" Dentsche Freiheit" Nr. 164

Das bunte Blatt

Ein Königreich für einen Sitzplat

Mancherlei Theater in London

Theater in London , troß der Hizewelle gibt es da aller­Hand Sensationen. Dabei allerdings darf man ruhig den Begriff Theater " etwas weiter fassen, denn auch Wimbledon , der berühmte Tennisplay, war in den letzten Wochen eine Art Theater, mit wahren Tennisdramen, mit Stars und mit einem ungeheuren Andrang von Zuschauern. Seit Wochen schon waren alle Sitzpläße für die Meisterschaften von Wimbledon restlos ausverkauft. Händler machten die besten Geschäfte. Bis zu fünf Pfund forderten und erhielten sie für einen Platz, der einmal fünf Schillinge gekostet hat. Schon wenige Stunden, nachdem die letzten Zuschauer am Abend den Platz verlassen hatten, stellten sich die Ersten für die am kommenden Nachmittag beginnenden Spiele an. Sie verbrachten die Nacht auf ihren kleinen mitgebrachten Stühl­chen, und auch sonst hatten sie sich aufs Beste für eine lange Wartezeit eingerichtet, versorgt mit Essen und Büchern. Es wird erzählt, daß Leute, die morgens nach sechs Uhr an= famen, zu einer Zeit, da die Zahl der Wartenden schon nach vielen Hunderten zählte, nicht einmal mehr auf einen Steh plaz rechnen konnten und umkehren mußten.

Wo in der Welt, muß man schon fragen, gibt es heute noch soviel Enthusiasmus? Dabei wurde der erklärte Lieb­ling des Centre Court, Bunni" Austin in einem höchst dramatischen Match von dem Amerikaner Shields glatt ge= schlagen, sehr zum Leidwesen seiner unzähligen Anhänger. Aber schließlich stand im Endspiel um die Herren- Meister­schaft von Wimbledon doch noch ein Engländer, Fred Perry , der den Australier Crawford besiegte. Die Freude in Eng­land war groß. Seit dem Jahre 1909, dem Geburtsjahre Per­rys übrigens, hatten Engländer zum ersten Male wieder den Endsieg in Wimbledon errungen.

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Perry war also der wahre Held und Star von Wimble= don, und dieser Perry ist noch dazu als Tennisspieler ein richtiger selfmade- man. Bis 1930 hatte er niemals Unter­richt gehabt. Zum ersten Male trat er hervor, als er im Jahre 1929 in Budapest Weltmeister im Ping- Pong wurde. Er revolutionierte dieses Spiel, indem er ganz neue Schläge erfand, deren Methodik er später auf das Lawn- Tennis zur

1980f

unter diesem Titel aufgeführt. Der Erfolg nach der Pre­miere war groß beim Publikum und bei der Presse, und es ist anzunehmen, daß das Stück in furzer Zeit auch an den großen europäischen Bühnen aufgeführt werden wird. Viel­leicht wird es ihm sogar gelingen, die auf der Bühne und im Film so beliebt gewordenen Gerichtsverhandlungen, die nie­mals ihre sichere Publikumswirkung verfehlten, zu verdrän­gen. Die ausgezeichnete und von sachkundiger Seite unter­stützte Inszenierung in London brachte wohl zum ersten Male einen Operationssaal und den Verlauf einer Operation von solcher naturalistischer Echtheit auf die Bühne.

Einen einzigartigen Erfolg auf der englischen Bühne hat ja auch Elisabeth Bergner zu verzeichnen. Ihre älte­sten Filme sind in englischer Fassung augenblicklich in fast allen großen Kinos von London zu sehen. Mit ihrem ersten englischen Film als Katharina von Rußland " hatte sie nicht nur einen überwältigenden Erfolg beim Publikum, sondern auch viel zu dem Rufe der englischen Filmindustrie beige­tragen, die bisher vollkommen im Schatten Hollywoods ge­standen hatte. Seit über sieben Monaten nun spielt die Berg­ner vor täglich ausverkauftem Hause in englischer Sprache in einem Stück, das nur um ihretwillen sehenswert und durch sie zum Erlebnis wird.

In der Theater- Geschichte wird man vergeblich nach einem

Bergleich suchen: denn nie ist es einer Schauspielerin gelun­

gen, wie hier, durch ein einziges Auftreten die beliebteste und verwöhnteste Künstlerin einer Weltstadt zu werden. Im Sommer wird Elisabeth Bergner in Stratford, der Geburts­stadt Shakespeares, in den Festspielen auftreten, und im kommenden Herbst wird sie die Erfolgserie ihres Londoner Stückes in Neuyork fortsetzen. Dann aber wird sie wieder nach London zurückkehren, denn da will man sie auf keinen Fall verlieren. Schon sind ihr von einer Reihe der bekannte= sten englischen Bühnen- Autoren Stücke angeboten worden, die eigens für sie geschrieben wurden. Aber bisher hat sie sich noch nicht entschieden.

Zu einer beliebten und ständigen Einrichtung im Theater­

In keimender Zeit

Donnerstag, 19. Juli 1934

Von Konrad Paulis Wir wissen nicht, was uns befällt, nerdüstert wird und aufgehellt von unsichtbaren Flügeln geheimer Wolfen über uns her. Oh, wüßten wirs, wir trügen den Frühling nicht so schwer.

Wo weht, wo jagt der Wolfenwind Und macht, daß wir im Schatten sind und wieder grell im Lichte?

Es muß nicht der am Lenzhimmel, nein: in Gottes Angesichte

mags leicht ein Lächeln sein:

ein Lächeln über diese Welt,

ein Lächeln, das dem Ernst verfälli in seinen heiligen Zügen,

voll Schöpfersorge über uns her.. Verstünden wirs, wir trügen den Frühling nicht so schwer.

Wo ist Tom Mir?

Die amerikanischen Zeitungen melden aus Jacksonville ( Illinois ), daß dort in einer der letzten Nächte ein Tornado große Verwüstungen angerichtet und zahlreiche Menschen opfer gefordert habe. Man ist besonders besorgt um das Schicksal von Tom Mix , des früher sehr berühmten Kino­helden, der jetzt mit einem eigenen Wanderzirkus durch die amerikanische Provinz zieht und der mit seinem gesamten Zirkuspersonal von dem verheerenden Sturm überrascht worden ist. Alle Bemühungen, von Tom Mix und seiner Truppe eine Spur zu finden, sollen bisher ergebnislos ver­lausen sein.

Anwendung brachte. Perry ist, was man allgemein nicht leben Londons wurden auch die Freiluft- Aufführungen im Päpstliches Geld

weiß, Sohn eines Labour- Abgeordneten im Unterhaus, der Regents- Park. Die Aufführung des Sommernachtstraumes" die Wähler der Landschaft Kettering vertritt. Männer in Weiß auf dem Tennisplatz, Männer in Weiß", so heißt auch der neueste Londoner Bühnenerfolg. Im Lyrif- Theater wurde das Stück eines amerikanischen Autors

Die Welt auf Schienen

Die Statistik ist eine schöne Erfindung. Die ganze Welt ist mit 1 282 000 Kilometer Schienenwegen belegt. Man hat fürz­lich berechnet, daß auf je 100 Quadratkilometer der Erdober­fläche ein Kilometer Eisenbahn entfällt und auf je 10 000 Bewohner sechseinhalb Kilometer. Viele Völkerschaften in

im Rahmen der dazu passenden Landschaft und in der sau­beren Darstellung zieht immer wieder genug Menschen an und beweist, daß auch hier der Sinn für echte und hän Romantik noch nicht ausgestorben ist.

über 60 Lenze zählte, wollten die Eltern der Zwanzigjäh­rigen die Heirat mit dem alten" Herrn nicht gestatten. Das Mädchen wurde vielmehr in den Harem eines reichen Kauf­manns gesteckt. Immerhin ist es 3aro Agha offenbar ge lungen, ihr den Atem der Langlebigkeit einzuflößen!

Afien und Ozeanien , die übrigens zahlenmäßig bisher nur Der nordische Robinson

annähernd erfaßt sind, werden nicht viel von den sechseinhalb Kilometer merken, die ihnen angeblich zukommen. Berech­nungen hinterm grünen Tisch.

Eine Jugendliebe Baro Aghas gestorben...

Die Nachricht vom Tode Zaro Aghas, des 164jährigen Türken, ist schnell um die ganze Welt gedrungen. Sie er­reichte auch ein altes rumänisches Mütterchen, das vor Schreck darüber einen Herzschlag bekam. Sie war 120 Jahre alt und war in ihrer Jugend mit dem verstorbenen Methu= falem befreundet gewesen. Da aber Zaro Agha schon damals

In Erinnerung an Monsignore Seipel hat Desterreich eine Münze mit dem Kopfe des verstorbenen Kanzlers prägen lassen. Auf ihrer Rückseite befindet sich das Haupt des Papstes. Des Bildnis des Obersten Kirchenpriesters ist von dem österreichischen Bildhauer Hanisch Konze geschaffen worden. Diese konnte nicht erreichen, daß der Papst ihm die notwendigen Sizungen gewährte, es wurde ihm aber ges stattet, sich während der Zeremonien im St. Peters- Dom und der Sixtinischen Kapelle unmittelbar neben dem päpst lichen Thron zu verstecken. Vier päpstliche Gardewächter waren beauftragt, ihn vor der Schar der Gläubigen zu ver bergen, indem sie sich vor ihn stellten. Auf diese Weise waren drei Sizungen ermöglicht

Auf einer kleinen Insel im Baltischen Meer längs der Edelsteine von einem anderen Planeten

Küste von Kalling Hooge lebt das ganze Jahr über ein Ein­siedler, Jans Soerensen Wandt. Diese Insel ist das Eigen­tum einer Gesellschaft der Freunde der Meeresvögel ge­worden. Möwen und wilde Enten sind seine Kameraden ge= worden. Während der milden Jahreszeit ist der Aufenthalt dort vielleicht noch ganz angenehm, aber wenn der Schnee und das Eis Herren der Insel werden, muß der Robinson vergraben in seinem winzigen Häuschen bleiben, das er auf Pfählen montiert hat. Aber der Aufenthalt muß Wandt an= scheinend sehr zusagen, da er einen einmonatigen Urlaub ver­weigert hat, und die Gesellschaft der Vögel vor der der Men­schen vorzieht.

Ein englischer Forschungsreisender brachte vor einiger Zeit von einer Expedition aus Aegypten Edelsteine mit, die er gefunden hatte. Sie wurden in London den Wissenschaft lern des britischen Museums und der königlichen Gesellschaft vorgelegt, die übereinstimmend erklärten, daß sie Edelsteine von dieser Art noch nie gesehen hätten, daß sie auch keinen Namen hätten und der Wissenschaft bisher noch völlig unbe kannt seien. Man ist sich aber über die Herkunft dieser Steine nicht einig, denn einige Gelehrte glauben, daß sie von einem anderen Planeten stammen, während andere der Ansicht sind, daß es sich um kosmische Steine handle.

Unsere Töchter, die Mazínen

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Roman von Hermonia 8ur Mühlen. Ich sprach darüber mit Lieselotte, die eben keinen Flirt hatte, und sich zu Hause langweilte. Aber bei ihr fand ich wenig Verständnis.

,, Was geht das mich an?," fragte sie. Hab dich doch nicht fo, Mutter, du verstehst ja auch nichts von der ganzen Sache." Und sie schob die Brauen hoch.

Ich fragte mich häufig, wie ich zu diesem Kind gekommen bin. Für Lieselotte gibt es nur eines auf der Welt: ihre eigene Person. Sie hat keine Gesinnung, hat keinen Patrio­tismus. Sie kennt nicht den Begriff von Pflicht, der mich mein ganzes Leben lang geleitet hat. Dabei hat sie doch immer mein Beispiel vor Augen gehabt. Ich kann, ohne mich zu rühmen, sagen, daß ich stets eine pflichttreue Gattin und Mutter und auch eine gute Deutsche gewesen bin. Aber wer hat das zu würdigen gewußt? Nicht Arthur, der mir, weiß Gott , Dank schuldet, denn welche andere Frau hätte den Edel­mut besessen, einen Krüppel zu heiraten, nicht meine Tochter, die immer nur an ihre Unterhaltung gedacht hat, nicht meine Bekannten, die, ich weiß nicht weshalb, mich nie für voll angesehen haben, ja nicht einmal die Dienstmädchen, obgleich ich es wahrlich bei ihnen nicht an Strenge habe fehlen lassen. Nicht wie die andern Frauen, diese Frau Doktor Bär, die seit zehn Jahren das gleiche Mädchen hat, und diese hoch= näsige Gräfin Agnes, bei der die Mädchen nur fortgehen, wenn sie sich verheiraten. Es heißt, daß das Bewußtsein der erfüllten Pflicht für alles andere entschädigt, aber wo bleibt mein Lohn: das eigene Haus, die gute gesellschaftliche Posi­tion, die Bewunderung meiner Mitmenschen? Natürlich trägt auch Arthur an vielem die Schuld. Wenngleich ich jetzt froh bin, daß er seinerzeit nicht zu den Sozialdemokraten ge­gangen ist. Ich habe ihn ja immer davor gewarnt. Trotzdem wäre es in den ersten Jahren nach der schrecklichen Revo­lution leicht möglich gewesen, daß er sich ihnen angeschlossen hätte. Später jedoch, als die Dinge sich zu ändern begannen, hätte er wirklich Partei für die echten Deutichen ergreifen

müssen. Und auch jetzt: was kann es einem Menschen scha­den, der Partei anzugehören, der unser, vom Reichspräsiden= ten berufener Reichskanzler angehört? Aber Arthur ist eben auch in dieser Beziehung kein echter Mann. Jede andere Frau... Aber mich hat mein Gewissen und Gott davor be­wahrt, mich an ihm zu rächen.

Ich bin nur froh, daß ich seinerzeit, als junges Mädchen, nicht den Juden geheiratet habe, so sehr er mich auch mit seiner Liebe verfolgt hat. Jetzt erst weiß ich, was für ge= fährliche, zerseßende Elemente diese Juden sind, denen nichts heilig ist. Damals habe ich das nur mit dem Instinkt der reinen Frau geahnt. Schon das Sommerkleid, das ich im jüdischen Warenhaus gekauft habe und das in der Wäsche eingegangen ist, liefert mir einen untrüglichen Beweis. Und auch der Doktor Bär, der mit seiner geheuchelten Güte und Menschenliebe uns so viele Patienten fortnimmt. Mein armes Vaterland, das unter dem Schmachfrieden von Ver­ sailles leidet und außerdem noch von den Juden ausgeplün= dert wird. Aber wenn ich in den letzten Jahren so etwas sagen wollte, herrschte Arthur mich an: Schweig!"

Und so mußte ich alles flüstern, mußte alles, was mir das Herz bedrückt, mir selbst zuraunen. Ja, ich bin eine unglück­liche Frau, und ich habe mein Unglück nicht verdient.

Die Tage nach dem Reichstagsbrand waren sogar bei uns, in diesem elenden Nest, voller Aufregung. Die Tage bis zu den Wahlen flogen nur so dahin. Am Wahltag verschwand Arthur schon in aller Morgenfrühe und ich konnte ihn nicht einmal fragen, was ich wählen solle. So blieb ich denn da­heim. Ich saß am Fenster und sah, wie Toni und Claudia Arm in Arm zum Wahllokal gingen. Das ärgerte mich. Hätte ich nicht eine so pflichtvergessene Tochter, so ginge jetzt sie mit der Comtesse Claudia Arm in Arm, und nicht dieses Proletenmädel. Lieselotte ging auch nicht wählen. Es interes­sierte sie nicht.

Am Abend wartete ich aufgeregt, daß Arthur heimkomme und mir die Wahlergebnisse mitteile. Pech, wie ich nun schon einmal habe, war mein Radio vor drei Tagen kaputt gegangen. Aber es wurde spät und immer später, und

Arthur kam noch immer nicht. Rücksichtslos wie immer, dachte ich bei mir. Liselotte erschien gegen elf. Sie verlangte etwas zu essen, und ich mußte noch einmal in die Küche gehen, denn das Mädchen, dieses freche Frauenzimmer, arbeitet nicht nach zehn. Eigentlich bin ich ja doch froh, daß es gekündigt hat.

Lieselotte und ich saßen dann im Wohnzimmer und war teten auf Arthur. Lieselotte wollte schlafen gehen, aber ich ließ es nicht zu; ich war viel zu erregt, um allein bleiben zu können. Sie legte sich mit einem Roman, auf das Sofa und schlief ein. Nun wartete ich zitternd auf Arthurs Rück kehr und dachte wehmütig daran, wie eine andere Tochter mir diese Stunden verkürzt hätte.

Gegen eins erschien Arthur. Sein käsiges Gesicht war rot vor Aufregung. Er warf die Wohnzimmertür ins Schloß, daß es nur so dröhnte.

Wir haben gesiegt!" rief er mir zu Ich blickte ihn verständnislos an.

" Wir," was bedeutete das, wenn Arthur wir" sagt? Und dann bemerfte ich in seinem Knopfloch ein großes Hakenkreuz und wußte, wer wir" war.

Lieselotte war aufgewacht und starrte ebenfalls auf das Abzeichen. Sie hatte ihren Vater noch nie mit einem ges sehen.

Seit wann bist du ein Nazi, Vater?" fragte sie ver schlafen.

" Sprich anständig, wenn du von der mächtigsten Partei des Landes redest," fuhr er sie an. Von der Partei, der auch du angehörst."

" Ich?"

Lieselotte wurde vor lauter Staunen ganz wach. " Ja, du. Ich habe dich schon vor Monaten angemeldet Ich will doch gar nicht. Das langweilt mich. Ewig diese Umzüge, dieses Geschrei. Was geht das mich an?"

Arthur trat zu ihr, ich glaubte einen Augenblick, er werde sie schlagen. Dann aber zog er nur die Brauen hoch und sagte eifig:

Willst du jemand sein, eine Rolle spielen?"

Fortjebung folgt)