein standen auf ihres Daches Zinnen und hörten vergnügt zu, wie unten die summenden Rotationsmaschinen aus all der Weltgeschichte immer höhere Stöße Zeitungspapier machten. Nicht zu vergessen die Mo­denschnitte, Kriminalromane und Kochbücher, die auch außerhalb der Weltgeschichte ein gutes Geschäft waren.

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Die Familie Ullstein war noch auf sehr viel politische Kämpfe mit geistigen Waffen, auf allerlei sozialen Fort­schritt, Ausbau der Republik   zum wahren Volksstaat und zuletzt sogar auf eine kraftvolle Neuordnung unseres Staats­wesens vorbereitet. Daß sie auch entbehrlich sei, war nicht

vorgesehen.

Nun ist sie es doch. Soeben sind die letzten Mitglieder der Familie aus dem Riesenbetrieb ausgeschieden, der ihren Namen trägt. Schon seit Herbst gehörte ihr nur noch die Minderheit der Anteile. Jetzt hat sie auch diese abgegeben. Eine Industriellengruppe, die bereits die Mehrheit besaß, wird nunmehr Alleinbesigerin. Ein Nationalsozialist ist schon kürzlich an die Spitze des Aufsichtsrats getreten: der Mün­ chener   Professor, Geopolitiker und General a. D. Karl Haus­ hofer  . Zwar gerade kein Nationalsozialist der ersten Stunde, aber doch eine jener Gestalten vom Rande der ganz ernsten Wissenschaft, mit denen Hitler   immer gern Freund war, wie Wirth, Günther, Spann. Franz Ullstein, jahrelang der Füh­rer des Unternehmens, verläßt als letztes der Familienmit. glieder das Haus. Man kann wohl prophezeien, daß er dem Kapitän gleicht, der ein sinkendes Schiff verläßt.

Der deutsche Ratholizismus kämpft in einer erheblich besseren Position. Die evangelische Kirche ist durch diese Auseinandersetzungen im Herzen getroffen, mährend die katholische Kirche   den Standort einer Welt­während die katholische Kirche   den Standort einer Welt­macht besitzt und bei allen Verfolgungen im Widerstande erstarkt. Jeder Angriff gegen sie und ihre Autoritäten gibt ihr den Nimbus, als sei sie der Sammelpunkt der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Kräfte und verschafft den opponierenden Kirchenfürsten eine feit schriften des Hauses ständig zurück, wenn auch die Ber­Jahrzehnten nicht mehr erlebte Popularität.

Signale

Die Rede des Reichspropagandaministers Goebbels  , im katholischen Gleiwiß in Oberschlesien   gegen die Miesmacher gerichtet, hat gewaltiges Aufsehen erregt. Höhnend sprach Goebbels   von den frommen Gottesmännern", die sich in die Politik einmischten. Vom Zentrum sagte er, daß ihm troz seiner guten Beziehungen zum lieben Gott" der Himmel das Glück versagt habe. Kein Wunder, daß die Gefolgschaft der prominenten Führer darin die Aufforderung sieht, ihren Terror zu verschärfen. Dabei hat die Hitler­ jugend   die Initiative übernommen. Wir verzeichnen eine Reihe von neuen oder erst jetzt bekannt gewordenen Tat­sachen, die für sich selbst sprechen mögen.

Mit Pfeifen und Trommeln

In eine firchliche Versammlung in Limburg  , in der der

Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß die Nationalsozialisten mit Ullstein ohne Ullstein viel Glück haben werden. Seit dem Anbruch des ,, dritten Reichs" gingen alle Zeitungen und Zeit­

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liner Morgenpost" immer noch die höchste Auflage aller deutschen Blätter hat. Die ,, Vossische Zeitung", das edelste Erzeugnis des geschäftigen Hauses, die stets nur Geld ge­kostet hatte, wurde ganz eingestellt. Die Flucht des deut­schen Lesers aus der gleichgeschalteten deutschen Presse ist bekannt, doch ebenso bekannt ist der Rückgang der national­sozialistischen Blätter, sofern sie nicht, wie der Völkische Beobachter", Zwangsabonnenten hatten, oder besondere gün­stige örtliche Verhältnisse vorlagen, wie beim ,, Westdeutschen Beobachter". Im allgemeinen kann man ein Gesetz aufstellen, daß eine deutsche Zeitung beim Publikum um so beliebter ist je weniger sie gleichgeschaltet ist. Es war vermutlich kein glücklicher Griff, als der Nationalsozialismus   den Verlag Ullstein ganz in die Hand nahm.

Die Familie Ullstein, in deren Genealogie sich übrigens kein Außenstehender je ganz zurechtfand, hat sich beim Schlußkampf mit dem dritten Reich" gewiß nicht wie ein Stamm von Helden benommen. Man muß auch zugeben, daß das bei einem derartigen Fabrikbetrieb für öffentliche Mei­

Bischof von Limburg   sprach, brangen SA. und Polizei. nung schwerer war, als etwa bei einem Gesinnungsblatt wie

Man unterbrach den Bischof unter stürmischen Kundgebungen mit der Behauptung, daß er statt einer religiösen eine poli= tische Rede halte. Der Bischof rief daraufhin die Versamm­lung zum Zeugen an, daß er das religiöse Gebiet in feinem Punkte verlassen habe. Schließlich verließ der Bischof die Versammlung, begleitet von Pfui- Rufen und demonstrativem Beifall.

In Köln   wurde am Vorabend des Fronleichnamsfestes in Anwesenheit einer gewaltigen Versammlung von Gläubi­gen auf dem Domplatz die Lautsprecheranlage ausprobiert, wobei Choral- und Orgelspiel aus dem Dom übertragen wurde. Demonstrativ zog ein Trupp von Hitlerjugend   vor­bei, deren Trommel- und Pfeifenspiel einen ohren­betäubenden Lärm verübte. Das Orgelspiel im Dom wurde abgebrochen und erst wieder aufgenommen, als sich die Hitlerjugend endlich vom Plaze entfernt hatte. Die Empörung der Versammelten war grenzenlos. Ihre Disziplin verhinderte jedoch einen Angriff auf die acht bis vierzehn­jährigen Bürschchen.

Pfaffen heraus"!

In Karlsruhe   zogen geschlossene Trupps der Hitler­jugend durch die Stadt. Mit Trommeln und Trompeten signalen machten sie vor den Pfarrhäusern halt. Sprechchöre ertönten: Pfaffen heraus!" Nieder mit den Pfaffen!" Schwarzbudel" war noch das gelindeste

"

der ,, Frankfurter Zeitung  ". Immerhin haben Ullsteins sich mit dem Nationalsozialismus würdiger auseinandergesetzt als zum Beispiel die Konkurrenz bei Mosse  . Und soweit man einen Ueberblick hat, muß auch gesagt werden, daß ihr Verhalten gegen die ausscheidenden Mitarbeiter nobler war.

Der neue Generaldirektor des ullsteinfreien Ullstein ist ein Mann namens Wiesner, bisher Verlagsleiter des ,, Ham­burger Fremdenblattes". Dieser Wiesner war einmal Redak­teur der Frankfurter Zeitung  " und strebte danach, der Lei. ter ihrer Berliner   Redaktion, also ihr geistiger Kopf zu wer den. Das war in der allerdemokratischsten Periode des Blattes, nämlich 1919/20. Jetzt nimmt er Dienst auf dem wichtigsten Posten, den Goebbels zu beseten hat. Wiesner, Kircher, Sieburg, Paul Scheffer  , Lemmer, Brammer ―0 Demokratie, wie hast du dir verändert! Argus.

der Schimpfworte, die sich die zehn bis zwölfjährigen Jungen erlaubten. So ging es von Pfarrhaus zu Pfarr­ haus  ; unterwegs wurde auch wiederholt vor Häusern demonstriert, in denen Juden wohnten. In der Stadt herrschte die größte Empörung. Der Prälat Stumpf wollte sich beim Reichsstatthalter beschweren, wurde aber nicht vor­gelaffen. Allgemein herrscht die Auffassung, daß es sich um eine Gegenaktion gegen die Fronleichnamsprozession han­delte, in der die fathnliche unend in Bundestracht mit marschiert war. Der Gebietsjührer der Hitlerjugend  , Friedos