ab
ais
Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"
Sonntag- Montag, den 12. und 13. August 1934
Der Spuk im braunen Walde
Eine unerschöpfliche Lese
-
Wenn der Geschichtsschreiber, etwa im Jahre 2000, an den Spuk gerät, den Hitler über das deutsche Volk gebracht hat, wird er ihn unter ein Kapitel: Verlogenes Pathos, pfiffige Demagogie, verblödete Brutalität, anmaßender Dilettantismus, mythische Vernebelung registrieren. Und wenn er wohlwollend ist, wird der Historiker solcher pathologischen Episode im Leben eines großen Volkes dadurch gerecht zu werden versuchen, daß er die Psychologie der Wunschträume beschwört und den deutschen Wahn von der Erlesenheit der teutonischen Rasse mit einem mitleidigen Lächeln und mit einem Hinweis auf die Heimtücke von Minderwertigkeitskomplexen entschuldigt.
Der deutsche Wahn wütet; es geschieht nichts, was er nicht verbiegt, und tausenderlei veranlaßt er, was des gesunden Menschenverstandes, der bitter notwendigen Oekonomie und schlechthin des primitiven Anstandes, der selbstverständlichen Voraussetzung aller Kultur, spottet. Jeder beliebige Querschnitt durch diese Exaltationen ist hierfür schmerzhafter Beweis. Für diesmal, nur als ein Tropfen solches selbstmörderischen Fegefeuers, eine zufällige Liste:
Mehr als fünfzig Thingplätze, amphitheatralische Freilichtbühnen zur Aufführung von Weihespielen, sollen gebaat werden. Eine dieser neudeutschen Kultstätten ist soeben in Niedersachsen fertiggestellt und mit dem nationalen Festspiel ,, Aufbricht Deutschland" eingeweiht worden. Neben siebzig Berufsschauspielern haben tausend Laien mitgewirkt. Der Thingplatz von Heidelberg wurde mit einem Massenspiel Deutsche Passion 1933" Ende Juli eröffnet.
*
In Passau wurde der Grundstein zu einer Nibelungenhalle gelegt. Scheffels Roman Ekkehard" wird dramatisiert und auf dem Hohentwiel aufgeführt. Die Kultspiele auf der Plassenburg bei Kulmbach beginnen demnächst; wöchentlich. bringen Sonderzüge 2000 Zuschauer aus Berlin . Beim Preisgericht der ,, deutschen Arbeitsfront " sind 500 Texte für ein Massenschauspiel ,, Kraft durch Freude " eingegangen. Berufsmäßige Dramatiker haben sich nicht beteiligt. Der Wettbewerb für ein nationalsozialistisches Chorwerk mobilisierte 700 Komponisten. Auf dem Hintergrund solches dilettantischen Unfugs freuen sich die Unentwegten, Reinhardt als tine überwundene Gefahr zu kennzeichnen, als den ,,, der Has Theater der Gegenwart an den Rand des Unterganges ebracht habe",
Ein dritter Wettbewerb ist für ein Schlageterforum ausgeschrieben worden; es gilt, einen Hain mit Aufmarschgelände für 300 000 Personen, eine Ehrenhalle für 1000 Personen, ein Amphitheater für 100 000 Personen und eine Sportarena für 50 000 Personen architektonisch zu gestalten.
Zum Wesen des deutschen Theaters äußerte sich der Propagandaminister:
I. ,, der Künstler hat das Recht, eigene Wege zu gehen, denn auf diesem Wege sollen die Völker später nachmarschieren";
II. ,, das Theater darf keine Experimentierstätte mehr sein. Das ewige Schreien der Modernen wird auf die Dauer lästig"; III. ,, das Theater muß von zeitnahen Menschen geführt werden. Der Staat hat das Recht und die Pflicht, darüber zu wachen, daß sie in Taktgleichheit mit dem Rhythmus der Zeit marschieren. Auch der Künstler muß in der richtigen Winkelstellung stehen".
*
Um da praktisch nachzuhelfen, ist beim Propagandaminiterium ein Referent bestellt worden, der ,, Die sechs Bücher des Monats", die jeder Deutsche lesen sollte, bestimmen wird. Für Schlesien hat Alfred Rosenberg auf der Schlesischen Kulturwoche" das Notwendige gesagt. Inzwischen hat die Lippische Landesregierung( das gibt es also noch) die Extern steine ( kleine Felsblöcke mit eingemeißelten Figuren der Frühzeit) zum Nationalheiligtum erklärt. In Lübeck tagte Anfang Juni die Nordische Gesellschaft zur Vertiefung des mordischen Gedankens, während in Travemünde das DeutschNordische Schriftstellerhaus für solche, die im nordisch- germanischen Sinne arbeiten, eingeweiht worden ist. In Stutt gart wird eine Festwoche für den deutschen Kulturkreis außerhalb des Reiches vorbereitet. Die Preußische Akademie der Wissenschaften bestimmte 100 000 Mark für die Herstellung eines hundert Millionen Deutschen umfassenden
Baubolschewismus
Sehnsucht nach dem pflanzenhaft Tierhaften" Die„ Nationalsozialistischen Monatshefte" beantworten diese Frage; dort schreibt der Architekt Alexander von Senger wörtlich:„ Der Bolschewismus, diese moderne Bezeichnung eines Geisteszustandes, der so alt ist wie die Welt, ist das politische System des folgerichtigen Materialismus. Dieses System erhält seine erste Formulierung durch den Engländer David Hume und die Enzyklopädisten; Karl Marx . und Lenin haben es bis in seine letzten Folgerungen durchgeführt. Der Bolschewismus ist ebensowenig neu wie der Materialismus früherer Zeiten. Neu ist an ihm die Tat, daß diese Philosophie hier die Grundlage einer politischen Systematik wurde, die nach Verwirklichung strebt. Da der Materialismus philosophisch und wissenschaftlich unhaltbar ist, könnte man ihn die Weltanschauung der Unwirklichkeit nennen. Die Bolsche wisten sind somit, abgesehen von zahlreichen entarteten Begabten und Verbrechern, letzten Endes, sofern sie wirklich gutgläubig sind, Illusionisten, Phantasten und Schwarmgeister. Die treibende Kraft, die den Bolschewismus. erfüllt, ist die Sehnsucht nach dem pflanzenhaft Tierhaften. Es handelt sich um einen Rückbildungsvorgang rein reaktionärer Art. Der Marxist Otto Bauer sprach u. a. auf einem früheren österreichischen Parteitag folgende Worte aus: ,, Nur von Internationale zu Internationale, nur zwischen Zürich und
,, Atlas des deutschen Lebensraums". Die Sudetendeutschen ( die Pest überflutet bereits die Grenzen) haben für die Melodie des ,, Niederländischen Dankgebetes" einen neuen Text erfunden; er schildert die einzelnen Stufen der ,, sudetendeutschen Kultur- und Heimatschöpfung".
*
Die im Ausland tätigen Museumsbeamten und Wissenschafter sind zurückberufen worden. Davon betroffen wird auch die erst kürzlich in die Südsee abgereiste Expedition des Völkerkundemuseums. Auf der Tagung des Deutschen Mu seumsbundes wurde beschlossen, daß künftighin die Volkskunde ersten Rang habe. Professor Jakobi betonte, daß es nicht anginge, für den Aufbau asiatischer Paläste, wie etwa das Milet - Tor in Berlin , Geld auszugeben. Die Museumsfachleute stimmten ihm zu. Der Berliner Museumsdirektor Professor Unverzagt unternimmt Mustergrabungen nach germanischen Altertümern in Zantoch. Das Berliner vorgeschichtliche Seminar wird während eines ganzen Semesters dorthin verlegt. Die in jahrzehntelanger Arbeit geschaffene Staatliche Kunstbibliothek muß, ohne daß sie neue Unterkunftsräume hat, ausziehen, weil die Staatspolizei das Gebäude beansprucht. In Göttingen findet eine Ausstellung statt ,, Das Deutsche Recht in Vergangenheit und Gegenwart", es soll die weltgeschichtliche Bedeutung des germanischen Rechts, des einzigen, noch organisch lebendigen Kulturrechts in Europa , gezeigt werden. Der Literaturhistoriker Professor Dr. Julius Petersen schreibt ein Werk ,, Die Sehnsucht nach dem dritten Reich in deutscher Sage und Dichtung". In der Nähe von Heidelberg wurde im Juni ein Schulungslager des ,, Dichterkreises" eingerichtet; auch Komponisten und Regisseure sind zugelassen; Hauptthema: Kultische Festgestaltung.
von
*
Die Bücherei des Volksbildungsverbandes Pfalz- Saar ist allen fremden Bestandteilen gereinigt worden. Die Stadtverwaltung in Chemnitz hat die wertvollen modernen Bilder aus der sogenannten ,, Schandausstellung", von denen die städtische Kunstsammlung ,, befreit" worden ist, für ein Spottgeld verkauft. Der Direktor des westfälischen Provinzialmuseums in Münster , Dr. Hermann Reichling, wurde wegen Widerstandes gegen den deutschen Gedanken in Schuthaft genommen. In Stuttgart , im Haus des Deutschtums", findet eine Ausstellung des Gesamtwerkes des Dichters Joseph Ponten statt; das Hauptstück ist der mit größter Sorgfalt auf Tafeln ausgeführte Stammbaum Pontens, der dessen reinarische Abstammung zeigt. In Berlin gab es, unter dem Protektorat des Ministerpräsidenten Göring , eine Ausstellung deutscharischer Jagdmaler und Bildhauer zum Segen des weidgerechten deutschen Jagdwesens". Wer künftighin einen Jagdschein haben will, muß eine entsprechende Prüfung machen, um zu beweisen, daß er die Jagd als Kulturfaktor und als wesèntlichen Bestandteil der deutschen Geschichte erkannt hat. Die Goethegesellschaft, deren 49. Hauptversammlung in Weimar tagte, befaßte sich mit einer Veröffentlichung der Dokumente über Tod und Bestattung Schillers; es handelt sich um die auf nationalsozialistischen Schulungstagungen vorgetragene Behauptung, daß Goethe aus Neid und weil er Freimaurer war, Schiller hätte ermorden lassen.
Die Standesbeamten sind angewiesen worden, auf die rechte Auswahl des Vornamens zu achten, denn ,, diese sei von grundlegender Bedeutung für den späteren Werdegang eines jeden jungen Deutschen ... für jede deutsche Mutter ist es eine hohe Aufgabe vorgeburtlicher Erziehung, schon frühzeitig den rechten Vornamen für den erwarteten Erdenbürger auszuwählen und ihm damit ein kostbares Erbgut ins Leben mitzugeben... ein sträflicher Unfug sei es, gute deutsche Vornamen durch Kosenamen oder gar durch orien
talische Namen zu verstümmeln.„ Und dann werden deutsche
Namen empfohlen und deren Deutung gegeben: Rudolf= Ruhmeswolf, Benno kleiner Bär, Arno kleiner Adler, Siegfried Friedensbringer, Lothar Ruhmheer, Leopold = der Volkskühne.
=
=
So komisch solch eine Liste der Zerfallserscheinungen deut scher Kultur und allgemeiner menschlicher Vernunft auch anmuten mag, so ist sie doch zugleich eine Gefahrsanzeige: denn Barbaren haben stets die Neigung, in die blühende und besonnte Landschaft der Nachbarn einzufallen.
Moskau kann die Einheitsfront des Proletariats gegründet werden". Hier wird eine Tatsache bestätigt, die bereits von vielen gefühlt wird. Zürich und Moskau sind die scharfen Greifer der Zange, die Mitteleuropa zermalmen soll. Die Schweiz ist somit das ideale Untersuchungsfeld für die Beziehungen zwischen Architektur und Revolution. Der politisch organisierte Bolschewismus wurde auf Schweizer Boden im Sommer 1915 in Zimmerwald gegründet. Im Jahre 1916 entstanden die ersten Unruhen in La Chaux de Fonds, der Heimat von Le Corbusier ."
Wem danach noch nicht alles klar ist, der wird wohl von dem Senger nähere Aufklärungen noch fordern müssen. Der Film in Rußland
Der Ruf, den Hollywood als Filmstadt in der ganzen Welt genießt, läßt die russischen Volkskommissare nicht ruhig schlafen. So haben sie beschlossen, selbst die größte Filmstadt der Welt in der Nähe von Baku zu schaffen. Alles wird dort auf das Hervorragendste eingerichtet und mit dem erst klassigsten Material an Menschen und Geräten versehen sein. Man sieht die Möglichkeit voraus, mehr als dreißig große Filme zu gleicher Zeit drehen zu können. 36 neue große Filmzeitschriften sollen dort verlegt werden. Der allgemeine Plan liegt bereits fertig vor. Auf jeden Fall hat das Land der Sowjets einen Plan mehr. Jeder ist dort zufrieden, wenn einer der vorgefaßten Pläne auch wirklich zur gegebenen Zeit ausgeführt wird. Die geleistete Arbeit genügt,
" Ereignisse und Geschichten
Schaurige Ballade
Alle Adelsgeschlechter mit jüdischem Bluteinschlag sind in der Neuauflage des Gothaer Almanachs nicht mehr aufgeführt.
,, Was ist dein Blut denn nicht mehr blau, Edward, Edward?
Was ist dein Blut denn nicht mehr blau, Und im Gothaer steht nicht dein Nam' ,, Sie prüfen den Stammbaum jetzt ganz gen Mutter, Mutter!
Sie prüfen den Stammbaum jetzt genau, Und meiner, der war nicht rein
-
oh!"
,, Deiner Ahnen Blut ist adlig und blau, Edward, Edward!
1
Deiner Ahnen Blut ist adlig und blau, Waren Ritter und vornehme Herrn ,, Im Stammbaum ist eine jüdische Frau, Mutter, Mutter!
Im Stammbaum ist eine jüdische Frau, Die hat mir alles versaut oh!"
-
oh?"
oh!"
,, Deine Ahnfrau'n waren so blond von Haar, Edward, Edward!
-
Deine Ahnfrau'n waren so blond von Haar, Die können nicht Ursache sein oh!" ,, Der Urahn, der führte sie zum Altar, Mutter, Mutter!
Der Urahn, der führte sie zum Altar, Die Jüdin,- er brauchte ihr Geld oh!"
-
,, Doch was wird aus mir, der Mutter dein, Edward, Edward!
-
Doch was wird aus mir, der Mutter dein, oh?" Steh'n wir nicht im Gothaer mehr ..Mein grimmigster Fluch soll beschieden dir sein, Mutter, Mutter!
Mein grimmigster Fluch soll beschieden dir sein, Denn Deine Großmutter ist's oh!"
Jubiläum einer Dichterin
Mucki
Ricarda Huch , die in diesen Tagen siebzig Jahre alt wurde, hat an der Schwelle des biblischen Alters ein anderes Schicksal verdient, als ihren Lebensabend in Hitlerdeutschland zu verbringen. Sie ist eine große Dichterin und alles, was sie schafft, Lyrik, Epik und historische Monografien, trägt den Stempel des Echten, des Ehrlichen und des wirklich Geformten. Sie, die um acht Tage älter ist als ihr Landsmann Frank Wedekind , wurzelt mit ihrer ganzen reichen Dichtkunst in vergangenen Zeiten. Ihre Literaturgeschichte der Romantik, ihre Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, ihre mittelalterliche Chronik von Jakob Ursleu dem Jüngeren, ja sogar ihr Bekenntniswerk über Michael Bakunin und die Anarchie stehen im Zeichen einer Weltanschauung, die ebenso fern vom sozialistischen und rassischen wie vom gesellschaftskritischen, etwa eines Wedekind, ist. Ricarda Huch ist eine Dichterin der Klassik. Sie ist aus dem Stamme Goethes, aus einem Herrscherhause, das in Deutschland längst erloschen ist. Ein Land, das die Frau in die Küche und ins Wochenbett verbannt, hat für die Dichterin noch weniger übrig als für einen Dichter( falls einer hinter den braunen Grenzpfählen überhaupt existieren könnte). Nur mit einer übermenschlichen Selbstdisziplin ausgerüstet, vermag ein so ursprünglicher und schöpferischer Mensch wie die Huch in Hitlerindien zu vegitieren. Denn daß sie nichts dort schaffen kann, beweist ihr zweijähriges Schweigen. Wir können nur mit der gesamten Kulturwelt hoffen, daß die verehrte Jubilarin ihre
Sprache und ihr Werk in einem für Dichter günstigeren
Klima bald wieder findet.
F. G.
Als die Forsyte- Saga, das Hauptwerk John Galsworthys, in ungarischer Sprache herausgegeben wurde, erklärte der englische Dichter, daß er auf alle seine Einnahmen aus der ungarischen Ausgabe seines Werkes zugunsten der Armen und Bedürftigen verzichte. Jetzt wird aus Budapest mitgeteilt, daß bisher 23 142 Menschen aus dieser Stiftung eine Unterstützung erhalten konnten. Es ist ein wahrhaft schönes Denkmal, das sich da der nun schon tote Dichter selbst gesetzt hat.
Ein Hunde- Buch von Kipling
Rudyard Kipling , der große englische Dichter, kündigt für den kommenden Herbst ein neues Buch an, das bei Mac Millan in London erscheinen wird. Dieses ganze Buch wird seinen vierbeinigen Freunden, den Hunden, gewidmet sein. Einige der darin enthaltenen Erzählungen, wie ,, Dinah im Himmel" und ,, Dein Diener ein Hund" sind bereits in englischen Magazinen erschienen, aber eine dieser Erzählungen ,, Der Meerhund" ist bisher unveröffentlicht.
Autarkie auch in der Schönheitspflege
Damit die Deutschen auf die Anwendung der meist fre den Toilettenmittel, Seifen, Cremen und dergleichen verzichten, stellt ein gleichgeschaltetes Blatt unter dem Titel„ Küchenreste für den Toilettentisch" eine Liste von Lebensmitteln zusammen, die als Toilettenmittel- Ersatz verwendet werden können; z. B. Tomatenschalen, Gurken- und Kartoffelscheiben, Milchreste, Petersilie, hartes Brot usw. Benützt auch Frau Goebbels diese Schönheitsmittel, die die Propaganda ihres Gatten den deutschen Frauen empfiehlt? Ein Braunbuch für den tausendsten Besucher
Die Ausstellung ,, Deutschland nach dem 30. Juni" in den Räumen der Deutschen Freiheitsbibliothek Paris, 65, Boulevard Arago, zählte bis Freitag abend 887 Besucher. Der tausendste Besucher erhält ein Braunbuch II ,, Dimitroff kontra Göring " in deutsch oder französisch zum Geschenk,