Ernst Röhms Briefe
Und die heuchlerische moralische Entrüstung
Der deutsche Reichskanzler hat den Kameradenmord an seinem Stabschef Ernst Röhm unter anderm damit begründet, daß dessen„ unglückliche Veranlagung" für die Bewegung nicht mehr länger tragbar sei. Nun läßt sich gegen den gewalttätigen Landsknechtsführer Röhm sehr viel sagen, aber unehrlich war er nicht. Er be: kannte sich zu seinem Triebleben. Adolf Hitler wußte seit jeher, daß Ernst Röhm sich homosexuell betätigt. Es kommt hier nicht darauf an, diese Seite des Privat= lebens von Ernst Röhm moralisch zu bewerten. Wir wollen nur nachweisen, daß dem Parteiführer und der= zeitigen Reichskanzler seit Jahren genau bekannt war, wie es um das Liebesleben Röhms stand. Diesen Be= weis führen wir durch den wörtlichen Abdruck einer fleinen Broschüre von Dr. Helmut Klog, die er vor über zwei Jahren zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Privatdrud übersandt hat.
Ew. Hochwohlgeboren!
Mit ernster Sorge habe ich in den letzten Wochen die in der Presse erschienenen Mitteilungen verfolgt, die die anormale Veranlagung des Hauptmanns Ernst Röhm , der als Stabschef zu der unmittelbaren Umgebung von Adolf Hitler gehört, zum Gegenstand haben. Durch einen Zufall bin ich in den Besitz von Fotografien der Originalbriefe gelangt, in denen sich Röhm in einem geradezu ungeheuerlichen 3ynismus über sein widernatürliches„ Liebesleben" äußert. Nach langem Ringen habe ich mich, der Stimme meines Gewissens folgend, dazu entschlossen, diese Briefe verantwortungsbewußten Persönlichkeiten zur Kenntnis zu bringen. Ich wähle den Weg der direkten Uebermittlung, da eine weitere Behandlung der schmutzigen Angelegenheit in der Presse unberechenbaren Schaden anrichten müßte.
Die anormale Veranlagung Röhms ist nicht erst seit furzem bekannt. Bereits im Jahre 1925 wurde sie durch eine Diebstahlsaffäre, in die ein 17jähriger Berliner verwickelt wurde, gerichtsnotorisch. In dem Prozeß, der unter dem Aktenzeichen 197 D 18/25 beim Amtsgericht Berlin- Mitte lief, befundete der junge Mann, daß Herr Röhm von ihm einen ihm widerlichen Geschlechtsverkehr verlangt habe. Es steht für mich außer Zweifel, daß Herrn Hitler die Veranlagung des Mannes, dem er eine der einflußreichsten Stellungen in seiner Umgebung übertrug, nicht verborgen ge= blieben ist. Zum mindesten muß sie ihm bekannt sein seit dem 28. Juli 1931, denn an diesem Tage ist an Hand eines amtlichen Gerichtsprotokolls von der Strafgerichtsabteilung des Amtsgerichts München die Echtheit der Briefe nachgewiesen worden, die ich Ihnen anschließend zur Kenntnis bringe. Röhm hat am 28. Juli 1931 vor dem Amtsgerichtsrat Kemmer in München folgendes ausgesagt und unterschrieben:
" Den mir vorgezeigten, im blauen Umschlag befindlichen, von mir handschriftlich geschriebenen Brief aus Uyuni habe ich an Dr. H. geschickt, ebenso auch den zweiten mit Schreibmaschine in roten Lettern geschriebenen Brief, La Paz , 25. Februar 1929. Ich gebe hierzu keine weiteren Erflärungen ab. Der weitere mit vorgezeigte Brief v. d. Meh., Herzogstr. 4, III, vom 3. Dezember 1928 an Dr. H. ist durch ein Buch veranlaßt, das Dr. H. selbst herausgegeben und mir zugeschickt hat."
Em. Hochwohlgeboren werden mit mir der Meinung sein, daß die Tatsache, daß Adolf Hitler weder damals noch jetzt, wo sich die Presse mit der unsauberen Angelegenheit be= schäftigt, von seinem Stabschef abgerückt ist, einen ausgezeich= neten Nährboden für jene peinlichen Gerüchte bildet, die über das Braune Haus im Umlauf sind. Dazu kommt noch, daß auch der„ Völkische Beobachter", das Organ Adolf Hit lers , Röhm in Schuß nimmt und Persönlichkeiten, die sich mit Recht über diese Dinge entrüsten, als Verleumder brandmarkt.
Ich verhehle durchaus nicht, daß eine tiefe Tragik darin Itegt, wenn ein Mensch wie Röhm Sklave seiner anormalen Veranlagung ist; ich würde ihm menschliches Mitleid nicht versagen, wenn er sich mit seinen Verirrungen in der Stille abfände. Ew. Hochwohlgeboren werden mir jedoch zustim men, wenn ich feststelle, daß es einen Schlag gegen das preußische Führerprinzip, das die Nationalsozialisten so gern für sich in Anspruch nehmen, bedeutet, wenn ein so moralisch haltloser Mensch mit einer einflußreichen Führerstellung betraut wird. Daß Röhm die für einen Führer unerläßlichen moralischen Qualitäten nicht besitzt, beweist der Zynismus, mit dem er in seinen Briefen über seine anormale Veranlagung spricht. Es zeugt aber von einer geradezu beispiellosen Verantwortungslosigkeit, wenn Sitler ausgerechnet den Mann als Vorgesetzten seiner SA.- Leute duldet, der in einem seiner Briefe wörtlich erklärt,„ daß man sich bei mir eben an diese verbrecherische Eigenheit in den nationalsozialistischen Kreisen gewöhnen hat müssen". Nach diesem Eingeständnis handelt jeder Vater und jede Mutter gewissenlos, wenn sie ihre Söhne auch nur einen Tag länger der Gefahr der moralischen und sittlichen Verlotterung aussetzen, die ihnen in einer von einem solchen Manne maßgebend beeinflußten Bewegung drohen! Können Geistliche, Lehrer und andere berufsmäßige Jugenderzieher es vor ihrem Gewissen verantworten, wenn sie einer Bewegung Vorschub leisten, in der man sich an die Verirrungen eines der maßgebenden Führer hat gewöhnen" müssen? Die Frage stellen. heißt sie verneinen. Alle diese Persönlichkeiten find im Gegenteil von Amts wegen verpflichtet, diesem Verbrechen an der deutschen Jugend zu wehren!
Endlich aber werden mir Ew. Hochwohlgeboren zugeben müssen, daß eine Bewegung, die auf so anfechtbaren moralischen Grundlagen ruht, dem deutschen Wesen ebenso fremd ist, wie ihre sonstigen Embleme. Es wäre daher ein Verhängnis für Deutschland , wenn die Kreise, die einer so laren Moral huldigen, entscheidenden Einfluß auf seine Geschicke gewönnen. Die Vergiftung des Volkslebens und die Zersehung der sittlichen und moralischen Kräfte, die für den Aufbau der Nation unerläßlich sind, wären die unausbleibliche Folge. Wohin Sittenverderbnis führt, lehrt das Schicksal des alten Rom . Dieses Schicksal von Deutschland abzumenden, ist die Aufgabe aller verantwortungsbewußten deutschen Staatsbürger. Die Lektüre der Röhm - Briefe zeigt Ew. Hochwohlgeboren, wo der Hebel anzusehen ist.
Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Bis tief in die Reihen der NSDAP . reicht die Verderbnis.
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Berlin Tempelhof , im März 1982. Hohenzollernforso 38a.
Dr. Helmut Klog Oberleutnant zur See a. D. ehemals Spitzenkandidat der NSDAP . im Reichstagswahlkreis 32( Baden).
3. 12. 28.
Lieber Herr Dr. Heimsoth! Meinen Handschlag zuvor! Sie haben mich voll verstanden! Natürlich kämpfe ich mit dem Absatz über Moral vor allem gegen den§ 175. Sie meinen aber, nicht deutlich genug? Ich hatte in dem ersten Entwurf eine nähere Ausführung über dieses Thema; habe es aber auf den Rat von Freunden, die sich von dieser Art, zu schreiben, mehr Wirkung versprechen, in die jetzige Fassung geändert.
Mit dem Vorwurf, daß ich vor Zwangsglaubensfäßen", die Ehe betreffend, zurückweiche, tun Sie mir, glaube ich, Unrecht.
Mit dem Herrn Alfred Rosenberg , dem tölpelhaften Moralathleten, stehe ich in schärfstem Kampf. Seine Artikel sind auch vor allem an meine Adresse gerichtet; da ich aus meiner Einstellung kein Hehl mache. Das mögen Sie daraus ersehen, daß„ man" sich bei mir eben an diese verbrecherische Eigenheit in den nationalsozialistischen Kreisen gewöhnen hat müssen. Uebrigens arbeite ich auch mit Herrn Radsuweit zusammen und bin natürlich Mitglied seines Bundes.
Blüher würde ich sehr gerne kennenlernen.
Ihr Buch, für das ich Ihnen, ebenso wie für Ihre lieben Zeilen, herzlichst danke, interessiert mich natürlich außerordentlich. Bis jetzt habe ich nur weniges darinnen lesen können; aber offen gestanden: es ist etwas zu schwer für mich. Könnt Ihr verflirten Doktoren nicht deutsch schreiben, und müßt immer gelehrte Fremdworte gebrauchen, die ein harmloser Erdenbürger nicht fapiert!
Morgen fahre ich nach Berlin und wohne„ Stuttgarter Hof". Wenn wir uns sehen könnten( ich bin bis Freitag in B.), teilen Sie mir's bitte doch ins Hotel mit. Ich würde mich herzlichst freuen, dann mit Ihnen ein paar Stunden plaudern zu können.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Zeilen und bin Ihr Ernst Röhm . ganz ergebener
Oberstleutnant im Generalstab
Ernst Roehm
Eigentlich wollte ich Ihnen erst schreiben, wenn ich Ihr Manuskript, das sie nach München sandten, in Händen hatte. Graf du Moulin, der Sie ja wohl mittlerweile verständigt haben wird, sandte mir bis jetzt nur Ihre freundlichen Zeilen. Aber nun habe ich Ihr fesselndes Buch, das Sie mir seinerzeit übersandten, fertig gelesen und möchte Ihnen da= für doch sofort meinen Dank in der Weise abstatten, daß ich Ihnen von hier Bericht gebe. Ihr Buch ist ganz fabelhaft und hat mir ganz neue Erkenntnisse erschlossen. Ich glaube nicht, daß eine Veröffentlichung existiert, die den Gegenstand derart verständlich und eindringlich behandelt. Auch ist Ihr Stil, wenn man sich einmal hineingelesen hat, ganz vorzüg= lich. Ich wünsche Ihnen von Herzen vollen Erfolg; noch mehr freilich möchte ich wünschen, daß Ihre Ausführungen im feindlichen Lager" Gehör fänden. Sie haben es sich aber auch selbst zuzuschreiben, wenn Ihr Buch mich zu einer Bitte angeregt hat. Ersichtlich haben Sie eine unerhörte Uebung. in der Firierung der Konstellation". Rönnten Sie sich nicht auch einmal der meinen annehmen? Ich bin am 28. November 1887, morgens 1 Uhr, in München geboren. Dann wüßte ich vielleicht auch einmal, wie ich mit mir eigentlich daran bin. Offengestanden, weiß ich das eigentlich nicht bestimmt. Ich bilde mir ein, gleichgeschlechtlich zu sein, habe dies aber richtig erst 1924 entdeckt". Ich kann mich vorher an eine Reihe auch gleichgeschlechtlicher Gefühle und Akte bis in meine Kindheit erinnern, habe aber auch mit vielen Frauen verkehrt. Allerdings nie mit besonderem Genuß. Auch 3 Tripper habe ich mir erworben, was ich später als Strafe der Natur für widernatürlichen Verkehr ansah. Heute sind mir alle Frauen ein Greuel; insbesondere die, die mich mit ihrer Liebe verfolgen; und das sind leider eine ganze Anzahl. Dagegen hänge ich mit meinem ganzen Herzen an meiner Mutter und an meiner Schwester. Meine Schwester ist 7 Jahre ( geb. 14. 5. 80), mein Bruder 8 Jahre älter wie ich. Weder für meinen Vater, noch für mein Bruder konnte ich je besonders innige Gefühle aufbringen. Mein Vater starb im März 1926. Ich glaube, das ist so ziemlich alles, was Sie wissen müssen. Und mein bisheriges Schicksal kennen Sie ja auch einigermaßen. Also ich brenne auf eine Charakteristik durch Sie. Sind Sie deshalb sehr böse? Ich hoffe nicht... Vor hier kann ich Ihnen nicht allzuviel berichten. Ich bin sehr froh, daß ich aus der Münchner Atmosphäre eine Zeitlang herausgerissen bin. Hier muß ich Neues lernen und schaffen und kann so prüfen, ob mein Geist noch aufnahmefähig ist oder nicht. Dienstlich bin ich zufrieden; mit der Zeit glaube ich schon einiges nußen zu können. Weitere Mitarbeitter will ich aber erst in einem späteren Zeitpunkt, wenn ich selbst eingearbeitet bin, heranzubekommen versuchen. Das Höhenklima La Paz liegt 3600 Meter hoch- vertrage ich auch recht ordentlich. Ich wohne und esse gut und deutsch . Somit wäre also alles in bester Ordnung, wenn mir nicht die Liebesobjekte fehlten. Ich habe zwar einen Begleiter mitgenommen, einen 19jährigen Münchner Kunstmaler. Ich hänge sehr an ihm, ebenso wie er an mir; menn er, wie z. B. jetzt auf Studienfahrt ist, geht er mir furchtbar ab. Er fehlt mir überall: Aber für irgendwelche geschlechtliche Akte kommt er nicht in Frage; nicht nur, weil er feine Lust dazu hätte die glaubt er bei Mädchen befriedigen zu müssen auch ich habe seltsamerweise gar kein Bedürfnis darnach, obwohl er sicher ein sehr hübscher Bengel ist.( Sonst hätte ich ihn ja auch nicht mitgenommen). Nach allen bisher sorgfältig angestellten Ermittlungen scheint die von mir bevorzugte Art der Betätigung hierorts unbekannt zu sein. Wenn man jemanden fixiert, fann er sich gar nicht vorstellen, was man will, Eine absolute Verständnislosigkeit herrscht hier, so daß ich gar nicht weiß, was ich machen soll. Dabei glaubt man, wenn man auf der Straße geht, daß alles schwul sein müßte. Die- im übrigen teilweise sehr hübschen Jungen gehen nach der hiesigen Sitte alle eng eingehängt, umermen sich zur Begrüßung auf der Straße, was mich natürlich doppelt ärgert. Auch meinen spanischen Lehrer habe ich vorsichtig ausgeforscht, er meinte auch, daß es dies in La Paz nicht gäb. In Buenos- Aires schon, aber dorthin dauert die Hinund Herfahrt mindestens 10 Tage und kostet über 1000 Marf! Da steh ich nun, ich armer Tor und weiß gar nicht, was ich machen soll. Traurig denke ich an das schöne Berlin zurück, wo man so glücklich sein kann. Raten Sie mir, bester Doktor, wie ich mir da helfen soll. Bis zu meinem ersten Urlaub sinds ja doch noch mindestens 2 Jahre! Ich werde ja meine Versuche fortsetzen, hier einige Kultur zu verbreiten; obs aber glücken wird, muß ich allmählich bezweifeln. Puffs gibts
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natürlich hier in Menge, und alles rennt hin. Aber davon habe ich leider nichts. 400 Deutsche sind hier auch ansässig; man frage mich aber nicht, was für eine! Bis jetzt lebe ich ganz zurückgezogen; abends mache ich stets meine bis jeẞt leider erfolglosen Streifzüge durch alle Viertel von La Paz . Es ist wahrhaftig zum Weinen. Diesen Schmerzensruf mußte ich Ihnen übermitteln, damit Sie nicht glauben, ich lebe hier im reinsten Paradies. Wahrscheinlich wird nichts anderes übrig bleiben, als doch irgend einen Freund" aus Deutsch land nachkommen zu lassen. Jetzt habe ich aber lange genug von mir gesprochen.
Wie geht es Ihnen? Was macht Ihr Buch? Hat es den verdienten Erfolg? Und was macht die„ Bewegung"? Was Berlin .
Wenn Sie bei Ihrer vielen Arbeit Zeit finden zu einigen Zeilen, bin ich Ihnen recht verbunden. Natürlich außer der Konstellation, die ich an sich ganz bestimmt erwarte. Sollten Sie hiefür noch irgend Material benötigen, so wird Ihnen sicher Graf du Moulin dienen können.
Hoffentlich sind Sie mir nicht mittlerweile erfroren; die Nachrichten sind wirklich sehr beängstigend. Hier ist zwar zur Zeit Regenzeit; wenn es aber nicht regnet, ist es recht behaglich warm. Im wesentlichen ist hier die Temperatur wohl so, wie bei uns im Frühsommer. Kalt soll es nur in den Winternächten werden, also Juni bis August.
Die verschiedenen Grüße, die ich durch Berliner Freunde an Sie bestellte, werden Sie wohl erreicht haben. Es würde mich interessieren, ob auch persönliche Bekanntschaften die Folge waren. Gespannt wäre ich auf Ihr Urteil über den Kammersänger Hanns Beer, den ich an Sie verwies. M. E. ist dieser Mann infolge seiner, wie die Welt sagt, unglücklichen Veranlagung wirklich etwas nervös überspannt. Ich muß für meinen Teil noch nachholen, daß ich über meine Einstellung, wenn Sie mir auch zeitweise schon erhebliche Schwierigkeiten gebracht hat, absolut nicht unglücklich bin, im Innern vielleicht sogar darauf stolz bin. Ich glaube es wenigstens. Auch darüber hoffe ich klarer zu sehen, wenn ich erst einmal Ihr Urteil gehört habe. Als eine meiner Eigenarten muß ich Ihnen noch anfügen, wie Sie übrigens wahr= scheinlich selbst herausgebracht hätten, daß ich von Aerzten wie ein Kind mich beeinflußen lasse, wenn ich zu ihnen Bertrauen habe. Daß ich dieses Vertrauen zu Ihnen habe, werden Sie ja fühlen. Nun aber endgültig Schluß.
Die Angelegenheit Polizeirat Bauer hoffe ich durch du Moulin in die Wege geleitet.
Ich grüße Sie von ganzem Herzen bestens. Lassen Sie bitte so bald als möglich von sich hören. Ich warte dringend auf Antwort.
Mit kameradschaftlichem Handschlag
Gunty
Ihr Ernst Röht. Uyuni, 11. 8. 29.
Mein lieber Herr Doktor Heimsoth!
So so, in Paris waren Sie also und haben dort einmal nach dem Rechten gesehen. Und sich scheinbar, wenn auch auf Russisch , aber doch recht ordentlich unterhalten. Meinen Glückwunsch nachträglich. Sind Sie nur froh, daß Sie nicht in Bolivien sind; denn hier würde wahrscheinlich auch all ihre Kunst zuschanden. In der Tat habe ich ja nach großen Anstrengungen einigermaßen Wandel geschafft, und bei bescheidenen Ansprüchen läßt sich leben. Aber außerhalb Caramba, da ist wirklich mit aller Kunst auch nichts zu wolien. Natürlich erstreckt sich diese mißliche Lage ausgerechnet gerade auf Bolivien ; in Peru und Chile ( etwa an der Küste) solls, wie ich höre, ganz ordentlich sein. Und so lebe ich denn nun, nur mit einer Unterbrechung von 3 Tagen in La Paz , seit Mitte Juni für mich allein. Ich war 5 Wochen in Sucre , dort mit meinem jungen Freund der ja leider nicht in Frage kommt beisammen( er ist jetzt zu Studienzwecken nach Santa Cruz gefahren, eingeladen von einem katholischen Pfarrer, der leider auf dem bewußten Gebiete auch eine Enttäuschung erleiden wird; denn er hat ihn wohl nur deshalb eingeladen) und nun bin ich bis Ende August hier in einem falten und windigen Saunest an der Grenze. In Sucre wie auch hier besichtige ich die hier liegenden Infanterieregimenter. leite den ganzen Dienst und lege alle Uebungen an, an deren Schluß immer eine ausgiebige Kritik folgt. Die blutjungen, frischen Leutnants würden Ihnen sicher auch gefallen, aber leider... Natürlich unmöglich.
Oder hätten Sie für junge Neger in Uniform etwas übrig? Die gibts auch vereinzelt. Wie gesagt, nun muß ich mich halt gedulden, bis ich wieder in La Paz bin, dort bin ich vorläufig versorgt. Wenn ich nicht Ende des Monats von hier einen Abstecher an die chilenische Küste nach Antohagasta mache. So, nun wissen Sie so ziemlich alles über mein persönliches Leben, wobei ich nur noch bemerken muß, daß mein Geschlechtstrieb nicht nur nicht nachgelassen, sondern sich vielleicht eher verstärkt hat. Für Ihre Horoskop- Ausarbeitung meinen herzlichsten Dank. Es hat mich alles außerordentlich interessiert, wenn ich auch in puncto puncti ebensowenig flar sehe, wie früher. Aber das Wesentliche ist ja schließlich, was mir Vergnügen macht. Etwas gewundert hat mich Ihre Feststellung bezüglich meiner Stellung zum Beruf. Daß mir dieser scheißegal ist, habe ich wahrhaftig noch nie wahrgenom men, eher das Gegenteil. Aber so Schwankungen in ge= wissen Punkten wird ja wohl jedes Horoskop ausgesezt sein. Und schließlich ists ja wohl nur ein Anhalt. Was Sie über Berlin schreiben, hat wieder alle meine Sehnsucht nach dieser einzigen Stadt erweckt. Herrgott, ich zähle schon die Tage, wo ich dort wieder sein kann und will hier wirklich, wenns einmal möglich ist, sparen, damit ich dort etwas vom Leben habe. Das Dampfbad dort ist aber doch m. A. nach der Gipfel alles menschlichen Glücks. Jedenfalls hat mir dort die Art und Weise des Verkehrs ganz besonders gefallen. An Frenzel sagen Sie besonders hal. Gruß; auch wenn Sie meine übrigen schwarzen Bekannten dieser Typ ist mein Jdeal im Bade oder Dampfbad wiedersehen. Und nun sagen Sie auch unserem gemeinsamen Freunde Frit Schirmer herzlichsten Gruß und geben ihm in meinem Namen leider einen Kuß. Nachdem Sie, wie ich hoffe, auch jetzt glücklich noch verheiratet sind mit ihm, widerrate ich natürlich dringendst einem Aufenthaltswechsel und einer damit verbundenen allenfallsigen Scheidung. Ich muß übrigens nachdrücklichst beanstanden, daß Ihr Herr Gatte( oder Frau Gemahlin?) fein Bild von sich beigelegt hat. Für der= lei Dinge ist man hier äußerst empfänglich.( In diesem Zusammenhang bitte ich Sie übrigens herzlichst: Sie zeigten mir einmal eine so berückend schöne Bildersammlung einschlägiger Szenen. Sollten Sie in dieser Beziehung einige überflüssige Bildchen haben oder für mich erwerben können, so bitte, senden Sie mir bestimmt einige. Ich will Ihnen ewig danken.) Nun aber zu Frißens Idee, in die Welt zu