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,, Deutsche Freiheit", Nr. 171
ARBEIT UND WIRTSCHAFT WIRTSCHAFT 12 Saarbrücken, den 27. Jul 1935
Von Jan Severin
Zu den außerordentlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen das Hitler- Regime in den nächsten Wochen und Monaten entgegen geht, tritt neuerdings die große Gefahr einer Unterversorgung an Lebensmitteln. Bisher hatte die Ernährungsfrage dem Hitler- Regime von allen Problemen die geringsten Sorgen gemacht, da Deutschland in Getreide und Kartoffeln, sowie den anderen pflanzlichen Nahrungsmitteln durch die mit außerordentlichen Subventionen und handelspolitischen Opfern erkaufte Agrarpolitik der letzten Jahre und besonders des Jahres 1933 von der ausländischen Einfuhr fast unabhängig war. Durch die Miẞernte hat sich die Lage jegt völlig geändert und die Hungerkrawalle, die aus einigen Teilen des Reiches, besonders aus dem westlichen Industrierevier und aus Berlin im Zusammenhang mit dem immer deutlicher hervortretenden Kartoffelmangel gemeldet werden, dürften nur die ersten Sturmzeichen sein, die die Periode einer neuen schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Belastung des Hitler- Regimes in der Ernährungslage einleiten.
In keinem Lande der Welt ist die Kartoffel in so hohem Maße die Grundlage der Volksernährung, wie in Deutsch land . Von einer europäischen Kartoffelernte in Höhe von rund 1 Milliarden Meterzentnern entfielen auf Deutsch land 1932 zirka 410 Millionen, 1933 sogar 440 Millionen Meterzentner, also zuletzt mehr als ein Drittel der ganzen europäischen Ernte. Die deutsche Regierung ist ängstlich bemüht, jede Angabe über den Umfang des Minderertrages der diesjährigen Kartoffelernte zu vermeiden, aber die Tatsache, daß der Marktpreis, der noch im Mai in Berlin für je 50 Kilogramm 2,20 bis 2,40 Mark betrug, nach einer Steigerung auf 3,70 im Juni nunmehr im Juli auf 4,30 bis 4,40 Mark gestiegen ist, sich also ungefähr verdoppelt hat und die sich aus allen Teilen des Reiches häufenden Meldungen über das Schlange- Stehen" der Hausfrauen vor den Kartoffelläden und die Rationierung der vorhandenen Ware beweisen deutlich, daß die Ernte in diesem Jahre auẞerordentlich schlecht ist und zur Versorgung der Bevölkerung
nicht annähernd ausreicht.
Bei den sehr schlechten Einkommensverhältnissen, die jetzt in Deutschland herrschen und angesichts der kommenden neuen Welle einer verschärften Arbeitslosigkeit sind die Möglichkeiten, von der Kartoffelnahrung zum Brot überzugehen, schon aus Preisgründen außerordentlich gering. Läßt man aber selbst dieses wichtige Bedenken unberücksichtigt, so zeigt doch eine Ueberprüfung der deutschen Getreidelage schon jetzt, daß es ganz unmöglich für Deutschland ist, in diesem Jahre mit der eigenen Ernte auszukommen und auf fremde Getreideeinfuhr zu verzichten. Die letztere aber kommt schon deshalb nicht in Frage, weil die hierfür nötigen Devisen bekanntlich nicht zur Verfügung stehen.
Den gleichgeschalteten deutschen Handelszeitungen war die Veröffentlichung von Saatenstandsberichten bereits seit vielen Wochen streng verboten, um eine Beunruhigung der Bevölkerung über die Sicherstellung der Ernährung zu vermeiden. Diese Beunruhigung ist jetzt aber doch im Zusammenhange mit den enormen Steigerungen der Kartoffelpreise und dem nicht mehr zu verschleiernden Mangel an Kartoffeln aufgetreten. Um diese Beunruhigung nun nicht weiter wachsen zu lassen, hat man sich zur Veröffentlichung von Vorschätzungen auf die Getreideernte entschlossen. Es ist nun zu berücksichtigen, daß Deutschland früher einen sehr großen Teil des Getreidebedarfes aus dem Auslande importierte und hierzu mit Rücksicht auf den großen Export von Industriewaren auch in der Lage war. Im Laufe der legten zehn Jahre hat man die Getreideproduktion im Inlande durch ständige Heraufschraubung der Schutzölle und durch große Agrarsubventionen, wie die Osthilfe, immer weiter erhöht, so daß sie 1933 einigermaßen zur Deckung des Inlandsbedarfes ausreichte. Die amtlichen Stellen veröffentlichen jetzt eine Vorschätzung für die deutsche Ge
treideernte in Höhe von 11,37 Millionen Tonnen für Brotgetreide( Roggen, Weizen und Spelz). Statt dieser Ziffer nun aber die Erntemenge des Jahres 1933 gegenüberzustellen, zieht man nur einen Vergleich mit dem Durch
liegen. Preiserhöhungen, die bei stärkerer Beimischung dieser neuen Erzeugnisse entstehen müßten, würden aber der großen Linie unserer Wirtschaftspolitik zuwiderlaufen.
Die schon seit einiger Zeit im Gange befindlichen Erwägungen über die Konsequenzen, die aus der Rohstoffverknappung zu ziehen sind, bewegen sich deshalb nach unseren Informationen in der Richtung, eine weitere gleichmäßige Beschäftigung der Textilindustrie durch Verkürzung der Arbeitszeit sicherzustellen und so den Aufschwung in ruhigere Bahnen zu lenken
schnitt der letzten zehn Jahre 1924 bis 1933. Dieser Durd Unhaltbar gewordene Lage
schnitt ergibt für das genannte Jahrzehnt eine Brotgetreideernte von 11,40 Mill. Tonnen, also nur unerheblich höher wie die für 1934 veröffentlichte Vorschätzung. Zur Erkenntnis der wirklichen Lage ist aber dieser Vergleich mit dem Durchschnitt des ganzen vergangenen Jahrzehntes ganz sinnlos, da Deutschland in diesem Jahrzehnt bis vor wenigen Jahren nur deshalb mit einer so geringen Getreidernte auskommen konnte, weil man alljährlich in der Lage war, gewaltige Getreidemengen aus dem Auslande gegen Devisen zu importieren.
Viel wichtiger ist der Vergleich dieser Vorschätzung von 11,37 Mill. Tonnen mit dem Ernteertrage des Jahres 1933, der nicht weniger als 14,49 Tonnen beträgt. Deutschlands Ernte an Brotgetreide bleibt also nach den eigenen, jetzt von den amtlichen Stellen veröffentlichten Vorschätzungen um rund 22 Prozent hinter derjenigen des Vorjahres zurück. 1933 war es einigermaßen möglich, mit der eigenen Getreideernte die Volksernährung sicherzustellen. 1934 wird es unmöglich sein. Man muß also entweder mehrere Millionen Tonnen ausländisches Getreide zu den jetzigen hohen Weltmarktpreisen gegen Devisen einführen, oder aber man muß die vorhandenen völlig unzureichenden Erntemengen einschließlich der aus den letzten Jahren verbliebenen Vorräte, die aber nach den eigenen Angaben des Hitler - Regimes nicht ausreichen, um den Minderertag auszugleichen, rationieren. Die Situation wird weiter noch ganz erheblich dadurch erschwert, daß die Kartoffelernte viel zu gering ist und daß die vorhandenen Getreidereserven und ein erheblicher Teil der diesjährigen geringen Brotgetreideernte zum Ersatz der fehlenden Kartoffelmengen herangezogen werden muß. Noch ungünstiger liegen die Verhältnisse bei der Futtermittelernte, weil hier so gut wie überhaupt keine Vorräte aus früheren Jahren zur Verfügung stehen, so daß eine massenweise Abschlachtung des Viehs und eine weitere Verarmung des Bauernstandes heute bereits als ganz unvermeidlich anzusehen ist. Nach den eigenen, wie üblich sehr optimistischen Vorschätzungen der diesjährigen deutschen Ernte ergibt sich folgendes ungünstige Bild, das aber aus naheliegenden Gründen den enormen Minderertrag der zu erwartenden Kartoffelernte nicht enthält( in 1000 Tonnen): 1934 1933
Roggen Weizen und Spelz
7270
4100
Wintergerste
641
Sommergerste
2270
Hafer
5000
8727
5763
713
2754 6951
Bis auf den geringen Rest der jetzt noch verbleibenden Devisen hat Deutschland im ersten Halbjahr 1934 den Devisenbestand zur Vorversorgung in Rohstoffen unter nahezu völligem Verzicht auf jede Lebensmitteleinfuhr verwandt. Die jetzt etwa noch vorhandenen geringen Devisenreste stehen zur Einfuhr von Rüstungsrohstoffen usw. überhaupt nicht mehr zur Verfügung, da man sie zur Deckung des dringendsten Lebensmittelbedarfes unbedingt brauchen wird. Die Einführung von Brot- und Kartoffelkarten in Deutschland bleibt unter diesen Verhältnissen unvermeidbar. Die Verelendung der Konsumenten dürfte in verschärftem Tempo fortschreiten, während gleichzeitig die Notlage der Bauern, die ihr Vieh nicht durchfüttern können, sich automatisch verschlimmern muß. Mit dieser neuen und unvermeidlichen Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Lage dürfte auch die politische Stellung des HitlerRegimes infolge der Lebensmittelnöte bald eine neue und schwere Erschütterung erfahren.
Die Textilindustrie
wor Rohstoffmangel und Kurzarbeit
Wir lesen in der Frankfurter Zeitung ": Keine der großen Verbrauchsgüter- Industrien hat an den ersten Ansätzen zur Besserung im Jahre 1932 und an dem von kräftigem staatlichem Einsatz getragenen Aufschwung seit 1933 in solchem Maße teilgehabt wie das Textilgewerbe. Nirgends ist aber auch die Rohstoffabhängigkeit vom Ausland, die heute im Zeichen der Devisenknappheit das beherrschende Problem der deutschen Industriekonjunktur darstellt, so sehr gegeben wie hier: vier Fünftel des gesamten Rohstoffverbrauchs mußten bisher in der Regel importiert werden, von der Baumwolle sogar 100 Prozent, von der Wolle 90 bis 95 Prozent. Und deshalb sind in der Textilwirtschaft als einer Devisenverzehrerin ersten Ranges die Fragen der Vorratsbewirtschaftung, der Entwicklung der heimischen Rohstoffquellen und der gegebenenfalls notwendigen Anpassung der Produktion von besonderer Dringlichkeit.
Die Lage, in der die deutsche Textilindustrie von der Einfuhrdrosselung betroffen wird, trägt also zahlreiche Merkmale einer Hochkonjunktur, und zwar, wie vorweggenommen sei, einer Inlandskonjunktur. Nach den Schätzungen des Instituts für Konjunkturforschung war Ende Juni der Bedarf aus Vorräten und Inlandsprodukten für 4 bis 5 Monate gedeckt. Bei dieser Vorratslage konnte der hohe Beschäftigungsstand bis heute aufrechterhalten werden, aber das bedeutet in erster Linie die Abwicklung des vorhandenen großen Auftragsbestandes, z. B. in der Rohweberei
bis weit ins vierte Quartal hinein. Neue Aufträge können bereits seit einiger Zeit an manchen Stellen nicht mehr oder nur unter Vorbehalt der Rohstoffbeschaffung angenommen werden. Die Weiter beschäftigung der Textilindustrie auf ihrem gegenwärtigen Stand ist also eine ernste Aufgabe. Die handelspolitischen Möglichkeiten, die Lieferländer der Textilrohstoffe, mit denen unsere Handelsbilanz durchweg passiv ist, zur Aufnahme deutscher Zusatzexporte zu bewegen und damit Deutschland zu vermehrten Rohstoffbezügen instand zu setzen, werden schnell genügt werden müssen. Daneben steht die Entwicklung der heimischen Rohstoffquellen. Unter ihnen ist die Förderung der Schaf zucht seit dem Vorjahr eingeleitet, sie kann sich aber nur in begrenztem Umfang und vor allem erst auf lange Sicht auswirken. Die stärkere Entwicklung der Kunstwoll erzeugung und eine entsprechende Umstellung der Verarbeitung von Kammgarn zum Cheviot ist in vollem Gange. Die Kunstseiden industrie ist auf viele Monate hinaus voll beschäftigt, die Vorräte bei den Erzeugern haben sich gelichtet. Indes hat die Kunstseide nach Berechnungen von unabhängiger Seite bisher nur etwa 10 Prozent unseres Baumwollverbrauchs und etwa 2-4 Prozent des Gesamtverbrauchs an Textilstoffen decken können. Alle diese Möglichkeiten dürfen als unmittelbare Hilfe nicht überschätzt werden, zumal da die Preise vorläufig noch weit über denen der entsprechenden Naturprodukte
Vor uns liegt folgendes vom 20. Juli datiertes Rundschreiben über die Folgen der deutschen Devisenrepartie
rung:
Die Rotterdamer Getreide- Spediteure wenden sich an die Kundschaft, um sie auf die durch die Devisenbeschränkungen unhaltbar gewordene Lage hinzuweisen.
Die Ueberweisungen der Vorlagen für Seefrachten, Umschlagskosten und Flußfrachten erfolgen in den letzten Monaten in einer vollkommen ungenügenden Weise. Die Ablösung von Bankgarantien, die normalerweise in einigen Tagen geschehen muß, hat sich derartig lang hingezogen, daß auch das finanziell stärkste Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, die Verpflichtungen, welche sich darauf den Banken gegenüber ergeben, zu erfüllen.
Die Empfangnahme gegen Bankgarantie und Sicherstellung der Seefracht ist nicht mehr möglich, weil die Partien in Rotterdam zur Verfügung der Seekonnossements- Inhaber oder Seereedereien bzw. Banken solange liegen bleiben müßten, bis die Seedokumente zur Stelle und die Seefrachten bezahlt sind.
Die Folgen dieses Zustandes sind deutlich. Es ist unseren Mitgliedern bei allem guten Willen nicht mehr möglich, weitere Vorlagen irgendwelcher Art zu machen und Bankgarantien zu stellen. Die Kundschaft wird also mit erheblichen Extrakosten zu rechnen haben, weil nichts anderes übrig bleibt, als in Hinkunft alle Partien, für welche die Seedokumente und die Deckung von Seefracht, Umschlagsund Transportkosten fehlen, in Cargadorslichter bzw. Dampferschuppen gehen zu lassen.
Namens unserer Mitglieder bitten wir Sie daher in Ihrem Interesse, dafür sorgen zu wollen, daß bei Eintreffen aller Partien die Seedokumente, volle Deckung für die Seefrachten und annähernde Deckung für die Umschlags- und Flußtransportvorlagen im Besitz der Spediteure sind, weil nur dadurch die glatte Abwicklung der Spedition und Weiterverladung gewährleistet wird.
Hochachtungsvoll
Verein Rotterdamer Getreidespediteure
( Graan- Expediteursbond)
Die Naziagitation gegen die Warenhäuser hat bekanntlich den Warenhauskonzern Karstadt ruiniert. Der vollständige Zusammenbruch wäre zu einer solchen Katastrophe geworden, daß die öffentliche Hand eingreifen mußte. Das Aktienkapital des Konzerns umfaßt nun 28,8 Millionen RM. gegen früher 75 Millionen RM.; die Bilanzsumme verminderte sich von 279,6 Millionen RM. auf 193,6 Millionen RM. Zu diesen Zahlen ist zu bemerken, daß sie offiziell, also hitlerdeutsch frisiert sind! Die Sanierung wurde so durchgeführt, daß zunächst eine Abstoßung vieler überflüssig angegliederter Fabrikbetriebe" erfolgte. Wieviel Arbeiter und Angestellte durch diese Maßnahme stempeln gehen müssen, wird verschwiegen. Es müssen aber sehr viele sein, denn die Schließung der Handwerksbetriebe in den Warenhäusern Karstadt allein machte 274 Angestellte brotlos. Auch hier wird die Zahl der aufs Pflaster geworfenen Arbeiter nicht mitgeteilt. Die Bankschulden des Konzerns wurden zu 21,9 Millionen RM. in Aktien, zu 10 Millionen RM. in Genußscheinen bezahlt, das heißt für Geld wurde Papier gegeben. Der Name der Banken, die diesen schweren Verlust zu bezahlen haben, wird verschwiegen. Nach dem Zwangsreorganisationsplan erhält der größte Teil der Gläubiger fast keine Zinsen mehr.
So sieht die Wirtschaftspolitik der Nazi aus.
Niedergang
der deutschen Porzellanausfuhr
Das Sinken der deutschen Porzellanausfuhr ist aus folgenden Zahlen ersichtlich:
Gesamtausfuhr feinkeramischer Erzeugnisse
Warenbezeichnung
Gesamtausfuhr davon:
Wandbekleidungsplatten Steingut( einfarbig) Tafelgeschirr
( in 1000 dz)
1913 1930 1931 1932 1933 1934* 1446 1358 1168 788 821 344
145
494 458 288 353 166
122
155 155 136 131 55 352 230 163 122 115 40
* Für die ersten 5 Monate Januar/ Mai.
Wertmäßige Gesamtausfuhr feinkeramischer Erzeugnisse
Warenbezeichnung Gesamtausfuhr davon:
( in Mill. RM.)
1913 1930 1931 1932 1933 1934* 86,7 118,7 88,7 52,7 48,2 17,0
Wandbekleidungsplatten Steingut( einfarbig) Tafelgeschirr
4.1 5,0 31,9
21,4 17,9 9,3 10,1 4,2 7,7 11,0 10,6 7,1 2,7 35,4 24,2 15,8 13.9 4,7
Für die ersten 5 Monate Januar/ Mai,