Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschien Freifieit" Ereignisse und Geschichten

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Donnerstag, den 26. Juli 1934

Wenn Gott   mich so verstände"

Erich Mühsam  

Er war der große Anti- Spießbürger, der ewige Literatur­zigeuner, der Ur- und Erzbohèmien. Bohème war seine Art, eine Gesellschaftsordnung gründlich zu verneinen, die seinem weichen und gütigen Herzen verneinenswert schien, weil sie den dicken Geldsack ehrte und den armen Teufel schändete. Von Einordnung wußte er nichts, Max Stirner  leuchtete ihm mehr ein als Karl Marx  , die Sozialdemokratie dünkte ihn ein geruhsames Philistertum, sein Appell erging an die Unorganisierten und Unorganisierbaren unter den Proletariern, aber ob er hier skurrilen Ideen huldigte, ihm brannte eine Flamme in der Brust, deren Glut keineswegs mit den Jahren abnahm.

Der am 6. April 1878 in Berlin   zur Welt gekommen war und eine wohlbehütete Kindheit in Lübeck   verbracht hatte, suchte, wegen ,, sozialistischer Umtriebe" vom Gym­nasium geschaßt, erst als Pharmazeut in einem bürgerlichen Beruf unterzukommen. Aber bald gewann das Unbürger­liche in ihm die Oberhand, er überließ das Pillendrehen anderen und schlug sich fortan als Dichter durch. Rasch war Mühsam   in allen Berliner   und auch Münchener Literatur­kaffees eine bekannte Gestalt, auffallend schon durch das betont Ungepflegte des äußeren Menschen; einen so wüsten Haarschopf und einen so wild wuchernden Bart hatte nie­mand, und niemand pumpte gleich unverdrossen und wie auf ein Recht pochend die begüterten Zeitgenossen an. Da­neben schrieb er Verse und trug sie in Kabaretts vor, Mori­taten, Großstadtstimmungen, Alkoholisches und Erotisches und vor allem schmissige Lumpenlieder:

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack. Wir sind ein schäbiges Lumpenpack, Auf das der Bürger speit.

Der Bürger blank von Stiebellack, Mit Ordenszacken auf dem Frack, Der Bürger mit dem Chapeau claque, Fromm und voll Redlichkeit.

schuld

Aber hinter ihm, der oft nur wie ein grotesker Spässe­macher wirkte, steckte, unschwer zu erkennen, ein ringender und leidender Mensch, und auf dem Grunde seiner zynischen Poesien lagen Lebensangst, Schicksalsqual und Scheu vor dem Schmutz der Welt". Eine anima candida, eine reine Seele war dieser Schnapstrinker und Schnapsdichter, ein ganz kind­liches Gemüt, ein Suchender, ein Sehnsüchtiger, ein Träumer: Doch manchmal weiß ich meine Augen schön, Weiß einen weichen Klang in meiner Stimme. Dann seh ich dicht vor meinem Blick die Höhn, Zu denen ich in seltnen Träumen klimme. Dann tasten meine Hände, weiß und schlank, Zu Quellen, die aus Schaum und Silber steigen, Und meine Lippen neigen

In heiligem Kusse sich dem reinen Trank. Und nicht nur der Befreiung des eigenen Ich galt seine Sehnsucht, sondern er fühlte zutiefst mit allen Unter­drückten, Hungernden und Leidenden. In seinem Wochen­blatt ,, Der arme Teufel", dann in seiner Monatsschrift ,, Kain  " predigte er seinen anarchistischen Welterlösungs- Glauben, aber wenn ihm die Worte der Beschwörung feurig vom

Munde stoben, lachten ihn die Menschen aus oder drehten sich gelangweilt um:

Ich will der ganzen Welt Gebresten heilen, Will aller, aller Arzt und Helfer sein, Doch wo ich nahe, seh ich flink enteilen Die kranken Menschen, und ich bleib allein.

In Versen, deren Metall ganz rein und voll klingt, drückte er einmal seine Tragik aus, die Tragik dessen, der andere erlösen möchte und sich selber nicht zu erlösen vermag: Wenn Gott   mich so verstände, Wie ich sein Werk versteh, Er gäb in meine Hände Den Segen für das Weh. Ich seh auf Feld und Weide Das Glück der Welt gedeihn. Für mich wächst kein Getreide, Am Rebenstock kein Wein. Ich möcht die Menschen lehren, Wie man das Leben lebt,

Kann selbst mich nicht erwehren Des Leids, das an mir klebt.

Zeitbild

Nachdem der Weltkrieg sein fühlend Herz mit tausend 2 Nadeln durchbohrt hatte, glaubte Mühsam   mit der Räte­republik München   im Frühjahr 1919 seine Stunde ge­kommen, aber dieser romantische Dichtertraum zerrann noch häßlicher als viele andere, und die Verurteilung zu fünfzehn Jahren Zuchthaus war das Ende. Nach fünf Jahren Nieder­schönefeld wurde er begnadigt", um, schwer an seiner

ohnehin nicht robusten Gesundheit geschädigt, sich seinem

Werke aufs neue zu widmen. Aber was immer seiner Feder

entfloß, Dramen, Flugschriften, Erinnerungen Von Eisner bis Leviné", in seines Wesens Kern war und blieb er Lyriker: Wer fragt nach mir, wenn ich gestorben bin? Der trübe Tag nahm meine Jugend hin. Der Abend kam zu früh. Der Regen rann. Das Glück glitt mir vorbei, mir fremdem Mann. Mein armes Herz ist seiner Leiden satt. Bald kommt die Nacht, die keine Sterne hat.

tin

Die Nacht ohne Sterne brach für Deutschland   wie für ihn an, als die Flammen des Reichstagsbrandes den Himmel über Berlin   schauerlich erhellten. Unter den ersten, die den braunen Banditen in die schmutzigen Hände fielen, war Mühsam  . Sicher hatten sie keine Zeile von ihm gelesen, aber die stumpfsinnigen Spießbürger, kulturfeindlichen Banausen und rohen Barbaren, die sich in die Macht ge­stohlen hatten, empfanden ihn mit sicherem Instinkt als ihren Antipoden. Grund genug, das Pazifistenschwein" durch Gefängnis und Konzentrationslager zu schleppen, zu schlagen, zu treten und viehisch zu schinden. Und jetzt haben sie ihn zu Hunderten anderer in den Tod gehetzt, den armen Dichtersmann, ganz gleich, ob sie ihn mit Ochsenziemern und Revolver unmittelbar erledigten oder durch das Ueber­maß physischer und moralischer Qualen zum Selbstmord" trieben. Auch für dieses vernichtete Leben wird Rechenschaft verlangt werden und rascher vielleicht, als mancher ahnt. Erich Mühsam   wird uns unvergessen bleiben, aber seinen Mördern auch.

Blick auf den braunen Film

Verboten!

Der Film ,, Theobald, der Mandarin" von der Bavaria Film AG. wurde von der Filmprüfungsstelle unter Nr. 36638 werboten. Darf auch nicht ins Ausland gebracht werden.

Nazimonopol

Durch einen Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, sowie des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, sowie der Reichspropa­gandaleitung der NSDAP.( Abteilung Film) wird ausdrück­lich festgestellt, daß nur die Gau film stellen die Auf­Eabe haben, staatspolitische Filme für die Schulen zur Ver­fügung zu stellen. Für diese Filme erhalten die Gaufilm­Fellen Leihgebühren, außerdem darf von den Schülern eine Gebühr von höchstens 15 Rpfg. erhoben werden. Am inter­essantesten sind die Punkte 11 und 13 dieses Erlasses; sie

lauten: ,, 11. Privatunternehmer dürfen, ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zur Filmkammer, zu Veranstaltungen von Film- und Bildvorführungen für Schulen nicht mehr zuge­lassen werden. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung der obersten Landesschulbehörden; sie darf nur an solche Privat­personen erteilt werden, denen in einem Ausweis der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm der besondere unter­

Verboten!

M. K.

Die Lichtbildbühne teilt mit: Der Leiter der Filmprüf­stelle gibt unter dem Datum des 10. Juli 1934 amtlich be­kannt, daß am 16. Mai 1934 die öffentliche Vorführung des stummen Films ,, Das hohe Lied der deutschen Arbeit" unter Nr. 36248 verboten worden ist. Es handelt sich hierbei um einen Film mit drei Akten( 1600 Meter); Antragsteller und Hersteller K. W. Film Kultur- und Werbefilm Ella Haase, Dresden  . Haase, Dresden  . Weiter wurde der Fox- Film Just imagine" verboten. Militärische Filme

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Im ,, dritten Reich" werden immer mehr militärische Lehr­filme erzeugt. In einer Mitteilung der Filmprüfstelle finden wir die folgenden Filme verzeichnet; dabei handelt es sich lediglich um Filme aus dem Gebiet der Filmprüf­stelle Berlin   aus der Zeit vom 2.- 7. Juli: 1. Die Grund. lagen des Gasschutzes, 2. Luftkampf und Bombenwurf, 3. Manöver der Jagd- und Bombengeschwader des Auslands, 4. Menschen im Schatten( Deutscher   Propaganda- und Werbe­dienst), 5. Moderne Luftwaffen, 6. Die taktische Verwendung des Flakregiments.

richtliche Wert ihrer Veranstaltungen bescheinigt ist. 13. Der hundertjährige Mark Twain  Die vorstehenden Richtlinien, die hiermit zum Bestandteil der Dienstanweisung der Gaufilmstellen der NSDAP  . erklärt werden, treten an Stelle der Richtlinien, die die Unterrichts­verwaltungen der einzelnen Länder mit dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda abgeschlossen haben." Das sind feine Geschäfte, die diese dem Materialismus so abholde Partei macht.

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Statt Film

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Hitlergebrüll

Der weitaus größte Teil der Berliner   Kinos mußte einen Teil seines Abendprogramms ausfallen lassen, damit das Publikum die Uebertragung der Mordentschuldigungsrede Hitlers   anhören könne. In den Ufa  - Theatern wurde für dieses Theater kein Eintrittsgeld verlangt.

Neuer Naziposten

Rusts Ministerium hat eine Reichsstelle für den Unter­ richtsfilm  " geschaffen. Mit der Leitung dieser Stelle soll kein Pädagoge, sondern der Kapitänleutnant von Werner betraut werden. Werner ist der richtige Parteibuchbeamte. Angestellter des nazischen Bayrischen   Schmalfilm­dienstes und nach dem Aufbruch der Nazis Leiter der baye­rischen Landesfilmbühne,

Er war

Der hundertste Geburtstag Mark Twains, des großen ame­ rikanischen   Humoristen, ist zwar erst im Jahre 1935, aber schon jetzt beginnt man in Amerika   mit den Vorbereitungen zu dieser Jahrhundertfeier. So hat die Mark- Twain- Gesell­schaft bereits ein kleines Buch herausgegeben, in dem Aeußerungen über Mark Twain   zusammengefaßt sind und das besonders interessant ist durch die Persönlichkeiten, die darin mit einer Aeußerung vertreten sind. Das Buch ver­zeichnet sieben Namen von Politikern und Schriftstellern, die eine wirklich sensationelle Zusammenstellung geben. Da stehen unter den Bewunderern Mark Twains: der Präsident Roosevelt   und Mussolini  , Bernard Shaw   und der bereits verstorbene Galsworthy, André Maurois  , G. K. Chesterton  und John Drinkwater  , ein stattlicher Auftakt für die Jahrhundertfeier Mark Twains.

Braunes Theater

Den sogenannten Grenzlandtheatern wird besondere finanzielle Hilfe gewährt, so dem Tilsiter Stadttheater  , das vom Reichspropagandaministerium einen Zuschuß erhält.

Das Theater der Stadt Flensburg   soll im Rahmen des so­genannten Arbeitsbeschaffungsprogramms renoviert werden,

Wenn ich nachts durch deine schneebedeckten Straßen streichc, träume ich vom Deutschen   Reiche und ich weine.

Wenn die braune wildegword'ne Bande

Und betrogene Bestien laut an mir vorüberziehen, denk ich des Verrats am Vierten Stande,

an die Herzen, die im Stillen glühen;

an die Brüder, die im Zuchthaus leiden, an die Brüder, die im Glauben starben, an Millionen, die in Unschuld darben, doch die fest den Pakt mit jenen" meiden.

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,, Bei Philippi treffen wir uns wieder." Kennst du die geflügelten Worte.

die der stolze Marc Antonius  

einst gesprochen haben soll?

Durch das nächtliche Berlin  stampfen die gedrillten Horden Im Palast des Oberosafs schlägt ein menschliches Gewissen

Und er freut sich, daß die lieben Volksgenossen dankbar winken; wenn sie donnernd Siegheil rufen, zeigt er mutig sich am Fenster.

Max Brod  :

Die Frau, die nicht enttäuscht"

Ein merkwürdiges Buch und fast ein kühnes. Wer anders als dieser zeitgenössische Romancier großen Formats dürfte sich die Ironie des Titels erlauben? Diesen bewußt irrefüh­renden Titel für ein Buch, das nicht etwa bedingungslos von einer Frau schwärmt, sondern von ganz Anderem handelt: Zerstörende Leidenschaft, platonische Liebesgestaltung und Austrag harter innerer Kämpfe eines deutschen Dichters jü­dischen Blutes, alles findet auf den 370 Seiten dieses Ro­mans harmonischen Platz.

Wer anders dürfte diese Themen so miteinander verbin­den, als dieser eben Fünfzigjährige, der außer tiefen Liebes­büchern und plastisch- dramatisch gestaltenden historischen Romanen schon Streit- und Bekenntnisschriften zum jüdischen Problem veröffentlichte, als dieses Thema weder aktuell noch beliebt war.

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er­

Man liest Brods neues Buch in der Emigration. Neben der Welt, ausgehungert nach Lektüre, zerrissen, zwischen vieler­lei Büchern. Liest es nach Heinrich Manns   Dokument vom Haß", nach Feuchtwangers aufwühlenden ,, Ge­schwister Oppenheim" und Heinz Lippmanns schütterndem Anklagewerk ,, Vaterland". Und die ,, Frau, die nicht enttäuscht" hat einem etwas zu sagen und zu geben. Das bedeutet in dieser Nachbarschaft, viel für dieses Werk, schmerzlich worin sich der große Liebende dieser Zeit mit dem au. seiner sinnlich- besinnlichen Schau aufgestört Einsturz seiner glühend besonnten Welt auseinandersetzt. Neben der, wie immer, meisterhaften Darstellung und Analysierung moderner Frauen bietet der Dichter diesmal das Schauspiel vom heftigen inneren Kampfe eines aus­gestoßenen deutsch  - jüdischen Geistesmenschen.( Der Kampf wurde von Brod   ausgefochten und dichterisch gestaltet, ehe er in aller Oeffentlichkeit begann.) Wie einfach ist das ge­schrieben: Einer erkrankt an einer Frau und seinem Juden­tume. Und wie sich im Buch die andersrassige, schöne geliebte Frau und das schöne geliebte Land( Lessings und Stifters Land) gleichnishaft verweben. Unauflöslich und unauslösch lich.

Fein sind die Nebenfiguren des Romans gezeichnet. Gna­denlos die berechnende Vorgängerin der zerstörenden Ge­liebten, ehrlich und fast selbstverleugnend der betriebsam­getriebene Zeit- und Glaubensgenosse Dr. Türk und mit herrlich saftigem hintergründigem Humor endlich der schwer­fällig- pfiffige Verlagsvertreter. Leuchtend, fiebernd, zum Greifen nah aber die verderbliche Erau. Der Dichter im Buch wird von ihr gerettet, die ihn bald vernichtet hätte, vor der Diffamierung in seines Geistes Heimat hat ihn nichts retten können. Er lebt künftig ohne die zerstörende Frau und ohne das zerstörte Vaterland. Wie, das müssen wir aus diesem Buch erraten, das da endet, wo die Barbarei in Deutschland   begann.

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Der Dichter Brod   wird uns, hoffen wir, in seinem nächsten Buch die Antwort geben. Es wird heißen ,, Heinrich Heine  , das Leben eines deutschen Dichters". Charlie Kaschno

Das Theater dee coten Acmee

In Moskau  , auf dem Roten Platz  , ist der Bau eines Riesengebäudes begonnen worden, das gewissermaßen ein Denkmal für die rote Armee   sein soll. Der Entwurf sieht die Form eines fünfzackigen Sterns vor, das Gebäude wird von einem Säulengang umgeben und mit Bildern und Skulp­turen ausgeschmückt sein, die an die wichtigsten Episoden der revolutionären Kämpfe erinnern werden. Das Gebäude wird einen großen Theatersaal haben, der dreitausend Per­sonen fassen soll, die Bühne wird mit den modernsten tech­nischen Einrichtungen versehen sein. Das ganze Gebäude wird von einer vierzehn Meter hohen Statue gekrönt, die einen Soldaten mit einem flammenden Stern in der Hand darstellen wird.

Pfui Teufel für alle Zeiten

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Ein deutscher Journalist schreibt in der Korrespondenz des Deutschen   Presseverlages: Das Pfui Teufel', mit dem der Reichsminister Dr. Goebbels   seine Rundfunkansprache schloß, wird für alle Zeiten in die Geschichte der inter­nationalen Zeitungswissenschaft eingegraben sein als ein Dokument tiefsten Standes des Journalismus in weiten Teilen des Erdballs." Eine immerhin ein wenig zwei­

deutige Aeußerung,

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