" Deutsche Freiheit" Nr. 147

Das bunte Blatt

Die Tscheljuskin- Mannschaft in Moskau  

Von unserem Sonderkorrespondenten

" Noch nie habe ich Moskau   so wunderschön gesehen. Viele glückliche Tränen gab es heute hier, viel frohes Lachen und viel, sehr viel Blumen. Die strenge, rastlos tätige Stadt mit ihren von Ziffern stroßenden Aftenmappen, mit ihren von Neubauten zerflüfteten, an Schüßengräben erinnern­den Straßen, mit ihren in Arbeitshast keuchenden Auto­bussen, mit ihren Menschen, die auch noch arbeiten und stu­dieren, wenn sie ausruhen, die den unruhigen Schlaf der Schildwachen schlafen diese Stadt des Kampfes und der Beharrlichkeit hat für einen Tag ihren Gefühlen freien Lauf gelassen." So fennzeichnet der bekannte Schriftsteller Ilja Ehrenburg   die Stimmung, die am 19. Juni an­läßlich des Empfanges der Tscheljustin- Mannschaft herrschte.

Es war auch wirklich ein Abend der Freude, des uner­schöpflichen Frohsinns. Das Heldenlied vom Tscheljuskin, das das ganze Land fiebernd miterlebt hatte, fand hier seinen Abschluß. Der Rote Play" sah ein Volksfest, wie er es noch nie gekannt hatte, zu Ehren der Tscheljustin­Leute und ihrer Retter, der heldenmütigen Flieger. Die bescheidene Rede des Fhegers Molotow, die Rede Ka­manins und die Ansprache Prof. Schmidts gipfelten alle in dem gleichen Sazz: Wir haben getan, was wir als Bol­schewiken, als Klassenbrüder tun mußten." Hunderttausende marschierten an der blumenumfränzten Tribüne vorbei, auf der die Helden standen, denen wochenlang jeder Gedanke

Kind des Leiters des Observatoriums auf der Wrangel­Insel, Bujko, das in der Arftis zur Welt fam. Es regnet Blumen auf das Kind, auf die Flieger, auf die Tscheljuskin­leute. Luftballons mit Blumensträußen steigen über dem Roten Plaze auf, der schon oft begeisterte Demonstrationen sah, aber noch nie einen solchen Ausbruch heller Freude. Nach dem Triumphzug durch Sibirien   und Rußland  , nach den begeisterten Kundgebungen der Arbeiter von Wladi­ wostok  , von Swerdlowsk   und allen anderen Städten war dieser Empfang das höchste Zeichen der Verbundenheit der Polarhelden mit ihrem Volke. Die Rote Luftflotte be= grüßte sie in einem machtvollen Eskaderflug über dem Roten Platz  , dessen Höhepunkt der erste Flug des Agita­tionsflugzeuges Maxim Gorki  ", des größten Flugzeuges der Sowjetunion  , war. In ihrem Aufmarsch vor den ge­retteten Polarfahrern führten die Arbeiter der Moskauer  

Betriebe zahlreiche Modelle des Lagers auf der Eisscholle mit, Eisbären mit roten Fahnen in der Pfote, Hunde. und Hundeschlitten erinnerten die Helden an die bangen Wochen auf dem Eise und zeigten ihnen bildhaft deutlich, wie starf das ganze Volk der Sowjetunion   diese Zeit mit ihnen er­lebt hatte. Die Kundgebungen dauerten bis in die späten Abendstunden.

der Arbeiter des Sowjetlandes galt. Sie alle verbindet das Ie: Film der Expedition

Bewußtsein, zu wissen, wofür sie die Fahrt durch den nörd­lichen Seeweg antraten, wofür sie, die Flieger, Leben und Gesundheit bei den Flügen durch die Eiswüste aufs Spiel jezzten.

Ungeheuer war die Freude der Moskauer   Arbeiterschaft, die fühnen Polarfahrer und Flieger zu begrüßen, deren Gesichter noch die Spuren überstandener Strapazen trugen. Der jüngste unter den Rettern, der Flieger Ramanin, wendet sich in seiner Rede an seine Altersgenossen, die Generation, die das vorrevolutionäre Rußland nur aus Ge­schichtsbüchern und als dunkle Kindheitserinnerung fennt. Neben ihm erweckt besondere Begeisterung das gerettete

Die Zigeuner in England

Das Derby ist vorüber und langsam ziehen sich auch die Zigeuner wieder zurück. Schon mehrere Tage vor dem be­rühmtesten aller Rennen waren die Zigeuner dort angefom­men und haben am Rande des Rennplages ihre Zelte auf­geschlagen. Es ist eine alte Tradition, die bis auf die Schöp­fung dieser berühmten sportlichen Veranstaltung zurückgeht:

Anläßlich des Empfanges der Tscheljustin- Mannschaft haben alle großen Moskauer   Kinos größere Teile des Tscheljusfin- Films vorgeführt, der am 15. Juni per Flug­zeug in Moskau   eintraf. An der Fertigstellung des ganzen Films wird derzeit gearbeitet. Der durch den Operateur Schafran auf dem Tscheljuskin" und teilweise im Lager auf der Eisscholle aufgenommene Teil des Films, die Auf­nahmen vom Untergang des Schiffes und der Rettungs­expedition sind großenteils gelungen. Es ist anzunehmen, daß der Film noch im Laufe des Sommers in der Sowjet­ union  , Frankreich   und den Vereinigten Staaten   vorgeführt werden wird.

dem Derby- Plaz, halten alle Stämme des Landes Reunion. Die Königin hat in der Mitte des Feldes ihr Zelt aufge­schlagen, ein hohes und auffallendes Zelt, das alle anderen überragt; und während ihre weiblichen Untertanen allen Besuchern die Zukunft voraussagen, gibt sich die Herrscherin damit zufrieden, nur einigen wenigen Auserwählten Gutes zu prophezeien.

die Zigeuner müssen dort sein. Kein gutes Derby ohne sie. Eine erstaunliche Operation

Die Zigeuner sind in England wirklich zu Hause. Ihre Stämme leben in diesem Land, und besonders in Irland  , schon seit Jahrhunderten. Obgleich sie dort fest ansässig ge­worden sind, haben sie sich nie mit der Bevölkerung, die sie umgibt, vermischt. Die Zigeuner bewahren ihre Sitten und Gebräuche und heiraten nur untereinander; sie erkennen noch nicht einmal eine andere Autorität als die selbst ge­wählte an. Die gitanos" Spaniens   haben einen König, die " gipsies" Englands haben eine Königin. Diese Königin be­herrscht viele tausend Männer und Frauen, die über das ganze Vereinigte Königreich verstreut leben. In Epsom  ,

Wie gemeldet wird, hat Professor Maschousky, Chirurg an

Feuerlilien

Freitag, 29. Juni 1934

Die Feuerlilien im Beete flammen

Aus ihrem aufgebrochenen Mund. Gedrängt, an Schultern, stehen sie zusammen In ihrem fast zu engen Rund.

Auf ihren steilen Blätterschaften stiegen Sie hoch aus dem verworrnen Grund. Was sie in ihrem feuschen Kelch verschwiegen, Tun sie nach thren hart erstiegnen Siegen Stolz dem gelaffnen Sommer fund.

Die Glut, die sie von Anbeginn durchflossen, Wie quoll sie nach dem offnen Tor! fest stehen sie, Genossen bei Genossen, Und recken ihre Zungen nie verdrossen Bis fie ihr ganzes Leben ausgegossen Wie ein vom Geist erfüllter Chor.

Emanuel v. Bodman  .

Der Koran   und das Radio

Jbn Saud, der König von Nedjeb, Hedschas   und Affir- und nun wohl auch bald von Yemen  , geht trotz seiner Vor­liebe für alle Errungenschaften der Zivilisation nur sehr zögernd daran, seine Untertanen, die streng im Geiste der Lehre des Propheten erzogen sind, mit den Erzeugnissen des abendländischen Erfindergeistes in Berührung fommen zu lassen. Aber im Grunde ist er ein sehr moderner Herrscher. Vor nicht allzu langer Zeit führte er 5000 Mann in Auto­mobilen nach Meffa und erregte dort mit seiner Pilger­farawane" ungeheures Aufsehen. Ein anderes Mal ver­einigte er in Riad  , im Mittelpunkt seines Reiches, an­nähernd tausend Edele seines Stammes nur zu dem Zwecke, von ihnen zu erfahren, ob der Radioapparat, den er ihnen vorführen ließ, von ihnen für Zauberwerk gehalten werde. Da die Gesellschaft wahabitischer Edeler sich ausgezeichnet unterhalten fühlte und auch der Koran   nichts Besonderes gegen das Radio anführt, ist es jetzt offiziell anerkannt und überall zugelassen worden.

Der Fluch der Emanzipation

Wie man hört, haben die türkischen Studenten beschlossen, feine Frauen mehr zu heiraten, die an irgendeiner Uni­versität oder Hochschule ein Diplom errungen haben. Sie erklären, daß sie von den jungen Mädchen, die alles wissen". genug haben, und nicht gewillt sind, sich ihre verdiente häus liche Ruhe durch endlose wissenschaftliche Diskussionen, lite rarische und fünstlerische Ergüsse stören zu lassen, besonders, weil obendrein das Essen anbrennt. Wir wollen Haus: frauen und zukünftige Familienmütter," erflären fie. Sollte das der Ausdruck schlechter Laune wegen der unbeliebten Konkurrenz sein, die man durch die Drohung, sie nicht zu hei raten, von den Universitäten fernhalten will?

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der Universität Leningrad  , eine wahrhaft erstaunliche Ope- Ein Rekord- sogar für Hollywood  

ration mit einer Kunst und mit einer Kühnheit ausgeführt, die berechtigt ist, in den Annalen der medizinischen Wissen­schaft verewigt zu werden. Professor Maschousky hat einen Patienten geheilt, der an chronischem Gliederzittern litt, die Folge einer Nervenkrankheit, indem er an ihm eine ebenso neuartige wie komplizierte Operation ausführte. Er hat ein Ende des Nervenstranges im Rückgrat des Kranfen entfernt, und das Zittern hat vollkommen aufgehört.

Lola Lane  , ein Filmstar aus Hollywood  , hat einen Reford im Schnellheiraten aufgestellt. Al Hall  , Filmdirektor, bat sie um 7.45 Uhr um ihre Hand. 10 Minuten später saßen sie schon im Flugzeug nach Las Vegas   in Nevada  . Nach Ver­lauf von zwei Stunden waren sie verheiratet, um dann bald wieder nach Hollywood   zurückzukehren. Auf jeden Fall haben fie feine Zeit verloren.

Unsere Töchter, die Nazinen

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Roman von Hermynia Sur Mühlen. Um diese Zeit liefen viele zu den Nazis über, aber bei den meisten wußte ich, daß sie es nur tun, weil sie sich davon einen Vorteil erhoffen, und die jungen Burschen taten es, weil es ihnen Freude machte, in einer Uniform zu para­dieren und großartig zu tun. Ich weiß ja nicht, wie das in anderen Ländern ist, aber wenn bei uns einer eine Uni­form sieht, wird er rein verrückt. Als ob die Uniform und der Krieg unserem armen Lande nicht schon genug Böses angetan hätten.

Auch bei vielen, die seit Jahren arbeitslos waren, fonnte ich es zur Not begreifen, das war eben die Verzweiflung, die sie zu den Nazis trieb; vielleicht können die uns Arbeit geben. Aber weshalb Studenten und hochgebildete Menschen zu ihnen gingen, das verstand ich nicht. Der Sohn des Notars Fachinger lief in einer SS.- Uniform herum und hob auf der Straße die Hand hoch, wenn er seine Partei­genossen sah. Dabei war er ein fluger junger Mann, der in Berlin   studierte; der hätte es doch besser wissen können. Was die Weiber anbelangte, so famen sie mir recht komisch vor: meist waren es ältliche Frauenzimmer, die keinen Mann gefunden hatten, oder Witwen; die jungen unter ihnen aber hatten bestimmt einen Schatz, der Nazi war. Also das konnte man doch nicht Ueberzeugung nennen. Es war mein einziger Trost, daß die Toni nicht wegen eines Burschen und nicht wegen eines Vorteils in die Partei eingetreten war. Bei ihr war das keine Gemeinheit, son­dern nur Verblendung.

Das ganze Städtchen war nun politisiert". Ueberall standen kleine Gruppen umher und debattierten. Nur der Doktor Feldhüter sagte nie etwas, das ihn festgelegt hätte. Er humpelte mit seinem Klumpfuß und seinem bösen Ge­sicht über die Straße, er grüßte alle ebenso höflich wie immer, die Bürger, die Arbeiter, die Christen und die Juden, ja sogar den Doktor Bär, den er doch haßte. Die Frau Doktor jedoch lief aufgeregt herum wie eine vergiftete Ratte. Sie horchte hier und dort jedem Gespräch auf der Straße und machte jedesmal ein zustimmendes Geficht mer etwas gesagt hatte. Sie war wie ihr

mit niemand verderben. Ihre Tochter Pie

Schatz nach dem andern, aber immer nur

ten

n.

Sie war jetzt neunundzwanzig Jahre alt, und im Städtchen wurde viel darüber gesprochen, warum sie, die doch ein schönes Mädel war, nicht heiratete. Vor neun Jahren war sie verlobt gewesen mit einem Ingenieur, aber die Eltern hatten die Heirat nicht zugegeben, weil der Ingenieur ein armer Schlucker war. Die Frau Doktor wollte hoch hinaus mit ihrer Tochter; am liebsten hätte sie für sie einen Ade­ligen gefunden. Deshalb war sie auch so böse darüber, daß die Gräfin Agnes nicht mit ihr verkehrte, obzwar sie dort feinen Menschen kennengelernt hätte, weil die Gräfin Agnes seit dem Tode ihres Mannes nie jemand bei sich sah. Die kleine Villa in dem großen Garten, der bis zum See reicht, war wie ein verwunschenes Märchenschloß, so still und ver­einsamt. Und die Gräfin Agnes las und las den ganzen Tag und wußte faum, was in der Welt vor sich geht. Nur jetzt schien sie endlich etwas zu merfen. Ich ging, furze Zeit, nachdem meine Toni zu den Nazis gegangen war, in die fleine Villa. Irgendwem mußte ich mein Herz ausschütten, und vor der alten Frau, die mich schon so lange fennt, und die bei der Geburt meiner Toni dabei war, schämte ich mich noch am wenigsten.

Sie schwieg einen Augenblick, nachdem ich ihr alles erzählt hatte. Dann wurde ihr blasses Gesicht dunkelrot, und sie sagte heftig:

" Ihre Toni, bei diesem Pöbel?"

Und dann wurde sie noch röter und blickte mich entschul­digend an.

Sie wissen doch, wie das gemeint ist, Kati, nicht wahr? Ich meine ja nicht die Arbeiter. Aber was bei dieser Partei ist, ist Pöbel, die Führer, die Mitglieder, die Mitläufer."

Weiß Gott  , daß die alte Frau mir aus der Seele sprach, aber irgendwie fränfte es mich doch, daß sie nun sozusagen auch meine Toni zum Pöbel warf, und ich sagte etwas boshaft:

Es sind auch viele Adelige dabei."

"

Die alte Frau lachte; ich glaube, sie verstand sofort, wes­halb ich das gesagt hatte.

Die sind der ärgste Pöbel," erwiderte sie. Der aller­ärgste. Für die gibt es keine Entschuldigung." Glaudia fam ins Zimmer. Ich staunte, wie gut sie aus­Sie war voller geworden und hatte rote Wangen und hen. Sie trug ein hübsches Kleid und war Auch darüber wunderte ich mich, weil sie sich ſeit J ng gen gelassen hatte und herumgelaufen war

wie ein altes Weib, dem es gleichgültig ist, wie es aussieht. Sie war auch sehr freundlich zu mir und fragte nach Toni. Für ihre Mutter jedoch hatte sie nur einen verächtlichen Blick. Ich wußte ja, daß die beiden einander gar nicht ver­stehen, aber so arg hatte ich es mir doch nicht gedacht. Aber die Gräfin Agnes schien schon daran gewöhnt. Sie sagte freundlich:

Gehst du aus, Claudia?"

" Ja, ich habe in der Stadt zu tun." Als sie gegangen war, sagte ich:

Wie gut die Claudia aussieht, sie ist um zehn Jahre jünger geworden."

Tie alte Frau lächelte freudig.

Ja, ich bin so froh darüber. Sie geht jetzt auch nicht mehr den Menschen aus dem Weg. Jeden Tag läuft sie in die Stadt. Und alles interessiert sie. Sie liest Zeitungen, sie dreht das Radio an. Ich glaube, jezt ist sie endlich wieder ganz gesund."

Und auch ich freute mich, daß die Gräfin Agnes sich um die Tochter feine Sorgen mehr zu machen braucht.

Der Winter war recht falt und unfreundlich. Manchmal schien eine ganz blasse Sonne durch die Wolfen, aber sie wärmte nicht. Ich litt sehr an meinem Rheumatismus, und die Toni war so lieb zu mir. Sie duldete nicht, daß ich irgendetwas im Haushalt anrühre, und die Wäsche über­nahm sie auch; ich brauchte sie nur abzuholen und zurück­zutragen. Nur sprechen fonnten wir nicht miteinander. Zu Weihnachten pußte ich ein Christbäumchen, nicht weil ich fromm bin, sondern weil wir es der kleinen Toni zulieb immer getan hatten, und es nun in mir das Gefühl er­weckte, als müsse, sobald die Kerzen angezündet sind, mein Anton in die Stube treten und mit geheimnisvoller Miene allerlei Dinge aus seinen Taschen holen: Ueberraschungen für die Toni und mich. Deshalb hatte ich auch nach seinem Tode jedes Jahr ein Bäumchen geschmückt. Dieses Jahr freilich hätte ich es lieber unterlassen sollen. Der blaue Wolljumper, den ich heimlich für Toni stridte, wurde nicht fertig, weil das Striden meinen rheumatischen geschwollenen Fingern zu weh tat, so konnte ich dem Kind nichts geben, als ein paar Aepfel und vergoldete Nüsse. Dafür aber kam mit der Post ein Paket für die Toni, und ich freute mich, daß sie nun doch nicht ganz leer ausgehen würde. Doch wollte die Toni das Paket nicht aufmachen.

( Fortsegung folgt.]