Lieber Freund!
Infolge der Wichtigkeit und der Strenge, mit der jede Meldung bestraft wird, habe ich den Versuch gemacht, von hier aus zu berichten. Zunächst schicke ich Dir einige Zeitungen und Ausschnitte, aus denen Du manches Interessante entnehmen fannst. Meine schriftlichen Mitteilungen fann ich erst hier aufzeichnen, da bei uns an der Grenze scharf kontrolliert wird und neulich einer wegen wiederholtem Uebertritt und wegen Berichterstattung 10 Jahre Zuchthaus bekam. Die Lumpen bestehlen sogar tschechische Briefkästen, um zu erforschen, wer die Wahrheit ins Ausland schreibt.
Das schlechte Gewissen und die trostlosen Zustände, die immer troftloser werden, sollen nicht bekannt werden. Die wirtschaftlichen Zustände werden von Tag zu Tag schlechrer. Die Lederfabriken arbeiten in Schlesien infolge Rohstoffmangel nur noch 30 Stunden, die Wollfabriken, Schöllerfonzern, haben Stillegung beantragt wegen gänz lichem Mangel an Rohstoffen. Beschäftigt werden 1400 Menschen. Die Hydrantenfabrik Breslau mit 400 Beschäftigten hat stillgelegt. Die Matraßenfabrik arbeitet kurz wegen Rohstoffmangels, ebenso die Zigarrenund Zigarettenfabriken. In den Schuh- und Konfettionsbetrieben sind Stillegungen vor
gekommen und Kurzarbeit bis zu einem Tag pro Woche. Die Handwerker, außer den Bauhandwerkern, sind in hohem Maß Wohlfahrtsempfänger. Von 900 Friseuren Breslaus sind nach den Angaben der letzten Generalversammlung 560 Wohlfahrtsempfänger, die feine Miete bezahlen können. Die Schuhmacher haben von 1140 Mitgliedern 630 Wohlfahrtsempfänger. Von den Gastwirten muß die Stadt für 480 die Miete zahlen. Kleine Tischler und Schneider gelten als ar= beitslos und werden als Aushilfsarbeiter bewertet. Die Zahl der Erwerbslosen steigt von Tag zu Tag, die mit soviel Trara angefü, digte Autostraßenarbeit ist zum größten Teil wegen Rohstoffmangel wieder eingestellt. Die Löhne betragen pro Stunde je nach Ort, 49, 42, 37 und 34 Pfg.
Die Fleischpreise sind seit 2 Tagen um 10 Pfg. pro Pfund geftiegen. Die Löhne sämtlicher städtischer Arbeiter in Bres lau sind um 6 Pfa. gekürzt worden, die der Bauarbeiter um 8 Pfg., die Straßenbahner haben neben der Lohnsenkung noch pro Monat einen unbezahlten Ausseytag, auch den Notstandsarbeitern wurde der Lohn um 6 Vfg. gefürzt. Die Straßenbahnfahrpreise wurden um 5 Pfg. erhöht.
Die Selbstmordziffern werden nicht mehr veröffentlicht, die Leute gelten als verunglückt oder vermißt.
Am 14. Juni war Frick in Breslau , um gegen die Miesmacher und Nörgler zu sprechen. Die Versammlung war schlecht besucht. Es war angeordnet: Flaggen heraus, aber es maren in ganz Breslau kaum 200 Fahnen zu sehen. Am gleichen Tag wurden 2 Sipo entkleidet und ins Braune zur förperlichen Mißhandlung eingeliefert, weil sie die Aeußerung gemacht haben sollen:„ Rot- Front lebt noch." Die Sipo ist verbittert, weil immer mehr abgelöst und an schlechtere Stellen versekt werden, um die guten Stellen den Nazis zu geben. Sie sind darüber empört, daß der Homoseruelle und Fememörder Edmund Heines nur seine SA.Leute bevorzugt und befördert, während die alten Sipo die Arbeit für die jungen Taugenichtse machen müssen. Sämtliche alte und junge Sipo, ferner der Post- und Bahnschutz, sowie die technische Nothilfe, waren jetzt 4 Wochen fort zum Scharfschießen.
Fabriken, die irgendwie im Zusammenhang mit der Aufrüstung stehen, haben Beschäftigung. Die Nazis rechnen damit, daß bis Herbst die Auseinandersetzung mit Frankreich beginnt. Den SA.- Leuten wird vorgemacht, sie sollten sich darauf vorbereiten, fie fämen alle ins Rheinland . In der Aleriusschule finden Schulungsabende für SA. und Gasschutz statt mit der Erklärung, daß der Krieg mit Frankreich unvermeidlich sei, und daß eine Kriegserflärung nicht erst erfolge. Das dritte Reich" falle in Frankreich ein mit Flugzeugen und Zeppelinen und vernichte dieses Land. Alles was deutsche Zunge spreche, müsse zu Deutschland . Ein so großes Deutschland werde es auch fertig bringen, die nötigen Kolonien den jetzigen Beüßern abnehmen. Diese Meinung vertrat auch der aus Oesterreich geflüchtete Nazimann Frauenfeld , der hier in Breslau im Kampfring der Defterreicher erklärt hat: es geht nicht um 6,5 Millionen Desterreicher, sondern um alles, was deutsch spricht. Das ist ja auch die Meinung Rosenberas.
Seit 2 Tagen gibt es feine Markenmargarine mehr. Wir sind also schon so weit, daß es an notwendiger Nahrung fehlt.
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Der Woolworth Boykott dauerte 2 Tage. Die Käufer wurden fotografiert und schikaniert. Als aber die Direktion erklärte, das Personal fristlos entlassen zu müssen, wurde die Sperre aufgehoben.
Die Wahl der Vertrauensräte hat, soweit sich dies in den Großbetrieben feststellen ließ, mit einem Mißerfolg für die Auftraggeber geendet. In sämtlichen städtischen Betrieben haben 72 Prozent die Vorgeschlagenen abgelehnt. Daraufhin hat der Treuhänder die Vertrauensräte ernannt. Auch im Linke- Hoffmann- Konzern mit 3000 Beschäftigten, mußte der Treuhänder eingreifen. In 3 Großbetrieben wurde die Liste abgelehnt. Der Treuhänder ernannte seine Leute. Am meisten unzufrieden sind die Bauern. Die Geldnot ist dort so groß, daß sie, wenn jemand kommt und Geld auf der Hand hat, die Eier für 3 Pfg. abgeben. Jetzt darf das
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Vieh nur je nach Bedarf angeliefert werden. Dadurch sollen die Preise hochgetrieben werden.
Die Bauern brauchen das Geld und verkaufen um jeden Preis. Wer Geld hat, flieht in die Ware. Gummireifen gibt es nicht mehr, nur noch Schwarzgummi. Die Städter fahren wieder mit Waren aufs Land und tauschen gegen Ware. Die Schuhmacher und Lederhändler waren in Berlin und haben verlangt, daß die Gummierzeugung um Selbstbesohlen eingestellt wird. Der Minister hat erwidert:„ Sind Sie froh, daß bei dem gegenwärtigen Elend und der Lederknappheit ein bil liger Ersatzstoff vorhanden ist."
Vor 28 Tagen war eine Uebung der Nazis mit Scheinwerfern, Leuchtkugeln und Gasmasken. Dabei beschwerten sich die Teilnehmer über die miserable Verpflegung. Daraufhin wurden 16 Mann zum Rapport befohlen und zunächst mit Ausschluß aus dem Dienst für 14 Tage bestraft. 10 davon wurden nicht mehr weiterbezahlt und nach entsprechender Verhandlung aus der Partei ausgeschlossen.
Verzeihe die schlechte Schrift, aber es ist im Walde geschrieben.
Viele Grüße und Parole: Nicht die Nerven verlieren.
Für den Gesamtinhalt verantwortlich: Johann is in Dud. weiler; für Inserate: Otto Kuhn in Saarbrücken . Rotationsdruck und Verlag: Verlag der Volksstimme GmbH., Saarbrücken 8, Schüßenstraße 5. Schließfach 776 Saarbrücken.
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Das Fest von Paris ist jetzt in vollem Gange. Auf allen Straßen und auf allen Plätzen, in den großen Kaufhäusern und in den Cafés, in den Theatern und in den Kinos, überall merkt man die Zeichen des Festes. Diese Stadt hat es wahrhaftig nicht nötig, sich wie eine häßliche Dame zu schmücken aber sie hat ihre edlen und schönen Züge für diese Festwochen sozusagen unter Scheinwerferlicht gesetzt, und sie werden darum gewiß noch auffälliger, als sie es ohnehin schon sind.
Spaziert man etwas abends die Champs Elysées hinunter, zwischen dem Triumphbogen und Place de la Concorde welch einziges Bild! Die Bäume, die diese Prachtstraße einsäumen, sind beleuchtet, es scheint, als blühe das Licht mit dem blühenden Grün der Blätter, es wirkt wie eine Illumination der Natur. Oder man geht nach Montparnasse , wo über die Straßen große bunte Lichterbogen gespannt sind, da flimmerts einem fast in den Augen, und der Lärm aus den zahllosen Caféhäusern klingt in dieser erleuchteten Kulisse wie eine wahrhafte Großstadtsymphonie.
Der Trubel aber ist in allen Quartiers noch dichter, noch vielfältiger, noch faszinierender geworden, und die Sprachen klingen durcheinander wie beim Turmbau zu Babel . Denn dies ist ein Volksfest und eine Völkerschau, die Franzosen feiern mit den zahllosen Gästen aus dem Ausland, und gerade diese Mischung ergibt das Reizvolle der Festwochen von Paris .
Wer wollte es unternehmen, all die Veranstaltungen aufzuzählen, die das Festprogramm verzeichnet- ach, auch dem gewissenhaftesten Chronisten müßte da sehr schnell der Atem ausgehen! Denn man hat schließlich nur zwei Augen zum Sehen und zwei Ohren zum Hören. Und das schönste Fest für Auge und Ohr war gewiß jener Aufmarsch der Militärkapellen, die aus aller Herren Länder gekommen sind, um zu zeigen, daß Soldaten nicht nur das Kriegsbeil, sondern auch die ungefährlicheren Musikinstrumente zu führen wissen. Volksfest und Völkerschau - diese Musikparade war das leuchtendste Exempel dafür,
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,, Tout Paris" war auf den Beinen, als diese friedliche Eroberung der Stadt durch Militärmusik vor sich ging. Mann, Frau, Kind und Kegel lieferten sich einen heftigen Kampf um die besten ,, Parkettplätze" auf der Straße, der gute Vater trug das Baby auf den Schultern, damit es auch etwas von dieser Parade erblicke und dann kamen sie, die spielenden Soldaten. Die englische Garde voran, mit den roten Röcken und den hohen Mützen, jeder ein Gentleman, und jeder schien die Würde des britischen Weltreiches auf den Schultern zu tragen. Dann kamen die kreuzfidelen Iren mit ihren Dudelsäcken, dann die italienische Königliche Garde, dann die Belgier, die Luxemburger , die Schweizer Landwehr, in bunter Reihe. Frankreich hatte zu dieser Musikparade je eine Kapelle der Marine aus Toulon und der Garde Republicaine gestellt, und ganz zum Schluß kamen die Marokkaner auf ihren weißen Pferden, die wie Botschafter aus dem Märchen dem großen Zuge folgten.
Morgens und abends, mehrere Tage hindurch, sah man überall diese vielen Uniformen blitzen, geschlossen oder einzeln, viele Nationalhymnen klangen auf, der Ministerpräsident Doumergue erschien, lächelnd wie immer, auf dem Balkon des Außenministeriums am Quai d'Orsay, um diese Abgesandten des klingenden Spiels zu begrüßen,
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es war
unter vielen Festlichkeiten ein besonderes Fest, das, wenn man will, sogar etwas Symbolhaftes hatte. Viele Länder hatten ein Bündnis vollzogen, ein Bündnis der Musik, und die Verständigung klappte glänzend.
Die Pariser freuten sich nicht minder und die Fremden, die wie ein Massenstrom über Frankreichs Hauptsadt hereingebrochen sind.
Der Franzose liebt das Spiel darum ist Paris auch die Stadt mit den meisten Rennbahnen. Man muß nur einmal den endlosen Zug der Wagen und Autobusse gesehen haben, die selbst an Wochentagen aus der Innenstadt nach Auteuil , St. Cloud oder Longchamp zum Rennen hinausfahren. Und nun erst zum Großen Preis, der am Sonntag in Longchamp, der herrlich gelegenen Rennbahn im Bois de Boulogne , ge
laufen wurde! Das fing schon am frühen Morgen an, ein Auto nach dem anderen, eine Kette, die nicht aufhören wollte. Der Präsident der Republik saß auf der Ehrentribüne, als zum Start geläutet wurde, Millionen gingen durch die Wettschalter, es herrschte ein Trubel sondergleichen, aus dem sich die schönsten und neuesten Sommerkleider der Damen blinkend und stolz hervorhoben. Dann war das Rennen gelaufen, das siegende Pferd wurde samt Jockey und Besitzer hundertmal fotografiert, und man ging friedlich nach Hause.
Aber auch im Spiel verstehen die Franzosen manchmal keinen Spaß, das konnte man einen Tag vorher auf der gleichen Bahn erleben. Da war in einem Rennen der Start miẞglückt, viele Pferde blieben stehen, das Publikum witterte dunkle Machenschaften kurz, die Wetter inszenierten eine regelrechte Revolution. Die Klubtribünen wurden gestürmt, man verlangte drohend sein Geld zurück, die Polizei muẞte eingreifen es dauerte sehr, sehr lange, ehe sich die erregten Gemüter wieder etwas beruhigt hatten.
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Witzige Köpfe prägten sofort den Satz, daß auch dieses Schauspiel zum Programm der Parisr Festwochen gehört habe...
Und mitten in die Festwochen fiel nun auch noch der große Ziehungstag der National- Lotterie, dieser Tag, an dem immer einige Millionäre geboren werden. Unvermindert fliegen Hoffnung und Spannung diesem Tage entgegen, und als abends die Ziehung vollzogen wurde, saß ganz Paris am Radio, um die Glücksnummern umgehend zu erfahren.
Die Pariser Zeitungen hatten diesmal keine Sonderausgaben zu später Nachtstunde herausgebracht, und das hatten sich gleich einige erfindungsreiche Burschen zunutze gemacht. Sie hatten ganz einfach auch am Radio gesessen, hatten sorgfältig die Nummern der Gewinnlose notiert und dann auf die Rückseite alter Notenblätter kopiert. Mit diesen Flugzetteln" stellten sie sich auf die belebtesten Plätze, boten laut ihre ,, Neuigkeiten" an und sie fanden reißenden Absatz. Einen Franken kostete dieses Stückchen Papier !
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Business is business; man muß eben nur eine Konjunktur auszunutzen verstehen! Spectator