estetrabed golavesi
Pentjake
Frethen
Nr. 144 2. Jahrgang
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, den 26. Juni 1934 Chefredakteur: M. Braun
Aus dem Inhalt
Antwort an den
Reichsbankrotteur
Dr. Schacht
Von Dr. Richard Keen
Seite 4
Berlin , 25. Juni. Zur Zeit laufen in Deutschland gewisse Listen um, über die ein Geheimnis waltet. Sie enthalten die Namen der Leute, die durch Hitler in ihre Aemter gekommen find, also alle sogenannten Parteibuchbeamten". Hinter jedem Namen pflegt in der Regel ein anderer zu stehen und nicht selten sind es die Namen der Männer, die vor Hitler die gleiche Stellung innehatten.
Woher kamen diese Listen, die in allen größeren Kommunen, in allen Kreisen, vor allem aber in den Berliner Ministerien zirkulierten? Die Nazis, denen verschiedentlich von dem Umlauf der Listen Kenntnis wurde, haben schließ lich herausbekommen, was es mit den Listen auf sich hat: sie sind ein Teil der Vorbereitungen, die heute schon von der Rechten, die mit dem Zusammenbruch der Nazimißwirtschaft rechnet, für den Tag" getroffen werden.
Zuerst war die Bestürzung in den Nazifreisen ebenso groß wie ihre Empörung, aber dann allmählich schwand die Empörung, und übrig blieb nur noch die Bestürzung. Es stellte sich nämlich heraus, daß die Listen von Leuten in Umlauf gesetzt worden waren, die schon heute sozusagen unantastbar sind, denen man nicht mehr mit der Gewalt einiger SA.Haufen beikommen kann.
Seitdem versuchen die Nazis eifrig, wenigstens hinter die Namen zu kommen, die als„ Ersay" für die Parteibuchbeamten genannt werden. Aber es gelingt ihnen nicht, da die Listen sich bereits wieder in den Händen befinden, die sie in Umlauf. gesetzt haben.
Nicht weniger Bestürzung hat die sehr befremdliche Tatsache ausgelöst, daß Oskar v. Hinbenburg, mit dem Göring bislang so ziemlich alles machen konnte, plötzlich bockig geworden ist und nicht einmal mehr auf die sehr unverblümten Drohungen reagiert, mit denen der Hindenburgfreis wieder an die Seite der Nazis gebracht werden soll. Allzugroß find die Sympathien der Hindenburgleute für das ,, dritte Reich" noch nie gewesen- dazu hat Hitler dem aber im Reichspräsidenten vielzuviel Macht entrissen- Verhältnis zu jetzt war das Verhältnis ein geradezu herzliches. Nun aber kommt die Zeit, wo die Ratten das Schiff verlassen und jeder zu retten versucht, was noch zu retten ist, und um die Flucht der alten Gönner aus den Kreisen der Rechten aufzuhalten, hatten die Nazis eine möglichst enge Annäherung an den Hindenburgkreis für dringend geboten. Indessen haben freundliche Vorstellungen nicht nur nichts ge
holfen, sondern im Gegenteil nur noch geschadet, zumal sie mit der üblichen„ Diplomatie", die die Nazis nun einmal auszeichnet, vorgebracht wurden. Darauf ist man massiv geworden und hat dem jungen Hindenburg zu verstehen ge= geben, daß gewisse Kreise" die Auffassung hätten, daß zwischen Gerecke und ihm nur ein gradueller Unterschied im Urteil bestünde, und da Gerecke... usw. usw.
Man hatte geglaubt, daß nach solchen Drohungen Hindenes burg sofort zum Zuckerbrot zurückkehren würde. Aber fam anders. Oskar von Hindenburg zeigte sich plötzlich noch mehr verärgert und hat einigen Nazis mitteilen lassen, daß er nicht mehr zu Hause sein würde", falls sie ihn noch einmal besuchen wollten.
In im allgemeinen sehr gut unterrichteten Kreisen ist man der Auffassung, daß Oskar von Hindenburg unter dem Einfluß maßgebender Kreise steht, und ein Gerücht will wissen, daß ein früher sehr guter Freund des Hauses Hindenburg zu Oskar gesagt habe:„ Nur keine Bange machen lassen! Wenn sie wirklich wagen sollten, eines ihrer„ Erempel" zu statuieren, dann soll ihnen ein Liedchen aufgespielt werden, das sehr leicht zu einem Totengesang für manchen werden fann."
Und Oskar von Hindenburg bleibt wider Erwarten einmal fest!
Die nörgelnde Bürokratie
Berlin , 25. Juni. Ministerialrat Dr. Fabricius vom Reichsinnenministerium, einer der alten Kämpfer", wendet sich in der Deutschen Postzeitung" gegen die„ nörgelnden Bürofraten und wirst den Beamten die Untugend eines behördlichen Lokalpatriotismus vor, der besonders bei Maßnahmen der Partei auftrete. Das Auge dieser Beamten hafte an Schönheitsfehlern. Sie bekennen stolz, Diener des natio= nalsozialistischen Staates zu sein, was aber die Nationalsozialistische Partei anordne, billigen sie meistens nicht.
Die Weser- Zeitung" in Bremen bespricht mit sichtlicher Nervosität das Problem einer zweiten Revolution" und bemerkt dabei unter anderm: Angesichts der Gefahren, heit, beim inneren Aufbau noch radikaleren Revolutionsdie uns von außen bedrohen, ist es geradezu eine Tollmethoden das Wort zu reden, eine zweite Revolution als notwendig oder erwünscht hinzustellen und von der sogenannten, weiten Welle" zu fabeln.
Volk, rede du!
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Es ist ein seltsamer Vorgang, wenn eine Regierung ihr eigenes Volk zur Revolution auffordert. Noch seltsamer, wenn dies eine Regierung tut, die sich als die stärkste der Welt ausschreit.
Soeben ist es geschehen. Soeben hat ein Minister der stärksten Regierung der Welt das von ihm regierte Volk gebeten, aufzustehen und andere Minister davonzuhauen.
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Selbstverständlich. es war Herr Dr. Goebbels . Zu solchen Paradoxen ist kein anderer fähig. Er hat sich das Stadion von Duisburg ausgesucht, um dort vor„ Tausenden und aber Tausenden" auszurufen: ,, Wäre es nicht an der Zeit, daß das deutsche Volk selbst das Wort ergreift und diese Gilde von Stänkerern in die Flucht jagt?"
Sofort erheben sich mehrere Fragen. Wer sind die Stänkerer? Was heißt davonjagen? Und aus wem besteht das deutsche Volk, das hier plötzlich das Wort ergreifen soll, nachdem bisher nur die Führer so etwas durften?
Das dritte Reich" liebt eine kräftige, aber undeutliche Sprache. Es liebt das breite Donnern von irgendwoher gegen irgendwen, über das ganze Land weg; und es ist gut, wenn möglichst viele sich getroffen fühlen. Auf ein paar mehr oder weniger kommt es nicht an, wenn nur der Hauptschelm darunter ist. Hitler sagt: Andere sollen sich nicht in unsere Verhältnisse mischen und meint Mussolini . Papen sagt: Man soll die Kritik nicht verbieten und meint Goebbels . Und Goebbels sagt: Das Volk soll die Stänkerer davonjagen und meint selbstverständlich Papen.
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Das Volk soll es tun. Die Diktatur allein schafft es nicht mehr.
Wo sind die schönen Zeiten vom Juni 1933 geblieben? Ein Telefongespräch, SA, marschierte, der alte Herr sagte schmerzerfüllt ja, und Hugenberg war nicht mehr.
Wie war's in Deutschland doch vordem Mit Hugenzwergen so bequem! Doch heut verzweifeln die Gestapen: viel schwerer liegt der Fall bei Papen Und der Appell an Volk und Masse
scheitert am Widerstand der Klasse.
Hier liegt nämlich der Hund begraben. Herr Goebbels meinte, das Volk solle diejenigen davonjagen, die ihm sagen, daß die Arbeitslöhne unter jedem menschenwürdigen Niveau liegen. Eine possierlichere Aufforderung zur Revolution hat es wohl noch nicht gegeben. Jagt sie davon, die höhere Löhne für euch verlangen! Werft sie hinaus, die Stänkerer, die eine bessere Lebenshaltung für euch fordern! Haut sie zum Teufel, die Miesmacher, die behaupten, daß es besser werden müsse! Das deutsche Volk wird begeistert sein.
Natürlich ist Papen nicht der richtige Mann, um für Volksrechte zu streiten. Er selbst hat sie zerbrechen helfen an
Wunsch und Ahnung eines mißvergnügten Propagandisten jenem unseligen 20. Juli 1932; hat sie zerbrechen helfen, als
Die Reden der nationalsozialistischen Führer bleiben nervös und mißvergnügt. Nur der verunglückte Lyrifer Baldur von Schirach , der als Jugendführer zu grenzenlosem Optimismus verpflichtet ist, hat in seiner diesmaligen Sonntagstede auf dem Niedersachsentag wieder Fantasien auf die harmonische Volfsgemeinschaft gepredigt:
" Heute ist Jugend der Staat und mit dieser Wandlung erleben wir das heilige Wunder, daß der Klassenstaat über: wunden wurde durch den Kampfruf: Deutschland ! Erleben wir, daß wir heute nicht als Arbeiterföhne, nicht als Bürgerföhne, nicht als Ratholifen und Protestanten, sondern als die Jugend Deutschlands und die Jugend Hitlers dastehen."
Der Stellvertreter des Führers", Rudolf Seß, hat demgegenüber auf einem Jugendtag in Mülheim ( Ruhr ) immerhin gemahnt, daß der Schwung der Jugend nicht Schaden bringe für die Gesamtheit, denn er findet wohl, daß die Marichstiefel der Hitlerjugend schon Porzellan genug zertrümmert haben.
Ganz verärgert hat aber wieder der oberste Reklamechef Dr. Josef Goebbels aus Rheydt gesprochen. Was hilft ihm alle Propaganda, wenn die Kundschaft nicht mehr daran glaubt? Er lernt allmählich, daß Propaganda in hemmungsloser Opposition und Propaganda unter dem Druck der Regierungsverantwortung zwei ganz verschiedene Aufgaben sind. Auch die schmissigste Propaganda fann nicht unangenehme Tatsachen hinwegzaubern. So wetterte denn Dr. Goebbels
Volfes nicht entsprechen, so weiß die Regierung das besser als jeder andere. Sie weiß auch, wenn vier Millionen deutsche Menschen in den Arbeitsprozeß zurückgeführt werden, daß dann diese vier Millionen mit geringeren Löhnen wenigstens solange zufrieden sein müssen, bis alle in den Arbeitsprozeß zurückgeführt sind. Wäre es nicht an der Zeit, daß das deutsche Volf selbst das Wort ergreift und diese Gilde von Stänkerern in die Flucht jagt? Gewiß wäre es an der Zeit, daß das deutsche Volf selbst das Wort nähme, um die Gilde von Stänferern zu verjagen, die, wie dieser Goebbels und sein Hitler, ein Jahrzehnt nichts anderes getan haben, als durch Stänkerei, Kritikasterei, Nörgelei und verleumderisches Miesmachen ein schwer mit den Kriegsfolgen ringendes Staatswesen zu unterwühlen, und die, zur Macht gelangt, alles ruinieren, was die Republif von Weimar nach innen und nach außen zur Rettung Deutschlands getan hatte.
Aber wie soll das Volk das Wort nehmen, wenn der Reichsminister Goebbels schon Nernenzustände befommt, sobald ein ministerieller Kollege in wohlabgewogenen diplomatischen Worten eine Kritif an den Zuständen in Deutsch land nur von ferne anfündigt? Das Wortergreifen", wie Goebbels es sich vorstellt, ist eben so gedacht, daß die Fraunen und die schwarzen Söldner alle diejenigen zum Verstummen bringen sollen, die sich noch selbständiges Denken und ein eigenes Urteil gewahrt haben. Es ist der Schmerz des Goebbels, daß diese Methode nicht mehr möglich ist.
Das Volf wird das Wort nehmen. Goebbels ' Wunsch wird früher oder später in Erfüllung gehen. Seit Monaten und seine Ahnungen werden sich erfüllen
er die Republik einen Wohlfahrtsstaat schalt, der die Volksmoral untergrabe. Heute mag ihm grausen vor dem, was er angerichtet hat, und vor dem noch gräßlicheren, was sicher kommt, wenn in Deutschland so weiter gewirtschaftet wird. Er spürt den mächtig anwachsenden Strom der Unzufriedenheit aller Art, den politischen, sozialen und kulturellen Miẞmut. Und er stellt sein kümmerliches Wasserrädchen hinein, um für seine Zwecke von der Kraft des Stroms etwas abzuzapfen.
Aber das ist sicher: wenn bei dem Tauziehen, das gegenwärtig im deutschen Regierungsgebäude stattfindet, einer stürzt, dann bersten die Wände. Argus.
Amnestie an der Saar
Saarbrüden, 25. Juni 1984. Die Regierungskommission hat dem Landesrat am 28. 1. 1984 eine Verordnung zugehen lassen, die eine Amnestierung der politischen Vergehen und derjenigen Straftaten, die aus wirtschaftlicher Notlage hervorgerufen wurden, vorsieht. Damit ist eine alte Forderung der Sozialdemokratischen Landespartei Saargebiet und der übrigen antihitlerischen Orga nisationen erfüllt. Zuletzt haben wir noch in unserer Zeitung vom Freitag, dem 22. Juni 1934, unter dem Artikel Einheitsfront" diese Forderung unter Punft 3 der Entschließung bekanntgegeben. In allen Kreisen der Bevölferung herrscht tiefe Befriedigung über diese Verordnung, die .ten Landesrats finden wird,
acnen die Uebelehrbaren im Lande, miland Töhne ge- läßt jede ſeiner Neden fühlen, daß er das Kommende ahnt, ſelbſtverſtändlich die Zustimmung wahrscheinlich des geſam