Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

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Nr. 175 2. Jahrgang

Saarbrücken , Mittwoch, 1. August 1934

Chefredakteur: M. Braun

Oesterreichs innece Spannung

Seite 2

Massenvechaftungen

und Putschgerüchte

Seite 2

Goebbels

kauft öffentliche Meinung

Seite 4

Deutsch englisches Luftwetteüsten

Seite 6

Der Tapst

für Keuzzug gegen Hitler

Seite 6

Man spricht von Krieg

Die europäischen Gefahrenherde: Oesterreich und die Saar Diplomatische Aktivität in ganz Europa - Ernste Sorgen

London , den 31. Juli 1934. Der weitbekannte englische Journalist Ward Price , der nach einem längeren Aufenthalt in Paris sich zur Zeit als Dollfuẞz ermordet wurde, in Berlin befand und darauf sofort nach Wien eilte, gibt in der Daily Mail" eine Dar­stellung der europäischen Lage, so wie er sie nach Fühlung nahme mit gutunterrichteten politischen Kreisen in diesen drei Hauptstädten sieht. Er will mit seinen Ausführungen auf die Frage antworten, die, wie er sagt, auf aller Lippen schwebe: werde Dollfuß ' Ermordung der Funke sein, der das europäische Pulverfaß zur Explosion bringe?

" Frankreich ", meint Price, fürchtet den Krieg, aber es fürchtet im Augenblick Deutschland nicht. Frankreich befindet sich auf dem Höhepunkt seiner militärischen Kraft. Die Pari­fer Regierung wird niemals einen Angriffstrieg gegen Deutschland unternehmen:

aber es könnte zu Feindseligkeiten kommen, wenn das Reich versuchen sollte, die Saar zu besetzen oder sogar dann, wenn die Abstimmung im nächsten Januar zu Deutschlands Gunsten ausgehen und das Reich seine Souveränität an der Saar aufrichten wollte, ohne daß Berlin vorher in barem Gelde Frankreich für die Saargruben und für das dort angelegte französische Kapital entschädigen würde. Uebrigens würde Frankreich an jedem Kriege teilnehmen, den Deutschland durch einen Angriff gegen irgend eine Macht im Osten verschulden würde; denn Frankreich ist überzeugt, daß es selbst hinterher angegriffen würde, falls das Reich Sieger sein würde.

Frankreich macht der englischen Regierung alle Aussichten

auf seine Hilfe im Falle eines deutschen Angriffs in Europa . Dafür verlangt es von England, daß es die Neutralität und territoriale Unverleßlichkeit der Niederlande noch mehr als die Belgiens schütze. Frankreich weist der englischen Regie­rung immer wieder nach, daß die Niederlande ein Stützpunkt für furchtbare deutsche Luftangriffe auf alle Teile der bri­ tischen Inseln sein könnten. Wenn sich dagegen England zum Schutze der holländischen Neutralität verpflichten würde, dann könnte die Regierung im Haag ihre Flugpläße der englischen Luftflotte für Gegenangriffe auf Deutschland zur Verfügung stellen."

Price sagt dann weiter, die Franzosen seien felsenfest von dem Vorhandensein geheimer Waffenlager in Deutschland überzeugt. Im Anschluß daran spricht er von den Eindrücken, die er während seines Aufenthaltes in Berlin gesammelt habe.

Die Masse des Voltes", erklärt er offen ,,, will nichts von einem Kriege wissen, aber die Deutschen würden ihn mit aller Verbissenheit führen, wie ein Tier, das in der Falle size, wenn es ihrer Regierung gelänge, sie davon zu überzeugen, daß das Reich von feindlichen Staaten eingetreist sei."

Schließlich kommt Price auf Oesterreich zu sprechen. Er meint, das österreichische Volke bestehe zu je einem Drittel aus Kommunisten( er verwechselt diese mit den Sozialdemo= fraten. Die Redaktion), Nationalsozialisten und Anhängern der von Dollfuß betriebenen Politik. Aber diese drei gleich starken Parteien seien eine große Gefahr für das österrei­chische Spiel.

Rüstungsindustrie im Hintergrund

Zwanzig Jahre

*** Die Erinnerungen des 1. August

Jeder, der noch vor acht Tagen einen Aufsatz zur Ers innerung an den Kriegsausbruch vom 1. August 1914 ge­schrieben hätte, der besaß immerhin die Jllusion eines Standorts. Es war die Wüstenei eines Friedens, zerrissen und zerfurcht von den politischen, gesellschaftlichen und seelischen Folgen des vierjährigen Mordens. Heute ist auch diese Ebene nicht mehr vorhanden. Wir haben bei­nahe wieder eine Vorkriegszeit, mit jähen Schüssen, mit Ultimaten und Truppenkonzentrationen, und es zeigt eine blutige Spur von Serajewo nach Wien

Stellen wir die Daten noch einmal fest: Am 26. Juli 1914 ordnete Desterreich- Ungarn die Mobilmachung seiner Armeen gegen Serbien an. Am 28. Juli erfolgte die offi­zielle Kriegserklärung. Am 1. August wurde Deutschlands Kriegserklärung an Rußland überreicht, am 3. August die­jenige an Frankreich . Am 4. August, nachdem die deutschen Truppen in Belgien einmarschiert waren, erklärte Eng­land an Deutschland den Krieg. Es kam die Zeit, wo guf den unermüdlich nach den Kriegsschauplätzen rollenden Waggons zu lesen war: Hier können Kriegserklärungen angenommen werden." Es ging dann freilich auch in rasender Eile. Am 6. August Kriegserklärung Desterreichs an Rußland . Am 23. Auguſt Japans an Deutschland . Viele andere kamen hinzu: im Mai 1915 Jtalien, 1917 Amerika. Die Flammen züngelten auf allen Erdteilen und fraßen Menschen, Wohnstätten und alles das, was mit den zivili­satorischen Anstrengungen von Generationen im Bunde

war.

Schwere Belastung der Alpinen Montan- Gesellschaft fachen des großen Mordens auch nur im Umriß etwas

Wien , 31. Juli.

Wir haben gestern die Mitteilung gebracht, daß die Wiener Regierung dem Generaldirektor Appold von der Alpinen Montangesellschaft wegen der Teilnahme am Nazi- Putsch ver­haftet worden ist. Selbst die Frankfurter Zeitung " sah sich bereits am Samstag genötigt festzustellen, daß bei den Kämpfen in Steiermark die Alpine Montangesellschaft außer: ordentlich schwer belastet ist. Die blutigen Kämpfe spielten sich in der Gegend von Leoben ab, also in der Nähe des Sizes der Alpinen Montangesellschaft , dieses größten österreichischen Grzabbauunternehmens. Es ist ferner festgestellt worden, daß leitende Angestellte dieser Gesellschaft bei dem blutigen Aufstand in Steiermart eine führende Rolle gespielt haben. Damit hat sich neuerdings bestätigt, daß diese Gesellschaft eine der Hauptstützpunkte der nationalsozialistischen Bewe­gung in Desterreich war.

Bemerkenswert wird aber diese Tatsache erst durch die Feststellung, daß die Alpine Montangesellschaft ein deutsches Unternehmen ist. Der verhaftete Generaldirektor Appold selbst ist deutscher Staatsangehöriger. Die Alpine Montan­ gesellschaft gehörte früher dem Stinnesfvanzern an. Nach der P3lette dieses großen Inflationskonzerns ging dieses

Unternehmen in den Besitz der Vereinigten Stahlwerke AG. über, an deren Spitze, wie bekannt, einer der größten deut­schen schwerindustriellen Scharfmacher, Generaldirektor Bögler, steht. Damit werden die Beziehungen aufgedeckt, die aus dem Ruhrgebiet auf geschäftlicher, und politischer Basis nach der Steiermart unterhalten wurden. Die Ruhr industriellen gehören bekanntlich zu den eigentlichen Geld­gebern der nationalsozialistischen Bewegung, und gerade Generaldirektor Vögeler hatte naturgemäß das größte Inter­esse, aus der Alpinen Montangesellschaft ein Bollwerf der Hitler- Bewegung in Desterreich zu machen.

Der Prozeß, der demnächst gegen den Generaldirektor Appold und einige leitende Angestellte der Alpinen Montan­ gesellschaft

geführt werden wird, wird wahrscheinlich noch einige pifante Einzelheiten über die Zusammenhänge zwi schen den Scharfmachern der Ruhrindustrie und dem Putsch in Desterreich aufdecken. Jedenfalls beweist der Fall Alpine Montangesellschaft , wie zahlreiche andere Fälle, wie schwer Hitler- Deutschland beiden blutigen Ereignissen in Defter: reich belastet ist. Er beweist aber auch enuerdings mit aller Deutlichkeit, daß im Grunde genommen Hitler und seine blutigen Schergen im Auftrage des Großkapitals, vor allem der Schlotbarone von der Ruhr, handeln.

Sondergesandter Papen abgelehnt

Er wird nur als regulärer Gesandter zugelassen Nach einer Meldung des Matin" aus Berlin wurde be­reits am Montagmorgen damit gerechnet, daß der italienische Gesandte in Wien , Preziosi, der österreichischen Regierung den Rat gegeben haben soll, das Agrement für von Papen zu verweigern. Da der italienische Diplomat eben aus Italien zurückgekehrt ist, scheint seine Haltung direkt von Mussolini inspiriert zu sein.

Diese Nachrichten sind jetzt näher umrissen. Die öfter: reichische Regierung trägt sich mit der Absicht, Papen als " Sondergesandten" abzulehnen. Damit werde, so berlautet in diplomatischen Kreisen, der Eindruck erwedt, als werde Defterreich von Deutschland anders behandelt, als irgend ein anderes europäisches Land; als mache die Reichs: regierung für sich in Desterreich besondere Rechte geltend, die diplomatischen Verkehr der Staaten untereinander bisa

her nicht üblich waren. Infolgedessen würde sich die öfter: reichische Bundesregierung genötigt sehen, das Agrement für Herrn von Papen zu verweigern, wenn die Reichsregie: rung tatsächlich der Ansicht wäre, daß Defterreich anders zu behandeln sei, als andere Staaten, in denen ein deutscher Diplomat aftrediert ist. Desterreich verlange von Deutschland lediglich als unabhängiger souveräner Staat be handelt zu werden. Wenn Herr von Papen als Gesandter nach Wien fomme, als Nachfolger des abberufenen Dr. Nieth, so werde die öfterreichische Bundesregierung ihm das Agre ment erteilen. Eine Sondermission gebe es für den neuen deutschen Gesandten in Wien jedoch nicht. Da diese Frage nicht geklärt sei, werde also die österreichische Bundes= regierung vermutlich noch dfrage in Berlin halten, um über den Aufgabenkreis des Herrn von Papen informiert au jein,

Wir scheuen uns vor dem Wagnis, hier über die Ur­zu schreiben. Man kennt immer nur die nahe Veran­lassung der geschichtlichen Auseinandersetzungen, die in Blut und Tränen endeten. Das andere verfällt der Partei­nahme und der Legende. Es gibt nichts relativeres als die Schuld". Bibliotheken sind um die tieferen Ursachen und Zusammenhänge des Weltkrieges geschrieben worden, aber die Wahrheit" und die legte Aufklärung haben selbst die aktenmäßig belegten Untersuchungen, die vielen Sammlungen in allen Farben des Regenbogens nicht ge­bracht. Lloyd George sprach das Wort vom Hinein­schliddern". Es ist nur in einem gewissen Sinne richtig. Das Ungeheuer Krieg saß längst mitten unter den Völ­kern. Als es auf die Weltbühne trat, schämte sich jeder, es verwahrt und genährt zu haben. Für jeden war jeder der Störer des so heiß gewollten Friedens.

Wir Aelteren haben noch genau im Gedächtnis, wie es in jenen ersten Augusttagen in Deutschland war. Zu den Bezirkskommandos zogen die langen Pappschachtelprozes fionen der Einberufenen. Die ausrückenden Truppen hatten Blumen in den Kanonenrohren und Gewehrläufen stecken. Frauen und Kinder marschierten im Tempo flotter Militärmusik mit. Jeder Schuß ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Britt! Im September würden sie alle wieder da sein, die siegreichen Helden. Als die ersten Verwundeten kamen, den Arm in der Binde, umringte man sie an den Straßenecken und bewunderte die Hüter deutscher Ehre.

Unter diesen Soldaten waren Millionen aus dem deutschen Arbeitsvolke. Sie hatten noch im Juli, auf­gerufen von der Sozialdemokratie, an gewaltigen Frie denskundgebungen teilgenommen. Die große Wende hat der Glaube herbeigeführt, der von denen um Bethmann­Hollweg bewußt genährte Glaube, daß Rußland Deutsch­land herausgefordert und angegriffen habe. Das Zaren­reich war damals der Kernsiz europäischer Reaktion, der Ausgangspunkt der Volksentrechtung, auf preußischen Spuren, die in der deutschen Arbeiterschaft durch Genera­tionen eine bewußte Staatsverneinung erzeugte. August Bebel hatte, schon mit grauem Kopfe, erklärt, daß auch er die Flinte auf den Buckel nehmen würde, wenn es gegen den Zaren ginge. Als Ludwig Frank freiwillig auszog, um nach wenigen Tagen zu sterben, schrieb er: Einer muß die Fundamente gefehen baben..." Er glaubte, wie uns