Geld gaben sie für Hindenburg .
Die halbe Million in der Matratze- Diels als Zeuge
Am Donnerstag drehte es sich im Gerefeprozeß um die Frage, ob die Behauptung des Angeklagten stimme, er habe schon vor der Hindenburgwahl eine Summe von rund einer halben Million für die Gründung einer HindenburgBeifung erhalten.
Diese Summe will Dr. Gerefe nach seiner Behauptung für andere politische Zwecke ausgegeben haben, so daß er sich für berechtigt fühlte, diesen Betrag später aus den eingegangenen Hindenburg- Wahlgeldern wieder abzuzweigen. In der heutigen Verhandlung hat sich als Zeugin für die Rich tigkeit dieser Behauptung ein Frl. Margarete Sprung gemeldet, in dessen Haushalt Dr. Gerefe und der Mitangeflagte Frengang wohnten. Die Zeugin erklärt, daß Dr. Gerefe im Februar 1932 ihr eine dicke Aftenmappe übergeben habe mit der Weisung, das darin befindliche Geld sofort zur Bank zu bringen.
Auf ihre Erwiderung, daß die Bank doch schon geschlossen sei, habe ihr Dr. Gereke die Mappe hingelegt mit den Worten: Machen Sie damit, was Sie wollen, ich muß jetzt wegfahren. Zu ihrem Erstaunen habe sie dann, als sie die Tasche öffnete, darin 480 000 Reichsmart in Scheinen gefunden. Sie habe dann das Geldin eine Matratze eingenäht. Nach fünf bis sechs Tagen sei Dr. Gerefe von einer dienstlichen Reise zurückgekommen und verlangte von ihr das Geld. Sie trennte die Matrage auf und stellte zu ihrer Bestürzung fest, daß nur noch 470 000 Reichsmark darin waren. Dr. Gerefe, der es sehr eilig hatte, nahm diesen Betrag und fuhr damit fort. Nach gründlicher Durchsuchung fand die Zengin dann
noch die restlichen 10 000 Reichsmart
und fuhr Dr. Gereke nach dem Reichstag nach. Dort sah sie ihn im Gespräch mit dem inzwischen durch Selbstmord ge= endeten deutschnationalen Abg. Oberfohren und zwei anderen Herren stehen. Als sie Dr. Gerefe die fehlenden 10 000 Reichsmart übergab, sagte er zu den Herren: Hier ist auch der Rest. Mit diesen Worten habe er das Geld Dr. Oberfohren überreicht. Am gleichen Abend, so befundet die Zeugin weiter, habe Oberst v. Hindenburg angerufen, und Dr. Gerefe habe am Telefon zu ihm gesagt: Ich habe die 480 000 Reichsmart auf 500 000 aus eigenen Mitteln abgerundet. Nach dieser Aussage übergibt die Zeugin dem Gericht
ein Notizbuch.
Darin befindet sich unter dem 20. Februar 1932 eine Notiz: 480 000 Reichsmart. Der Oberstaatsanwalt erflärt dazu, daß gerade an diesem Tage in dem Notizbuch eine Radie= rung zu bemerfen sei. Hierauf beschlagnahmt der Vorfizende das Buch und erklärt, es werde sich durch eine che= mische Untersuchung nachweisen lassen, was worden sei.
Diels
ausradiert
Ueber die erste Vernehmung Dr. Gerefes wurde in der Nachmittagsverhandlung im Gerefeprozeß der Kölner Re
Die Fama
Zur Phenomenologie des Gerüchtes
Die deutsche Regierung wendet sich in letzter Zeit mit der hr zu Gebote stehenden Schärfe gegen Gerüchte und Gerüchtemacher. Gerüchte gehen um, in der Dämmerstunde des Halbbewußtseins, mit dem unfaßlichen Zickzackflug der Fledermäuse. Noch nie war ich bei der Geburt eines Gerüchtes dabei, nie gelang es mir, einen Gerüchtemacher auf frischer Tat zu ertappen; jedes Gerücht, das ich zu fassen kriegte, hatte schon einen würdigen Stammbaum, der sich am Ursprung aller Dinge zu verlieren schien. Wohl gibt es Gerüchteverbreiter, ob es aber Gerüchtemacher gibt, läßt sich exakt nicht feststellen. Es ist möglich, daß ein Gerücht zugleich an tausend Orten Orten von tausend Menschen erzählt wird, wobei jeder beginnt: ,, Letthin habe ich gehört... Dabei wäre weiter möglich, daß keiner gehört hätte, es sei denn von seiner inneren Stimme, auf die in der Welt des erweislich Wahren nicht immer voller Verlaß ist.
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Auf die Katechismusfrage des weltlichen Lebens: Wie verbreitet sich ein Gerücht?" gibt es und kann es nur eine Antwort geben: Wie ein Lauffeuer. Alles andere ist falsch. Nie gelang es mir, jemanden aufzutreiben, der ein Lauffeuer gesehen hat; ein Kritikaster jedoch, wer zweifelte, daß es das gibt. Gerüchte indessen hat jeder schon vernommen und auf sich wirken lassen. Er reagierte darauf a) gläubig, oder b) ungläubig, oder c) skeptisch( in diesem Fall ist Skepsis nicht nur erlaubt, sondern geboten, obschon sie wesensmäßig einer überwundenen Geisteshaltung zugeordnet ist), d) mit dem Wunsch, es möchte wahr sein, oder e) mit dem Wunsch, es möchte nicht wahr sein. Das Merkwürdigste ist, daß das Gerücht seine Verbreitung erzwingt; über alle subjektiven Einstellungen hinweg triumphiert sein Zwang, weitererzählt zu werden. Auch der Ungläubige, au chder Skeptiker erzählen Gerüchte, freilich indem sie ihre persönliche negativistische Stellung dazu mehr oder minder genießerisch unterstrei
chen.
Der Ursprung ist also, so schmerzlich das für den Historiker sein mag, nich tfestzustellen. Ursprünge pflegen dunkel zu sein und dennoch von höchster Anziehungskraft für das lichtverliebte Geschlecht der Menschen. Auch weiterhin müssen wir indirekt vorgehen bei der Erforschung. Erstes wahrnehmbares Wirkungsphänomen des Gerüchtes ist die Verbreitungs- chnelle( Lauffeuer). Zweitens, der mit ihm gesetzte psychologisch merkwürdige Verbreitungszwang, mit dem das erste ursächlich verknüpft erscheint. Wenn wir auch über Entstehung und Gehart des Gerüchtes im Ungewissen sind, so wissen wir anderseits besser Bescheid um seinen Tod. Es ist mit einemmal da, breitet sich aus, und es stirbt einen unscheinbaren Schrumpfungstod.
Lebewesen der Göttin
Da man Dasein, Wirkungsform und Tod kennt, ließe sich eine Biologie des Gerüchtes denken. Auch Biographien einzelner Gerüchte könnten durch eine neue Gattung von Historikern verfaßt werden. Märzgerüchte von 1933 wären z. B. gewesen: die Polen fallen in Deutschland ein; DoJfuß ist unmöglich geworden; Italien tritt aus dem Völkerbund; die Schweiz wird nun auch faschistisch. Spätere: eine monarchistische Restaurationsbewegung ist am Werk; die Gefahr einer Inflation droht. Eine Zeitlang hieß es auch, die deutsche Nationalkirche(..Los von Rom ") sei in Bildung begriffen. Diese Gerüchte sind gestorben, erloschen. Unter bestimmter Konstellation ist allerdings eine Wiedergeburt möglich; denn es gibt typische Gerüchte, die aus ihrer zeitweisen Verschollenheit wieder emportauchen und mit ein paar neuen Reizen ausgestattet ihren alten Weg nehmen. Bei diesen
gierungspräsident Diels, der damalige Leiter der Geheimen Staatspolizei, als 3Zeuge gehört. Regierungspräsident Diels befundet, daß er auf Anweisung seiner vorgesezten Behörde Dr. Gerefe in seinem Amt abgeholt habe. Weder er noch Gerefe hätten gewußt, um was es sich handelte. Der Zeuge hatte den Auftrag, Dr. Gerefe nicht festzunehmen, sondern festzuhalten. In einem Hotel habe man bis spät in die Nacht gewartet, um Nachricht über die Vorwürfe gegen Dr. Gerefe zu bekommen. Mitten in der Nacht seien dann der frühere Minister von Keudell und Ministerialrat a. D. Schellen erschienen und hätten
das Material mitgebracht. Unter Hinzuziehung von Staatsanwaltschaftsrat Dr. Mittelbach sei dann die erste Vernehmung Dr. Gerefes durchgeführt worden. Er verlangte, mit hohen politischen Persönlichkeiten
Rückspra he nehmen zu dürfen, was ihm aber verweigert wurde.
Vorsitzender: Herr von Kendell hat von einer Unterhaltung berichtet, die in jener Nacht zwischen ihm und Dr. Gerefe stattfand. Dr. Gerefe soll dabei gesagt haben:„ Es ist doch klar, daß ich vom Hindenburgausschuß Gelder an die Wirtschaftspartei und an die Landvolkpartei gegeben habe." Ob auch die Staatspartei genannt wurde, will Herr von Keudell nicht mehr sagen können.
,, Können Sie sich an diese Unterhaltung erinnern?" Regierungspräsident Diels: Nein, in dieser Form nicht. Ich erinnere mich lediglich an ein äußerst unfonfretes Gespräch."
Die Verhandlungen werden am Samstag fortgesetzt.
Entrechtung unehelicher Kinder
Obwohl sie für die Volksvermehrung nicht entbehrt
Berlin , 15. Juni. Ueber die Frage neuer gesetzlicher Bestimmungen ü er die Rechtsstellung unehelicher Kinder erklärt Landgerichtsrat Dr. Hagemann in der„ Sozialen Praxis", die bedeutsamste Neuerung eines vorliegenden Gesebentwurfes gegenüber dem bisherigen Recht liege in der Ergänzung des§ 644 der Zivilprozeßordnung. Danach solle das Gericht von Amts wegen verpflichtet sein, zu ermitteln, ob der vom Kind als Vater in Anspruch genommene Er: zeuger der wirkliche Vater sei. Die Abstammung des Kindes mösse möglichst einwandfrei festgestellt werden. Das Verfahren dabei solle dem Richter u. a. auch die Möglichkeit geben, die Vornahme der Blutuntersuchung an Kind, Vater und Mutter anordnen und zwangsweise, auch durch Geld und Haftstrafen durchführen zu können. Besondere
Be
achtung beanspruche auch die vorgesehene Neufassung der
Bestimmun en über den Unterhalt, den das Kind vom Vater fordern könne. Der Unterhalt solle sich auf den Satz beschränken, den eine Mutter einfachsten Standes nach ihrer Lebensstellung zum Lebensunterhalt ihres Kindes be= Diese Schlechterstellung des Kindes werde allernötigte. dings durch die weitere Bestimmung ausgeglichen, daß das Gericht unter Berücksichtigung der Verhältnisse beider Eltern zu Gunsten des Kindes auf Grund von Recht und Billigkeit den Unterhaltssaz erhöhen können; allerdings müsse der Vater seine sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines ftandesgemäßen Unterhaltes noch erfüllen fönnen. Der Entwurf sehe weiter ausdrücklich den Schutz der Einheit der Familie des außerehelichen Vaters vor Antastung durch Rechtsbeziehungen des unehelichen Kindes vor.
fragt es sich, ob sie den Gesetzen der Sterblichkeit untertan seien.
Vergil beschreibt im vierten Buch der ,, Aeneis " die Fama als eine Göttin. Er scheut sich nicht, ein moralisches Werturteil über sie zu fällen und sie dea foeda zu nennen, ekelhafte Göttin; denn, sagt er, gibt es kein so schnelles Uebel wie sie.( Dichterische Umschreibung für Lauffeuer.) Jedesmal scheint sie neu zu erstehen: zuerst ist sie jeweils recht unansehnlich, doch im Weiterschreiten gewinnt sie an Ausmaß und Kraft, ihre Füße eilen über die Erde, aber ihr Haupt versteckt sie in den Wolken. Eine Tochter der Erde(!) ist sie, die diese im Grimm gegen die Götter zur Welt brachte. Wir kundigen Psychologen wissen ja, was das heißt: ein chtonisches Geschöpf ist sie, dem Erdhaften, Widergeistigen im Menschen zugeordnet, der Gana- Welt zugehörig und ihre Nase in die Bereiche der Triebe und des Emotionalen hiein erhebend. Gefiedert ist das ungeheure Monstrum; es hat soviele Augen wie Federn, ehensoviele wispernde Zungen und gespitzte Ohren. Nie braucht es Schlaf. Nachts pfeilt es in schwirrendem Flug zwischen Himmel und Erde dahin; tagsüber sitzt es spähend auf Hausgiebeln und Turmzinnen und schreckt die Städte durch ihre Botschaft, die zu gleichen aus Aus dem Grundwasser des kollektiven Unbewußten erhebt sich die Fama als ein göttlich- widergöttlicher Sumpfvogel, gieich gierig im Spähen, Lauschen, Schwätzen. Als Tochter der Erde würde man sie von einer grandiosen ethischen Indifferenz vermuten, achtlos spielend mit Bildern, Vorstellungen, Wünschen, Zwängen. Aber welche List liegt in der raffinierten Mischung aus Wahr und Unwahr! Der begehrteste Cocktail wird da angeboten. Darüber noch ein Wort.
Ein phantastisches und moralisches Phänomen Eine halbe Wahrheit ist soviel wie eine ganze Unwahrheit; insofern ist auch der bessere Teil des Gerüchtes fragwürdig. Und doch ist er wohl das Ursprüngliche an ihm. Manchmal wird ja sogar die lautere Wahrheit auf dem Gerüchtweg verbreitet, z. B. wenn sie der Macht der öffentlichen Meinung nicht genehm ist. Aber die eigentlichen Schwingen scheinen einer Aussage erst zu wachsen, wenn sich die Phantasie ihrer bemächtigt und sie modelt. Dann tritt sie in den verworfenen Stand der Lüge, als welche sie auf dem Maskenball des Daseins nicht leicht erkennbar ist; denn vor allem ist sie ein fast zwangshaftes Spiel mit Möglichkeiten. Darin bestehen die wirkungsvollsten ihrer Reize.
Im Marz 1933 lief das Gerücht durch Deutschland , die Braunhemden marschierten auf Berlin . Gegengerüchte brausten daher: er Kanzler Schleicher sei zum Gegenschlag mit der Reichswehr bereit, überhaupt sei er von einer beinahe überirdischen politischen Klugheit unr Gerissenheit. Unmöglich war beides damals nicht, also glaubte, wer konnte, und zwar das, was ihm wünschbar schien. Das Unwahre hätte jeden Augenblick wahr werden können. Die von Wünschen, Hoffnungen und Absichten gespornte Phantasie vermischte angeregt Reales mit Irrealem. Hinter den ausgesprochenen Gedanken stand jeweils, das Hütchen in der Hand, mit biederem Augenaufschlag, der Wunsch als Vater. Es war eine natürliche Vaterschaft und zudem nicht einmal eine illegitime, denn im damaligen Schwebezustand gab es hierin kein herrschendes Gesetz. Die Moralkategorien waren außer Kraft. Anders, wenn eine bestimmte politische Moral die Herrschaft hat, oder eine sogenannte Weltanschauung. Dann verkehrt sich das Spiel mit Realem und Irrealem in Ernst, und wo ein Gerücht der dekrtierten Wahrheit widerspricht, wird es als Gefahr bekämpft. Es ist nämlich ein Merkmal der Gerüchte, zur herrschenden Moral und zu herrschenden Ansichten in einem eigentümlich schrägen Verhältnis zu stehen; ihre unwirkliche Komponente ist sehr exakt immer so, wie die
werden
können'
Alles in allem bringe der Entwurf die Ueberwindung eines Zwiespaltes, der in der Begründung angedeutet werde. Die Begründung sage nämlich, daß an sich die nationalsozialistische Weltanschauung im Interesse des Familienlebens und des raffenreinen und erbgesunden Nachwuchses die außerehes liche Erzeugung ablehne. Andererseits aber habe sie noch mit der Tatsache zu rechnen, daß 20 bis 25 Pro 3. aller Geburten unehelich seien, und also für die Volksvermehrung nicht entbehrt werden könnten.
Ehrenvolle Entlassung
Gegen die verheirateten Lehrerinnen in Holland
Der Stadtrat und Gemeindevorstand von Rotterdam hat mit allen gegen 2 Stimmen beschlossen, die Richtlinien für die Entlassung für verheirateten Beamtinnen auch auf die Lehrerinnen anzuwenden. Danach soll Lehrerinnen an öffentlichen Schulen, die vor Erreichung des 45. Lebensjahres heiraten, die„ ehrenvolle Entlassung" gegeben werden, wenn sie aber eine Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Haushalt eingehen, so sollen sie die Entlassung ohne die Beifügung„ ehrenvoll" bekommen. Die Einwendungen der Fachorganisationen blieben fruchtlos. Bemerkenswert ist, daß sich von sieben Fachorganisationen drei gegen den Antrag ausgesprochen haben. Von den vier andern war eine für den Antrag, eine wollte die Altersgrenze beseitigt wissen und zwei gaben feine deutlichen Erklärungen ab.
herrschende Weltanschauung es nicht gern hat. Ein mit dieser kongruentes Gerücht fände keinen Anklang. In der phantasievoll ergänzten oder durchmischten Erzählung wird ein Raum der Freiheit geschaffen, wo nicht unverbindliche, realitätslose Phantastik, sondern wunschgerichtete Realphantastik ein paar solide Begebenheiten zu Luftschlössern ergänzt, die in ihrer Konstruktion oft nicht beweisbar unmög lich sind. Das alles kann geschehen unter der Maske ethischer Indifferenz; der Erzähler oder Weiterverbreiter kann lässig so tun, als ginge ihn alles gar nichts an, wenn er, gutgläubig oder nicht, bloßen Möglichkeiten den Charakter von Notwendigkeiten unterstellt, von Notwendigkeiten, die seinem Begriff der Freiheit zusagen, schon deshalb, weil sie ihm entsprungen sind.
Fernerhin muß bemerkt werden
Fernerhin muß bemerkt werden, daß kein Einsichtiger über die Wirkungen der Gerüchte im Unklaren ist. In Ehren ergraute Börseaner wüßten davon ein Liedlein zu singen, mit Stimmen hell und klar; es wäre ein Schicksalssong, in dem der Dynamitcharakter des Gerüchtes enthüllt würde. Dieses bewegt sich nicht nur von Ort zu Ort, sondern es bewegt auch die Dinge, es greift ein, es lockert oder legt frei, es dämpft Energien oder ballt sie oder lenkt sie. Denn es verwandelt Gewißheiten in Ungewißheiten, und da der in Ungewißheit geworfene Mensch sofort wieder in eine Gewißheit zu schwimmen trachtet, regt er sich und schüttelt seine Trägheit ab. Er sieht das lastende Kausalitätsschema des Alltags durchbrochen oder er gewahrt ein Stück Weges in die Zukunft und findet es verlockender als den vorgezeichneten Tramp, selbst dann manchmal, wenn es ein katastrophaler Weg ist. Allerdings ist diese Wirkung von kurzer Dauer. Mag die Fama, die Tochter der Erde, bis in die Wolken reichen, so haben ihre Kinder umso kürzere Beine, ja ihr ganzes Leben ist kurz. Selbst ,, hartnäckige Gerüchte" sind zwischendurch tot, sie erstehen bloß wieder. Die weniger hartnäckigen fristen ihr schnelles Dasein auf dem schmalen Grat einer Aktualität, die auch wieder ein zwiespältiges Gebilde ist. Jedes Gerücht, das einschlägt, ist auf eine ganz bestimmte Situation zugeschnitten, mit der dumpf geahnten Zielsetzung, diese Situation weiterzutreiben, fortzuentwickeln, ihre Realität von innen her aufzulösen. Es wirkt ähnlich einem Reizstoff beschleunigend auf das Geschehen in gewissen Sphären des Lebens, z. B. in der Politik.( Das on dit bezieht si chbloß auf Quatsch. Eine Pariser Wochenzeitung hat eine ständige Rubrik On dit, on dit...", worin oft witiger Parlamentariertrasch weitergeboten wird. Selten reicht er übers Persönliche hinaus. Und dann eines: gedruckte Gerüchte verlieren allen Nimbus und werden schal! Diesen Niederschlag überleben sie nicht!)
Wenden wir uns von der geistig ziemlich minderwertigen Ware der Gerüchte zu ihrem hypothetischen Ursprung, den Gerüchtemachern, so scheinen diese zumeist der Dämonie entkleidet. Wer etwas erzählt, was augenblicklich geglaubt wird oder gefällt oder freut( ,, Haben Sie schon gehört, der Papen ist vom Papst nicht empfangen worden?") wurde ich von einer vor Wonne fast berstenden Leichenbittermiene gefragt), der ist weniger ein abgefeimter Machér mit einer teuflichen Techne, als ein empfindsames Medium, das ausspricht, was alle andern hören möchten. Deren drängender Wunsch bringt ihn erst zum Sprechen, sonst bliebe er stumm, und er sagt nur, was alle gern sagten und gern weitersagen, nachdem er die Worte dazu gestiftet hat, selbst wenn es die Wahrheit sein sollte..
Max Rychner S
in der ,, Neuen Zürcher Zeit"