Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

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Dienstag, den 14. August 1934

Sentenzen

Der deutsche   Richter von morgen von Felix Burger Nationalsozialismus

' Als wir im Examen saßen Und studierten Tag und Nacht, Welch ein Schrecken, als wir lasen, Was Herr Kerrl   sich ausgedacht. Der Justizminister spricht: Wie bisher, so geht das nicht. Wer in Jüterbog   nicht war. Ist kein richt'ger Refrendar.

Das singen die Referendare, die kurz vor ihrer Abschluß­prüfung in ein Gemeinschaftslager gehen müssen, um, wie es heißt, die Richtigkeit des Sates im heutigen Deutschland   zu lernen: ,, Wichtiger als die Gesetze, wichtiger erst recht als der Verwaltungsmechanismus sind also die Männer, die Diener am Recht und Kämpfer um das Recht werden sollen." Daher heißt es also, diesem Wehrnachwuchs, den der Staat in die Hand bekommt, zu zeigen, daß es zu­erst auf den Geländesport, auf das Schießen ankommt und wie der 30. Juni gelehrt hat wirklich nicht auf die Gesetze.

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Diese These der Brutalität verkitscht man mit ein wenig deutscher   Romantik, wie es in dem von Staatssekretär Freisler   herausgegebenen Buch ,, Gemeinschafts­lager Hanns Kerrl  " erfolgt ist. Das muß man gelesen haben. Es handelt sich selbstverständlich um eine rein mili­tärische Einrichtung. Von 43 Referendaren, die als erste Gruppe ins Lager Jüterbog   kommen, sind es jetzt ständig 500 geworden. Alle sechs Wochen ist Schichtwechsel. Das ergibt jährlich 4000 für den Offiziersdienst besonders vor­gebildete Leute. Und das ist das Ergebnis aus einem einzigen Lager, in anderen Landesteilen sind weitere ein­gerichtet. So werden Soldaten gemacht! Aber auch Regie­rungsbauführer und Vermessungsingenieure werden in dem Lager ausgebildet.

Der erste Grundsatz ist die körperliche Ertüchtigung ( Sport und Geländesport), erst dann folgt die geistige Weiterbildung. Das Leben im Lager," schreibt der Sturmbannführer Spieler ,,, muß sich in einfachem, ich möchte sagen,, altpreußischem Geist bewegen." Und die Ergänzung, wie es gemeint ist, gibt der Kommandant des Truppenübungsplatzes Jüterbog  , Oberst Moser, der in seinem Beitrag vieldeutig sagt:

,, Jüterbog   wird unbestreitbar durch die Wehrmacht, die infolge des Truppenübungsplatzes dort stark vertreten ist, der Stempel aufgedrückt."

Am Schluß fügt er augenzwinkernd hinzu:

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, Wenn auch die Referendare hier nicht im Waffen­handwerk ausgebildet werden, so lernen sie doch unter ihren Führern den Geist der freien, selbstlosen Kamerad­schaft kennen

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Darum geht auch alles ,, nach Soldatenart"( S. 15) dort zu, und der Kommandant ist ein früherer Offizier, der später als Rechtanwalt sich in den Bombenleger- Prozessen im Holsteinischen einen Namen gemacht hat und dadurch sich die notwendige Eignung als Führer des juristischen Nach­wuchses erwarb.

Was treiben nun unsere lieben Referendare, die später einmal Richter des ,, dritten Reiches" werden sollen, in Jüter­ bog  ? In dem Kapitel Der Tagesdienst" wird uns verraten: Es gibt zunächst den ,, Stellungsbefehl" zum Antritt der Lagerzeit.

,, Das Ganze hat einen stark militäri. schen Anstrich. Die alten millionenfach bewährten Methoden bester deutscher Soldatenart werden auch im Lager zur Erziehung und Prüfung des juristischen Nach­wuchses angewendet."

,, Um 6 Uhr im Sommer, um 6.30 Uhr im Winter be­ginnt normalerweise der Tag im Gemeinschaftslager mit dem Wecken. Es folgt der Frühsport, der in Gymnastik, Waldlauf oder derartigem besteht. Anschließend werden Stube und Hof in Ordnung gebracht, wobei u. a. jeder Referendar sein Bett nach alter militärischer Weise tadel­los selbst ,, bauen" muß.

Von 7.15 bis 8 Uhr ist Kaffeepause. Dann beginnt der zugweise verschiedene weitere Dienst des Tages, der normalerweise von 8 bis 12 Uhr aus Geländesport besteht. Von 12 bis 14 Uhr ist Mittagspause, anschließend bis 16 Uhr Vortrag oder Sport.

Es folgt dann von 16 bis 17 Uhr die Putz- und Flick­stunde, von 17 bis 18 Uhr ist Unterricht, und von 18 bis 20 Uhr wird eine Abendbrotpause eingelegt. Von 20 bis 20.30 Uhr werden häufig Volks- und Soldatenlieder geübt. Ab 22 Uhr herrscht Ruhe.

Die einzelnen Züge werden nach einem bestimmten

Peinliche Frager

Der Bankrott der Nazi- ,, Kunst"

Der westdeutsche Schriftsteller und Grafiker Raum ver­öffentlicht in der ,, Westfälischen Landeszeitung" unter der

Plan, der den Ausbildungsstoff über die sechs Wochen verteilt, ausgebildet. Aus dem Unterricht sei folgendes erwähnt:

1. Woche: Unterricht: a) Lager-, Stuben- und Spind­ordnung, b) Verhalten gegen Vorgesetzte, c) Theoreti­sches über Ordnungsübungen. Ausbildung: a) Ordnungs­übungen( Einzelausbildung), b) Ordnungsübungen in der Gruppe.

2. Woche: Unterricht: a) Schießlehre über das im Lager geübte Kleinkaliberschießen, b) Einführung in den Sand­kastenunterricht, c) Geländebeschreibung am Sandkasten, d) Kartenkunde. Ansbildung: im Gelände a) Geländebe­schreibung, b) Geländebeurteilung, e) Orientierung nach der Karte im Gelände, d) Entfernungsschätzen, e) Ziel­erkennen, f) Kleinkaliberschießausbildung.

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auch ihr Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden, Wahnsinn bricht an uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. Friedrich Nietzsche  ,

Also sprach Zarathustra  , 1. Teil, von der schenkenden Tugend, 2.

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und

Voll von feierlichen Possenreißern ist der Markt das Volk rühmt sich seiner großen Männer: das sind ihm die Herren der Stunde.

Friedrich Nietzsche  ,

Also sprach Zarathustra  , 1. Teil, von den Fliegen des Marktes.

Ach! Der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt, Und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen; An das Göttliche glauben

Die allein, die es selber sind.

Johann Christian Friedrich Hölderlin  , Gedichte Lebenswende, aus ,, Menschenbeifall", Verszeile 5-8.

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3. Woche: Unterricht: a) Meldungen und Skizzen( münd­lich und schriftlich), b) Verhalten vor, auf und nach dem Marsch, c) Verhalten beim Kleinkaliberschießen( Sicher­heitsbestimmungen), d) Planzeiger und Kompaß. Aus­bildung im Gelände: a) Meldungen und Skizzen, b) Be- ,, Deutsche Front" im Saargebiet wegen im Gelände, c) Kleinkaliberschießen  , d) Nacht­wanderung.

4. Woche: Unterricht: a) Aufgaben am Sandkasten, b) Kleinkaliberschieẞlehre. Ausbildung im Gelände: a) Marschübungen mit Sandsack, b) Kleinkaliberschießen, c) Zeltbau und Anlegen von Kochlöchern, d) Keulenwerfen. 5. Woche: Unterricht: a) Beginn der Lehrertätigkeit, Abhalten des Unterrichts durch Referendare, b) Wieder­holungen. Ausbildung im Gelände: a) Lehrertätigkeit, b) Nachtmarsch, c) Orientierung nach der Karte und den Gestirnen.

6. Woche: Unterricht: Gasschutz.

Das Lager untersteht bezüglich der geländesportlichen Ausbildung dem Chef des Ausbildungswesens der SA. Die Ausbildung geschieht nach dem von ihm herausgegebenen Lehrplan für die Grundbildung im Geländesport.

In der vorletzten Woche des Lageraufenthaltes werden die Lagerinsassen einer Leistungsprüfung im Sport ein­schließlich Kleinkaliberschießen, Gepäckmarsch und Keulenwerfen unterzogen. Ein oder zwei Tage vor Ab­gang jedes Zuges findet im Geländesport eine Schlußbe­sichtigung statt."

Versteht sich, daß bei dieser Art der Ausbildung für die juristischen Bücher kein Raum ist, die beim Eintreffen im Lager abgeliefert werden müssen.

So berichtet denn das Büchlein anschaulich von der Aus­bildungszeit der Referendare, macht uns mit der neu­deutschen Lyrik vertraut und zeigt, wie alter preußischer Kommißgeist wieder in den deutschen Gauen zu Hause ist. ,, Wir werden alle mal über die Hindernisbahn gejagt," schreibt so ein zukünftiger Richter. Kartenlesen, Exerzieren im Sturm, Entfernungsübungen sind alles wichtigere Requi­siten als das Gesetz, das man symbolisch an den Galgen ge­hängt hat. Die 120 Referendare, die zum Juristentag nach Leipzig   fuhren, durften in den Leipziger   Straßen zwar marschieren, aber zu den Vorträgen wurden sie nicht zu­gelassen.

Nicht weniger aufschlußreich über den Sinn des Refe­rendarlagers ist der Brief eines gewissen X. an seinen Führer B.:

,, Heute wünsche ich, durchgefallen zu sein, damit ich wieder ins Lager hätte kommen können. Tatsächlich, wenn ich heute unter kläglichen Bedingungen im Lager leben kann, ich ziehe das dem Hiersein ,, heftig" vor. Aber auch ohne die Erfüllung dieses Wunschtraums, diese sechs Wochen, die mit Deiner Person natürlich untrennbar ver­bunden sind, werden immer die beste Erinnerung sein. Und nun sieht es doch so aus, als ob ich pathetisch ge­worden sei. Wenn Du aber das, was ich Dir schrieb, richtig würdigen willst, dann bedenke noch, daß ich ein immerhin kräftiger und gesunder Mann nach 27 Jahren erstmalig mit diesem Lebensstil vertraut gemacht und daß diese Tatsache der freudigen Bejahung gefühlsmäßig und damit notwendig verbunden ich möchte fast sagen, durch

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meine physische Konstitution bedingt ist." Hitler   hat also noch viel zu tun. Wir wundern uns nicht, wenn in dem abgedruckten Tagesplan für das Geistige fast nichts enthalten ist. Aber immerhin ist in dem Tagesplan nach dem Kohlenempfang um 12.45 für den Zug G aufge­führt: Antreten zum Klausurenschreiben". Antreten zum Klausurenschreiben, antreten zum Richten, antreten zum Kopfabschlagen. Hier manifestiert sich der Ungeist des ,, dritten Reiches", aber es kommt der Tag.  --

licher Künstler und wirklicher Nationalsozialist, so ist ein von ihm gemalter Bauer oder Arbeiter nationalsozialistischer, als alle von anderen gemalten Führerköpfe, die ja auch zu­meist eher geschminkten Theaterprinzen ähneln..."

Ueberschrift ,, Wo steht das nationalsozialistische Schrifttum" Helden und Spießer

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einen Artikel, dem nur hinzugefügt zu werden braucht, daß die Zustände, die von Raum kritisiert werden, durch die Nationalsozialisten selbst verschuldet sind. Raum schreibt: " Wir brauchen uns nicht zu beklagen über Mangel an nationalsozialistischem Wortgut im Schrifttum des ver­gangenen Jahres... Ist dies nun ein erfreuliches Zeichen der Totalität unserer Weltanschauung? Ist dies ein Beweis, wie sehr sie sich über alle Lebensgebiete erstreckt?... Warum ist es trotz allem schönen Anschein nicht so? Warum machen alle diese Neuerscheinungen unter der Fahne des Hakenkreuzes den Nationalsozialisten mißmutig?... Es ist ja leider so, daß es zum Rüstzeug eines geschickten, durchtrainierten Literaten gehört, sich auf jeden Ton gleich umstimmen zu können, den das kaufende Publikum zu hören wünscht... Wen überzeugen die zahlreichen Bildnisse des Führers in den Bilderläden? Glaubt einer, die Maler seien alle Nationalsozialisten geworden, weil Gemälde mit nationalsozialistischen Führerköpfen mehr gefragt" sind als Fasanenstilleben und Nymphenreigen? Ist der Maler wirk­

Eigentlich wußten wir das alle schon. Aber immerhin hielt es Baurat Diplomingenieur Karl Schmitt   für erforder­lich, es in der deutschen Erziehungsakademie in München  der Welt kundzugeben. Er hielt im Auftrage des ,, Kampf­ bundes für deutsche Kultur  " einen Vortrag über Schöpfer­

tum und Rasse". Die ,, Münchener Neuesten Nachrichten", die über diesen Vortrag berichten, bestätigten, daß es sich bei diesem Vortrag wohl um das schwierigste Rasse­problem" handelt. Diplomingenieur Schmitt kam am Schluß seines beifällig aufgenommenen Vortrags" zu der hochinteressanten Feststellung, daß es progressive Rassen" des Abendlandes und ,, beharrende Rassen" Asiens   gibt, die zueinander im Gegensatz stehen. Ganz besonders begeistert waren die Münchener   Zuhörer, als der Vortragende den Beweis erbracht hatte, daß den progressiven Rassen" des Abendlandes der Heroismus schon im Blute liege, während dies bei den beharrenden Rassen" Asiens   nicht der Fall sei

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Ist denn das, was ihr durch dies Fenster von der Welt seht, so schön, daß ihr durchaus durch kein anderes Fenster mehr blicken wollt ja selbst Andere davon abzuhalten den Versucht macht? Friedrich Nietzsche  ,

Vermischte Meinungen und Sprüche, 359- Vor grauen Fensterscheiben.

Die menschliche Haut ist ein Boden, worauf Haare wachsen; mich wundert's, daß man noch kein Mittel aus­findig gemacht hat, ihn mit Wolle zu besäen, um die Leute zu scheren.

Georg Christoph Lichtenberg  Ausgewählte Schriften, Seite 190/191. Wo ein Stock ist, da ist des Sklaven Vaterland. Heinrich Heine  ,

Kleinere Invektiven, Unber den Denun zianten.

0, hätten wir nur Mut, zu walten Der Gaben, die das Glück beschert! Wer dürft uns hindern? wer uns halten?

Wer kümmern uns den eignen Herd? Wir leiden nach dem alten Rechte, Daẞ, wer sich selber macht zum Knechte, Nicht ist der goldnen Freiheit wert.

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Annette, Freiin von Droste- Hülshoff, Letzte Gaben, Gemüt und Leben, aus: ,, Auch ein Beruf", Verszeilen 22-28. Wir Deutschen   benutzen die Presse, um die Dummheit und das Pulver, um die Sklaverei zu verbreiten.

Ludwig Börne  

im Gespräch mit Heinrich Heine  .

Deutschland   ein Kulturstaat?

In civitate libera linguam mentemque liberas esse debere, In einem freien Staate müssten Zunge und Meinung frei sein. Kaiser Tiberius  ,

Total!

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überliefert von Suetonius  . Vitae XII impera­torum, liber tertius, Tiberius   Nero Cäsar, cap. XXVIII. Suetons Kaiserbiographien  , Tiberius   Nero Cäsar, 28.

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, Wir wollen den nordischen Geist, der die Kulturen des Altertums schuf und das nordische Gut wieder zur Geltung bringen. Unter schweren Bedingungen wurde dieses Blut in grauer Vorzeit gezüchtet... Viel ist im Lauf der Zeit gegen das Blut gesündigt worden, aber heute schreiten wir von der Entnordung zur Totalvernordung des Volkes."( Dr. Jers auf dem nationalsozialistischen Aerztekongreß in Dortmund  .) Totalverblödung wäre die treffende Formulierung!

Was ist Goethe?

Im ,, dritten Reiche" ist ein Buch erschienen:, Goethes Ab­stammung und Rassenmerkmale". Der Autor W. Rauschen­berger stellt fest:

,, Goethe ist das Produkt der Mischung von mindesten fünf großen, kulturell schöpferischen Rassen". Goethe das Produkt einer Mischung, einer arische Mischung natürlich. Damit ist sein Genie endlich unwiderleg. lich erklärt!

Einige Wochen, bevor Baurat Diplomingenieur Karl Schmitt   seine interessante Theorie bekanntgegeben hat, er­eignete sich ganz weit weg von München  , in den asiatischen Gewässern, ein Unglück. Ein japanischer Zerstörer stieß auf einen Felsen und sank. Etwa zehn Tage, nachdem der Diplomingenieur Schmitt seinen Vortrag hielt, wurde der japanische Zerstörer gehoben. Bei verschiedenen Mitglie­dern der Besatzung fand man Aufzeichnungen, die un­mittelbar vor dem Tode geschrieben wurden.

Der Matrose Iwao Hagiwara schrieb vor seinem Tode: Die Samuraien sterben als echte japanische Männer, alle freudig."

Der Matrose Heiji Inouye hinterließ folgende Aufzeich nung: Der Augenblick ist für mich gekommen, für die Nation zu sterben. Ich bete für das Wohl Japans  , nachdem ich mein Möglichstes getan habe."

Und der Matrose Chu Watanabey: Eineinhalb Stunden sind vergangen, nachdem wir gesunken sind. Wir sind alle guter Stimmung und ruhig. Kein Zeichen der Rettung ist zu bemerken. Wir sterben wie Männer."

Das waren die letzten Worte von Angehörigen einer Nation, der nach der Auffassung der nationalsozialistischen Wahrheitsverkünder der Heroismus im Blute nicht liegt.