Edition de Paris
Pariser Ausgabe
Fretheil
Nr. 184 2. Jahrgang
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Einzige unavŋängige deutsche Tageszeitung
INSERATEN ANNAHME für Frankreich ( ausschießlich Elsaß- Lothringen ): Publicité Megl, Paris ( 3e) 51, rue de Turbigo( Ecke rue Réaumur. Metro: Arts et Métiers). Telephon: Archives 84-95, 84-96. 84-97 Saarbrücken - Paris , Samstag, 11. August 1934 Chefredakteur: M. Braun
Hitlers Amnestie
Seite 2
Schacht im Engpass
Seite 4
Jahresbilanz des Faschisten
Seite 7
Deutsche Dokumente
Wir veröffentlichen nachstehend drei Briefe aus Hifler- Deutschland. Jeder ist in seiner Weise ein menschliches Dokument, über die Stimmung der Menschen, über die Grausamkeit des« Systems" seinen lebendigen und foten Gegnern gegenüber aufschlußreicher, als lange Betrachtungen. Die Redaktion verbürgt sich gleichzeitig für die Echtheit der Briefe und Zuschriften, die ihr im Original vorliegen.
Die größten Nörgler sind in der für 83 Arbeiter in Angerburg einschte, die sich mit einem für 33 Arbeiter in Angerburg einsetzte, die sich mit einem aus nichtigen Gründen entlassenen Arbeiter solidarisch erNSDAP." klärt hatten und über die daraufhin Arbeitssperre verhängt worden war. Im„ Haus der Arbeit" in Königsberg forderte man ihn auf, aus seinem Verhalten die Konsequenzen zu ziehen. Ich begann zu ahnen," erklärte Chmara einem Vertreter des„ Ostsee- Beobachters", und es wurde mir sofort
Ein Brief aus dem Reiche
den 5. August 1934.
Lieber Freund Oskar! Vielen Dank für Deine Karten und den Brief vom 22. April. Du wirst entschuldigen, wenn ich nicht geantwortet habe, ich hatte einen Brief für Dich geschrieben, aber nicht weggeschickt. Nun, zunächst sind wir noch alle gesund, das ist ja auch alles, was man noch hat. Die Löhne sind noch wie in 32-33, als Du hier warst, aber die Gebrauchsgegenstände, Wolle, Kleiderstoffe, sind teurer geworden. Auch die Lebensmittel haben im Preis angezogen, Margarine, Erbsen usw. Wir haben hier viel unzufriedene Leute, aber das schadet ja nichts, die hätten früher besser Lehre annehmen sollen, heute hat alles Schimpfen keinen Sinn und 3wed, es ist alles zu spät. Die größten Nörgler find die, die am längsten in der NSDAP . find, und die heute ihre Schulden noch genau so zahlen müssen wie vorher.
klar, daß man an mir eine„ Prozedur" vornehmen werde...
Ich wußte, was das bedeutet Festbinden, Prügeln bis zur Bewußtlosigkeit, rein in ein Auto, ab nach Quedenau und dann an den Strang." Es gelang Chmara, zu entfliehen. Ueber die Lage in Deutschland sagt er:„ Seit dem Frühjahr 1934 wuchs bereits die Unzufriedenheit in allen Kreisen bis aufs äußerste. Alle Versprechungen, die Hitler uns gemacht hatte, waren nicht erfüllt worden... Die Not wuchs ins Unermeßliche... Schon Anfang Juni wurde in der SA. von der Notwendigkeit einer zweiten Revolution gesprochen. Die Vorgänge vom 30. Juni schlugen wie Keulenschläge bei uns SA. - Leuten ein. Hitler war der Verräter, das war unsere Ansicht. Es war uns auch bekannt, daß allein 20 hoch gestellte SA. - Führer aus Ostpreußen nach dem 30. Juni zu
Hitler bestellt waren und nicht mehr zurückgekommen find. Ich sage es offen, daß die Perspektiven im nationalsozia listischen Deutschland die traurigsten sind und daß man damit rechnen muß, daß das nationalsozialistische Deutschland nicht mehr zu retten ist, weil alles auf Zug und Trug aufgebaut ist."
Jagd auf Kruse
Wo steckt der Reichstagsbrandstifter?
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Bern , 10. August. Die Fahndung auf den aus Deutschland geflohenen SA.- Mann Kruse, den an der Reichstagsbrandstiftung beteiligten Diener Röhms, hat die Oeffentlichkeit in der Schweiz von neuem stark auf diese geheimnisvolle legenheit hingelenkt. Es ist nicht zu erfahren, welche Gründe die Schweizer Bundesanwaltschaft veranlassen, Kruse polizeia lich zu suchen. Auch andere flüchtige SA. - Leute sind nach dem 30. Januar illegal über die Schweizer Grenze gegangen, ohne daß sie von den Schweizer Behörden verfolgt werden.
Von ruse wird bekannt, daß er sich nur kurze Zeit in Zürich auf Salten und dann einige Tage in Kippel im Lötschental ( Wallis ) zajebracht hat. Von dort soll er über Domodoff
nach Mailand gefahren sein. Auch in Italien soll die Fahndung gegen ihn fortgesetzt werden. Wie ir erfahren, hat er inzwischen au. Mailand vers lassen und dürft. sich so mit Erfolg dem unbequemen Interesse der faschistischen zei entzogen haben.
Urlaubstage, die es nicht gibt
Das gute Herz des Treuhänders und die bösen Unternehmer
Berlin , 9. August. Zwischen den Berichten über die pompösen Trauerfeierlichkeiten für Hindenburg wenig beachtet, hat sich ein Vorgang ereignet, der kennzeichnend ist für die foziale Demagogie der Nationalsozialisten und die Befehlsgewalt
Wer weiß, ob nicht Selbst im Grabe keine Ruhe valt des Unternehmertums.
Wie ist bei Euch die Stimmung für uns, ich höre als mal Nachrichten von der Schweizer Depeschen- Agentur in Bern , die sind aber nach meiner Ansicht ziemlich zurückhaltend. Ich denke, Du bist über alles, was in Deutschland passiert, besser unterrichtet als wir selbst. In den letzten Monaten hat es ia hier allerlei Ueberstürzungen gegeben, ich denke dabei an Röhm, Heines usw. Ob das alles so war und ist, wie es geschildert wird, das weiß der Himmel. Ja, der Faschismus weiß Stimmung zu machen. Wer weiß, ob nicht Goebbels oder Göring das alles in die Wege geleitet haben, um die schwindende Stimmung im Volf zurückzuhalten. Ich fann Dir schreiben, daß viele wieder Hoffnung haben und fagen, Hitler greift durch. In einem Land der Diftatur kann nur so etwas vorkommen; hätte man Presse- und Redefreiheit, dann hätte Hitler alles das schon eher gewußt, aber dan darf ja die Wahrheit nicht sagen, wenn auch Hitler die Wahrheit liebt, aber die fleinen Bonzen, das sind die Schinder. Ganz Deutschland ist jetzt in tiefer Trauer, ich wenigstens für meinen Teil, denn ich hatte immer noch auf eine gute Wendung durch Hindenburg gerechnet, nun sind alle Hoffnungen dahin, jetzt ist Hitler alles: Kaiser , König, Führer, Präsident. Ja, er ist der stärkste Mann, den es auf Erden gibt, keinem Menschen verantwortlich nur sich selbst. Am 19. August ist hier eine Volksabstimmung, was die für eine Bedeutung haben soll, das möchte ich mal gerne wissen. Hitler ist Präsident und bleibt es auch, ganz einerlei, ob gewählt oder sich selbst ernannt. Aber mit der Abstimmung will man mit dem Ausland zeigen, daß das ganze Volk die Präsidentschaft Hitlers wünscht. Ich schreibe Dir, laßt Euch nicht durch Stimmen täuschen, denn es kann nicht jeder seiner Ueberzeugung nach stimmen, und zwar aus folgendem Grunde: angenommen, hier stimmen 100 mit Rein", was würde das für uns bedeuten? Wir wären keine Minute sicher, ja man würde uns vielleicht auch als Röhm: linge behandeln. Wir würden doch gemaßregelt und was nicht alles.
Nur ein kleines Beispiel: in Müschenbach b. Hachenburg war ein kleiner Wimpel angeblich gestohlen worden. Was
Ein Jahr nach Fechenbachs Ermordung
Die Deutsche Freiheit" veröffentlichte anläßlich des Erinnerungstages an Felix Fechenbach 3 Er mordung am 7. August 1933 einen furzen Artifel. Er hat zu folgender erschütternder Zuschrift an die Redaktion geführt:
Auch ich kenne die Namen der Mörder, weiß genau die Mordstelle und habe eine Beschreibung des Toten bekommen, der so zugerichtet sein soll, daß ihn sein eigener Bruder und sein Vater nicht erkannt haben.
Aber es ist noch schlimmer. Bei der Beerdigung warnte die Nazipresse vor Beteiligung. Von Haus zu Haus zog der alte Vater. um einen Wagen für den Sarg zu kriegen. Endlich überließ ein ehemaliger Parteigenosse ihm Wagen und Pferde. Aber kein Mensch wagte sich heran. Sein Bruder und der alte 77jährige Vater trugen den Sarg zum Grabe. Aber auch dort läßt man Felix Fechenbach keine Ruhe. Der Hügel war verschiedentlich abgetragen und geebnet worden. Als wir jetzt einen Grabstein setzen lassen wollten, mahnte die Friedhofsverwaltung: der steht keinen Tag. Die Nazis flettern über die Mauer und werden den Stein zerstören, wie sie das Grab zerstörten. Das ist deutsche Kultur.
Als Organe des sozialen Ausgleichs stehen über den Führern der Betriebe und ihrer Gefolgschaft die, Treuhänder der Arbeit". Das Gesetz zur Reglung und zum Schute der nationalen Arbeit weist diesen Treuhändern, denen ein großer Wirtschaftsbezirk untersteht, sehr weitgehende Befug nisse zu. Es gibt Treuhänder, die aus dem Unternehmertuar und seinen Syndizis stammen, und solche, die aus der Arbeiterschaft kommen. Während die erstgenannten sehr still arbeiten, machen die andern häufig von sich reden.
Zu der Treuhändern, die immer wieder die Oeffentlich feit beschäftigen, gehör: der rheinische Treuhänder Börger. Er ist ein Mann vom Typus Ley. Nie nicht ganz so alkoholisiert. Er ist ja auch noch jünger als key. Börger ist auf allen Gebieten der Theorie und der Praxis eine richtige Null. Dennoch ist er Professor ander Universität Köln geworden. Wenn er weder Schreiben noch Lesen könnte, mirden sich die korrumpierten Fakultäten ebenso gehorsam ge= fügt haben. Die braunen Bonzen befehlen, uro die Koryphäen der Universitäten gehorchen.
Börger hat vor einigen Wochen einen Erlaß herausgegeben, der den Humbug„ Kraft durch Freude " seines Freundes Len noch in den Schatten stellte. Er ordnete für seinen Wirtschaftsbezirk nämlich an, daß jede Arbeitskraft im Jahre einen bezahlten Urlaub in Höhe bis zu drei Wochen
In der Hoffnung auf bessere Zeiten mit herzlichen erhalten müsse. Die Zahl der Tage waren genau vorgeGrüßen..
fam? Das ganze Dorf wurde von S. durchsucht und natür Es hagelt Zeitungsverbote
lich auch eine ganze Anzahl wird auf das Schändlichste miß: handelt. Es hat dort Leute gegeben, die wahren blau von oben bis unten. Das alles muß man sich gefallen lassen, auch menn man unschuldig ist. Das ist nur ein Fall von vielen, die ich Dir auch aufzählen könnte. Also nicht nach dem Wahlergebnis urteilen, hier bei uns ist die Einstellung noch wie sie war. Es mögen einzelne nach rechts und links gegangen sein, aber der Kern ist für Demokratie. ( Hier folgen noch private Familienmitteilungen.) Es grüßt Dich Dein Freund...
..Ich sage es offen..."
20 SA.- Führer aus Ostpreußen verschwunden Aus Memel wird uns geschrieben: Der Kreisleiter der Arbeitsfront von Goldapp, Willy Chmara, ist aus den Händen der nationalsozialistischen Feme entkommen und nach Memel aefloben. Er war als Marrist verdächttat, weil er fich
Die schwedische Zeitung„ Göteborgs Handels- und Sjöfarts Tidning" ist für das Reichsgebiet auf die Dauer von sechs Monaten verboten worden. Maßgebend für das Verbot waren zwei in der Nr. 177 vom 2. August erschienenen Artikel.
Der deutsche Gesandte in Stockholm hat am Mittwoch bei der schwedischen Regierung schärfsten Einspruch" gegen diese Art der Verunglimpfung von Mitgliedern der Reichsregierung und des Führers des deutschen Volkes erhoben.
St. Gallen. 9. Aug. Die katholische Ostschweiz" tst von der Reichspressezentrale in Berlin vom 8. bis 20. August für das ganze deutsche Gebiet verboten worden.
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Die kommunistische Deutsche Bolfs- Zeitung" wurde von der Regierungskommission des Saargebiets„ bis auf weiteres" im Saaraebiet verboten
schrieben. Man wunderte sich und gläubige Gemüter meinten vielleicht, da sehe man doch, daß Herr Börger fertig bringen, was die Gewerkschaften in langen Jahren nicht erreicht hätten.
Nun wird aber befannt gegeben, allerdings nicht durch der Treuhänder Börger, sondern durch bescheidene Presse notizen, daß der Ukas mit den schönen langen bezahlten Ferien nur eine private Stilübung des Herrn Börger ce wesen sei. Es handele sich nur um„ Richtlinien", die man befolgen könne oder nicht, je nachdem wie es die Lage des betreffenden Wirtschaftszweiges erlaube. Keinesfalls sollten dadurch bestehende Urlaubsbestimmungen abgeändert oder gar zum Schaden des Unternehmers in die Tarife eingegriffen werden.
Mithin bleibt alles wie es war. Das westdeutsche Unternehmertum hat sich in Berlin bei dem ReichswirtschaftsSiktator Schacht beschwert, und dieser hat dem Treuhänder die Privatarbeit über die Urlaubsfrage zerrissen wie ein Lehrer einem Schulbuben einen schlechten Aufsatz um die Ohren schlägt.
Wenn schon einmal etwas Bernärftiges aus dem„ dritten Reich" zu hören ist, erweist es sich gleich danach als elender Reklameschwindel