Deutsche Freiheit" Nr. 151

Das bunte Blatt

Die besten Gedächtnisse der Erde

Die Psychologie befaßt sich zur Zeit lebhaft mit einer G e- dächtnisschule", die in Bombay von einem Prof. Thimothy Avadhani eröffnet worden ist. Die mit Avadhani veranstalteten Proben ergaben, daß er tatsächlich in der Lage ist, alles zu behalten, was man ihm ein­mal in irgend einer Sprache erzählt oder vorsagt ein aus­gesprochenes Spiegelgedächtnis, das nach Avadhanis Be­hauptungen in jedem Menschen entwickelt werden kann.

Dieser Prof. Thimothy Avadhani aus Bombay lächelt, als man ihn als Wunderkind" mit grauen Haaren bezeichnet. Nein, ganz und gar kein Wunder. Denn er habe als Kind geradezu ein schlechtes Gedächtnis gehabt. Er habe es im Laufe von mehr als 25 Jahren mühsam entwickelt". Heute sei es nun aber auch perfekt".

Man sagt ihm Säße in Swahali, in Singhalesisch, in Tibe­tanisch, in europäischen Sprachen. Nach einer halben Stunde fragt man nach diesen Säßen und langsamt formt sein Mund Wort für Wort aus diesen Sprachen, die er teilweise gar nicht versteht.

Die Wochentage irgend eines Datums der Gegenwart, der Vergangenheit, der Zukunft, 10 000 Verse aus den heiligen indischen Schriften.

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Mißtrauisch wendet sich der Europäer ab und murmelt und bedenkt dabei etwas von indischen Wunderdingen nicht, daß Europa ganz ähnliche Phänomene beherbergte und wohl auch noch beherbergt.

Es ist interessant, daß die meisten Gehirnphänomene Euro­ pas auf dem Gebiete der Mathematik( und dann noch in der Musik) zu verzeichnen sind.

Aber ob wir bei Euklid anfangen und bis Newton oder Gauß diese Wundermenschen durchsehen, ob wir selbst bis in die Welten der Schachmeisterschaften steigen, wo dieser oder jener 20 Partien blind zu spielen vermag wir müssen eine unerschütterliche Tatsache verbuchen-: es gibt feine Frauen unter diesen Gehirnwundern.

Hier scheint die Frau ein Manko" zu haben, das freilich insofern wieder keins ist, als ein Wunder nie etwas ist, was zum Leben naturnotwendg gehört.

Dies sei nur gesagt, um entrüsteten Protesten zu begegnen, ehe sie ausgesprochen sind.

Aus der Fülle der Wundergehirne wollen wir einige her­ausgreifen, die besonders nahe an unsere Zeit herankommen und bei denen wir mit Beispielen aufwarten können. Für jene, die es auch zu können glauben zur Nachahmung:

Da lag der Prof. der Geometrie, F. Wallis, schlaflos in dunkler Nacht und rechnete und rechnete. Und ohne Papier, ohne Bleistift oder irgendein Hilfsmittel zog er die Qua­dratwurzel aus 30000, 00000, 00000, 00000, 00000, 00000, 00000,

Die Juwelen des Baren

Die Stadt Chikago hat beschlossen, die ursprünglich nur für die Dauer eines Jahres vorgesehene Weltausstellung wieder zu eröffnen, und es werden bereits die lebhaftesten Anstrengungen gemacht, um neue Sensationen zu schaffen. Von ganz besonderem Interesse ist es, daß als neue Attrak­tion die Juwelen der russischen Zarenfamilie ausgestellt wer­den sollen, ein wahrer Schatz einmaliger Kostbarkeiten, der bisher noch niemals öffentlich zur Ausstellung gelangt ist. Die Direktion der Weltausstellung verhandelt bereits seit längerer Zeit mit der Sowjetregierung, und die Russen sollen fich jetzt bereit erklärt haben, die Juwelen der Zarenfamilie nach Chikago zu senden, wo sie in einem besonderen Pavillon zu sehen sein werden. Man kann auch darin einen Ausdruck der Annäherung zwischen Amerika und Rußland erblicken, der sich im letzten Jahre vollzogen hat, denn bisher hatte sich die Sowjetregierung stets geweigert, den Kronschatz des Zaren zu Ausstellungszwecken zur Verfügung zu stellen. Die Sowjets sollen übrigens die Kosten der Versicherung der Juwelen von Rußland bis zur amerikanischen Küste über­nommen haben.

Die Juwelen, die in Panzerkoffern der Staatsbank in

00000 und erhielt das Ergebnis 177,205, 08075, 68077, 29353. Damit hatte er in sich eine besondere Fähigkeit entdeckt, die er in der Folgezeit weiter ausbaute. Aber rechnen konnte er auf diese Weise immer nur in dunklen schaflosen Nächten. So gaben ihm denn seine Berufsgenossen wahnwißige Aufgaben auf, die zu lösen sonst u. U. Tage und Wochen ge­dauert hätte. Wallis schaffte es so.

Mit sechs Jahren löste 3. Colburn jede Aufgabe, wie etwa: wieviel Sekunden haben 3450 Jahre; der 10 Jahre alte George Bidder rechnete in zwei Minuten aus, wieviel 41/2 Prozent von 4444 Pfund in 4444 Tagen ausmachten. Auch diese Leute waren keine Wunderkinder, denn Bidder wurde 71 Jahre alt und löste noch zwei Tage vor seinem Tode jedes mathematische Problem bis zu 15 Stellen im Kopf. Er war der Sohn eines Maurers und starb als Eisenbahn­direktor.

Man hat ausgerechnet, daß der einfache Mensch mit 600 bis 800 Worten bequem auskommt, der Gebildete braucht deren 20 000. Der Fachgelehrte braucht vielleicht noch 10 000 Worte

mehr, die aber fast restlos Fachwörter sind, die er also über die Alltagsbelastung hinaus in seinem Hirn aufspeichern muß.

Sagt man nicht von Gladstone, daß er 15 000 Verse der Ilias beherrscht habe? Und Macauly kannte angeblich die gleiche Anzahl aus der Odyssee aus dem Gedächtnis. Und niemand wird bestreiten wollen, daß diese Gehirn­riesen anormal gewesen wären schon in Anbetracht ihrer sonstigen gehirnlichen Leistungen. Um wieder zu unserem Prof. Avadhani, der die Kon= zentration als einziges Mittel zur Gedächtnisvertiefung hält, zurückzukommen: in Indien gibt es Tausende von Brahmanen, die 10 000 Verse der Red- Veda auswendig können. Manchen Mohammedaner gibt es, der den gesamten Koran im reinen Arabisch auswendig beherrscht.

In Polynesien können die Häuptlinge die gesamte Ge­nealogie ihres Stammes aufzählen, einen Namen nach dem andern, Stunden hindurch, ganze Tage lang.

Aber sie halten das gar nicht für etwas wunderbares, son­dern das zählt zu den Aufgaben und Pflichten eines Häupt­lings in Polynesien.

Müssen wir uns da nicht verkriechen, wenn wir die Tele­fonnummer unserer Braut, den Steuertermin und den Ge­burtstag des Freundes vergessen? Natürlich haben wir eine Entschuldigung: wir haben ja gar feine Zeit, unser Gehirn 25 Jahre zu trainieren, wie jener Professor Avadhani aus Bombay. Und selbst wenn wir uns vornähmen, unser Ge­hirn zu trainieren ich bin gewiß wir vergäßen es! " Basler National- Zeitung".

Moskau aufbewahrt werden, besitzen nach dem Urteil zahl­reicher Sachverständigen einen Wert von 250 Millionen Dol­lar. Das Hauptstück der Sammlung ist die Kaiserkrone Katharina der Großen. Sie ist mit 5000 Diamanten und einem riesenhaften Rubin geschmückt und wiegt drei Kilo; dieses Prachtstück allein wird auf 42 Millionen Dollar ge­schätzt. Zahllos sind die anderen Schäße, die sich in dieser Sammlung befinden, darunter das mit dem berühmten Orloff- Diamanten geschmückte Szepter. Von den vielen Diamanten aus dem Besitze der Zarenfamilie, die in den Kellern der Moskauer Staatsbank liegen, hat der geringste noch einen Wert von 5000 Dollar!

Die russische Regierung hatte schon mehrfach die Absicht, die Juwelen der Zarenfamilie ins Ausland zu verkaufen,

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Wenn aus den Eichen

der Tau der Frühe leckt,

Mittwoch, 4. Juli 1984

fnarren die Türen, rädern die Speichen, vom Schrei der Hähne geweckt.

Noch unterm Laken

des Mondes schlafen die Wiesen, fühl und hell. Die Sumpffeuer blaken.

Die Frösche rühren ihr Paufenfell.

Mondhörnig schüttelt

sein Haupt das braune Rind und weidet dunkel am Bach.

Der Habicht rüttelt im stürzenden Wind die Helle der Lerchen wach.

Der Mann,

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der vom Tode wieder erwachte

Fünfundvierzig Minuten war Fred Watson tot. Er hatte sich einer schweren Operation unterziehen müssen, als plöß­lich die Herztätigkeit ausseßte und die Atmung aufhörte. Der Mann war tot und jeder in dem Operationssaale glaubte auch bereits an den Tod. Nur allein der leitende Arzt des Krankenhauses von South- End in England, der die Opera­tion ausgeführt hatte, gab die Hoffnung noch nicht ganz auf. Er glaubte noch an eine Rettung. Mit allen Mitteln kämpfte er, das Leben des Patienten wiederzuerwecken. Er machte einen Einschnitt über dem Herzen und arbeitete sehr inten­siv mit Massage und schließlich war seinen Bemühungen der Erfolg nicht versagt. Das Leben, das bereits aufgegeben war, kehrte in den toten Körper zurück. Es ist das erstenmal, daß die Methode, die in diesem Falle angewandt wurde, er­folgreich war, denn die medizinische Wissenschaft kennt fein Beispiel dafür, daß mit der Herzmassage etwas erreicht worden wäre. Jedenfalls fonnte sich der Patient bereits wenige Tage später einer ausgezeichneten Gesundheit er­freuen und die Sensation seiner Auferstehung vom Tode verbreitete sich mit Windeseile in der ganzen Gegend. Es er­schienen viele Reporter, die zu gerne von ihm das Geheim­nis des Lebens nach dem Tode erfahren hätten, aber darin wurden sie schwer enttäuscht. Immer wieder wurde ihnen er­klärt, daß es davon nichts zu berichten gäbe, aber der ehe­malige Tote sagte auch, daß er sich vor einem neuen Tode nicht mehr fürchte, da er ihn ja bereits fennengelernt habe.

Der Gentleman- Dieb

Vor einigen Tagen stahl ein Unbekannter in einer Lon­ doner Theater- Agentur das Menü des Derby- Diners, das eine Karikatur des Lord Derby von Tom Webster trug, wie die Unterschriften des Lords und des Herzogs von York. Für ihn stellte dieses Menu einen großen Wert dar. Als der Dieb aber durch Zeitungsnachrichten vernommen hatte, daß dieses Stück dazu bestimmt war, zu wohltätigen Zwecken versteigert zu werden, schickte er die Beute seines Raubes an Tom Webster zurück und teilte diesem mit, daß es ihm um alles in der Welt fern gelegen habe, Armen Unrecht zu tun... Also nicht nur in den Romanen von Conan Doyle, sondern auch in der heutigen Krisenzeit ist der Gentleman­Dieb anzutreffen.

aber ein solcher Verkauf ist eben immer, wie man sich denken Bernard Shaw kehrt zurück

fann, an der Höhe des erforderlichen Kapitals gescheitert. Das letzte Mal war ein Verkauf im Jahre 1922 geplant.

Wenn jetzt diese Kostbarkeiten auf der neu eröffneten Welt­ausstellung gezeigt werden sollen, so bedeutet das tatsächlich eine Sensation, und die Stadt Chikago erhofft von dieser Be­reicherung einen neuen, wesentlichen Auftrieb der Ausstel­lung, die bisher nicht gerade vom Glück verfolgt gewesen ist.

Dieser Tage trifft Bernard Shaw nach längerer Ab­wesenheit wieder in London ein. Er war bekanntlich mit seiner Frau auf einer Reise in Neuseeland, und er soll diese Reise dazu benutzt haben, um Material für sein neues Drama zu sammeln. Bisher aber hat er über den Inhalt dieses neuen Werkes strenges Stillschweigen bewahrt.

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Unsere Töchter, die Nazinen

Roman von Hermynia Sur Mühlen.

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Und ich lachte bei der Erinnerung an unsere kleinen freundschaftlichen Kämpfe, die jedes Jahr wiederkehrten. Aber Frizz lachte nicht.

Mein Gott, so verstehen Sie mich doch, Gräfin Agnes." sagte er. Es fällt mir ohnehin so schwer, es Ihnen zu sagen. Aber meine Frau hat etwas gemerkt und ist eifersüchtig ge­worden. Die Comtesse Claudia... Sie läßt mir keine Ruhe.... Neulich, frühmorgens, ist sie im Nachthemd in den Garten gekommen und hat mich gefragt, ob sie nicht schön ist und ob ich nicht..."

Er schwieg, aber nun mußte ich ihn verstehen. Er war ja so rücksichtsvoll, der gute Friß, er sah weg, um mir die Schande zu ersparen, seinen Augen zu begegnen.

Mein Herz pochte zum Bersten, ich fonnte nicht sprechen. Wir standen einander gegenüber, gerade vor dem großen Rosenbeet, dessen Duft uns einhüllte. Die ersten Schatten fielen bereits über den Garten. Auf der alten Tanne, deren Leben ich retten wollte, sang eine Amsel. Alles war so friedlich und schön. Die kleinen Wellen des Sees schlugen leise gegen das Ufer. Ich sah alles, aber nur einen Augenblick. Dann fielen mir die Bücher in Claudias Zimmer ein, die abscheu­lichen Bilder, die gemeinen Worte. Sie legten sich wie ein Schleier zwischen mich und die ganze Schönheit ringsum. Wie ein roter Schleier der Scham.

Ich steckte die Hand aus, um mich an irgendetwas festzu­halten. Frizz griff nach ihr: Und dann fühlte ich, wie er ganz sanft den Arm um mich legte und mich ins Haus führte. Wie aus weiter Ferne hörte ich seine Worte:

" Sie dürfen fich nicht so aufregen, Gräfin Agnes... Die Comtesse Claudia ist halt in einem Alter... Sie braucht einen

Mann... Und ich hätt ja nichts gesagt, wenn meine Frau nicht so eifrig wäre..."

Ich fühlte unter meinen Füßen die Stufen der Freitreppe, und ich weiß nicht warum, aber ich mußte sie zählen: eins, awei, drei, vier fünf, sechs, sieben."

Dann waren wir auf der Terrasse, und Frizz drückte mich in den großen Rohrlehnsessel. Er sprach noch immer auf mich ein, leise, gütig.

Endlich fand auch ich die Sprache wieder, doch konnte ich in meiner grenzenlosen Beschämung nur eines sagen, immer wieder dasselbe:

,, Nicht kündigen, Friz, nicht fündigen. Ich werde... ich werde...."

Meine Stimme kam von ganz weit, sie war so alt und zittrig, daß ich zum erstenmal das Gefühl empfand: ich bin ja eine alte, uralte Frau...

Frizz nickte.

,, Gut, ich bleib. Und es tut mir leid, Gräfin Agnes. Aber nicht wahr, meine Frau....."

Und dann lief er die Treppe hinunter und verschwand hinter der alten Buchshecke.

Ich blieb sizzen. Ich konnte mich nicht rühren. Eine alte Frau, dachte ich, eine uralte Frau. Ich kann die Jugend nicht verstehen. Ich kann Claudia nicht verstehen. Bestimmt ist alles meine Schuld. Wie alt ist Claudia jezt?, rechnete ich nach. Dreißig. Auch ich habe erst mit dreißig geheiratet, aber ich war ja immer so kränklich und schwach, Claudia hingegen ist gesund, auch wenn sie zart aussieht. Vielleicht... Aber sich einem Mann anbieten, einem verheirateten Mann....

Während ich noch so mit meinen Gedanken rang, fam Clau­dia aus dem Garten. Sie blieb stehen, als sie mich sah und fragte:

it dir etwas? Du bist so blaß!"

Wenn ich jetzt die richtigen Worte fände, dachte ich bei mir, wenn ich in Claudia das Gefühl erweckte, daß ich sie verstehe, dann könnte zwischen uns noch alles gut werden. Aber ich brachte nur hervor:

Der Frizz hat mit mir gesprochen, Claudia. Er..." Sie errötete nicht, sie schämte sich nicht; sie lachte nur böse. Hat er vor mir Angst, der Feigling? Und du, Mutter, du bist natürlich sittlich entrüstet. Dabei ist das ganze nur deine Schuld. Ich muß hier fißen, in diesem gottverlassenen Nest, wo man feinen Menschen kennenlernt, wo man nicht die geringste Chance hat. Ist das ein Leben für einen jungen Menschen? Jung?" Sie lachte abermals, so kalt und schnei­dend, daß ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Jung? Vor einem Monat bin ich dreißig geworden. Was habe ich von meiner Jugend gehabt? Schau mich doch an, wie ich aussehe. Glaubst du, daß ich einem Mann gefallen kann? Aber das verstehst du nicht."

Liebling," sagte ich ganz leise, ich will ja so gern ver­suchen, dich zu verstehen."

Du? Du bist ja keine wirkliche Frau, bist nie eine ge­wesen. Deshalb hat es der arme Vater auch bei dir nicht aus­gehalten. Deshalb hat er andere Frauen gebraucht."

Und ich hatte so sicher geglaubt, daß Claudia nichts von der Untreue meines Mannes wußte.

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Er war eben ein wirklicher Mann," fuhr sie unbarmherzig fort. Ein Mann, wie auch ich einen brauche. Was du mir früher an jungen Leuten eingeladen hast ja, ich weiß, daß du einen Mann für mich finden wolltest aber was für Männer waren das schon? Lauter Menschen, die zu dir ge­paßt hätten, Bücherwürmer. Dichter, Leute, mit denen man höchstens eine sentimentale Korrespondenz hätte führen kön= nen, wie deine geliebte Annette mit ihrem Lewin Schücking. Ich will einen kraftvollen Mann, einen, der nicht vor­nehm" und gefühlvoll ist. Ich bin fein halber Mensch wie du." loutjesung folgt.)