Deutsche Stimmen. Beilage zur Deutschfien Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Sonntag- Montag, den 1. und 2. Juli 1934

Ein Brief Romain Rollands

The arbeitet für das neue Jahrtausend, dessen Eingangspforte ihr seid"

Romain Rolland hat an Bela Illès , den Sekre­tär der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller, den folgenden Brief gerichtet: Die schöpferische Arbeit des Schriftstellers

Werter Genosse Béla Illés

Ich habe Ihren Brief vom 16. Mai mit der Einladung der ,, Vereinigung sowjetrussischer Schriftsteller" erhalten. Sehr gern hätte ich Ende Juni an Ihrem Kongreß teilgenommen, aber meine Krankheit macht mir die Reise unmöglich. So, will ich mich mit Ihnen wenigstens schriftlich über gewisse Fragen, über die der Kongreß diskutieren wird, unterhalten.

Vielleicht ist es interessant für Sie, das nachstehende Frag­ment eines Briefes, den ich soeben einem Genossen in Nowo­ Sibirsk geschrieben habe, kennen zu lernen. Dieser Genosse holte meinen Rat für Arbeiter- Anfänger ein über die Kunst zu schreiben. Ich riet ihm zu meiner eigenen Regel:

,, Frage: Welche grundlegenden Ratschläge kann man Schriftsteller- Anfängern geben, besonders solchen aus Arbei­ter- und Bauernkreisen?

Antwort:

1. Man soll niemals etwas schreiben, ehe man nicht zwin­gende Verpflichtung dazu fühlt, sei es infolge einer Ver­pflichtung zur sozialen Aktion, sei es aus innerer Notwendig­keit heraus. Es ist nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich, die Zahl jener Schriftsteller zu vergrößern, die aus Laune oder aus Eitelkeit schreiben. Alles, was man schreibt, soll Notwendigkeit sein oder scheinen.

2. Wenn man schreibt, soll man aufrichtig sein und sich zur Aufrichtigkeit zwingen. Man soll nur schreiben, um die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit über das, was man denkt, was man sieht, was man glaubt.

3. Man soll arbeiten, um sich so richtig wie möglich in der präzisesten, direktesten, klarsten und kür­zesten Form auszudrücken. Das ist das ganze Geheimnis des Stils. Wenn man das erreicht hat, schreibt man gut. Aber es ist schwer. Denn meistens hat man große Mühe, sich aus dem Gewirr, dem Kompost, dem Dunklen, Nebelhaften, und all dem Unnötigen, das uns ein­hüllt, herauszuarbeiten.

4. Eine solche Arbeit muß ein jeder allein, individuell machen. Denn ein jeder muß gegen die Fehler ankämpfen, die seiner eigenen Natur innewohnen, er muß sie gut er­kennen, er muß sein eigener, strenger Richter sein. Aber eine solche Arbeit, die darin besteht, sich Festigkeit und Sauberkeit im Ausdruck anzueignen, wird erheblich erleich­tert durch die Lektüre einiger schöner, großer Werke der ..klassischen Literatur in der eigenen Sprache. Man soll sie auf die allgemeine Anlage des Stoffes, auf den Aufbau der Kapitel und in den Kapiteln auf den der Sätze, der gedank­lichen Logik und des Wertes der Worte hin studieren.

( Das, was vorangeht, ist die vorbereitende Arbeit, die tech­nische Arbeit, unentbehrlich, um das Werkzeug des Stils zu schmieden und seine Handhabung zu üben.)

Erst dann, wenn das getan ist, beginnt die wirkliche, schöp­ferische Arbeit. Man sieht sich verschiedenen künstlerischen Strömungen gegenüber. Dem Realismus, dem Naturalismus, dem Romantismus usw.

Alle können nicht gleiche Wahl treffen. Denn man muß auf die Notwendigkeit der eigenen Natur Rücksicht nehmen. Es ist sogar eine Pflicht, die eigene Natur auszureifen und zu vervollkommnen, denn, wohlgemerkt, in der Kunst kann niemand gegen seine Natur etwas Gutes leisten. Es handelt sich also darum, aus dem, was die eigene individuelle Natur verlangt, für das große Kollektivwerk das beste heraus­zuentwickeln. Und darum muß das kollektive Werk sich von weiten, fruchtbaren, allumfassenden Prinzipien leiten lassen.

Was mich betrifft, so habe ich als Hauptregel immer das Gebot des großen Goethe befolgt, dessen schöpferische Tätigkeit all die verschiedenen geistigen Mächte umfaßte: Lyrik und Wissenschaft ,,, Dichtung und Wahrheit ".

,, Der Geist des Wahren ist das wahre Ideal" Versuchen wir in den ,, Geist des Wahren" ein­zudringen, aber nicht nur bis zur Rinde. Gehen wir bis auf den Grund. Wir müssen die lebendigen Kräfte des Wah­ren erfassen und sie nach außen hervorsprudeln lassen. Ihr, die Ihr Arbeiter und Zeugen des gigantischen Wiederaufbaus einer Welt seid, begnügt Euch nicht damit, die oberfläch­lichen und konfusen Bewegungen auf der Arbeitsstätte zuz beschreiben. Bohrt in den Seelen, in der Gemeinschaftsséele

Die Wahrheit

Damentee bei Hitler

Eine authentische Begebenheit

Man hört gelegentlich von den stillen Stunden", die Hitler im Kreise seiner Mitarbeiter auf dem bayrischen Gut Ober­salzberg verbringt. Aber über eine sozusagen gesellschaft­liche Veranstaltung im Hause Hitler bringt folgende kleine Geschichte Aufschluß, die uns direkt von einer Augenzeugin übermittelt worden ist. Die junge Dame berichtet:

,, Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich eines Morgens einen Anruf aus der Reichskanzlei erhielt, ich solle mich noch am gleichen Abend in der Wilhelmstraße zu einem kleinen Gesellschaftsabend einfinden? Sofort beratschlagte ich mit einem meiner guten Freunde die wichtigste Vorfrage: ,, Schminken oder nicht?"

Er entschied: Nicht schminken!" Er erinnerte sich an das bekannte Naziwort: ,, Die deutsche Frau schminkt sich nicht!" So warf ich mich also abends in ein dezentes Gesellschafts­kleid und nahm mir, da es etwas spät geworden war und ich an der Peripherie der Stadt wohne, rasch ein Auto. Dem Chauffeur sagte ich: ,, Zur Reichskanzlei!" Das Wort wirkte. Ich kam in rasendem Tempo pünktlich vorgefahren und eilte

NE ma

Dummheit ist Trumpf ist Trumpf

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wie in einem Brunnen, damit das Grundwasser der verbor­genen Energie, die Euch in der Sowjetunion nährt, aus dem Boden hervortritt und sich ausbreitet. Der hauptsächlichste Fehler der Sowjetliteratur ist eben der, daß sie sich auf die äußerliche Beschreibung der Tatsachen des Aufbaues be­schränkt. Man muß den brennenden Geist der Exaltation, der begeisterten Selbstverleugnung und des festen Glaubens, der hier herrscht und die Mannschaften über sich selbst er­

hebt, heraufbeschwören, erwecken, ausstrahlen. Dem Realis­mus der Beobachtung muß sich die natürliche Lyrik des Her­zens beigesellen, die erwärmt; das ist das geistige Gleich­gewicht, das sich schwer verwirklicht. Hier ebenfalls kann das Beispiel der großen Meister die Anfänger erleuchten."

Ich möchte, werter Genosse Béla Illés , Ihnen noch einige Worte sagen über den ,, sozialistischen Realismus", der, nach dem Wort des Statuts der Vereinigung der Sowjet­schriftsteller die hauptsächlichste Methode der Sowjetliteratur ist.

Niemand verkündet mehr als ich die Notwendigkeit eines lebendigen Bandes zwischen dem Künstler und der konkreten Wirklichkeit, nicht nur objektiv studiert, sondern wieder­erlebt in voller schöpferischer Tätigkeit. Ich habe geschrieben:

,, Jeder Gedanke, der nicht zur Aktion führt, ist eine Fehlgeburt oder ein Verrat",

und ich habe versucht, jede meiner Schriften zu einer Aktion zu machen.

Ich stimme also den Sowjetschriftstellern zu, die ihre Kunst in die Flut der Entwicklung und der Revolution stel­len, der Revolution, die bekämpft, zerstört und wieder auf­baut. In diesem Sinne haben sie teil an den lebendigen Kräften der Epoche. So werden sie selbst zum Naturelement.

Aber es wäre übertrieben und sogar unheilvoll für die Zukunft der neuen Ordnung, die von der Revolution ge­schaffen wird, wollte man die Kunst nur in diese einzige Rolle einengen.

Die freien Gebiete der reinen Betrachtung, der großen gei­stigen Träume müssen der Poesie reserviert bleiben. Ebenso wie die Wissenschaft für ihre Forschungen uneingeengte Freiheit gebräucht, ohne sich in ihren legten Gedanken dabei aufzuhalten, welchen Gebrauch man von ihren Entdeckungen

machen wird

Der letzte Schrei ist die Ekstase Für Rasse, Blut und Nation;

Zum Hausgebrauch für Schmidt und Hase Gut eingepackt in eine Phrase Der geistigen Konfektion.

Halbbildung ist ein schweres Leiden, Das man mit Lögik nicht heilt. Um schlimmste Folgen zu vermeiden, Muß man es an der Wurzel schneiden, Damit es nicht weitereilt.

Die Aussicht, aus Analphabeten Menschen zu machen, ist stark. Doch nationalen Haßpoeten

Muß man fest in den Hintern treten, Mitten ins geistige Mark!

Die braune Kamera Das nationalsozialistische Erlebnis

Horatio,

,, In diesem Sinne erkläre ich die Ausstellung für eröffnet," schloß Goebbels die Eröffnungsrede der riesigen Leistungs­schau, deren gewaltige Wandfotografien u. a. historische Mo­mente der nationalsozialistischen Revolution darstellen". Dann durchbrausten die Berliner Ausstellungshallen das Deutschlandlied und das Horst- Wessel- Lied". So schreibt der Lokal- Anzeiger" über die Schau deutschen Schaffens: Die Kamera". Es ist ein Vergnügen, Goebbels Rede zu lesen, weil der maitre aller Manager, vor sich die Widergaben von Hunderten von Objektiven, die Objektivität des Objektivs anerkannte, zum ersten Male die Wahrheit sprach:

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,, Aber nicht nur für unsere eigenen Volksgenossen hat die Kamera diese Bilddokumente eines unbeirrbaren, neuen deutschen Werdens geschaffen ebenso unvergleichlich ist die Wirkung auf das skeptische Ausland. Heute werden auch dem mißtrauischsten Ausländer, sofern er nicht bösen Wil­lens ist, durch die Kamera die Augen geöffnet."

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Tatsächlich, das Kameraobjektiv ist nicht gleichzuschalten, es bewahrte seine Objektivität, tatsächlich, den mißtrauisch­dem sten Ausländern wurden ,, durch die Fotos" aus Deutschland von heute die Augen geöffnet. ,, All jenen, die die herzerhebenden Tage nicht selber mit­erleben durften den ersten Mai, den Tag von Tannen berg , den Tag am Niederwalddenkmal, die Tage von Nürn­ berg und das Erntedankfest an den Ufern der Weser durch die Hochflut von Bilderveröffentlichungen der Aufbruch der in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern Nation vor geistigem Auge." Vor dem geistigen Auge der Welt steht heute wie ein Mene- tekel die fotografierte Wirklichkeit, der fotografierte Ungeist der Herrschenden einer geknechteten Nation.

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steht

,, Das Erlebnis des einzelnen ist zu einem Volkserlebnis geworden, und das nur durch die Kamera."

heute denn die angewandte Wissenschaft wird später nach und nach aus den ewigen Quellen schöpfen, ebenso muß man notwendigerweise das innere Aufwallen der Lyrik und die poetische Konzentration in ihrer ganzen Fülle bestehen lassen. Das sind Reichtümer, die zu­tiefst im menschlichen Geist eingegraben sind. Wenn man ein anderes Bild anwenden will, kann man sie mit kostbaren Minen vergleichen, die die Reserven bil­den für die Zukunft. Die größten Dichter, Goethe, Shake­ speare , Dante , Aeschylos , lassen in ihren Werken zwei Dinge erscheinen: Eines ist an die Entwicklung ihrer Zeit gebunden, das andere geht viel tiefer und weit über die Bedürfnisse und das Streben ihres Zeitalters hinaus. Und dieses lettere ist es, von dem noch die neuesten Zeitalter leben. Es hat ihren Ruhm und den ihres Volkes verewigt.

Meine Genossen! Geht sparsam um mit Euren Reich­tümern. Ihr arbeitet nicht für den gegenwärtigen Augenblick. Ihr arbeitet für das neue Jahrtausend, dessen Eingangspforte ihr seid. Sichert also breiten Platz den Dichtern und Gelehrten, deren Stimme einen weiten Raum füllen kann. Ermutigt die reine Poesie wie die reine Wissenschaft. All das, was Kunst und Wissenschaft auf dem Felde der Schönheit und der Wahrheit erwirbt, ist der Speicher für die Samenkörner der neuen Welt, die Ihr gründet.

Ich füge hinzu, daß all das den reinen Künstler( wie auch den reinen Gelehrten) nicht von einer Arbeit entbindet, die sozial nützlich ist. Das ist nicht nur unbedingte Rechtspflicht gegenüber der Gemeinschaft, sondern auch notwendige hygi­ene des Geistes. Intellektuelle Konzentration und produktive Weite sollen miteinander abwechseln und einander das Gleichgewicht halten. Vollkommener Mensch wird der, dem es gelingt, in sich ein reiches Innenleben zu unterhalten und gleichzeitig dessen Energien in die gemeinsame Tat ausfließen zu lassen.

Ich sende Ihnen, unseren Genossen der Vereinigung der Sowjetschriftsteller, meine brüderlichen Grüße und drücke Ihnen, Genosse Béla Illés , herzlichst die Hand. Ihr ergebener

Romain Rolland .

die Treppen hinauf, nicht ohne mich vorher bei einer ganzen Schar uniformierter Türwächter ausgewiesen zu haben. Auf der Treppe begegnete ich einer jungen Dame in voller Kriegsbemalung. Welch ein Schreck! Rasch verschwand ich in einem kleinen Nebenraum, um mit Hilfe der in der Hand­tasche mitgeführten Utensilien das Versäumte gebührend nachzuholen.

Also, die deutsche Frau schminkt sich doch! In dem Zimmer, in dem uns Hitler empfing, fand ich schon eine große Zahl von Damen in halblautem Gespräch beisammen. Der Führer schwieg beharrlich und saß steif, gleichsam in Würde erstarrt, gelangweilt zwischen den vielen Frauen. Das Essen war gut, aber einfach. Während der Mahl­zeit fiel ebenfalls fast kein Wort. Als las Schweigen auch nachher andauerte, faßte sich eine der jungen Frauen, eine blonde Naive, das Herz und holte großzügig zu einer Frage

aus:

Und das nur durch die Kamera. Und das nur durch die Kamera? Ja, Goebbels sprach die Wahrheit, das Erlebnis des einzelnen ist zu einem Volkserlebnis geworden durch Goebbels Camera obscura. Die Lichtstrahlen, die in eine Camera obscura fallen, geben alles umgekehrt wieder.

Intelligenzbestiengift

F.

Ortsgruppenleiter Seehofer, Lauf, eröffnete im Sprechabend bei der Ortsgruppe Altstadt, Sektion Egydien, den Kampf gegen Kritikaster, Miesmacher und Besserwisser. Er geißelt in scharfen Worten die staatsfeindliche Tätigkeit jener noto rischen Nichtskönner, konfessionellen Hetzer und sonstigen Kerle, die vor der Machtübernahme den Nationalsozialismus bekämpften und in den Dreck zogen. Wenn diese feinen Leute heute glauben, nachdem sie 14 Jahre lang alles getan haben, um den Wiederaufstieg unseres Vaterlandes zu ver hindern, nunmehr ihr Intelligenzbestiengift in das deutsche Volk hineinspritzen zu können, so bekennen sie sich damit zu den Feinden Deutschlands und müssen damit rechnen, in Zukunft entsprechend behandelt zu werden. ,, Fränkische Tageszeitung."

Struensee

,, Struensee " ist das Thema des ersten internationalen Films, den die neue Toeplitz- Produktion in London drehen wird.

Der Film, der von H. G. Lustig und M. Logan ver faßt ist, zeigt das Leben des Arztes Struensee , der sich it 18. Jahrhundert zum Diktator Dänemarks aufschwang und ein tragisches Ende nahm. Kurt Bernhard wird den Film inszenieren. Für die Titelrolle wird ein bekannter amerika­nischer Star nach England engagiert.

Sie zögerte ein wenig, dann kam es fast wider Willen heraus: Weil Sie immer beim Aussteigen aus dem Flugzeug so schneeweiß aussehen!" Tableau eisiges Schweigen.

Nach diesem mißglückten Versuch wagte es niemand mehr, die Konversation fortzusetzen. So vergingen wieder peinlidie Minuten, in denen jeder seine eigenen Gedanken übor Aviatik und Heroentum haben mochte.

Schließlich gelang es einem der hünenhaften Männerbund­angehörigen, die Hitler auch hier sorglich vor der Anziehung des anderen Geschlechts schirmten, das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Man sprach von dem Harmlosesten auf der Welt, das es gibt, man sprach von Spazierengehen.

Adolf Hitler erklärte in dem Tonfall eines Napoleon: ,, Ich habe keine Zeit, spazieren zu gehen. Daraufhin wagte eine der eingeschüchterten Schönen, die Bemerkung: Aber mein Führer, Sie haben doch einen so prächtigen Garten direkt hinter der Reichskanzlei.

Da brauste Adolf auf: ,, Was, in den Garten soll ich gehen, damit sie mir über die Mauer eine Bombe schmei

,, Mein Führer! Sie lieben das Fliegen wohl nicht gerade Ben?" Er zitterte förmlich an allen Gliedern. besonders?"

Warum?" kam es erstaunt und polternd aus seinem

Mund.

Die Unterhaltung war jäh beendet, und nach einigen Höf. lichkeitsworten fand das gesellschaftliche Ereignis im Hause Hitlers seinen zeitigen Abschluß." ( ,, Die Wahrheit".)