Freihei

Nr. 134 2. Jahrgang

126

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, den 14. Juni 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Die Konzentrationslager

Komna und Börgermoor

Originalberichte eines

Gefangenen an

die Deutsche Freiheit"

Seite 3

Deutsche Unruhe Gestern und fieute

,, Der Feind steht rechts!"

..Schlagt die Reaktion, wo ihr sie trefft"

Köln , den 13. Juni 1984.

Die seit einigen Wochen zu beobachtende zweifelnde Un­ruhe in der Bevölkerung ist noch immer im Anwachsen und äußert sich insbesondere in Sorgen um die Zukunft der deutschen Währung und in Angstfäufen von Waren, für die Rohstoffe aus dem Auslande notwendig sind. Es ist eigenartig, wie diese Erscheinungen verhältnismäßig rasch aufgetreten sind, denn noch vor ein bis zwei Monaten war von Zweifeln dieser Art in der Bevölkerung wenig zu spüren. Auch jetzt sind die Kreise rechts und links, die poli= tische Folgerungen ziehen oder gar aktivistisch sich betätigen, anscheinend zahlenmäßig nur gering, aber es äußert sich doch in vielen Gesprächen politisch wenig interessierter Menschen die Meinung,

daß irgend etwas in der Luft liegt" und man rechnet mit einem baldigen Umschwung, weil es so nicht weiter geht". Diese Menschen in meist kleinbürgerlicher, heutzutage schwer bedrückter Lebenslage haben jedoch über ihre bittere Ent­täuschung hinaus feine flare Vorstellungen, welche inner­politische Aenderung notwendig ist. Fester, gegen das System gerichteter Wille ist nur rechts bei den Konservativen aller Schattierungen und bei den sozialdemokratischen und kom­munistischen Revolutionären ganz links zu spüren. Daß die Sozialdemokraten und die Kommunisten viel rühriger und aggressiver sind als in der Betäubung des ersten Jahres der Hitlerdiktatur wird allmählich auch in weiten nichtsoziali stischen Kreisen erkannt.

Gegenüber der Miesmacherfchlacht verharrt die Bevölke: rung, und zwar auch der noch nationalsozialistische Teil, in Gleichgültigkeit, ja sogar in Ablehnung.

Es gelingt der herrschenden Partei anscheinend nicht, er­wachsene Menschen in Massen für diesen Feldzug zu mobili­fieren, und man treibt daher die Hitlerjugend zusammen. Auf der großen Neumarktversammlung hier sah man fast nur Hitlerjungen und Hitlerifen, die meist aus kleinbürger­lichen Familien kommen und übrigens dem zappelnden Jugend- Gebietsführer Sta ebe, der jetzt überall im Reiche radikale Reden hält, nicht sehr ernst zu nehmen schienen. Er gab die Parole aus Der Feind steht rechts". ein Wort, das von dem schwarzen Marristen Josef Wirth stammt, der es am Tage der Ermordung Rathenaus im Reichstage den Deutschnationalen entgegenschleuderte, aber Staebe proflamierte auch Schlagt die Reaktion, wo Ihr sie trefft!" und das ist eine Variation, die sich an ein Wort des Kommunisten Torgler anlehnt Schlagt die Faschisten, wo Ihr sie trefft". Die Nationalsozialisten haben stets behauptet, dieses Wort sei von den Kommunisten in gewalttätigem Sinne gemeint. Und wie meinen es nun die Nationalsozialisten? Der frühere Chef der Ge­heimen Staatspolizei, jeßiger Regierungspräsident Diels , befand sich unter den Zuhörern Staebes.

Satte schon Gebietsführer Staebe zur Vernichtung" aller Feinde des nationalsozialistischen Staates aufgefordert, so donnerte der rheinische Gebietsführer Wallwey:

Die Revolution ist nicht vorbereitet und durchgeführt worden, damit einige Großkapitalisten ihren Geldbeutel in Sicherheit bringen könnten. Dafür, so rief Wallwey mit erhobener Stimme aus, seien unsere jungen Kameraden nicht gestorben.

Das sind auch sonst bemerkbare Versuche, die wankende Maffenbasis durch eine massive Demagogie an die Adresse

der Sozialdemokraten und Kommunisten zu stüßen, aber hier werden die Nazis keinerlei Erfolge erzielen, denn die marxistischen Arbeiter fragen sich, warum die Nazis das lächerliche Getue einer Miesmachers chlacht" machen, wenn sie wirklich einen Stoß gegen den Kapitalis­mus führen wollen.

Tatsache ist, daß die Nationalsozialisten eine große Furcht vor den Deutschnationalen und dem Stahlhelm" haben... Es sind zahlreiche Deutschnationale, die erst nach dem März 1933 der NSDAP . beigetreten find, iezt ausgeschlossen worden. Dem Stahlhelm" wurde auch in den Reden auf der Neumarktfundgebung der vollständige Untergang angekündigt, da er sich der ritterlichen Uebergangslösung nicht würdig gezeigt habe. Dabei wurde von den jungen Rednern wiederholt hämisch von der Kampfunfähigkeit" des Stahlhelms gesprochen. Man stellt überhaupt den Stahlhelm mit seinen Frontsoldaten wie einen Klub alter Invaliden hin.

Die Erbitterung gegen den Reichsminister Seldte ist sowohl bei seinen Stahlhelm"-Kameraden wie bei den Nationalsozialisten sehr groß.

Es ist erwiesen, daß Seldte neulich in Magdeburg in einer Stahlhelm" versammlung niedergeschrien worden ist. An­dererseits ist verbürgt, daß Reichsminister Seldte fürzlich, als er im Auto durch Schönebeck bei Magdeburg fuhr, von einem Trupp Hitlerjugend nicht nur wüst beschimpft, sondern auch beschossen worden ist. Die Hitlerjungen rühmen sich der Angriffe auf die Stahlhelmgreise" ohne Scheu, und sie wissen ganz genau, daß zur Zeit in Deutschland nichts so gepäppelt und geschont wird wie die Hitlerjugend.

Daß es fich bei dem bekannten Röhmschen Erlaß an die SA. nur um einen harmlosen Sommerurlaub handelt, glaubt niemand, denn man kennt die große Unzufrieden: heit in der SA . Schon seit Monaten ist ein Streifendienst der Obersten SA. - Führung gegen die SA. - Leute einge: richtet. Dieser Dienst soll einschreiten bei Trunkenheit, Lärmen und staatsfeindlichen Aeußerungen".

Das SA.- Feldjägerforps bezeichnet man allgemein als ,, weiße SA." und manche SA. - Leute verbinden damit die Vorstellung von weißen Truppen" gegen die nationalsozialistischen Revolutionäre, für die sie sich selber halten. Daß Göring , der vor einigen Tagen in der Aleranderfaserne zu Berlin eine Ansprache an seine weiße SA." gehalten hat, sich für diese Truppe besonders interessiert, erhöht das Mißtrauen, denn Göring gilt als der tapitalistische Exponent in der NSDAP . Aeltere National­sozialisten erinnern sich auch daran, daß Wilhelm II. in einer seiner scharfmacherischen Ansprachen gegen die Arbeiter gerade die Alexander- Grenadiere als seine Schußtruppe gegen das Volf aufgerufen habe. Jezt, so sagt man, habe dort Göring seine Grenadiere.

Die illegale marristische Arbeiterschaft sieht ohne jede Illusion vertrauensvoll und mit festen sozialistischen Zielen in die Zukunft. Wenn zur Zeit infolge des Kampfes gegen rechts und des Werbens um uns eine gewisse Lockerung des Druckes auf uns zu spüren ist, so lassen wir uns dadurch nicht täuschen. Eine Versöhnung zwischen den Marxisten und den verlogenen Phrasensozialisten mit ihren Laufejungen methoden gibt es für uns nicht. Wir sind überzeugt, daß die Entwicklung in Deutschland in absehbarer Zeit stürmisch werden wird und richten uns darauf ein.

Wie entscheidet Schacht?

Marksturz oder schleichende Inflation

Die Reichsmart hat sich wieder nach abwärts bewegt. In Saarbrücken wird sie mit 5,72 französischen Franken bewertet, in Paris fogar nur mit 5,55 bei einer Parität von 6,08 französischen Franken. Es wird von schweren Gegensäßen zwischen Schacht und Hitler gesprochen, da Schacht sich gegen die uferlosen Arbeits: beschaffungspläne des Reichsfanzlers wehre. Auf der

Für Donnerstag ist der Zentralausschuß der Reichsbank einberufen, um eine Erklärung Dr. Schachts zur Transferfrage entgegenzunehmen. Man rechnet mit der Erklärung eines Generalmorato: riums für alle Auslandszahlungen, also auch für die politischen Anleihen. Zumal in Paris wird diese Ent­widlung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Eingeweihte berichten aus Berlin , daß Hitler sich keine großen Sorgen mache. Klagen über die Wirtschaft berührten ihn kaum. Er gebe zu, daß er nicht viel davon verstehe. Er wolle es auch gar nicht, die Wirtschaft interessiere ihn nicht. Das einzige, was ihn interessiere, sei die Jugend.

Der Führer vergißt die Bedrängnisse der Gegenwart über den geträumten Erfüllungen der Zukunft.

Man weiß, daß Hitler nicht gern mit dem Alltag rechnet. Daß er überhaupt nicht gern rechnet. Sein berühmter Primat der Politik über die Wirtschaft kommt aus der Ueberzeu­gung, daß man die Natur zwingen könne. Vor allem die menschliche Natur. Die Aehren auf dem Felde lassen sich nicht durch Kommando verdoppeln, aber die Magenriemen lassen sich enger schnallen. Der Mensch ist ein sehr geduldi­ges Tier; und der Hitler glaubt wohl, daß sich zumal der deutschen Abart dieses Tieres immer noch eine Menge auf­laden lasse. Mehr ist die heutige Generation nach seiner Meinung doch nicht wert.

Es spricht einiges dafür, daß Hitler schon in bezug auf diese heutige Generation irrt. Hat er aber in dem recht, was er von der Jugend erhofft?

Diese Jugend ist ja zweifellos in den Mittelpunkt des Staatslebens gerückt. Sie führt die großen weltanschaulichen Kämpfe. Der heilige Vater in Rom hat sich in Deutschland mit einem Jüngling namens Baldur von Schirach auseinander­zusetzen. Die SA. geht in Urlaub, die Hitler- Jugend geht in Front. Soeben hat ihr der Reichsunterrichtsminister ein Ge­schenk gemacht, dessen Kostbarkeit jeder noch in Erinne­rung an seine eigene Schulzeit zu würdigen weiß: den schul­freien Samstag.

Die Hitler- Jugend tut künftig am Samstag Dienst; sie wird marschieren, im Gelände üben, Zelte bauen. Am Sonntag hat sie Ruhe. Die Jüngeren bleiben da der Mutter, die Aelteren ihren Mädchen überlassen. Wer diese Vergünstigung genießen will, muß der Hitler- Jugend angehören die Folgen für die noch bestehenden anderen Jugendverbände kann sich jeder ausmalen.

Für die SA. gibt es eine derartige Neuregelung nicht. Man kann die Arbeitgeber nicht zwingen, ihren SA. - Leuten am Samstag freizugeben. Im Gegenteil, Deutschlands größter Ar­beitgeber hat soeben umgekehrt die SA. gezwungen, auf sein Personal zu verzichten. Es ist die Reichsbahn. Die Angestell­ten der Reichsbahn sind künftig vom SA. - Dienst befreit. Die anderen SA. - Männer gehen zunächst in Urlaub. Von einem freien Samstag, der die Truppe aus dem Zustand fortgesetter Uebermüdung herausnehmen und sie wieder zu einem bil­ligen Instrument machen würde, ist keine Rede.

Man soll es nicht leugnen: der freie Jugendsamstag ist etwas sehr Vernünftiges. Vorausgesetzt, daß nicht die Lehrer an fünf Tagen das Pensum von sechs bewältigen wollen. Zum politischer Tag ist. Es ist der Tag, an dem die Jungens zu Wesen dieses Jugendsamstags gehört es freilich, daß er ein SA.- Leuten und die Mädels zu künftigen Mitgliedern der NS. - Frauenschaft geschliffen werden.

Wird Hitler es schaffen? Werden diese Kinder einmal nichts anderes mehr kennen als nationalsozialistischen Le­bensinhalt?

Viele glauben es. Sie glauben, daß diese Jugend sich ein nichtnationalsozialistisches Dasein überhaupt nicht mehr werde vorstellen können. Wahrscheinlich wird dieser Punkt viel zu sehr überschätzt, von Hitler und den andern. Denn es kommt ja nicht nur auf die Vorstellungswelt dieser Jugend an, sondern auch auf das ewige menschliche Begehren, das den Vorstellungen zugrundeliegt und das mit Geldern nicht zu sättigen ist. Die Jugend ist die Zeit der Hoffnungen, aber das Schwabenalter verlangt Erfüllungen.

Es mag verhältnismäßig leicht sein, der Jugend Ideale zu geben, die den Idealen entspricht. geben. Die schwerste Aufgabe bleibt es, ihr eine Welt zu Argus.

deutschen Währung durch die Aufrüstungs- und Arbeits­beschaffungspolitif der Hitler- Regierung, durch die enorme Steigerung der Rohstoff- Einfuhr und den damit verbunde= nen Verlust fast des gesamten Devisenbestandes völlig aus­gehöhlt worden ist. Es ist hierbei an und für sich gleich­gültig, ob die Golddeckung" 2 Prozent oder 5 Prozent be­trägt. Trotzdem wäre es abwegig, wenn man als unmittel­bare Folge der in Deutschland seit Anfang 1938 betriebenen Wirtschaftspolitik nun mit einem schnellen und voll= ständigen Zusammenbruch der internationalen Marf­Notiz rechnen würde. Man hört im Publikum oft die Frage, ob jetzt nicht mit einer Inflation nach dem Muster der Jahre 1920 bis 1923 und also mit einer schnellen 3ertrümmerung des offiziellen Markfurses zu rechnen sei. Diese Frage kann schon deswegen nicht mit einem Ja oder einem Nein beant­wortet werden, weil sie falsch gestellt ist.

Tagung des Verwaltungsrates der Internatio: Wir geben nachstehend unserem finanzpolitischen Mit Finanzpolitit erwartet werden, weil diese Inflation in

nalen Bank in Basel soll Schacht erflört haben, er nehme zum legten Mal an der Versammlung der Noten: bantpräsidenten teil.

arbeiter Jan Severin zu einer Untersuchung über die deutsche Währungslage das Wort:

Es ist ein offenes Geheimnis, daß der innere Wert der

Die deutsche Inflation darf nämlich nicht für die nächste Zeit als Folge der bisherigen falschen Wirtschafts- und Wirklichkeit längst im Gange ift. Man fann eine Baluta, die mit 2 oder 3 Prozent in Gold gedect" ist, und deren Wechsel- Deckung nicht aus gesunden Atzepten, sonvern viels