Pentjake
Nr. 180 2. Jahrgang
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Frethen
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, den 7. August 1934 Chefredakteur: M. Braun
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Der Mensch ist sehr stark, sobald er sich damit begnügt, nur das zu sein, was er ist; er ist sehr schwach, wenn er sich über die Menschheit erheben will.
Wenn man stets sein will, was man nicht ist, gelangt man schließlich wirklich dahin, sich für etwas Anderes zu halten, als man ist, und wird ein völliger Narr.
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Vor den Winterschlachten des dritten Reiches
Die Pläne des Wirtschaftsdiktators Dr. Schacht
Berlin , 6. August. Von besonderer Seite erfahren Rohstoffmangel zerstört wird. Infolgedessen muß die Poli- Das feudale
wir: Die Betrauung des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht mit dem Reichswirtschaftsministerium ist der Sieg aller der Kräfte, die auf wirtschaftlichem Gebiete der sozialen Demagogie praktisch einstweilen feine 3u= geständnisse mehr machen wollen.
Hitler selbst ist in der Wirtschaftspolitif vollkommener Laie und seine Entscheidungen werden stark von dem Grade persönlichen Vertrauens beeinflußt, das er seinen wirtschaftlichen Beratern entgegenbringt. In dem Kampfe, der schon seit längerer Zeit zwischen dem Reichswirtschaftsminister Schmitt und Schacht sich um Währung und Wirtschaft entwickelt hat, siegte Schacht, weil er seit Jahren großen Einfluß auf Hitler zu gewinnen wußte. Schmitt ist keineswegs so leidend, wie behauptet wird. Er reist und ist sogar auf die Jagd gegangen: Sein Gegensatz zu Schacht ist das seit langem dauernde Ringen zwischen den Wirtschaftern, die eine Kreditausweitung zum Weitertreiben der
„ Anfurbelung" und Scheinfonjunttur anstreben, und denen, die durch eine deflationistische Drosselung der öffentlichen Ausgaben Rettung suchen.
Dr. Schacht vertritt mit großer Entschiedenheit diesen Weg. Er will insbesondere die Ausgaben für Arbeitsbeschaffung und die Rüstungsindustrie abstoppen und handelt damit nach demselben Grundsatz wie im Winter 1923/24, als er durch rücksichtslose Drosselung der öffentlichen Ausgaben die Währurg stabilisierte.
Allerdings ist das eine Politik, die nun viel schwieriger ist als damals. Die deutsche Wirtschaft ist von der Weltwirtschaft auf sehr weiten Gebieten abgehängt. Auch bei rückfichtslosem Lohndruck ist an Rückeroberung des Exports nicht zu denken. Die Kauffraft im Innern aber ist kaum gestiegen, wie die seit dem vorigen Jahre trotz angeblich Millionen Neubeschäftigter kaum erhöhte Lohnsumme beweist. Das Hamstern zahlungsfähiger Kreise kann nur in einigen Industrien einen vorübergehenden Ausgleich schaffen, der z. B. in der Textilindustrie jetzt schon durch den
tif Schachts zu baldigen großen Arbeiter
weitere Streckung der Arbeitszeit oder eine weitere Senentlassungen führen. Wo das nicht geschieht, muß eine fung der Löhne eintreten, um den Unternehmern das Durch halten größerer Arbeiterzahlen zu ermöglichen, als die Beschäftigung des Betriebes erfordert.
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Eine Erhöhung der sozialen Spannungen und ein weiteres Anwachsen der täuschungen ist also unvermeidlich. Das ist keine schwankende Perspektive, sondern Gewißheit der Entwicklung und auch Dr. Schacht rechnet damit. Daher die Pläne einer„ Arbeitspflicht", die sehr weite Schichten der Erwerbstätigen um= fassen und unter„ sozialistisch er" Etikettierung eingeführt werden soll.
Von der wachsenden Nivellierung der Einkommen in den Massenschichten, die natürlich nach unten geht, erwartet man gewisse demagogische Wirkungen, weil die Arbeiter und Angestellten sehen würden, daß es Millionen Volksgenossen, die sich früher sozial über sie erhoben, nun auch nicht besser geht. Zwang und gesteigerte Propaganda sollen das übrige tun, um den gewaltigen Druck nach unten nicht zu Explo= fionen führen zu lassen.
Dennoch wissen alle Unterrichteten, daß es sich um schlechthin lebensgefährliche Experimente für das„ dritte Reich" handelt, um Maßnahmen, die aus reaktionären Absichten in revolutionäre Dynamik sich verwandeln können. Die Scrgen gelten vor allem den Bauern und dem Mittelstand, denen das System nichts zu bieten hat, während es die Arbeiter immerhin glaubt darauf hinweisen zu können, daß sie bei niedriger Lebenslage doch ein gewisses Eristenzminimum im Betrieb oder im Arbeitsdienst garantiert erhalten.
Die Aera der Wirtschaftsdiftatur Schacht wird jedenfalls bald sehr tiefgehende Wirkungen haben. Nicht zuletzt wird sie für die soziale Demagogie Hitlers eine starfe Belastungsprobe sein.
Reichsführer gibt Interview
Friedensschalmcien nach allen Windrichtungen
London , 6. Auguft. Der bekannte englische Journalist, Ward Price , Berliner Berichterstatter der„ Daily Mail", hatte am Sonntag mit dem Reichsführer" eine lange Unterredung, im Laufe deren Adolf Hitler wichtige poli= tische Erklärungen über die gegenwärtigen großen euro päischen Fragen macht, über Kriegsdrohungen, das deutsche Flugwesen, die österreichische Lage, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Reiches.
In der Reichskanzlei, von Adolf Hitler empfangen, fam Price sofort auf die Politik zu sprechen. Er bemerkte: vor 20 Jahren hatten wir Krieg. Man kann eine Parallele zwischen der Situation 19: 4 und von 1934 ziehen.„ Ew. Exzellenz ist vielleicht der Mann, der berufen sein wird, am stärksten den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen. Wie denken Sie darüber?"
„ Wenn es nur auf Deutschland ankommt." erwiderte Hitler , dann wird es keinen Krieg geben.„ Mein Land ist liefer als je durch den Weltkrieg beeindruckt. 95 Prozent Der Mitglieder der nationalen Reichsregierung hat periönlich alle Schrecken des Krieges erlebt. Sie wissen, daß er fein romantisches Abenteuer ist, sondern eine schreckliche Katastrophe. Die ge enwärtigen Probleme Deutschlands fönnen durch feinen Krieg gelöst werden. Wir verlangen nur eins: daß unsere gegenwärtigen Grenzen aufrechterhalten bleiben. Glauben Sie mir, wir werden
nur die Waffen ergreifen, um uns zu verteidigen. Hitler macht dann eine Anspielung auf Baldwins Worte » Englands Grenze istießt der Rhein ", und sagte weiter:„ Wenn man sich an Baldwins Worten ein Beispiel nimmt, dann könnte irgendein französischer Staatsmann dazu kommen, zu erklären daß Frankreichs Grenze an der Oder sei oder daß Rußland die Donau als seine nationale Berteidigungslinie ansehe. Man kann unmöglich Deutsch land einen Vorwurf daraus machen, wenn es seine Landesgrenzen, die im Innern Deutschlands liegen, verteidigt. So weni pie England daran denft, uns anzugreifen, so
werden wir jemals mit ihm am Rhein oder anderswo eine Auseinandersetzung haben. Wir haben nichts von England zu fordern."
" Auch nicht, soweit es die Rolonien angeht?" ,, Wegen der Kolonien schon ganz und gar nicht," erklärte Hitler ganz trocken.
Price kam nun auf die für Deutschland peinliche Frage des Flugwesens zu sprechen und erwähnte die erstaunliche Zahl von Flugzeugen, die auf Befehl der nationalsozialistischen Regierung erbaut worden seien. Mit überzeugender Offenheit erklärte Hitler , England hätte deshalb
keinen Anlaß, unruhig zu sein. Er fuhr fort, die Maßnahmen,
die wir ergreifen, ergeben sich aus den Tatsachen, daß wir auf dem Festland von einem Kreis von Mächten umgeben sind, die vielleicht einmal unsere Freunde sein könnten, die aber eines Tages an uns Forderungen richten könnten, und die wir nicht unterwerfen fönnten.
Nachdem Price diese Worte aufgezeigt hatte, kam er nun darauf zu sprechen, wie sehr das Ausland wegen der Haltung der Nationalsozialisten gegenüber Oester= reich beunruhigt sei.
Hitler antwortete bei diesen Worten etwas gereizt.„ Wir werden Oesterreich nicht angreifen," sagte er energisch.„ Aber wir können doch nicht hindern, daß die Oesterreicher ihre alten Beziehungen zu Deutschland wiederherstellen wollen. Diese Staaten sind nur durch eine in Wirklichkeit nicht eristierende Grenze getrennt. Wenn ein Teil Englands von dem übrigen getrennt wäre, wie wollte man die Einwohner an dem Wunsch hindern, in den Schoß des Mutterlandes zurückzukommen?"
„ Aber Oesterreich war niemals ein Teil Deutschlands !" " Im Jahre 1866 waren beide Länder zusammengeschlossen im Deutschen Bund."
Konzentrationslager
Von Alvensleben bis Düsterberg
Berlin , 6. August.( United Preß.) In Lichtenburg bei Torgan, wo vor dem Kriege ein großer Truppenübungss play war, ist Deutschlands neuestes Konzentrationslager. Es ist eine größere Anzahl von Personen, meist SAFührer, dorthin gebracht worden, die im Verdacht stehen, mit der Röhm- Revolte irgendwie zu tun gehabt zu haben. Das Lager Lichtenburg wird besonders streng bewacht, und das Schicksal der Insassen ist noch völlig ungewiß. Unter den in das Konzentrationslager eingelieferten„ Berdächtigen" be= findet sich eine ganze Reihe bekannter Persönlich teiten, so u. a. Werner von Alvensleben , ein che= maliger Armeeoffizier, der kurz vor Hitlers Machtergreifung eine Art Vermittlerstelle zwischen von Papen und Sitler einnahm. Ferner befindet sich unter den In saffen des Konzentrationslagers Lichtenburg der frühere Leiter des Berliner Büros des akademischen Austausch= dienstes, Adolf Morsbach, der bekannte Rechtsanwalt und Verteidiger Ludendorffs im Hochverratsprozeß, der Hitlers Münchener Putsch vom Jahre 1923 folgte, Walter Luetgebrune , der aus den Baltikumfämpfen her be= fannte Truppenführer Baron von Medem, der frühere stell= vertretende Stahlhelmführer, Theodor Duesterberg u. d andere.
Die Zahl der Infañen des Konzentrationslagers Lichtens burg dürfte 200 überschreiten.
" Denkt Ew. Exzellenz an die Wiederherstellung des Heiligen römischen Reich 3?"
Hitler vermeidet darauf die Antwort.„ Das Anschlußproblem ist im Augenblick nicht aktuell. Ich bin überzeugt, daß, wenn man heute in Oesterreich eine geheime Abstimmung einleitete, die ganze Lage sofort klar werden würde. Desterreichs Unabhängigkeit steht auf jeden Fall außerhalb der Diskussion."
Nunmehr fommt der Interviewer auf die wirtschaft= liche Lage des Reichs zu sprechen. Hitler schien ganz optimistisch und machte den andern Ländern, die nicht in Deutschland kaufen wollen, für die gegenwärtige Lage mit all ihren Gefahren verantwortlich. Er versicherte, die deutschen Techniker würden das Land unabhängig von allem Rohstoffbezug machen:„ Die Welt kann lachen, wenn sie eine solche Erklärung hört," meinte der Reichsführer,„ aber sie wird vielleicht in zwei Jahren erstaunt sein, zu entdecken, daß es uns glänzend gelungen ist, Baumwolle, Wolle und die anderen Rohstoffe uns selbst zu beschaffen."
Soweit es im gemeinsamen Interesse aller Länder liegt, daß Deutschland weiter internationaler Käufer und Verfäufe bleibt, so müssen darüber die anderen Nationen ent= scheiden."
Während Hitler seinen Besucher hinausgeleitete, appellierte er an die angelsächsische Sympathie und wies darauf hin, daß beide Völker der germanischen Rasse angehörten.
Mit den Generälen
Das geheimnisvolle Hindenburg - Testament Hitler drohte...
Paris , 6. Auguft. Charles Siccard, der mitteleuropäische Sonder= berichterstatter des Paris Soir" macht seinem Blatt auffehenerregende Mitteilungen, die, wie er behauptet, aus bestinformierten Kreisen stammen.
" In der Nacht vom 30. zum 31. Juli hat eine geheime Besprechung stattgefunden, an der Hitler, Göring , Frid, Heß, Darre, Rosenberg, General v. Epp, Luze und Himmler teilnahmen. Auf dieser Konferenz wurde be= schloffen, die Reichswehr durch die Ernennung Hitlers zum Reichsführer voreine vollendete Tatsache zu stellen. der Stellung der Reichswehr , auf die Hitler erwiderte, daß General von Epp machte einige Einwendungen hinsichtlich er selbst die Lage den Generälen auseinandersetzen und bei etwaigem Widerstand vor Verhaftungen nicht zurücks schreden würde.
Göring machte auf das politische Testament des Reichspräs sidenten von Hindenburg aufmerksam, das die Empfehlung eines Hohenzollern zum Nachfolger enthalten sollte. Nach dem Bericht der Gestapo soll ins geheim eine Abschrift des Testas ments nach Doorn gesandt worden sein, Das Original soll