Deutsche Stimmen Beilate zur Deutschen Freifieit" ur Deutschen Freiheit". Ereignisse und Geschichten

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Mittwoch, den 8. August 1934

Das Ende des Erasmus

Nen Stefan Zweig

leben, den fetten Geruch der Presse atmen, die schönen, klar Aus dem Buche: ,, Triumph und Tragik des Erasmus gedruckten Bücher in Händen halten und mit ihnen, den

von Rotterdam ", das soeben erschienen ist.

Ein sechzigjähriger Mann, müde und verbraucht, sitzt Erasmus in Freiburg wieder hinter seinen Büchern, ge­flüchtet und zum unzähligsten Male vor dem Andrang und der Unruhe der Welt. Immer mehr schmilzt der kleine, magere Leib in sich zusammen, immer mehr ähnelt das zerfaltete, zarte Gesicht mit seinen tausend Runzeln einem mit mystischen Zeichen und Runen beschriebenen Pergament, und der einst an eine Auferstehung der Welt durch den Geist, an eine Erneuerung der Menschheit durch erhobene Mensch­lichkeit leidenschaftlich geglaubt, wird allmählich ein bit­terer, spöttischer und ironischer Mann. Schrullig wie alle alten Hagestolze, klagt er viel über den Niedergang der Wissenschaften, über die Gehässigkeit seiner Feinde, über die Teuernis und die betrügerischen Bankleute, über den schlechten und sauren Wein; immer mehr fühlt der große Enttäuschte sich fremd in einer Welt, die durchaus nicht Frieden halten will, und in der täglich die Vernunft von der Leidenschaft, die Gerechtigkeit von der Gewalt gemeuchelt wird. Das Herz ist ihm längst schläfrig geworden, nicht aber die Hand, nicht aber das wunderbar klare und helle Gehirn, das wie eine Lampe stetigen und makellosen Lichtkreis ver­breitet über alles, was in das Blickfeld seines unbestechlichen Geistes gerät. Eine einzige Freundin, die älteste, die beste, sitt treu ihm zur Seite: die Arbeit. Tag für Tag schreibt Erasmus dreißig bis vierzig Briefe, er füllt ganze Pandekten mit den Uebertragungen der Kirchenväter, er ergänzt seine Kolloquien und fördert eine unabsehbare Reihe ästhetischer und moralischer Schriften. Er schreibt mit dem Pflicht­bewußtsein des Mannes, der an das Recht und die Pflicht der Vernunft glaubt, ihr ewiges Wort selbst in eine undankbare Welt zu sagen. Aber im Innersten weiß er längst: es hat keinen Sinn, in einem solchen Augenblick des Weltwahns Menschen zur Menschlichkeit aufzurufen, er weiß, seine hohe und erhabene Idee des Humanismus ist besiegt, alles, was er gewollt, alles, was er erstrebt, ist gescheitert. Der er­habene Traum eines sittlich geeinigten, eines europäischen humanistischen Weltreiches, er ist zu Ende, und der ihn für die Menschheit geträumt, er selbst, Erasmus, ein alter, ein müder Mann, einsam und ungehört, die Welt geht an ihm vorüber: sie braucht ihn nicht mehr.

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Aber Verhängnis seines Lebens, noch einmal man kann es gar nicht zählen, zum wievielten Male muß dieser ewige Nomade auf die Wanderschaft: für den, der den Frieden will, gibt es keinen Frieden! Noch einmal, mit fast 70 Jahren, flüchtete er plötzlich aus Heim und Haus. Ein unerklärbares Verlangen hat ihn überfallen, Freiburg zu verlassen, nach Brabant zu ziehen, der Herzog hat ihn dort­hin berufen, aber im Tiefsten ruft ihn ein andrer: der Tod. Eine geheimnisvolle Unruhe kommt mit einem Male über ihn. Der sein ganzes Leben als Kosmopolit, als bewußt Heimatloser verbracht, empfindet ein ängstlich liebevolles Verlangen nach heimischer Erde. Er will zurück, von woher er gekommen, eine Ahnung in ihm weiß, die Fahrt geht zu Ende.

Aber er kommt nicht mehr ans Ziel. In einer kleinen Reisekutsche, wie sie sonst für Frauen bestimmt ist, hat man ihn nach Basel gebracht, dort will der alte Mann noch einige Zeit lang ruhen und warten, bis das Eis bricht und er mit dem Frühling nach Brabant in die Heimat fahren kann. Basel hält ihn fest, denn hier ist noch immer etwas geistige Wärme, sind noch immer einige, die von ihm wissen, Frobens Sohn, Amerbach und andre. Sie bereiten ihm eine Wohnung, sie nehmen ihn zu sich, und auch die alte Druckerei steht noch da, er kann wieder beglückt die Verwandlung des gedachten und geschriebenen ins gedruckte Wort mit­

Erich Mühsams Sentenzen

Als Motto eines Buches: ,, Gerechtigkeit für Max Hölz !" Wer die Revolution verbreiten will, muß selbst offen Revolutionär sein. Um die Menschen aufzurütteln, muß er den Teufel im Leibe haben, andernfalls hält man nur Reden, die fehlschlagen, man bringt nur ein unfruchtbares Geräusch Bakunin . hervor, keine Taten.

Wer aus großen Absichten fehlgreift, handelt immer lobenswürdiger als wer dasjenige tut, was nur kleinen Ab­sichten gemäß ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen.

Goethe,

Die satten Leute vertreiben sich damit die Zeit, die hung­rigen Leute von ihren Neigungen zu kurieren. Ich war schon oft bei Verhandlungen, aber ich habe noch nie erlebt, daß die Hungrigen über die Satten zu Gericht gesessen hätten. Gorki.

Die heutige Gesellschaft verteidigt sich nur aus platter Notwendigkeit ohne Glauben an ihr Recht, ja ohne Selbst­achtung ganz wie jene ältere Gesellschaft, deren morsches Gebälke zusammenstürzte, als der Sohn des Zimmermanns kam.#irodini Heine.

Immer wieder wird die Erfahrung gemacht, daß der rote Schrecken harmlos and gutartig ist gegen den weißen. Aber jenen zeichnen die Geschichtsbücher durch die Jahrhunderte auf, über diesen gleiten sie mit verlegenen Redensarten hinweg. Ricarda Huch.

schweigsam Sprechenden, den herrlich Friedfertigen, be­lehrende Zwiesprache führen. Ganz still und abgeschlossen von der Welt, zu müde, zu kraftlos schon, um das Bett mehr als vier oder fünf Stunden des Tages zu verlassen, verbringt er seine letzte Lebenszeit in innerem Frost. Er hat das Ge­fühl, vergessen zu sein und verfemt, denn die Katholiken werben um ihn nicht mehr und die Protestanten verhöhnen ihn, niemand braucht ihn mehr, niemand fordert sein Urteil und seinen Spruch. Meine Feinde mehren sich, meine Freunde schwinden," klagt verzweifelt der Einsame, für den humaner geistiger Umgang das Schönste und Beglückendste des Lebens gewesen!

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Aber siehe, noch einmal klopft wie eine verspätete Schwalbe an die schon winterlich überfrosteten Fenster ein Wort der Ehrfurcht und des Grußes in seine Verlassenheit. ,, Alles, was ich bin und tauge, habe ich einzig von dir, und wenn ich dies nicht laut einbekennte, wäre ich der undank­barste Mensch aller Zeiten. Gruß und noch einmal Gruß, geliebter Vater, Vater und Ehre des Vaterlandes, Schutzgeist der Künste, unbezwingbarer Kämpfer für die Wahrheit." Der Name des Mannes, der diese Worte schreibt, wird den seinen überleuchten; es ist Rabelais , der im Morgenrot seines jungen Ruhmes das Abendlicht des sterbenden Meisters grüßt. Und dann kommt noch ein andrer Brief, ein Brief aus Rom . Ungeduldig öffnet ihn Erasmus, der Siebzigjährige, bitter lächelnd legt er ihn aus der Hand. Spottet man seiner nicht? Der neue Papst bietet ihm einen Kardinalshut an mit den reichsten Pfründen, ihm, der alle Stellen dieser Welt um der Freiheit willen sein Leben lang verächtlich gemieden. Mit Ueberlegenheit lehnt er die fast kränkende Ehrung ab. ,, Soll ich, ein sterbender Mann, Bürden auf mich nehmen, die ich zeitlebens vermieden habe? Nein, frei sterben, wie man frei gelebt! Frei und im bürgerlichen Kleid, ohne Ab­zeichen und Würden, frei wie alle Einsamen, und einsam wie alle Freien."

Die ewigste, die treueste Freundin aller Einsamkeit und ihre beste Trösterin, die Arbeit, aber bleibt bis zur letzten Stunde mit ihm. Mit von Schmerz gekrümmtem Leibe, im Bette liegend und mit zittrigen Händen schreibt und schreibt Erasmus Tag und Nacht an seinem Kommentar zum Origenes, an Broschüren und Briefen. Er schreibt nicht um des Ruhmes mehr, nicht um des Geldes willen, sondern um der geheim­nisvollen Lust willen, durch Durchdringung des Lebens zu Jernen und durch Lernen wieder stärker zu leben, Wissen einzuatmen und Wissen auszuatmen; nur diese ewige Dia­stole allen geistigen Lebens, nur dieser Kreislauf hält sein Blut noch in Gang. Tätig bis zum letzten Augenblick, ent­flüchtet er durch das heilige Labyrinth der Arbeit einer Welt, die er nicht mehr anerkennt und versteht, einer Welt, die ihn nicht anerkennen und verstehen will. Endlich tritt der große Friedensbringer an sein Bett. Und nun er nahe ist, der Tod, den Erasmus ein Leben lang so über alle Maßen ge­fürchtet, nun blickt der müde Gewordene ihm still und fast dankbar entgegen. Noch bleibt sein Geist hell, bis zum Ab­schied, noch vergleicht er die Freunde, die sein Lager um­stehen, Froben und Amerbach, mit den Freunden Hiobs und unterhält sich mit ihnen im geschmeidigsten und geistreich­sten Latein. Aber dann, in letzter Minute, wie ihm Atemnot schon die Kehle würgt, geschieht ein Sonderbares: er, der große humanistische Gelehrte, der sein ganzes Leben lang nur Latein geredet und gesprochen, vergißt plötzlich diese gewohnte und ihm selbstverständliche Sprache, und in der Urangst der Kreatur stammeln die erstarrenden Lippen plötz­lich das kindgelernte heimatliche ,, lieve God". Und dann noch ein Atemzug, und er hat, was er für die ganze Menschheit zutiefst ersehnt: den Frieden.

mache mich anheischig, das euren Gesetzen widersprechende Michelet . System zum Triumph zu bringen.

Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht weg tun, wie kann es auf die Länge gut tun? So ich das sage, Münzer. werde ich aufrührerisch sein, wohl hip!

Schützt niemand Bismarck?

Das Korpsstudententum muß mühsam seine Existenz gegen die radikalen Nazi- Kommilitonen verteidigen. Es tut dies durch Schweifwedelei vor dem Gangsterregime. So kann bandes, Dr. Blunck, über folgende Wendung ausrutschen:

man in einem Artikel des Führers des Kösener SC.- Ver­

,, Ballt sich nicht jedem gesunden deutschen Menschen die Hand zur Faust, wenn er lesen und hören muß, daß Bismarck , Theodor Körner und Horst Wessel Helden des deutschen Volkes geworden seien, nicht weil, sondern trotz­dem sie Korpsstudenten waren?"

Da bekommt man sogar als Sozialdemokrat Lust, den alten verhaßten Gegner Bismarck in Schutz zu nehmen gegen diese Gesinnungslosigkeit, die den bedeutenden Politiker in einem Atemzug mit einer der dunkelsten der braunen Gangster­gestalten, mit dem Zuhälter Horst Wessel , nennt. Aber Bis­ marck hat ja schon bei Lebzeiten erfahren, wie das natio­nale Bürgertum" ihn im Stich lieẞ!

Um recht zu tun in der Welt, braucht man nur sehr wenig Sinnige Mahung

zu wissen, allein, um mit Sicherheit Unrecht tun zu können, muß man die Rechte studiert haben.

Lichtenberg.

Die Zivilisation und Gerechtigkeit der Bourgeoisie ordnung tritt hervor in ihrem wahren und gewitterschwangeren Licht, sobald die Sklaven in dieser Ordnung sich gegen ihre Herren empören. Dann stellt sich die Zivilisation und Gerechtigkeit dar als unverhüllte Wildheit und gesetzlose Rache. Marx.

Gebt mir die richterliche Gewalt, dann hütet wohl Eure Gesetze und Verordnungen, diese ganze papierene Welt; ich

Mocitat

Es war einmal ein schönes Land Am andern End' der Welt. Doch um das Volk in diesem Land War es sehr schlecht bestellt.

Vom vielen Hungern ward er schwach, Es wurde fieberkrank.

Die Pest zog durch das ganze Land, Daß es zum Himmel stank.

Den Arzt erschlug man, und man sank Vor Räubern in die Knie. Den Räubern tat die Pestluft gut, So wohl war ihnen nie.

Die Häupter dieser Kumpanei Versprachen allen Heil.

Und heilig sprachen sie sich selbst In aller, aller Eil'.

Die Kranken fürchteten den Tod, Und glaubten darum gern.

In Räubern glaubten Götter sie. Die Rettung war nicht fern...

Der Kranken wurden mehr und mehr. Die Räuber warn gesund.

Der eine sah den andern an, Und alle schauten rund.

Im Weg ein jeder jedem stand, Und jeden fraß der Neid. Daß er allein nicht oben stand Tat jedem, jedem leid.

Die Häupter dieser Kumpanei, Sie schärften gut ihr Beil. Die einen wollten's später tun, Die andern hatten Eil'. d

Die einen lagen tief im Schlaf, Die andern schlichen an....

Es wurden viele Beile rot. So fing dies Morden an.

Die Götter war'n zur Hälfte tot. Das Volk verstand es nicht. Die Mörder sprachen heil'gen Zorns! ,, Ein göttliches Gericht!"

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Die andern Räuber waren sie ,, Wie sind dagegen Gott !"

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Sogar die Kranken hatten jetzt Nur Grauen und nur Spott.

Das Volk nahm Axt und Beile her Und schärfte sie recht gut. Der Lette von der Kumpanei Lag bald in seinem Blut.

Es war einmal ein schönes Land Am andern End' der Welt. Auch um das Volk in diesem Land War es nun gut bestellt.

Zeit- Notizen

Die reglementierte Kunst

Heinz Wielek.

शेर

Ab 1. Juli 1934 muß jeder Künstler, der in Unterneh­mungen, die nach§ 33a und§ 55 RGO. konzessionspflichtig sind, auftreten will, im Besige eines vorläufigen Ausweises über seine Mitgliedschaft beim RDA.( Reichstheaterkammer) oder einer von dort ausgestellten Auftrittsbewilligung sein. Die mit Genehmigung der Reichstheaterkammer vom Prä sidenten des RDA. erlassene Anordnung wird mit äußer­ster Strenge durchgeführt werden. Alle Inhaber und Leiter der in Frage kommenden Betriebe werden zur Ver­antwortung gezogen, wenn ein Künstler ohne vorschrifts­mäßigen Ausweis von den Prüfungsbeauftragten beim Auf­treten betroffen wird."

Eröffnung einer Seemanns- Bibliothek

In dem Gebäude der Neuyorker Seemannskirche ist so eben zu Ehren des berühmten Seefahrers Joseph Conrad eine Bibliothek nur für Seeleute eingerichtet worden. Das ist die erste Bibliothek in dieser Art. Bereits jetzt befinden sich dort über 4000 Bände, die zur Seefahrt Bezug haben; wissen­schaftliche Werke und Abenteuerromane aller Art. Ein besonderer Saal ist den Werken Joseph Conrads gewidmet. Globusse und Meßgeräte sind ebenfalls in dieser Bibliothek untergebracht, in der alle berühmten Seefahrten an Hand seltener und origineller Schiffskarten theoretisch nochmals ausgeführt werden können. Ein wahres Paradies für alte ausgediente Seefahrer.

Nazisorgen

Während in Deutschland die Menschen vor Hunger kre pieren, schützen die Nazi die Tiere und die Natur. Mehr Heuchelei und Lüge hat noch nie ein System aufgebracht, als das nazische; vor einiger Zeit erklärte es die Schorfheide im Norden Berlins zum Naturschutzgebiet, in das man die legten deutschen Wisente sette, um sie vor dem Aussterben zu bewahren. Dieser Tat folgte vor ein paar Tagen eine zweite: die samländische Steilküste zwischen Pillau und dem Ostseebad Crang ist zum Naturschußgebiet ernannt worden. Gleichzeitig wurde der wehrlosen Landschaft der Titel Samländischer Küstenhain" verliehen. Und da wagen Wie es die Opfer der Massenschlächterei yom 30. Juni be- Kritikaster, Miesmacher und Quengler noch zu behaupten, stimmt gehabt habens

Der thüringische Justizminister hat angeordnet, daß auf allen Streitakten und Strafakten sogenannte ,, Mahnmarken" aufgeklebt werden, die Aeußerungen des Reichsjustiz­kommissars Dr. Frank enthalten. Für die Prozeßakten heißt es: ,, Entscheiden Sie rasch wie ein Führer, entscheiden Sie klar wie ein Führer und entscheiden Sie so, daß auch der unterliegende Teil das Gefühl hat, hier wird Recht ge­sprochen.

man leiste in Deutschland nichts für das Volk