Das bunte Matt „Deutsche Freiheit". Nr. 140 Donnerstag, den 21. Juni 1984. Die vornehmste Achule der Welt Wir steigen im Schatten hoher Eichen aus. Das Mittags- licht bricht durch die Zweige und wirft helle Flecke auf den Lehmboden. Der Platz vor Etom Scholl scheint eine Art Dorfanger zu sein. Zwar führt eine gepflegte Allee an ihm entlang, und der weihe, prächtige Barockdom da drüben ist auch nicht von Pappe, sondern von Marmor. Doch, wenn wir wieder die drei hohen, dunklen Holztore betrachten, die das College verschließen, möchten wir eher aus einen Guts- hos tippen als auf die feinste Erziehungsstätte der Welt. Denn das ist die Eton -Schule, gegründet 1440, lange vor der Königin Elisabeth, gelegen in den heiteren Wiesengründen der Grafschaft Buckingham , gekannt und gerühmt von Bangkok bis San Francisko. Sind doch hier nicht nur die besten Männer der Insel erzogen worden, sondern auch orientalische Fürsten, indische Nabobs, siamesische Könige. Es gibt viele derartige Landheime in England. Ihr Ruf richtet sich vor allem nach der Herkunft ihrer Zöglinge. Jede Schule nimmt eine andere Schicht aus und in der gesellschaft- lichen Rangordnung einen bestimmten Play ein. Dies oder jenes große College besucht zu haben, ist für den Engländer sein Leben lang eine Empfehlung. Sage mir, wo du gelernt hast, und ich werde dir sagen, wer du bist. Die Schule spielt hier etwa die gleiche Rolle wie in Teutschland die studentische Verbindung. Eton und Harrow versuchen sich gegenseitig den ersten Rang abzulausen. Eton liegt vorläufig stark in Front. Es siebt bei der Ausnahme immer noch mit sieben Sieben. Freilich verliert dieses unzeitgemäße Auslese-System langsam an Bedeutung. Neuerdings hat man sogar Sprößlinge der amerikanischen Dollar-Aristokratie aufgenommen. Ein revolutionärer Borgang, der an„Kulturschande" grenzt. _ Wir treten an die kleine Pforte, die sich in einem der Holztore befindet, und ziehen an dem kunstvoll geschmiedeten Klingelzug. Der Haushofmeister öffnet. Erwartungsvoll überschreiten wir die Schwelle der erlauchten Anstalt. * ^ Käme man englischen Eltern mit Jugend-Psychologie, mit Freud, Adler und Oedipuskomplexen, so würden sie einen verständnislos anlächeln und ablenkend bemerken, das Wetter sei eigentlich heute„marvellous". Sie erziehen ihre Kinder, indem sie das anderen überlassen. Sie kümmern sich den Teufel um Entwicklungskrisen. Minderwertigkeits- gesühle und ähnliche Ungereimtheiten. Seit Jahrhunderten ist es in den guten Familien üblich, die Söhne vom zehnten bis zum achtzehnten Jahre ins College zu geben. Ott sind in derselben«chule schon die Urahnen zu jenem prächtigen Menschentypus herangezüchtet worden, bei dessen Anblick man in der ganzen Welt auf fünfzig Meter Entfernung ausruft:„Siehe da, ein Engländer!" Wie wird dieses Er- gebnis erzielt? Wie werden die Jungen ausgebildet? Der gesamte Unterricht von Eton bereitet planmäßig auf die spätere Lausbahn vor. Er ist eigens darauf abgestimmt, künftige Lords, Richter, Politiker. Handelsherren. Kirchen- haupter, Kolonialmänner und Berwaltungsbeamte großzu- ziehen. Griechische und lateinische Klassiker werden gelesen, die Logik wird am Euklid geschärft, nüchterner Wirklichkeits- sinn wild entwickelt, Romantik und Fantasterei werden sorgfältig unterbunden. Alles läuft zuletzt auf staatspolitische, wirtschaftliche und geografische Schulung hinaus. Diese Gebiete nehmen jedoch zusammen mit der Frömmig- keit nur etwa die Hälfte der Schoolboy-Kräste in Anspruch. Die andere Hälfte gehört dem Sport. Eine Hockeypartie und ein Fußballkampf gehen den Jungen über jedes Buch. Sie sind ganz ungeistig, nur mit einem(allerdings sehr) gesunden Menschenverstand begabt. Alles„Intellektuelle" ist ihnen zu- wider. Sie sind„smart", praktisch und unbeschwert. Sie leisten etwas in technischen Basteleien. Sie leiden nicht unter Krisen, Trieben und Neurosen. Dazu sind sie viel zu einfach. Kein Wunder also, wenn die Eltern von Jugendschwierig- leiten keinen Schimmer haben. Bon ihren Kindern können sie sie nicht lernen. Der Kenner englischer Schulverhältnisse wird sagen:„Ja, aber in sittlicher Hinsicht..." Das stimmt. Der verstorbene Frank Harris hat in seiner Selbstbiografie die wenig er- baulichen Jnternat-Unsitten mit schrankenloser Ossenheit ge- schildert. Sie werden auch heute noch nicht überlebt sein. Doch die Tatsachen beweisen, daß aus die Tauer der gesunde Sinn und die ursprüngliche Anlage der meisten dieser Ver- kehrtheiten trotzen. Der Weiberjäger Frank Harris ist ja das beste Beispiel dafür. Aus den englischen Collegs sind nicht nur die tüchtigsten Staatsmänner, Könige und Handels- kapitäne hervorgegangen: leben in Frankreich die weib- lichsten Frauen, so kommen von hier die männlichsten Männer. Wer glaubt, Eton College sei eine Stätte des Luxus und der Verschwendung, wird schnell eines anderen belehrt. Sparta muß hiergegen ein verzärtelnder Kindergarten ge- wesen sein. Rund um einen weiten, altertümlichen Binnen- Hof liegen die Schulgebäude, der Speisefaalslügel und die Kirche. Wir sehen uns zuerst die Klossenräume an. Die Bänke und Pulte aus dem 16. Jahrhundert werden tat- sächlich heute noch benutzt. Sie sind wurmstichig und von tausend Taschenmessern mißhandelt. Erneuerung ausgeschlos- sen, nicht etwa, weil die Mittel fehlen, sondern aus reiner Freude am Herkommen. Die muffige Luft und andere un- hygienische Nachteile werden gern dafür in Kaus genommen. Auf dem Hos steht eine Pumpe. Daran waschen sich all- morgendlich ein paar Dutzend dieser Kronprinzen. Ein Prügelbock erregt meine Aufmerksamkeit. Als ich bezweifle, daß er noch benutzt wird, zeigt man mir einen Schrank, darin wirklich sechs handfeste Ruten aufbewahrt werden. Die Eßsäle sind lange holzgetäfelte Hallen mit gotischen Kirchensenstern und endlosen, weißbezogenen Tischen. Ihre Wände sind mit kunstvoll eingeritzten Namen bedeckt. Shelley, Balfour , Curzon, Grey haben sich hier verewigt. Wer heute noch kommt, muß zehn Schilling für die große Ehre bezahlen, für immerdar in den Räumen der Eton-Schule verzeichnet zu sein. So rar ist der Platz an den Wänden geworden, die lald ein halbes Jahrtausend dastehen werden. In einer Schlafhalle sind 70 ssiebzigj Mann untergebracht. Es wird immer rätselhafter, wofür die Zöglinge hier 8000 Schillinge im Jahr bezahlen. Herrliche Parkanlagen haben die meisten zu Hause,' nur der großzügige„play-ground" ist den Preisen angemessen. Diese Tennis-, Fußball- und Cricketplätze nehmen ebensoviel vom Gesamtgrundstück ein, wie der Sport in den Köpfen der BoyS. Morgens ist regelmäßig Gottesdienst in der College- Church. Er beginnt um sieben. Jeder„Etonian" hat seinen bestimmten Platz, auf dem allerhand fromme Bücher liegen. Ter Führer erzählt, daß die Jungen während der Andacht oft noch ein paar Schulausgaben erledigen, eine bedenkliche Auslegung des Mahnspruches:„Bete und arbeite!" Mit ihrer Tportlichkeit, Bastelgewandtheit und bewußten Geistlosigkeit verbinden diese Jungen etwas sehr Wert- volles: ihre ausgezeichneten Manieren. Sie geben sich frei und natürlich und sind trotzdem von einer bezaubernden Höflichkeit. Nicht etwa überliebenswürdig— das liegt ihnen Unsere Töchter, die Oswinen Roman von Hermynia Zur Mühlen . 2 Dann sind die bösen vier Jahre gekommen, Angst und Hunger und Verzweiflung, und das schreckliche Gefühl, daß der Krieg nie ein Ende nehmen wird. Meine Toni ist mager gewesen, wie eine verlaufene Katze, und ich bin zu den Bauern in der Umgebung gerannt und Hab um Eier und Milch gebettelt, damit mir das Kind nicht stirbt. Die Grä- sin Agnes hat mir geholfen, wo sie nur konnte, aber sie hat so vielen helfen müssen, ihr Geld hat kaum ausgereicht, und auch ihre Tochter Claudia, die damals an die Neunzehn war, hat ausgeschaut wie ein Geist, nur Haut und Knochen und ganz gelb im Gesicht. Im ganzen Städtchen waren die Kin- der so elend dran, nur die Tochter vom Doktor Feldhüter, die zehn Jahre alt war, hat dicke rote Backen gehabt und gute Kleider. Ihr Bater hat zu jener Zeit schön verdient, weil der Doktor Bär, zu dem früher die meisten gegangen sind, im Felde war. Damals hob ich geglaubt, so lange Jahre kann es nie wieder geben, ober heute Hab ich fast Angst, es könne Monate geben, die noch länger sind als jene Jahre. Endlich hat der Krieg ein Ende genommen. Mein Anton ist gesund zurückgekommen, aber viele in unserem Städtchen sind nicht wiedergekehrt, und bei einigen wäre es besser gewesen, sie wären gefallen. Der Sohn des Kolonialwaren- Händlers ist auf beiden Augen blind zurückgekommen: er geht mit einem großen Hund durch die Straßen, und wenn ich ihn sehe, muß ich immer daran denken, wie er mit Kreide die Worte„Nach Paris " aus den Wagen geschrieben hat. Alles war mit einem Mal ganz anders. Tie vornehmen Leute, die in den Villen wohnen, haben schreckliche Angst gehabt. Besonders die höheren Offiziere. Sie haben ange- sangen, mit unS Arbeitern zu reden, freundlich, wie mit ihresgleichen. Jetzt war es plötzlich eine Ehre, Sozialdemokrat zu sein. Die Frau Doktor Feldhüter hat mich auf der Straße zuerst gegrüßt und gesagt:„Wie reizend Ihr Töchterchen ist, liebe Frau Gruber. Schicken Sie es doch einmal zu meiner Lieselotte spielen." Nur die Gräfin Agnes hat sich nicht gefürchtet. Die hat sich bloß darüber gefreut, daß der Krieg aus ist. und alles war ihr recht, was den Frieden gebracht hat. Es hat ihr auch nie einer von den unfern ein böses Wort gesagt: sie hoben ja alle gewußt, wie sehr sie während der bösen Zeiten ihren Frauen geholfen hat. Am ersten Sonntag nach Antons Heimkehr haben wir sie besucht. Ich staunte, wie gut die beiden einander jetzt verstanden. Tie Gräfin Agnes hat ganz rote Wangen gehabt vor Zorn und hat gesagt:„Ein Kaiser, der davonläuft und sein Volk im Stich läßt, wenn es ihm schlecht geht, verdient, gehängt zu werden!" Ich war erstaunt, weil die Gräfin Agnes von Politik überhaupt nichts ver- standen und immer nur in ihren Büchern gelebt hat. Mein Anton hat sie geneckt— so gut waren sie miteinander.— „Na, Gräfin Agnes, wollen Sie jetzt nicht zu uns kommen?" Sie hat ihn mit ihren großen veilchenblauen Augen an- geschaut, ihre Augen scheinen immer in irgendeine Ferne zu blicken, und erwidert:„Lieber Anton, ich will gern eine Republikanerin sein. Aber das andere verstehe ich nicht. Ich möchte nur, daß alle Menschen gut zueinander sind. Wenn Ihr das erreicht, dann will ich zu Euch gehören." Die Claudia ist dagesessen, als ob das alles sie nichts anginge. Um diese Zeit hat das Mädel einen bösen Zug um den Mund bekommen, und ihre Augen haben immer so hungrig dreingesehen. Der Anton hat auf dem Heimweg gemeint:„Die Claudia braucht einen Mann. Aber die alte Frau merkt daS nicht, die lebt in einer andern Welt." Mein Anton hat Glück gehabt und seine alte Stelle wieder- bekommen. Aber er war noch stiller als früher: er hat den Krieg nicht vergessen können. Er hat fast nie davon ge- sprachen, aber ich habe ganz genau gewußt, wenn er so dreinsieht, als ob er etwas Schreckliches sähe, so denkt er an den Krieg. Und in der Nacht ist er oft ausgeschreckt und hat laut geschrien. Ich habe alles getan, um ihm das Leben leicht zu machen und unsere kleine Toni war so lieb und drollig, daß er eine rechte Freude an ihr gehabt hat. Sie ist sehr gewachsen und ein großes starkes Mädel geworden. Das hat sie vom Anton, denn ich bin eine kleine dicke Frau. Wir waren sehr glücklich: der Krieg war vorüber und die Unfern hatten die Macht. Da mußte ja alles gut werden. Freilich waren die Friedensbedingungen schrecklich hart und grausam, aber mit der Zeit würden ja auch die andern ein- sehen. daß es so nicht geht. Und dann wird alles wieder gut werden. Nur bisweilen machte mein Anton ein sorgenvolles Gesicht.„Sie gehen zu milde vor. Sie ziehen sich die eigenen Feinde groß." sagte er. Aber ich wollte es nicht glauben. Wenn man die Gegner anständig behandelt, so müssen doch auch sie anständig sein. Und der Kopp-Putsch, mein Gott, das war so ein« verrückte Sache, mit der die Arbeiter gleich fertig geworden sind. Es war nur traurig, daß die Arbeiter sich in zw«, Parteien, oder eigentlich in drei gespalten haben. Das konnte ich nicht vergeh?!?. Wessen Schuld war eS? Tie Sacht in der Mietskaserne Weiß ragt gigantisches Gemäuer Ins tiefe Blau der Sterneunacht. Die Fenster schweigen ungeheuer. Ich bin der letzte Mensch, der wacht. Rings liegen Wesen in den Betten. Ihr Atem strömt dem Himmel zu. Jetzt sind sie frei von ihren Ketten, Umfriedet von ersehnter Ruh. Ter Schlaf geht durch erloschne Räume Und tröstet hundertfaches Leid. Ich aber wache still und träume Von Ewigkeit zu Ewigkeit. H o r a t i o. Fünf Minuten Lachen Die Frau:„Spar dir die Mühe, ich habe dich durchschaut. Tu bist für mich ein offenes Buch." Der Mann:„Mit einem kleinen Unterschied. In einem Buch überschlägst du einfach die Seiten, die dir nicht gefallen, und an mir nörgelst du ewig herum." * „Bist du denn davon überzeugt, daß er betrunken war?" „Selbstverständlich! Bedenke doch, erst hat er den Garde» robeständer geschüttelt, dann ist er aus dem Fußboden herum- gekrochen, um Aepsel zu suchen." * In die Tierhandlung kommt ein aufgeregter Herr:„Sie haben mich gestern schön hineingelegt, als ich den Harzer Edelroller kaufte! Der hat ja keinen Ton in der Kehle und ist höchstens ein platinblond gefärbter Spatz." * „Ich habe nie geraucht, als ich in deinem Alter war", sagt der strenge Vater.„Wirst du das gleiche auch deinem Sohn sagen können, wenn du erwachsen sein wirst?" ^.Nein, jedenfalls nicht mit einem so ernsten Gesicht." * „Bitte, kannst du mir 50 Groschen für den Autobus leihen?" „Bedaure, ich Hab nur eine Fünfschillingnote." „Fein! Dann reicht es aus ein Taxi!" * An der Opernkreuzung hält ein Auto mit einer junge« Dame am Steuerrad. Das rote Haltzeichen ist längst ver» schwunden, es folgt Gelb, dann Grün und so weiter. Der Wagen rührt sich nicht vom Fleck. Nach fünf Minuten staut sich bereits eine mächtige Autokolonne hinter dem widerspen» stigen Wagen. Da tritt endlich der Verkehrspolizist an die junge Herren- sahrerin: „Entschuldigen Sie, Gnädigste, aber haben Tie bis nun noch keine Farbe finden können, die Ihnen paßt?" gar nicht—, sondern sein, verbindlich, zurückhaltend und zuvorkommend zugleich. Die Lebensart des„Gentleman", das Ideal vieler Männer, ist schon den Sechzehnjährigen in Fleisch und Blut übergegangen. Nirgends in der Welt werden sie jemals Anstoß erregen, immer strahlen sie eine wenn anch kühle Freundlichkeit aus und sind innerlich so gepflegt wie äußerlich. Diesen Typ des Gentleman geschaffen zu haben, ist ein großes Verdienst der englischen Colleges und besonders der Eton -Schule. Georg Herald. der Unabhängigen, der Kommunisten oder der Sozialdemo- kroten? Gerade jetzt müßten sie doch alle zusammenhalten und einen neuen sozialistischen Staat aufbauen. Dann kam die Inflation, und das war arg: nicht so arg wie der Krieg, aber immerhin bös genug. Die Bauern in der Umgebung wurden immer großartiger. Es war fast eine Gnade, wenn sie einem was verkauften. Und jetzt kamen so viele Fremde in unser Städtchen, Ausländer, die mit ihrem Geld die großen Herren spielten. Die Kauileute waren immer wütend, wenn so jemand in ihr Geschäft kam. Die Fremden spazierten am Seeuser umher, und man hörte alle Sprachen der Welt. Wir mußten schrecklich sparen, aber was machte das aus? Mein Anton war wieder da, meine Toni wurde immer kräftiger, und dort oben, weit fort in Berlin , arbeiteten unsere Führer für uns. Es mußte ja wieder gut werden. So vergingen abermals Jahre. Meine Toni war nicht nur ein schönes, sondern auch ein kluges Mädchen. Der Anton gab sich viel mit ihr ab, sie lasen zusammen in den dicken Büchern, und ich freute mich über mein gescheites Kind, das mehr verstand als ich. Ueberhaupt waren unsere Kinder viel klüger als wir. Sie gingen in Versammlungen, am 1. Mai zogen sie mit roten Fahnen aus, und es klang so schön, wenn über den Tee hin die Internationale ertönte. Sie waren auch froher als wir in ihrem Alter gewesen sind, wußten sie doch, daß eine schöne Zukunft sie erwartet. Meine Toni sagte ja auch damals nicht viel, aber wenn sie von einer Versammlung heimkam, glänzten ihre Augen und sie schritt dahin, wie eine kleine Siegerin. Ich mußte oft die Gräsin Agnes bedauern: ihre Claudia wurde immer mür- rischer und verdrossener, kaum daß sie einem Guten Tag sagte. Uns grüßte sie, weil wir sie ja von klein auf gekannt hatten, aber mit andern Menschen war sie einfach grob. Ich weiß, daß Frau Doktor Feldhüter sich oft über Claudias Hochmut beklagte. Eigentlich hatte sie gar kein Recht dazu, denn in den letzten Jahren war die Doktorssamilie selbst wieder schrecklich hochnäsig geworden. Und der Herr Doktor gab sich mit armen Leuten gar keine Mühe, deshalb gingen wir alle zum Doktor Bär, der wie mein Anton heil aus dem Krieg zurückgekommen war. Der Doktor Feldhüter haßte den Doktor Bär und machte ihn schlecht, wo immer er nur konnte. Besonders ärgerte es ihn. daß die Gräsin Agnes sich von dem„jüdischen" Arzt, wie er höhnisch sagte, behandeln ließ. (Fortsetzung folgt Ij.
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2 (21.6.1934) 140
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