Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Freitag, den 10. August 1934

Ernst Tollers   Anklage

Auf der Edinburger Tagung des Ten- Klubs hat Ernst Toller   folgende Rede gehalten:

In einer Zeit, in der wir täglich von neuen Gewalttaten, neuen Grausamkeiten, neuen Unterdrückungen lesen, in einer Zeit, in der das Elend von Millionen wächst, in der Zehntausende von Emigranten hoffnungslos, rechtlos durch die Länder irren, ein neuer, furchtbarer Krieg uns alle be­droht, wird das Gewissen der Welt stumpf und nur wenige denken an das Schicksal der wegen ihrer Gesinnung ein­gekerkerten Schriftsteller. Und doch sind diese Männer schon seit 17 Monaten in Haft, ohne daß sie gegen die Ge­setze ihres Landes verstoßen haben, ausschließlich, weil sie in früheren Jahren Werke veröffentlicht haben, deren Ideengehalt den jetzigen Machthabern zuwiderläuft.

Unter diesen Schriftstellern befinden sich: Carl von Ossietky, Ludwig Renn  , Fritz Gerlich  , Fritz Küster  , Werner Hirsch, Klaus Neukrant, Carl Mierendorff, Willy Brendel und andere. Und unter welchen, Ihnen wahrscheinlich un­vorstellbaren Bedingungen leben diese Menschen! Aus­geliefert dem Haß der Machthaber, preisgegeben der Will­kür subalterner SA.- Männer führen diese Männer ein Leben täglicher geistiger, körperlicher und seelischer Entbehrung, oft bitteren Mißhandlungen ausgesetzt.

Fragt man die Herren, zu welchem Zwecke diese Männer eingekerkert sind, bekommt man zur Antwort, daß sie schädliche Elemente der Gesellschaft waren und zu nüz­lichen Gliedern der Gesellschaft erzogen werden sollen.

Und worin besteht diese Erziehung? In vielstündigem militärischen Exerzieren, in oft sinnloser, körperlicher Ar­beit. Fünfzig-, sechzigjährige Männer werden über Kasernen­höfe gehegt und getrieben, müssen sich niederwerfen, auf­stehen, niederwerfen und aufstehen, bis sie kraftlos liegen bleiben.

Nein, der Kerker verbirgt nur eine Absicht, Rache an Wehrlosen, Haß der freiheitlichen Idee, Furcht vor dem Talent, das jenen Männern gegeben ist, mit der Kraft des Wortes den Ungeist anzuprangern.

Ich könnte Berichte von Zeugen aus dem Konzentrations­lager anführen, daß Sie ein Gefühl der Scham überkommen würde vor der Erniedrigung des Menschen durch den

Menschen.

Aber ich brauche es nicht, genug wurde in Zeitungen und Büchern geschrieben.

Wer vergißt, will vergessen

Jeder, der hören wollte, hat hören können. Jeder, der wissen will, muß wissen. Wer nicht hörte, wollte nicht hören, wer nicht weiß, will nicht wissen. Wer vergißt, will vergessen.

Manche hören und wissen, doch sie vergessen.' Aber ver­gessen ist die Sünde wider den Geist. Hätten Millionen den Krieg nicht vergessen, die Gefahr des neuen Krieges wäre nicht so ungeheuerlich, die Erziehung der Jugend zur Ver­herrlichung des Krieges wäre nicht gelungen.

schriften zu verbieten sind, wenn sie die guten Beziehungen des Landes zu anderen Staaten gefährden. Das geht weit hinaus über die Bestimmungen des internationalen Rechts, wonach nur die Beschimpfung von Staatsoberhäuptern straf­bar sein sollte.

Warum regt sich diese Sorge um das Wohl einer fremden Diktatur gerade jett? Warum früher nicht?

Haben italienische, russische, spanische Emigranten nie­mals ähnliche Bücher geschrieben, wie die deutschen   Emi­granten?

Allerdings, nur hatten diese Länder keinen Herrn Goebbels   mit unbeschränkten Geldmitteln, der die Emi­granten bis in ihre Zufluchtsländer verfolgt

Ueberall!

Schon heute lehnen eine Reihe von nichtdeutschen Zei­tungen es ab, die Werke emigrierter Schriftsteller zu er. wähnen oder zu besprechen, unter dem Druck nationalsozia­listischer Stellen.

Eine große Buchhandlung in Madrid   weigerte sich, Bücher jener Verlage, die Emigranten drucken, auszulegen und zu verkaufen, unter dem Druck deutscher diplomatischer Stellen.

Nach dem Vertrage zwischen Polen   und Deutschland   hörte die polnische Auslieferungsstelle auf, Bücher der Emi­grantenverlage zu vertreiben.

Italienische Auslieferungsstellen beklagen sich darüber, daß von deutschen diplomatischen Stellen ein Druck auf sie ausgeübt wird, den Vertrieb der Emigrantenliteratur ein­

zustellen.

In Griechenland   wurde auf Veranlassung des deutschen  Konsulates der Herausgeber der griechischen Uebersetzung des Braunbuches verurteilt.

Auf Antrag der deutschen   Regierung erhob die argen­tinische Staatsanwaltschaft Klage gegen ein argentinisches Blatt, das einen Aufsatz von Heinrich Mann   abdruckte.

In verschiedenen Ländern wurde die Aufführung des Stückes des neuen Werkes von Bruckner, das gegenwärtig mit so großem Erfolg in Paris   gespielt wird, verboten. Karikaturen bedeutender Künstler müssen aus Ausstel­lungen entfernt werden, weil nationalsozialistische Regie­rungsvertreter es fordern.

Dichterlos in Kamtschatka  

Geduld, Poet, und nicht gemuckst,

so heißt die Pille, die du schluckst

Entsagung, in der Ecke stehn, von jedem Laffen falsch gesehn. Dein Volk, wenn dich Diät geplagt, hat dir, wie stets, das Brot versagt.

Verzweiflung, und noch obendrein verlacht, verhöhnt, verspottet sein.

,, Das Publikum, das Publikum!" Ja, hat sich was mit Publikum.

,, Der Kritikus, der Kritikus!" Na, das ist erst der Hochgenuẞ.

,, Der Nachruhm bringt dir manchen Toast!" Nun wahrlich, auch ein schöner Trost.

,, Der Dichter ist ein König traun." Er ist im Vaterland der Clown. Vielleicht nach hundert Jahren Schicht zieht ein Professor dich ans Licht.

Und hin und her wird dann geredt, und du wirst um und um gedreht.

Viel Lärm, Bumbum, Radau, Juchhei, im Sarg ist alles einerlei.

Und ob die Welt dich dann zerreißt, ob die Nation als Gott dich preist,

ganz gleich, der Wurm hat rund und rein dich längst poliert im schwarzen Schrein.

Wir fragen, wo dein Hügel steht; der ist versunken und verweht.

Was gehts dich an, was soll der Quark, fehlt dir des Lebens Milch und Mark. Das sind des Dichters ewige Qualen im großen Reich der Kamtschatkaren.

Selbst in einem fernen Lande wie San Salvador   wurde Zeit- Notizen

unter dem Druck der nationalsozialistischen Diplomatie das Braunbuch verboten.

Vor keinem Mittel schreckt die Hitlerdiktatur zurück, um die Schriftsteller, die sie nicht packen kann, zu schädigen.

Ihre Bücher und ihre Manuskripte wurden zerstört, ihre Habe, ihre Möbel, ihre Ersparnisse, ihre Wohnungen be­Vergessen ist ein Zeichen von Fantasielosigkeit. Vergessen schlagnahmt, viele wurden ihrer Staatsangehörigkeit be. ist ein Zeichen von Herzensträgheit. raubt.

Wir dürfen die gefangenen Schriftsteller nicht vergessen, ' die mit uns in einer Reihe für die gleichen Ziele lebten und arbeiteten, die dem Frieden dienten und einem helleren, gerechteren Antlitz der Welt.

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Kein noch so lauter Festtrubel kann die stumme Klage jener leidenden Menschen übertönen. Denken wir an sie, die nicht einmal wissen dürfen, daß wir brüderlich an sie denken und ihnen in Scham und Trauer verbunden sind, Wenn wir an die Macht des Wortes glauben und wir glauben als Schriftsteller an die Macht des Wortes, dürfen avir nicht schweigen. Selbst Diktatoren fügen sich der Mei­nung der Welt. Ohne die fordernde Meinung der Welt, ohne das Mitgefühl zahlloser Menschen, ohne den Kampf bedeutender Zeitungen, wie der Times", des Observer", des ,, Manchester Guardian", ohne die Hilfe humaner Per­sönlichkeiten, die den großen Traditionen ihres Landes folgten, wäre ein unschuldiger Mann wie Dimitroff   nicht ge­

rettet worden.

Wie oft verzweifeln wir an der Gewalt und Wirkung dessen, was wir tun. Aber Beispiele, wie das eben erwähnte, sollten uns Kraft und Vertrauen geben und uns nicht er­müden lassen.

Nein, auch wir Vertriebenen dürfen nicht müde werden. Damit geben wir uns auf und verlassen jenes Deutschland  , von dem Sie nichts in den offiziellen Zeitungen lesen: Das leidende Deutschland  , das im geheimen kämpfende Deutsch­ land  , das größer ist, als Sie ahnen.

Ich spreche hier als Schriftsteller von Schriftstellern, sonst müßte ich jene erwähnen, die nicht Schriftsteller sind, Ar­beiterführer wie Thälmann   und Torgler  , Zehntausende von Arbeitern, Tausende von Juden und alle jene, die kein an­deres Verbrechen begangen haben, als daß sie aus Ueber­zeugung nicht Nationalsozialisten sein können und wollen.

Verfolgung auch in der Fremde

Die Diktatur begnügt sich nicht mit der Verfolgung von Schriftstellern und der Unterdrückung ihrer Bücher im Lande, sie verfolgt auch die vor der Gewalt Entflohenen im Auslande. Die Autoren und Verlage der deutschen   Emi­gration werden bedroht durch besondere Maßnahmen der hitlerischen Diktatur. Ein besonderer Druck wird ausgeübt auf jede andere Regierung der Welt, soweit sie schwach und zugänglich genug erscheint. Der Zweck ist vor allem die Auslieferung der emigrierten Schriftsteller nach Deutsch­ land  . Wenn dies nicht zu erreichen ist, sollen sie wenigstens ausgewiesen werden aus ihrem Zufluchtslande, nachdem sie vorher zu Gefängnisstrafen verurteilt und ihre Schriften verboten sind.

Ich erinnere an den Fall des Schriftstellers Liepmann in Holland  , den Verfasser des Buches ,, Murder, made in Ger­many".

Ein anderes Land hat kürzlich verordnet, daß Druck

Der Paß! Der Paẞ!

Aber wer heute nicht im Besite eines gültigen Passes ist, für den ist die Welt eng. Wenn ihn die Aufforderung träfe, morgen in ein anderes Land zu reisen, um dort für ihn wichtige Angelegenheiten zu regeln, er könnte es nicht, die Grenze ist verschlossen. Es bedarf zeitraubender Mühe, bis er ein Papier erhält, das ihm zu reisen erlaubt und dann hängt es noch von der Regierung des anderen Landes ab, ob sie ihm ausnahmsweise die Einreise gestattet.

Zu diesem Kongreß wollte der deutsche   Schriftsteller Klaus Mann   kommen, er vermochte es nicht, trotz aller Bo mühungen, weil er keinen gültigen Paß mehr besaß.

Diese wohlorganisierte, mit großen Machtmitteln syste­matisch betriebene und bis in die fernsten Länder aus­gedehnte Verfolgung mißliebiger Schriftsteller, Verleger und Buchhändler bedeutet die schwerste Bedrohung der Freiheit des Schrifttums in der ganzen Welt.

Werden Sie diese Bedrohung dulden? Sie werden mir

antworten: ,, Was sollen wir tun, wir sind zu schwach." Unsere Stimme wird nicht gehört. Der Geist der Unfreiheit und Gewalttätigkeit wächst in der ganzen Welt. Andere wieder werden sagen: Mutet es nicht wie eine Donquicho­terie an, gegen die Unterdrückung der Geistesfreiheit in Deutschland   zu protestieren, da doch offenkundig viele deutsche Schriftsteller die allereifrigsten Parteigänger des Systems sind und es wahrscheinlich noch immer geistig unterbauen" werden, wenn schon das ganze übrige Volk von ihm abgefallen sein wird.

Jeder scheue Blick in deutsche Zeitschriften genügt, um festzustellen, mit welcher Begeisterung viele deutsche Schriftsteller sich als Frontkämpfer des völkischen Ge­dankens fühlen. Da ist keine Unterdrückung, da ist Frei­willigkeit und freudige Unterwerfung.

,, Das Talent ist, wie die Vernunft im Mittelalter, dazu da, den Glauben, zu erörtern'," sagt ein großer zeitgenössi­scher Schriftsteller ,,, das Talent ist allerdings meistens nicht vorhanden und das erklärt manches."

Ihre freudige Unterwerfung

Auch die Inquisition war eine Macht, die verfolgte und leiden machte. Trotzdem haben die Verfolgten und Leiden­den ihren Glauben nicht, abgeschworen.

Von Ihnen wird nicht der Flammentod verlangt, von Ihnen

wird nur gefordert, daß Sie um der guten, humanen und ge­

rechten Sache willen, um jener Sache, der trotz aller gegen­wärtigen Verfinsterung eine künftige Menschheit sich zu­wenden wird, sich solidarisch mit ungerecht Verfolgten er­klären und die Bedrückung des Geistes und den Ungeist nicht dulden,

Ein Denken

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ein Fühlen!

Detlev von Liliencron  .

,, Die engen Grenzen der Schichten, der Parteien und Klas sen fielen! Es gibt nur noch einen Willen, ein Denken und ein Fühlen!"

( Die Westfälische Landeszeitung über die Sonnenwende an germanischer Thingstätte".)

Ein Denken ein Fühlen! Wir registrieren diesen wahr­haft blutigen Wig ohne Kommentar.

Eine Gauguin- Gesellschaft

Unter dem Vorsitz des Malers Albert Besnard   ist in Paris  eine Gesellschaft der Freunde Paul Gauguins gegründet worden, der viele Künstler, Schriftsteller und Verehrer vo Gauguins Kunst angehören. Die Vereinigung will eine große Ausstellung von Gauguins Schaffen veranstalten und die noch unveröffentlichten literarischen Werke des Künstlers heraus­

geben.

Gandhi  - Biografie von Tagore junior

In Frankreich   ist kürzlich ein Buch über das Leben Ghandis erschienen, das in literarischen Kreisen einiges Auf­sehen erregt hat, nicht zuletzt wegen des Verfassers dieser Biografie. Als Autor zeichnet nämlich Soumyendranath Tagore, der Sohn des auf der ganzen Welt bekannten indi­schen Dichters Rabindranath Tagore  .

Dostojewskis Geburtshaus zerstört

Das Dorf Dostojewo in der Gegend von Pinsk  , wo sich das Geburtshaus Dostojewskis befand, ist durch einen Brand fast vollkommen zerstört worden. Auch das Geburtshaus des großen russischen Dichters ist ein Opfer der Flammen geworden, und es sind dabei zahlreiche wertvolle Dokumente und Erinnerungsstücke verloren gegangen.

Der Buchhändler spricht..

Der elfte Kongreß der französischen   Buchhändler wird vom 4. bis 6. August in Vevey  ( Schweiz  ) zusammentreten unter der Ehrenpräsidentschaft des Dichters Ramuz  . Unter den zahlreichen Themen, die behandelt werden sollen, inter­essiert vor allem ein Referat, das sich damit beschäftigen wird, welche Verantwortung der Buchhändler im Kampfe gegen die Verbreitung demoralisierender Schriften hat. Deutsches Recht

Am Sonnabend wurde gemordet. Am Mittwoch aber war das Reichskabinett nervenstark genug, um ein Gesetz über die Akademie für Deutsches Recht   zu beschließen. Sie wird eine Körperschaft öffentlichen Rechts des Deutschen Reiches mit dem Sitz in München   sein.

Im übrigen nehmen wir an, daß auf dieser Akademie das Pistolenschießen gelehrt wird und was sonst so neuerdings ,, rechtens" ist.

Synagoge wird Museum

Die

durch die ,, Abwanderung"( neudeutscher Sprachschats) aller jüdischen Einwohner aus Sulzbach ( Franken) überflüssig gewordene Synagoge, die von der Stadt erworben wurde, soll in ein Heimatmuseum umge­wandelt werden