Freihei

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands  

Aus dem Inhalt

Zwei Todesurteile im

Horst- Wessel  - Prozeß beantragt

Seite 2

Kühle Atmosphäre in Venedig  

Seite 2

Brüning- Hitler- Seldte

Seite 2

95 Jahre Kecker für Idealisten

Seite 3

Die Saar   und die

französische   Industrie

Seite 4

Saarbrücken, Samstag, den 16. Juni 1934

Chefredakteur: M. Braun

Nr. 136 2. Jahrgang

Paris   und London   gegen Schacht

... Französische   und englische Maßnahmen gegen den Transferbankrott stehen bevor

Berlin  , 15. Juni. Es war allgemein bekannt, daß Reichs Paris   droht mit Gegenschlag

für

branfpräsident Schacht in der Sigung des Zentralausschusses der Reichsbank das Generalmoratorium für alle Bartransfer zahlungen erklären würde. Insofern bedeutet dieser schwarze Donnerstag der deutschen   Reichsbank teine Ueberraschung, aber alle Unterrichteten fürchten die Gegenmaßnahmen, die nun von den ausländischen Regierungen und Gläubigern drohen. Schacht verkündete das vollständige Moratorium für sämtliche öffentliche Auslandsschulden, auch die besonders bevorzugten Schulden aus der Dawes- und Young- Anleihe. Vom 1. Juli bis 31. Dezember 1934 sollen weder Zinsen, noch Tilgungsbeträge, noch Kapitalbeträge, die mittlerweile fällig geworden sind, gezahlt werden. Man bietet den ausländischen Gläubigern, die auf Barzahlung be= stehen, eine Auszahlung auf 40 Prozent an bei vollständigem Verzicht auf 60 Prozent. Dieses Barangebot bezieht sich aber nur auf fällige Zinsen. Wie sicher Deutschland   damit rechnet, niemals diese Schulden in vollem Umfange zu be­gleichen, geht aus dem weiteren Vorschlag hervor, den Zins­scheininhabern sogenannte Fundierungsschuldverschreibungen anzubieten, die erst am 1. Januar 1945 fällig sein sollen und mit 3 Prozent sich verzinsen, also ein lächerliches Papier angesichts der früher feierlich garantierten Zinsscheine.

Dr. Schacht begründete die schwerwiegende Maßnahme mit der bedenkenlosen Frechheit, die ihm stets zur Verfügung steht. Er machte die Reparationen für Deutschlands   Devisen­bankrott verantwortlich. Wir haben keinen Grund, die kurz­fichtige Reparationspolitik der Sieger im Weltkriege zu ver­teidigen. Aber es bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die deutsche Ausfuhr- und Devisentrise erst nach dem Aufhören der Reparationszahlungen sich bis zu dem jetzigen Abgrund entwickelt hat. Die Reichsregierung Hitler   mit ihrer Hasar­deurpolitik nach innen und nach außen auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und staatlichen Lebens hat zum Banfrott geführt.

Immer wieder kommt Schachts Hinweis, Deutschland   sei nicht zahlungsfähig, denn die schuldigen Beträge flösen ja in die Konversionskasse. Nur sind sie in dieser Kasse für die ausländischen Gläubiger ebenso unerreichbar, als wenn sie auf dem Monde lägen.

Wie in jeder Rede verfichert Herr Dr. Schacht, die Reichs­mark bleibe stabil, aber nirgendwo in der Welt ist von dieser Festigkeit mehr etwas zu erkennen.

In Saarbrüden wurden Reichsbanknoten am Donnerstag im Freiverfehr mit 5,35 Franfen gehandelt, während die Parität 6,08 Franken ist. In Paris   und in Amsterdam  weigerten fich zahlreiche Banten, Markbeträge anzu­nehmen. In Paris   war es nicht möglich, Reichsmart zu 5 Franken unterzubringen. Im Amsterdam   wurde sie noch wesentlich tiefer angeboten, Effektensperrmark stürzt ins Bodenlose. Am Dienstag wurde sie noch mit 3,57 Franken gehandelt. Am Donnerstag stand" sie auf 1,76 Franken. In Deutschland   selbst nimmt die Flucht aus der Mark zu. Die nationalsozialistische Presse( so der Westdeutsche Be­obachter") Nr. 259 beginnt entsetzt hinter den Miesmachern einen neuen Saboteur" zu erkennen: den Hamsterer. Man kann die Flucht aus der Marf nicht mehr totschweigen und gibt zu, daß Angsteinfäufe" aus Sorgen um In­flation und Rohstoffmangel in großem Maße getätigt wer= den. Offenbar werden die Aufsätze gegen die Hamsterer von Redakteuren verbrochen, die im Kriege noch vorschulpflichtig waren, denn sonst würden sie nicht trostvoll auf die zur Ver= fügung stehenden Ersatzstoffe" verweisen.

Nichts schreckt die Erfahrenen mehr als das Wort Ersag", denn man hat im Kriege seine Erfahrungen mit Ersatz­stoffen aller Art gemacht. So werden denn die auf flärenden" Artikel nur den einen Erfolg haben, das Hamstern noch weiter zu verbreiten.

Die durch das Transfermoratorium betroffenen Länder aber rüsten zu Gegenschlägen. Sowohl England wie Frankreich   haben die Reichsregierung vor dem jest ge­wagten Schritt warnen lassen. Es sind förmliche Demarchen unternommen worden. Nachdem sie fruchtlos waren, kündigt London   ein deutsch  - englisches Glearinverfahren an. Auch Paris   erwägt eine Kompensationskasse, in die die Zahlungen für die deutsche   Ausfuhr nach Frankreich   fließen sollen. Außerdem hat die französische   Regierung ein starfes Drud­mittel in den in etwa einer Woche beginnenden deutsch  Handelsvertragsverhand­französischen Iungen.

Neue große Schwierigkeiten von außen her stehen für die Reichsregierung bevor, und im Innern wird die Ver­trauensfrise machien, die von niemand mehr bestritten wird, der Deutschlands   Volksmung fennt.

Eine französische Kompensationskasse

DNB. Paris, 15. Juni. Die Pariser   Morgenpresse be­schäftigt sich ausführlich mit der deutschen   Moratoriums­erklärung. Sie weist auf die Unterredungen hin, die der französische   Außenminister Barthou   am Donnerstag­nachmittag sowohl mit dem deutschen   Botschafter in Paris Köster als auch mit dem auf Urlaub befindlichen fran­ zösischen   Botschafter in Berlin   Francois Poncet   ge= habt hat. Nach dem Petit Parisien" habe Barthou   dem deutschen   Botschafter wahrscheinlich erklärt, daß er hinsicht­lich der Erläuterungen, die dieser zu dem Moratorium ge­macht habe, alle Vorbehalte mache. Die französische   Regie­rung habe allerdings schon in den letzten Tagen eine informative Demarche in der Wilhelmstraße unternommen und werde sicher bald offiziell ihre Haltung angesichts der von Deutschland   eingenommenen unzulässigen Stellung bekanntgeben.

Als notwendige Gewaltmaßnahme wird allgemein die Schaffung einer Kompensationstasse angenommen, die durch Einbehaltung von Beträgen für deutsche Ausfuhr­waren den Zinsendienst der Anleihen selbständig sichern joll.

Dann polemisiert der Petit Parisien" und ähnlich fast alle französischen   Morgenblätter über die Gründe, die die Schwierigkeiten der Devisenlage in Deutschland   hervor­gerufen hätten und kommt mit dem üblichen französischen  Argument, daß die Innen- und Außenpolitik der national­sezialistischen Regierung in der Welt eine Atmosphäre der Beunruhigung und des Mißtrauens unterhalte, die der Hebung der Wirtschaft keineswegs günstig sei. Außerdem rüste Deutschland   troß seiner finanziellen Schwierigkeiten entgegen den Bestimmungen des Friedensvertrages intensiv auf und gebe große Summen für Propagandazwede im Auslande aus.

Der Matin" erflärt, obwohl Deutschland   Europa   und die Welt an brutale Entscheidungen und daran gewöhnt habe, die anderen vor eine vollendete Tatsache zu stellen, habe die Ausrufung des Moratoriums mit Recht die Nationen über­rascht, die auf der letzten Transferkonferenz in Berlin   ver­treten waren und dort die Versicherung des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht hörten, daß der Zinsendienst der Youngs und Dawes Anleihe gesichert werden würde. Im übrigen erklärt der Matin", daß Deutschland   sich bemühen werde, alle Vorteile aus dem Moratorium zu ziehen und daß es damit rechne- so seltsam das auch klinge-, daß es aus dem Moratorium eine Stärkung seines Kredits ableiten fönne.

Die französische   Regierung müsse angesichts dieses neuen Versagens Deutschlands  , die Rechte der französischen   In: haber deutscher   Anleihepapiere verteidigen.

Das Echo de Paris" erklärt, die deutsche Währung werde fünftig nicht mehr auf den Goldreserven der Reichs­bank, sondern der Zahlungsbilanz beruhen. Das sei eine Art Erpressung, denn Deutschland   verlange, daß das Ausland seine Waren kaufe und drohe dabei damit, das, was es vom Ausland kaufe, nicht zu bezahlen, weil sonst die Mark zu­sammenbrechen würde. Alle internationalen Finanz­Leute behaupteten dabei, daß die deutschen   Behörden jenseits der Grenze eine Gold- und Devisen reserve von

schäßungsweise 200 Millionen Pfund Sterling geschaffen haben solle. Die deutsche Regierung habe also das Morato­rium nicht aus unbedingter Notwendigkeit erlassen und sie verdiene nicht die geringste Schonung.

Francois Poncet   in Paris Paris  

, 15. Juni. Der französische   Botschafter in Berlin   ist zu einem 14tägigen Aufenthalt in Paris   eingetroffen. Er hatte eine lange Aussprache mit dem Handels minister, in der die Finanz- und Wirtschaftsfragen er­örtert wurden, die durch die letzten Beschlüsse der Trans­ferfonferenz berührt werden.

Erklärung im Unterhaus

DNB. London, 15. Juni. Schabkanzler Neville Cham­ berlain   wird am heutigen Freitag im Unterhaus eine Er­flärung zur Verfündung des deutschen   Transfermorato. riums abgeben,

Gestern und heute

Als wir in die Schule gingen, gehörte zu unseren Lieb­lingen Uhlands Graf Eberhard, der Rauschebart. Mit schmet­ternd- hellen Stimmen sangen wir das Loblied auf seine adlige Leutseligkeit, und wir bewunderten ihn, weil er sein Haupt kühnlich legen konnte jedem Untertan in Schoß". Unser Lehrer verfehlte nie, hinzuzufügen, daß es in Europa   außer Wilhelm II.   keinen Monarchen gebe, der gleiches von sich behaupten dürfe.

Aber die adligen Tugenden herrschender Häupter sterben nicht aus. Im Gegenteil! In einer solch volksverbundenen Aera, wie der des ,, dritten Reichs", erleben wir unaufhörlich Beispiele einer herzensbezwingenden Popularität. Schon neu­lich hat uns die ,, Deutsche Allgemeine Zeitung" berichtet, wie Herr Göring am 1. Mai schwitzend neben Arbeitern der AEG. mitmarschierte und unterwegs durch einen Trunk Met aus einer Berliner   Brauerei gelabt wurde. Die gleiche Zei tung berichtet uns jetzt von einem noch viel eindrucksvolleren Ereignis.

In den Mittagsstunden, gerade, als die Stände geräumt wurden, erschien Ministerpräsident Göring   vor einigen Tagen in der Berliner   Zentralmarkthalle. Er tauschte mit den Frauen der Halle freundliche und auch humorvolle Worte aus. Dieses ,, auch", das wir wörtlich der Deutschen Allge­meinen Zeitung" entnommen haben, bezeugt den hohen Grad der Frohlaune des Ministers. Sofort schritt er zur Tat. Er kaufte hier Kirschen, dort Erdbeeren ein, er ließ die Kindlein zu sich kommen, ja, er ergriff selber einige Körbe. Seine beiden Begleiter, Adjutant Major Bodenschatz und der persönliche Referent des Ministerpräsidenten, Dr. Grizbach, konnten dem Tempo ihres Herrn kaum folgen, der dann, begleitet von einer großen Menge, zu den Brotständen schritt: ,, Mit beiden Händen griff der Ministerpräsident zu und verteilte die Brote. Auch dieses Lager war im Augen­blick geräumt. So ging es noch an vielen anderen Ständen her. Fast eine Stunde dauerte der Besuch in der Berliner  Markthalle."

Es gibt allerdings noch eine zweite Fassung der Markt­hallengeschichte. Sie ist nicht ganz so sonnig wie die der ,, Deutschen Allgemeinen Zeitung", aber da sie nicht in der gleichgeschalteten, sondern in der parteiamtlichen Presse steht, so sind wir sicher, daß wir kein Greuelmärchen er­zählen. Nach der, Essener Nationalzeitung" ertönten, als Göring   erschien, laute und drohende Rufe aus der Menge: ,, Wir haben Hunger." Da sei er umgekehrt, um ein Stand Brot und Brötchen aufzukaufen. Die habe er dann verteilt.

Dies paẞte nicht ganz zur Legende vom mildtätigen Herrn Ministerpräsidenten, und darum hat die ,, Deutsche Allge­meine Zeitung" die Pointe verschwiegen: daß Göring   die richtige Spendierhose über seine Generalshose erst anzog, als ihm der Atem des Hungers ins Gesicht schlug. Ob er nachher auf der Heimfahrt in seinem Mercedes   immer noch auch humorvoll" war? Ob er noch einmal zur Markthalle fahren wird? Ein Freund hat uns jüngst folgenden Vers aus Ber­liner Volksmund gedichtet geschickt:

Auf der Brust die Lametta, Am Bauch imma fetta, In Preußen Minister Hermann heeßt er.

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Aber nun hat uns noch etwas interessiert. Wir wollten, wenigstens ungefähr, wissen, was Herr Göring   für die Obst­körbe und die Brote bezahlt hat. Darum suchten wir nach den Marktpreisen für Kirschen, für Erdbeeren und für die anderen Viktualien und Vegetabilien, die in den Hallen ge­handelt werden. Wir suchten in allen Zeitungen die Markt­berichte, die es immer gab in den Jahren, als wir noch nicht erlöst waren; nach den Kleinhandelspreisen, die in sorg­fältigen Skalen früher stets im Handels- und Wirtschaftsteil der Tageszeitungen zu finden waren.

Nichts mehr! Die Berichte sind verschwunden. Es gibt keine Kleinhandelspreiskontrolle, keine Vergleichszahlen mehr. Denn sie sind seit einiger Zeit verboten, zur vieder. haltung der Miesmacher, und um den knurrenden Mägen die Kraft durch Freude nicht zu vergällen.

Das ist der Grund, weshalb wir nicht in der Lage sind, unseren Lesern zu berichten, was der Herr Ministerpräsident für die Stunde flüchtigen Glücks in der Berliner   Markthalle geopfert hat. Argus