Deutsche Stimmen. Beilage zur

Deutschen Freiheit".Ereignisse und Gesiiciten

Freitag, den 22. Juni 1934

Reichsbildungsministerium

Filiale des SA - Generalstabes

Kürzlich wurde im deutschen Rundfunk ein Erlaß des Reichspräsidenten bekanntgegeben, der die Errichtung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Er­ziehung und Volksbildung anordnet. Formal scheint damit ein Prozeß erfolgreich abgeschlossen zu sein, an dessen Beginn die deutsche Sozialdemokratie mit ihrer Forderung auf ein einheitliches Reichsbildungsministerium steht. Das Deutschland der Vorkriegszeit war seinem Wesen nach einer einheitlichen reichsdeutschen Kulturpolitik feind­lich, und wenn der sozialdemokratische Reichstagsabge­ordnete Heinrich Schulz alljährlich im Reichtag die Forde­rung nach einheitlicher Gestaltung des Schul- und Bildungs­wesens erhob, so fand er weder bei den Vertretern der Länder mit ihren dynastischen Sonderinteressen, noch bei den Parteien irgendein Verständnis.

Nach dem Kriege schien sich eine grundsägliche Wandlung zu vollziehen. Der Abschnitt Bildung und Schule in der Weimarer Verfassung , der Artikel 10, der dem Reiche die Grundsatzgesetzgebung auf dem Gebiete des Schul- und Bil­dungswesens einräumte, legen von dieser Wandlung ebenso Zeugnis ab, wie die Einberufung der Reichsschulkonferenz des Jahres 1920 durch den Reichsstatthalter Koch und den Staatssekretär Heinrich Schulz . Der geistige Schwung, den die Umwälzung des Jahres 1918 auslöste, hätte zweifellos zu grundlegenden Veränderungen auf dem gesamten Gebiete der Kultur führen können, wenn dieser Schwung nicht unter der zaghaften Schwäche der Gesamtpolitik und der Unein­heitlichkeit des Wollens und der Heterogenität der Inter­essen sehr bald erlahmte. Das Grundschulgesetz und der partikularistische Reichsschulausschuß waren das dürftige Er­gebnis eines mühseligen Ringens von mehr als einem Jahr­zehnt.

Die nationalsozialistischen Lobredner überschlagen sich natürlich jetzt in der Verhöhnung des schwächlichen Weimarer Systems und der Verherrlichung der ,, energischen und ziel­sicheren Führung Adolf Hitlers ". Es muß zugegeben werden, der organisatorische Zentralismus der Nazis kennt nicht jene zarte Rücksichtnahme auf partikularistische Sonderinter­essen, kennt nicht jene übertriebene Pietät vor dem historisch Gewordenen. von dem sich die Weimarer Parteien so über­trieben beeindrucken ließen, aber er kennt ebenso wenig die großen treibenden Kräfte geschichtlichen Werdens, ebenso­wenig die tiefe Verankerung und Verzweigtheit des Kultur­lebens in dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Werden. Darum hat auch die Anordnung der Errichtung des Reichskulturministeriums nichts anderes als ein Stück jener Totalitätsbestrebungen, die der organi­Ausdruck der nationalsozialistischen Polizei­satorische diktatur sind. Ein Reichsbildungsministerium, das die geistige Zentralstelle des deutschen Kulturlebens sein könnte, ist durch den nationalsozialistischen Ungeist in eine SA. - Reichskommandostelle umgewandelt worden und der Reichskommandeur ist einer jener problematischen Naturen aus der engsten Umgebung Hitlers , ist der bekannte ..Heldenvater", der preußische Kultusminister Rust . Was kann auch schließlich ein Reichbildungsministerium anders sein als eine Filiale des SA. - Generalstabs, dem vom obersten Führer die Aufgabe gestellt ist, daß

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,, die gesamten Bildungs- und Erziehungsarbeit des völki­schen Staates ihre Krönung darin findet, daß sie den Rasse­sinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandsmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hinein­brennt.() Es soll kein Knabe und kein Mädchen dig

Schiller der Böse

..Lieber einen guten Klassiker spielen als einen schlechten Modernen." Mit diesen Worten hat Goebbels den Theater­leitern Marschroute gegeben. Und damit sie wüßten, was gemeint sei, hat der große Kunstdiktator hinzugefügt: Schiller steht unserem Empfinden weit näher als die modernen Schreier."

Ja, Schiller ist ein guter Mann. So haben schon die Gym­hasialoberlehrer spekuliert, die vor einem Menschenalter eine Jugend in Monarchentreue zu erziehen hatten. Bis diese Jugend dahinter kam und sie kam mit merkwürdiger Regelmäßigkeit dahinter, daß der Dichter der patrioti­schen Rütli- Schwüre und Jungfrau"- Deklamationen als junger Mann auch einmal die Räuber" gedichtet hatte, mit dem Motto: In tyrannos"- ,, Gegen die Tyrannen". Und außerdem noch einen Fiesko ", eine Louise Millerin" ( fälschlich in Kabale and Liebe" umbetitelt) sowie einen ,, Don Carlos".

Ja, der Don Carlos! Da hat in Hamburg ein Theaterleiter, ahnungslos den Direktiven des Kunstdiktators folgend, den Don Carlos aufgeführt: als der Marquis Tosa Gedankenfrei­heit vom Tyrannen Philipp forderte, brach ein solcher Bei­fallsorkan aus, daß minutenlang nicht fortgespielt werden konnte. Infolgedessen mußte das Stück vom Spielplan ab­gesetzt werden wegen unzeitgemäßen Beifalls. Und das beim amtlich empfohlenen Schiller.

Was bleibt denn den unglücklichen Theaterleitern da übrig? Welches Stück des großen Pathetikers ist denn nicht

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Schule verlassen, ohne zur letzten(!) Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein übrigens hat auch diese Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Rasse ihre letzte Vollendung im Heeresdienste zu erhalten, wie denn überhaupt die Militär­dienstzeit als Abschluß der normalen Erziehung des durch­schnittlichen Deutschen gelten soll."( Hitler: Mein Kampf, Ausgabe 1933, Seite 475-76.)

Diesem Reichsbildungministerium fehlt jeder moralische Kredit und jeder geistige Unterbau. Das freie Forschungs­leben, einst der Stolz der deutschen Wissenschaft, ist längst unterdrückt und freie deutsche Gelehrte gibt es nur noch in der Emigration und in den Konzentrationslagern. Die deutsche Kunst produziert nur noch Lobeshymnen, Rasse­balladen und schändet sich und das Deutschtum im talent­losen, gesinnungstüchtigen" Heroenkult. Die deutsche Lehrerschaft marschiert im gleichgeschalteten Schritt als, SA. ­Mannschaft der deutschen Volksbildung" und in den Schulen herrscht der Geist, den neulich das deutsche Philosophen­blatt mit folgenden Worten skizzierte:

,, Die neue Schulzucht wird sich an der Wesensart des deutschen Jungen zu orientieren haben, und zwar an dem Charakterzug, der heute in unserem Volk mit elementarer Kraft hervorgebrochen ist, am soldatischen Geist. Nur wenn die Schule soldatische Zucht einführen, werden sie sich die Achtung und Liebe sichern können, die für eine wertvolle Erziehungsarbeit unerläßlich ist. Die jüngere Lehrergeneration wird ihren Weg über den Dienst in der Hitlerjugend nehmen müssen. Dort wird sich zeigen, ob der Anwärter die Eignung zum Volkserzieher hat. Wir brauchen Schulmeister, die die Jugend führen können; denn Wissenschaftler haben wir in Deutschland mehr als genug."

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Die Verachtung, die der Nationalsozialismus vor der Wissenschaft und vor Bildung überhaupt hat, ist verständ­lich aus seiner eigenen ungeistigen Haltung heraus, aber sie kennzeichnet auch das Episodenhafte und das Abhängigkeits­verhältnis dieser Bewegung von Gewalt und Reaktion. Das

Die Meinungsschwitzer

Die Leute, die von Meinung schwitzen, Sie sind durch nichts mehr abzublitzen, Wenn sie ein Opfer vor sich sehn. Sie gießen Weltanschauungsfluten Im Zeitraum weniger Minuten Auf Hörer, die vor Schreck vergehn.

Nie Widerspruch dem Meinungsschwitzer! Das wäre ein fataler Schnitzer, Der nur die Qual verlängern kann. Dein Einwand, lieber Leidensbruder, Ist nur das Stichwort für das Luder, Und es fängt frisch von vorne an.

Laß hemmungslos die Rede brausen Und sei ergeben selbst im Grausen, Bis irgendwo die Rettung winkt. Dann aber flieh' mit Windesschnelle Und meide ängstlich jede Stelle, Wo so ein Meinungsschwitzer hinkt!

Die Gosse

Heinrich Mann wird beschimpft

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Horatio,

Die Mannheimer Hakenkreuzpresse veröffentlicht erneut einen Schmachartikel gegen Heinrich Mann , in dem gesagt wird:... Heinrich Mann , der am 30. Januar Deutschland als politischer Märtyrer" verließ,.. trieb und, treibt seit­dem ununterbrochen Landesverrat... Ein Schuft, wer jemals wieder ein Buch dieses Halunken kauft. Verbrennt seine Schriften, wo ihr sie findet. Wer je einmal wieder vergessen sollte, was sich alles geändert hat in diesem einen Jahr der Revolution, der erinnere sich, daß es noch keine zwei Jahre her sind, daß dieser landesverräterische Lump Präsident der repräsentantivsten Akademie des ,, deutschen " Geistes war. Wer genauer wissen will, was ,, sich alles geändert hat", der vergleiche den Gossenton dieses Artikels mit den Werken des großen Schriftstellers Heinrich Mann .

Reichsbildungsministerium wird auch die Jugend zu betreuen Neudeutscher Darst

haben. Doch welche Jugend? Kein jugendliches Eigenleben, das nach Form und Gestalt ringt, kein geistiger und sittlicher Wettbewerb, kein Vertrauen, das aus innerer Führung emporsteigt und sich aus lebendiger Hingabe zum Können entwickelt, sondern ein Millionenheer militärisch gedrillter Rekruten ohne Eigenwollen und ohne Eigenkönnen. Für eine solche Jugend genügen Kommandogewalt und zentralistische Erlässe. Es ist ein Friedhof der Geistigkeit, auf dem sich das Reklamegebäude des neuen Reichsbildungsministeriums erhebt. Dieses Reichsbildungsministerium wird keine Ge­schichte machen, es wird mit dem nationalsozialisti­schen System zusammenbrechen wie so manche, schnell her. gerichteten Pyramiden dieses Systems. Die Tatsache des Reichsbildungsministeriums wird für uns jedoch ein dauern­der Vorwurf unserer eigenen Schwäche und unseres eigenen Mangels an tatsächlicher Gestaltung sein.

Vorwürfe haben nur Bedeutung, wenn sie einen neuen Willen und eine neue Kraft auslösen, Wir wissen, das natio­nalsozialistische System wird zusammenbrechen, aber wir sollten auch wissen, daß nur die es ablösen werden, die nicht nur den Zusammenbruch, sondern auch die Neugestaltung Kurt Falk. kämpfend vorbereiten werden!

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,, Maria Stuart " vielleicht? Die Hinrichtung einer Un­schuldigen ist wahrlich ein Thema, dessen dramatische Vor­führung im Reich der politischen Massen- Todesurteile nur rebellische Gefühle erwecken kann. Und wenn Martimo

seinen Dolch zückt: ,, Was willst du, feiler Sklav der Tyrannei ich spotte deiner, ich bin frei!", so könnte es leicht wieder zu einem Betriebsunfall kommen.

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An den ,, Frisco", wo der Kampf für die Freiheit den Leit­faden des Drama bildet, ist natürlich von vornherein nicht zu denken( ,, Sei frei Guma, und ich dein erster Bürger!"), noch weniger an die durch und durch rebellische ,, Louise Millerin" von den Räuberin" gar nicht zu reden( ,, Das Gesetz hat noch keinen großen Mann hervorgebracht, aber die Freiheit breitet Kolosse und Extremitäten aus.").

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Was bleibt denn da noch von dem ganzen Friedrich Schiller , der ,, unserm", nämlich des Kunstdiktators Goebbels , Empfinden so entsetzlich nahe steht? Die gepanzerte ,, Jung­frau von Orleans" natürlich. Wenn nur das ganze Drama nicht an dem entsetzlichen Schönheitsfehler litte, daß es zwar die nationale Erhebung, aber ausgerechnet die Frank­ reichs verherrlicht. Dauernd siegt da der ,, Erbfeind" über die armen Engländer, deren Hilfe oder wohlwollende Neu­tralität in der Bewaffnungsfrage doch das A und O der Hitlerschen Politik ist. Wieder nichts!

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Also: Wallenstein. Doch, wie wird uns: Ist das nicht die Meuterei der obersten Reichswehr­stellen in aller Form dramatisch auf die Bühne gestellt?

den Gedankengängen mit der Errichtung einer Militär­diktatur? Böse, böse Gedanken, auf die diese Trilogie hinleitet. Man müßte wenigstens der Reichswehr den Besuch der Vorstellung in jedem Falle verbieten.

durch unzeitgemäßen Beifall gefürchtet? Selbst im Tell" Spielt nicht dieser Wallenstein in höchst aktuell anmuten­findet sich der staatsgefährliche Passus: Denn eine Grenze hat Tyrannenmacht". Der Demetrius", auf den sich die Despotie gern beruft, weil in ihm die Majorität für Un­sinn und der Verstand als das Privilegium der ganz abgesehen von Wenigen erklärt wird, auch er ist nicht gut anwendbar. Denn seiner fragmentarischen Form aus jener berühmten Stelle ließe sich zur Zeit nur heraus­lesen, daß die 37 Millionen Ja"-Stimmen für Hitler, daß daß der Verstand dagegen bei den zwei Millionen diese zauberhafte Majorität von 95 Prozent der Unsinn, Nein" sagern gewesen sei! Ein sehr zweischneidiges M- sser selbst dieses Zitat, das doch sonst die Wonne aller Reaktionäre bildet.

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Es ist also alles nichts, von den Räubern" bis zum ,, Demetrius". Nicht ein einziges Stück dieses Dramatikers entspricht den Anforderungen an vollendete Harmlosigkeit. Doch halt, wir haben eines vergessen: Die Braut von Messina

", das der Antike nachgebildete Schicksalsdrama mit Chören. Das geht! Und da ließen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man schickt die beurlaubte SA in die Vorstellungen. Wenn sie noch irgendwelche auf­

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,, Im Anfang war der Durst. Ein Roman von Erich Johann Dörr. Verlag für nationale Religion... Wir erleben stocken­den Herzens, wie die Heldin... allmählich aber sicher, dem Zauber der Wildnis verfällt, wie aus dem Seidenäffchen ein ganzer Mensch entsteht, ein berückendes Weib... Auch die anderen Bücher dieses kerndeutschen Dichters... sind Schlüssel zum Herzen der Natur!"( Wild und Hund Nr. 20.) Na, Prost!

Schauspieler werden ,, geschult"

In Wuppertal ( Elberfeld - Barmen) werden zum erstenmal auch die Schauspieler in ein Schulungslager gesteckt werden. Vor Beginn der Probenzeit und Spielzeit 1934/35 treffen sich die Herren des Solopersonals des Stadttheaters auf Schloß Burg , um dort während drei Wochen ein ,, Künstle­risches und Weltanschauliches Schulungslager" durchzu­machen, darin d. Geist der Gemeinschaft und Kamerad­schaft schon vor Beginn der Zusammenarbeit gepflegt wer­den soll. Das Schulungsprogramm sieht Turnen, Wanderung und Weltanschauung vor.

rührerische Gedanken haben sollte, eingeschläfert.

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da wird sie sicher

Aber, was den übrigen Schiller angeht- drei Schritt vom Leibe! Schließlich könnte sich doch herumsprechen, daß er einer der Hauptbahnbrecher für das liberalistische Zeitalter in Deutschland gewesen ist!

Zeit- Notizen

Die Hundertjahrfeier für Adam Mickiewicz

Mucki.

Vor hundert Jahren wurde in Paris das Hauptwerk von Adam Mickiewicz Pan Tadensz" veröffentlicht, das mit Recht als das polnische Nationalepos betrachtet wird. Aus diesem Anlaß wurde im Hause 63, rue de Seine, in dem der Dichter gewohnt hat, eine Plakette angebracht. Zahlreiche Persönlichkeiten des französischen und polnischen Schrift­tums wohnten der Feierlichkeit bei. Eine Abordnung der polnischen Akademie der Wissenschaften war eigens aus Warschau herübergekommen. Der polnische Botschafter de Chlapowski betonte in einer Ansprache, daß die Befestigung der Gedenktafel gleicherweise Mickiewicz ehre, wie die fran­ zösische Gastfreundschaft und insbesondere die Stadt Paris . Das Ehrenschild wurde daraufhin enthüllt. Es trägt auf polnisch und französisch die Inschrift: ,, Adam Mickiewicz , der Nationaldichter Polens , wohnte in diesem Hause, als sein Hauptwerk Pan Tadensz im Jahre 1834 im Paris veröffent­licht wurde".

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,, Das schönste Liebeslied 1934"

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Die Frauenvereinigung Stern Club" in Paris ist auf die Idee gekommen, einen Wettbewerb für das schönste Liebes­lied zu veranstalten, weil es anscheinend bis jetzt noch nicht genug Wettbewerbe gibt. Der Wettbewerb wurde natürlich vor einem äußerst eleganten Publikum ausgetragen, und am Ende wurde die Palme einem Lied von Lionel Cazaux, Worte von Suzette Desty, zuerkannt. Das Lied ist, wie eine Pariser Zeitung schrieb ,,, charmant, jung, optimi­stisch" was will man mehr von einem Liebeslied!

Bekämpft sie ohne Unterlaẞ die Tyrannei auf Erden Und heiliger wird unser Haẞ

als unsre Liebe werden.

Herwegh .