Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nr. 139 2. Jahrgang

Chefredakteur: M. B r a u n

Saarbrücken, Mittwoch, 20. Juni 1934

Heute vor einem Jahre ist die erste Nummer derDeutschen Freiheit" in die Welt gegangen. Allen Widerständen zum Trotz hat unsere deutsche Kampf­zeitung sich Bahn gebrochen. Wir danken allen unseren Freun­den für ihr Verständnis, für ihre Mitarbeit, für ihre Treue. Der Kampf wird fortgesetzt, bis das freie sozialistische Deutschland errungen i*t.

Markt«Krawall Dauern und Domen- Erste Anzeichen eines Widerstandes

M.-Gladboch, 19. Juni. Seit Monaten ist in keine Bevöl- kerungsschicht die Unzufriedenheit über das Hitlerregime größer als bei den Bauern. Die Enttäuschung ist noch ge- steigert worden durch die öffentliche Bewirtschaftung der Frühkartoffeln. Alle Frühkartoffeln müssen vom Erzeuger zur amtlichen Verteilungsstelle gebracht werden, wo sie zum Tagespreise bezahlt werden. Dem Händler werden die Kar- toffeln von der Berteilungsstelle geliefert. Die Erzeuger erhalten von der Verteilungsstelle Anwei- fung, an welchem Tage sie Ware liefern müssen. Zuerst wer- den diejenigen Landwirte zur Lieferung aufgefordert, die als unbedingt nazitreu seit langem bekannt sind. Je frü- her geliefert wird, umso höher ist natürlich der Preis. Die Landwirte, die erst später bei gesunke- neu Preisen an die Reihe kommen, werden bedeutend ge- schädigt. Diese offenkundige Parteiwirtschaft hat um so höhere Unzufriedenheit verursacht, als sowohl in den Ver- teilungsstellen wie im Handel zahlreiche Nazibonzen sich Profite verschaffen. Auf dem Wochenmarkt in M.-Gladbach ist es nun zu einem regelrechten Krawall gekommen. Kleinbauern, die entgegen der öffentlichen Bewirtschaftung mit Kartoffeln zum Markt gekommen waren, wurde der Berkauf unter-

sagt. Die Bauern setzten sich zur Wehr und schrien38ir geben die Kartoffeln nicht zur Sammelstelle, denn da mer- den sie nur unnütz verteuert, damit die Bonzen gut leben können. Wir wollen direkt ans dem Markt verkaufen." Die Käuferinnen rotteten sich um die Verkaufsstände zu- sammen und deckten schleunigst ihren Bedarf. Polizei mutzte einschreiten und die Frauen auseinander jagen. * Auch vor dem Arbeitsamt ist es zu erregten Auftritten gekommen, weil nicht nur ledige, sondern auch verheiratete Männer als Landhelfer zwangsweise nach Pommern und Ostpreußen verschickt werden. Frauen protestieren schreiend. Die Ursache dieser Proteste liegt vor allem in den Erfahrungen, die viele Landhelfer im Osten machen. Es mehren sich die Fälle, datz zwangsverschickre Arbeiter, auch alte TA.-Leute, nach langen Fußmärschen abgerissen und halbverhungert in die Heimat zurückkehren. Diese Heimkehrer erzählen, daß die östlichen Landarbeiter sich weigern, zu den Löhnen und der Kost, die geboten wird, zu helfen. Deshalb ziehe man Zwangsarbeiter aus fernen Gebieten heran, weil man voraussetze, daß diese Leute bei der weiten Entfernung von ihrer Heimat die Sklavenarbeit nicht so leicht verlassen könnten.

Serenissimus Göriim

Er ermahnt seine 12930 Marh~$fnni$rli!e huldvoll und leutselig zu den treuen Untertanen hinabzusteigen

35 e r I i n, 19. Juni. Die nationalsozialistischen Minister beteuern in jeder Rede, daß 70 Millionen Deutsche in treuer Verbundenheit hinter ihnen stehen und die mies- macherischen Außenseiter nbr eine klägliche Minderheit sind. Dennoch läßt man eine Lawine von 400 000 Ver- sammlungen, also aus je 170 deutsche Männer, Frauen und Kinder mindestens eine Kundgebung, gegen die paar Miesmacher los. Sogar der Führer donnert in jeder Rede gegen den inneren Feind, und zwar just in denselben Worten, die sich bei seinem ruhmreichen Vorgänger Wil- Helm 11. finden.Wer sich mir entgegen st ellt, denzerschmetterei ch." Also sprach Hitler in Gera .' Dagegen hat der Preußische Ministerpräsident Her- mann Göring, vielleicht ermüdet von dem Lesen und Unterzeichnen so vieler Todesurteile, in väterlicher Milde zu seinen lieben Preußen geredet. Er nahm eine der sehr seltenen Sitzungen zum Anlaß, in denen er seine Herren Staatsräte gegen eine Dotation von 12 000 Mark jähr- lich an jeden der Würdenträger um sich versammelt. Zu- nächst erzählte er ihnen die rührende patriotische Ge- schichte, daß seine Entmachtung in Preußen, die Trennung von der preußischen Polizei seine ureigenste Anregung sei. Um der Reichsreform willen! Er habe auch die Absicht, zu Ehren seines geliebten Führers Adolf Hitler Preußen in Reichsgaue zu zerlegen, aber das könne noch lange dauern, länger als ein Jahrzehnt Dann wandte sich der große Preuße aus Oberbayern einempeinlichen Punkte" zu. Er konnte da aus eigener Erfahrung sprechen: sein Auftreten als silberner Schwan in Emmerich und als schlichter Brotverteiler in der Markt- halle zu Berlin hat ihm reiche Erfahrungen über die Stimmung der sogenannten Volksgemeinschaft vermittelt. Die gab er nun den preußischen Staatsräten mit prak- tischen Anleitungen über Volkspsychologie zum Besten: ,. Ich komme hier zu einem sehr, sagen wir einmal: wichtigen und vielleicht auch peinlichen Punkt. Ich höre so oft- Ja die Stimmung läßt nach: Unzufriedenheit flackert hier und dort auf. Wenn man nun den Dingen nachgeht, so wirb man erkennen müssen, daß zweifelsohne manchmal Grund zu einer Unzufriedenheit vorhanden ist. Aber das find letzten Endes Einzelfälle, auch wenn sie da und dort als eine typische Erscheinung auftreten. Schlimmer ist jene symptomatische Unzufriedenheit, die an allem kritteln will. Wir müssen doch bedenken, eineinhalb Jahre liegen jetzt seit unserer Machtergreifung zurück. Das erste, was wir damals erlebten, war das gewaltige impulsive Gefühl der Befreiung Das war ein Schwung, eine Begeisterung. Das war selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist auch, daß eine so'che B-geis-erung n-ss- a>"i':ch»ein kann. HoMmlmangeu sollen sich au gewisse Zeilen haUen, dau*

klingen sie ab und dann kommen sie wieder. Daß sie immer wieder kommen, dafür müssen wir uns einsetzen. Wir müssen dafür sorgen, datz der Kontakt mit dem Volke nicht verloren geht, d. h. wir dürfen nicht nur vor dem Volk in Versammlungen reden, wenn wir es brauchen, wenn es abstimmen soll, wenn es Wahlen machen soll, sondern das Volk muß uns auch so immer wieder arbeiten sehen und den Kontakt fühlen. Ich glaube, daß es zweckmäßig sein wird, daß die Führer des Volkes und der Bewegung nicht nur hier und da eine Versammlung abhalten, sondern daß sie unerwartet da l.') dort hingehen, sich sehn lassen, nach den Sorgen u»d Bedürfnissen der Volksgenossen fragen. Das, glaube ich, ist notwendig, damit das Volk fühlt, daß mir für es sorgen. Auf der anderen Seite wollen wir alle Arbeit daransetzen, Ursachen zu berechtigter Un- Zufriedenheit zu beheben. Wir müssen wirklich unerbitt- lich gegen jene Menschen vorgehen, die sich nun einmal mit diesem neuen Staat nicht abfinden können und die glauben, in ewiger Kritik und Meckerei die Grundlagen des Staates langsam, aber sicher erschüttern zu können. Wer sind nun die bösen Menschen, die langsam aber sicher die Grundlagen des Staates erschüttern, die- rings großer Führer in seiner Rede zu Gera eben erst mieder für ein Jahrtausend gefestigt zu haben glaubt? Leider sind es nicht nur Marxisten und sonstige Unter- menschen, die Herrn Göring mit ihrer Kritik Sorge machen, sondern gerade auch die Frommen im Lande führen sich imdritten Reiche" nicht gut auf: Es ist die Frage, ob sich die Kirche wieder zu ihrer Aus- gäbe zurückfinden wird, ein staatserhaltender Begriff zu sein oder ob sie sich noch länger zu einer B r u t st ä t t e der Kritik, der Unzufriedenheit, der Nör- g e l e i hergibt. Diesen entarteten Christenmenschen sagt Göring mit philosophischer Toleranz und staatsmännischer Weisheit, daß in Preußen zwar einerseits jeder nach seiner Fasson selig werden könne, aber anderseits der Staat auch genau aufpassen müsse,was auf diesem Gebiete vor sich geht". Nur durch die Totalität des Nationalsozialismus führt der Weg in das preußische Jenseits, in dasdritte Reich" der himmlischen Heerscharen.' Aus den höchsten Höhen religionsphilosophischer Be- trachtung schwebte dann der Preußische Ministerpräsident und Reichsluftsahrtminister zu einer großartigen Ge- schichtsaufsassung hinüber. Er verkündete, daß es in Deutschland nur polizeilich erlaubte Revolutionen geben dürfe: Die Anwendung neuer vielleicht noch radikalerer revo- lulionärer Methoden würde schwerlich eine Besserung Fortsetzung siehe S. Seite.

Gestern und heute Nun ist es ein Jahr her. In Saarbrücken , auf deutschem Boden, aber außerhalb des Hitlerreichs, erschien die erste Nummer der ,.D eutschen F r e i h e i t". Sie trug den mit Bedacht und nicht ohne Stolz gewählten Un­tertitel:Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands ". Aus dem Erstling sind jetjt vier stattliche Vierteljahres- bände geworden, und es ist erlaubt, einen Augenblick den Schleier von den privaten Mysterien einer Zeitungsgründung zu lüften, die ein echter Redakteur nur ungern preisgibt. Wir begannen untere Arbeit in einem im Verlagsgebäude der Volksstimme nicht ganz mühelos eroberten Zimmer, wir bauten eine Bastion aus zwei Schreibtischen und zwei Stüh­len, gutgesinnte Männer im Hause verschafften uns unser Handwerkszeug. DerDeutschen Freiheit" eine Gasse! Es dauerte nicht sehr lange, und ihr roter Kopf wurde an un­zähligen Zeitungskiosken in allen Kulturländern sichtbar. Was uns den Beistand ungezählter Freunde, den ver­doppelten Haß der Feinde eintrug, das war die Tatsache, daß wir uns nicht einfachFreiheit", sondernDeutsche Freiheit" nannten. Dieses Deutsch -Sein war unsere Ge­sinnung und unsere Tradition, der untadlige und unanfecht­bare Standort, auf dem wir verharren. Es ging und es geht uns um das deutsche Volk, das wir zu lieben nicht aufhören. Die Ketten der barbarischen Diktatur, die es trägt, drücken uns selbst. Es gibt keinen schimpflicheren und lügenhafteren Vorwurf für uns als den, daß wir uns mit Geldern aus nicht­deutschen Staatssäckeln auf den Schachbrettern europäischer Politik zum publizistischen Werkzeug fremder Interessen mißbrauchen ließen. Neulich hat ein schweizer Journalist es war der Referent der BaslerNationalzeitung" sehr anmutig seinen Besuch auf unserer Saarbrücker Redaktion geschildert. Er habe, so schrieb er, zuerst gezögert, ob er uns besuchen solle, denn es sei ihm gesagt worden, wir seien frankophil und außerdem vom französischen Gelde bestochen. Als er seine Hemmungen überwunden und unser ungeheuer opulentes Redaktions­zimmer betreten habe, sei, so berichtet er weiter, einer der beiden Redakteure aufgestanden, damit der Besucher aus Basel auch einen Stuhl habe. Kurz, der Kollege kam zu dem Schluß, daß es hier weder nach dem Auswärtigen Amt in Paris , noch nach Stavisky rieche, und er fragte seine schwei­zerischen Landsleute, ob sie nicht Verständnis dafür hätten, daß deutsche Publizisten nicht aus egoistischer Selbsterhal- tuntr. sondern im Bunde mit einer ewigen Idee um die Be­freiung ihres Landes kämpften. Bei selbstverständlichen Dingen wollen wir uns nicht auf­halten. In diesem'Jahre haben wir in mehr als dreihundert Zeitungsexemplaren ein übermächtiges Material über die Untaten der braunen Diktatur angehäuft. Wir haben uns, in­folge einet engeren Berührung mit dem Reiche, als sie an anderer Stelle möglich gewesen wäre, besondere Informa­tionsquellen erschließen und die Wahrheit aus tausend Schlupfwinkeln der Lüge und der Heuchelei zerren können. Wir wurden das Echo des Jammers und der Anklage ge­schlagener und geschändeter Menschen, die uns auf der Flucht die Wundmale an ihren Körpern zeigten. Niemals hat uns die wachsame Gestapo , die jedenFall" aus derDeutschen Freiheit" zum Gegenstand einer Akten­anlage macht, berichtigen können. Niemals hat der Gegner gewagt, uns einen Prozeß zu machen, obwohl er mit einer Anklage in Saarbrücken eine sehr aufnahmebereite Justiz gefunden hätte. Wir haben viele Berichte nicht veröffent­licht, wenn wir den geringsten Zweifel an ihrem vollen Wahrheitsgehalt hatten. Nur wer mitten in dieser Arbeit steht, kann wissen, was das bedeutet: eine solche Zurück­haltung gegenüber der unsagbar gemeinen Diktatur des dritten Reiches", das seiner F^ublizistik die Ventile stahl. Neulich sagte uns ein einflußreicher Politiker:Ich habe der ,.Deutschen Freiheit" einen Vorwurf zu machen: daß sie das Schlimme nicht schlimm genug darstellt; daß sie ihre An­griffe nicht noch angriffslustiger zuspitzt, zur Mobilisierung des Abscheus und zur Erweckung der Gewissen." Wahr­haftig, an Kritik hat es uns in diesem Jahr nicht gefehlt. Sie kam aus der Fieberhitze der Emigration, aber auch aus dem Gehäuse gesicherter europäischer Demokratie. Die einen forderten fortwährende grundlegende Analysen der ver­gangenen und der kommenden Dinge, die anderen hielten das gegenüber den augenblicklichen Tagesaufgaben für zwecklos. Und der Briefregen er regnet noch jeden Tag. Es ist gut so und macht uns froh. Nichts ist heute grauenvoller als der saturierte Leser, nichts abstoßender, als eine im Lor­beer des Erfolgs selbstgefällige Zeitung. Vor beidem ist die Deutsche Freiheit" geschürt. Sie hat ihre Aufgabe in der Linie eines weltgeschichtlichen Kampfes, und es ist im hö­heren moralischen Sinne bedeutsam für sie und für alle, die zu ihr gehören, daß sie um ihre eigene geistige und ma­terielle Position dauernd zu ringen hat. An der Schwelle ihres zweiten Jahres steht die Lehre au* Macbeth: Komme, was kommen mag. Die Stunde rinnt auch dm Ji den rauhstg/n T'ffg t Argl#