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Samstag, den 4. August 1934
Proskriptionsliste der deutschen Schriftsteller
In der neuesten Nummer 29 der Deutschen Presse", dem Siziellen Organ des Reichsverbandes der Deutschen Fresse", wird eine Liste derjenigen Redakteure und Schriftleiter im Bereich des Landesverbandes Berlin veröffentlicht, deren Anträge auf Aufnahme in die Berufsliste der Schriftleiter abgelehnt worden ist.
Damit ist, so sagt die Basler„ National- Zeitung", das moralische und wirtschaftliche Todesurteil über 157 Männer des deutschen Schrifttums gesprochen worden. Wer nicht in die Berufsliste der deutschen Schriftleiter aufgenommen wird, dem ist nicht nur die Möglichkeit einer ferneren Betätigung in den Redaktionen sämtlicher deutscher Blätter untersagt, sondern überhaupt die Ausübung jeder schriftstellerischen Tätigkeit. Denn das neue Schriftleitergesets bestimmt, daß nicht nur derjenige Schriftleiter ist, der einen festbesoldeten Redakteurposten bekleidet, sondern auch derjenige, der sich an deutschen Zeitungen als Mitarbeiter ohne feste Bindung betätigt. Die Mehrzahl der vom Landesverband Berlin abgelehnten Schriftleiter ist nicht arischer Abstammung. Die Ablehnung stützt sich somit auf Ziffer 3 des§ 5( Arierparagraf).
Es ist nicht erkennbar, aber anzunehmen, daß die entscheidende Instanz in einigen Fällen Ausnahmen gemacht hat, die unter besonderen Verhältnissen zulässig sind, aber in jedem Fall der direkten Entscheidung des Propaganda
wie drei seiner Kollegen vom Ullsteinverlag, darunter der ehemals leitende Redakteur der ,, Voß", Dr. Karl Misch, der seit fast dreißig Jahren an demselben Blatt wirkende Musikkritiker Edwin Neruda, der Musikreferent der ,, B. Z. am Mittag", Viktor Zuckerkandl , sowie die Gesellschaftsberichterstatterin der Ullstein- Blätter, Bella Fromm Steuermann. Expulsiert wurde endlich der bekannte Schriftsteller und Redakteur Richard Wilde , der zuerst während vieler Jahre im Feuilletonteil des inzwischen eingegangenen„ Berliner Börsenkourier" führend gewirkt hat und später in die Redaktion des ,, Acht- UhrAbendblatt" eintrat, das jetzt in Form einer Betriebsgemeinschaft von den Redakteuren und Angestellten weiter zu führen versucht wird.
Für viele der auf der Liste der angeprangerten Schriftsteller bedeutet die erwähnte Maßnahme den völligen Zusammenbruch ihrer Existenz, weil sie keinerlei Möglichkeit haben, ihrem bisherigen Broterwerb nachzugehen. Die Hoffnung auf Beschäftigung bei den stark in die Erscheinung tretenden jüdischen Blättern erscheint ebenfalls sehr gering, zumal die Redaktionen dieser Blätter bereits in eindringlichen Kundgebungen auf den gewaltigen Zulauf jüdischer Autoren und auf die Unmöglichkeit, sie in zureichender Weise beschäftigen zu können, hingewiesen haben.
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leitergesetzes ist. In einigen Fällen ist die Nichtaufnahme begründet mit dem Hinweis auf die Nichterfüllung der Ziffer 7 des erwähnten Paragrafen, in dem die Rede ist von Voraussetzungen, die der Berufsausübung zuwiderlaufen. Hier handelt es sich ohne Zweifel um die frühere politische Betätigung der Ausgeschlossenen. Das ergibt sich deutlich aus einem Fall, in dem bekannt wurde, daß der verfemte Schriftsteller früher intensiver Mitarbeiter sozialdemokratischen Blättern war, dessen Gesinnung der heutigen Regierung verdächtig ist. Es sind natürlich auch Fälle denkbar, bei denen eine Nichtaufnahme in die Berufsliste darum nicht erfolgte, weil der Petent ein unwürdiges Verhalten an den Tag gelegt hat. Die Paragrafen 14 und 15 enthalten nämlich Bestimmungen, daß derjenige Schriftleiter, der sich nicht nur im Beruf, sondern auch außerberuflich unwürdig benimmt, also sich etwa der Spielleidenschaft oder dem Trunk ergibt, von der Berufsliste gestrichen werden muß. Diese Entscheidungen sind inappelabel.
Bei den 157 Ausgestoßenen fand indessen in der überwiegend großen Mehrzahl die Expulsion lediglich auf Grund des Arierparagrafen statt. Es sind einige Namen darunter, die einen guten Klang hatten und deren Träger heute in einem Alter sind, in dem ein Berufswechsel als
ein Ding der Unmöglichkeit erscheint. Darunter befinden sich, um nur einige bekannte Namen zu erwähnen, der Schriftsteller und Dramaturg Julius Bab , einst eifriger Vorkämpfer des Volksbühnen- Gedankens, ferner Dr. Arthur Eloesser , langjähriger geschätzter Schauspielreferent und Feuilletonredakteur der ,, Vossischen Zeitung" und bis vor der Umwälzung Geschäftsführer des Schutzverbandes der deutschen Schriftsteller. Vom gleichen Schicksal wurde Frits Engel, Redakteur und Kritiker am ,, Berliner Tageblatt", betroffen. Dr. Ludwig Freund , der Kollege Frits Kleins und ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der ,, Deutschen Allgemeinen Zeitung" und Dr. Georg Fröschel, bekannter Mitarbeiter der Ullstein- Zeitungen, sind ebenfalls zu unfreiwilliger Muße verurteilt worden. Dr. Alfred Landsburg, ehemaliger Herausgeber wirtschaftspolitischer Zeitschriften, muß die Feder ebenso beiseite legen,
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,, Es ist schrecklich," sagt die Frau und bekommt traurige Augen ,,, daheim spielen unsere Kinder jetzt immer nur ,, Kommunisten- Erschießen". Stellen sich gegenseitig an die Wand und ,, morden " sich mit blutrünstiger Fantasie. Vor ein paar Tagen schrie unsere Else plötzlich ,, Tod Moskau". Und als ich sie frage, ob sie denn weiß, was Moskau ist, ,, Kommunist-!" ,, Und sagt sie ganz böse auf mich was ist ein Kommunist?", fragte ich weiter, nachdem ich berichtigt habe, daß Moskau eine Stadt sei. Else überlegt ,, Kommunist-". Und dann kommt etwas heraus, Mittelding zwischen Teufel und Hetze, unwirklich, unmenschlich, eine Fabelgestalt, bemalt mit Blut und Feuer, bizarr, grotesk und grauenhaft, würdig des Wahnsinns eines Edgar Allan Poe . Als ich ihr erkläre, ein Kommunist sei wie wir ein Mensch aus Fleisch und Blut, nur habe er vielleicht politisch abweichende Anschauungen, da will das achtjährige Mädchen mir erst nicht glauben, und es braucht lange Zeit, um dem Kind klar zu machen, daß man Kommunisten ebensowenig erschießen darf wie andere Menschen.
Das Furchtbarste aber ist, daß, wenn das Kind in der als Schule jetzt seine neue Meinung vertritt, die Eltern Staatsfeinde angesehen werden....."
Das ist
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Verfilmung der ,, Heiligen Johanna"
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Shaws Komödie ,, Die Heilige Johanna" soll nun endgültig im Sommer nächsten Jahres verfilmt werden. Shaw hat erklärt, daß die Handlung sich im Film bedeutend schneller als in der Dichtung entwickeln müsse. Da kein Filmbearbeiter so gut in der Lage sei, diese Umwandlung vorzunehmen, wie der Autor selbst, wird Shaw entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung des Manuskripts nehmen und vielleicht das Drehbuch schreiben.
Die Erzieher der deutschen Jugend
In Zoppot ist die Schulungstagung der künftigen Naziführer eröffnet worden. Unter den Rednern befinden sich der Pogromheter Streicher und der Ost- Eroberer Alfred Rosenberg , Leiter des Auswärtigen Amtes der NSDAP .
Ferrucio Busoni Zum Gedächtnis der 10. Wiederkehr seines Todestages
Im Angesicht eines aus tausend Wunden blutenden Deutsch land , im Angesicht jenes kulturellen Trümmerhaufens, der von deutscher Kultur, von deutschem Musikleben nach 18monatiger Nazi- Fremdherrschaft übrig geblieben ist, gilt es, eines Mannes zu gedenken, der sich, dem italienischen Kulturkreis entstammend, mehr und mehr zum Deutschen gewandelt hat, der schließlich in seiner südlichen Heimat ein Fremder geworden war und während des Krieges auf dem zwischenstaatlichen Boden der Schweiz sehnsüchtig auf den Tag der Rückkehr nach Deutschland wartete.
Es bleibt eines der seltenen Ruhmesblätter in der Geschichte der Weimarer Republik , daß die für das preußische Kunstleben damals Verantwortlichen 1920 Busoni an die Berliner Akademie beriefen; und die drei folgenden Jahre, in denen dieser Meister in Berlin wirkte, schaffte und lehrte, scheinen uns rückblickend die letzte Aufstiegs- und Entwicklungsepoche zu sein, die die heute heimatlose deutsche Musik erlebt hat.
Es ist bezeichnend für den Geisteszustand dieser Zeit, daß die offizielle Musikwelt des Jahres 1934 von Busonis Gedächtnistag kaum Notiz nimmt, während sie sich nicht genug tun kann in der Veranstaltung schwung- und inhaltloser Fremdenverkehrsfestspiele, während sie große und kleine Betriebsgrößen immer wieder feiert und weit über Gebühr ehrt.
Am meisten wird man vielleicht noch von dem Pianisten Busoni reden hören, der bedeutendsten und umfassendsten Virtuosen erscheinung nach Liszt , deren Zauber jedem unvergeßlich ist, der sie auch nur einmal erlebt hat, deren Wirkung in seinen heute wirkenden Schülern ebenso wie in seinem Bearbeiterwerk( der Bach- Ausgabe vor allem) noch lebendig ist.
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Komponist Busoni war eigentlich stets nur einem kleineren Kreise bekannt. Er verband Kind eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter italienische Formenklarheit mit deutschem Experimentierwillen. Er hat
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sich nie einer bestimmten Richtung angeschlossen, aber es gab nichts im Umkreis der ,, Neuen Musik " der letzten 25 Jahre, das nicht in Busoni sein Echo gefunden und in ihm auch eigentlich seinen Ursprung gehabt hätte. Seine Kompositionen von dem weit in die Zukunft weisenden ,, Concerto für Klavier mit Orchester und Schlußchor"( op. 39) bis zu dem fast schon jenseitigen Bühnenspiel von ,, Dr. Faust", über dessen Vollendung er vor 10 Jahren starb, seine theoretischen Werke von dem ,, Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst"( 1907) bis zu jenem denkwürdigen Aufruf zur„ Neuen Klassizität", der 1922 im„ Melos" erschien, waren Wegbereiter und Marksteine jener letzten Musikwende, die vom unfruchtbaren Wagnerepigonentum, yon romantischer und veristischer Ausdrucks"-Kunst weg und zu einer neuen eigengesetzlichen Form- und Materialsprache der Klangkunst hinführte. Allen, die ihn gekannt haben, wird aber neben dem Künstler der Mensch
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Ereignisse und Geschichten
Kriegsausbruch- Gedächtnis- Feier lausbruch- Gedächt
Die Volksverführer von des Kriegsgotts Gnaden Begehen laut mit festlichen Paraden
Die Stunde, da die Metzelei begann.. Mag die Kulturwelt um die Opfer trauern, Ein Gangsterführer denkt mit Wonneschauern Der Zeiten, da das Blut in Strömen rann.
( Er hat es selbst laut in die Welt geschrien, Daß er einst Gott gedankt auf seinen Knien, Da der die Welt in Menschenblut ersäuft. Und hat er nicht nach 20,, Friedens" jahren Die Leichen derer, die ihm lästig waren sid, Mein Kampf " verkündend, Mann auf Man gehäuj?!
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A
Europa staunend, schaudernd, prüfend, harrend, Sieht die Besessenen in Kriegsschmuck starrend Und in den Augen sturen Wahnsinns Glanz. Ein Trost will all dies Gleißen überstrahlen. Die Freudenfeiern dieser Kannibalen, Sie werden ihnen selbst zum Totentanz!!
Moral 1934
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Die Bergner verboten besserer Ehebruch empfohlen
Charlo
Da die nationalsozialistischen Filme infolge ihrer Langweiligkeit vor leeren Häusern laufen, sehen sich die Filmfirmen des ,, dritten Reiches" genötigt, Unterhaltungsschmarren der ältesten Art zu drehen oder bewährte Filme von ehedem wieder anzusetzen. Das hat man auch mit dem guten Film ,, Der träumende Mund" versucht. Der„, Angriff" veröffentlicht nunmehr triumphierend eine Zuschrift, aus der hervorgeht, daß der Film„ auf Anraten der Filmkammer" wieder zurückgezogen wurde. Dan beißt sich Goebbels ' Leibblatt in längerem Kommentar noch einmal die Zähne an dem Kunstwerk aus, denn die Hauptrolle darin hat eine große jüdische Schauspielerin: Elisabeth Bergner , vor deren lüsternen Munde" sich die gesamte braune Redaktion bekreuzigt. In dieser Redaktion wie in dieser Filmkammer sitzen die Freunde des Hanns Heinz Ewers , der eine der schwülsten, pornographischsten Romane der letzten zwanzig Jahre auf dem Gewissen hat, Alraune genannt. Dieser schmieneben dem ,, Der träumende Mund" ein rige Schmarren
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im Erotischen geradezu prüder, moralischer Film für höhere Töchter ist wurde verfilmt, ohne daß die Nazipresse bisher auch nur muckste. Denn der erst in Perversitäten machte, ist Leibdichter des Hakenkreuzes geworden, und den männermordenden lüsternen Vamp spielt eine blonde germanische Brigitte, die heute eine brave Hitlerike ist. Sollte sich ein nichtarischer Urahne herausstellen, so wird auch ihr ,, lüsterner Mund" entdeckt werden. Aber da der Angriff" auch bei dieser Gelegenheit die deutsche Frauenehre vor irgend etwas zu retten sucht, wollen wir ihm ein Zitätchen mit auf den Weg geben. Wir lesen in einer gleichgeschalteten Frauen- Zeitschrift einige Rezepte für das Strandleben der deutschen Frau 1934:
,, Bewegungsspiele am Strand, dem wohliges Nichtstun folgt, unterbrochen von einem kleinen Flirt, schaffen erst die wahre Erholung, die Sand, Strand und des weite Meer zu gewähren vermögen..."
Dieser kleine Ehebruch wird in der Juli- Nummer der hitlertreuen ,, Eleganten Welt" empfohlen, aus der die Weiber der besseren Nazibonzen ihre Informationen über den jeweiligen guten Ton beziehen!
Neues Buch von Kischslf
Das neue Buch„ Eintritt verboten", Egon Erwin Kischs erstes literarisches Werk nach seiner Haftentlassung aus Spandau , wird im August in mehreren Sprachen erscheinen. Die deutsche und französische Ausgabe erscheinen bei Editions du Carrefour . In englischer Sprache kommt das Buch gleichzeitig bei John Lane, London und Knopf, Neuyork heraus, der eine Gesamtausgabe vop Kischs Werken veranstaltet. Die Ankündigung des Buches wurde vom Goebbelsschen„ Angriff" unter dem Titel ,, Hetzer als Tantiemen- Bezieher" an der Spitze des Blattes mit einer wütenden Kanonade von Verleumdungen und Morddrohungen gegen Egon Erwin Kisch und sein literarisches Schaffen geantwortet.
Kischs neues Werk befaßt sich in hoher Darstellungskunst und größter sprachlicher Vollendung mit den vor Unberufenen ängstlich gehüteten Geheimnissen Europas . Das Buch enthält auch ein Kapitel, das in Deutschland spielt.
Busoni , dieser große europäische Geist, der in ihm lebendige Die rassischen Belange
sein.
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völker- und kulturverbindende Fortschrittswille unvergeßlich Vielleicht wird Herr Dr. Goebbels , wenn ihm die Sorge um den eigenen Kopf und die Schirmherrschaft über einige Dutzend Thingplatfestspiele dazu noch Zeit läßt, auch einige Dutzend Thingplatfestspiele dazu noch Zeit läßt, auch eine Busoni - Feier veranstalten lassen und trotz der Rassenmischung des Jubilars ein kräftiges denn er war unser" durch seinen Lügenäther schreien. Der Tote wird sich gegen diese Schändung nicht wehren können, ebensowenig wie seine Freunde und Schüler es im Vorjahre nicht verhindern konnten, daß bei den faschistischen Werbefestspielen in Florenz seine ,, Faust "-Musik zwischen Königs- und Faschistenhymne ertönte. Busonis Stunde wird kommen. Wenn dereinst das deutsche und italienische Volk die Ketten der
Die Pfarrer beklagen sich
Im Düsseldorfer „ Mittag" führt Oberlandeskirchenrat Lampe bewegliche Klage gegen die Ueberlastung der evangelischen Pastoren mit der Erforschung der arischen Abstammung ihrer Gemeindeangehörigen. Selbst auf den kleinen Pfarrämtern würden täglich mehrere Stunden, die die Pfarrer früher für die Seelsorge verwenden konnten, für das Aufspüren der rassischen„, Belange" der Großmütter, Urgroßmütter und Urgroßväter vertan. Das Publikum wird dringend aufgefordert, die überlasteten Pfarrer durch Angaben aus eigenen Familienbibeln und Stammbüchern möglichst zu entlasten.
faschistischen Tyrannis abgeschüttelt haben werden, wird neben anderen, Geist und Werk dieses großen Toten Zeug Maßstäbe
nis von ihrer Kulturverbundenheit ablegen. Die freien Völker Europas werden auch diesen Europäer, der, lebte er, heute ruhe- und heimatloser als zur Zeit des Weltkrieges umherirren müßte, einst zu ehren wissen,
P. W.