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Nr. 189 2. Jahrgang

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Frethen

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 17. August 1934

Chefredakteur: M. Braun

Göcing wurde operiert

Seite 2

Reichsbankrotteur Schacht

Seite 2

Ein zensierter Aufcuf

Seite 3

Wie Hitlers Opfer sterben

Seite 4

Illegale Flugzettel

Seite 8

Im Zuge der Säuberungsaktion" buw paÖD

Zu Tode geprügelt und verbrannt

Das Schicksal des Oberprimaners und Hitlerjugendführers Lacmmermann Nachher der Kranz des obersten Gerichtsherrn"

Mehr als 500

Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein neuer Name die Totenliste der ,, Säuberungsaftion" des 30. Juni verlängert. Gerade in jüngster Zeit wurden der " Deutschen Freiheit" wieder Personen genannt, die längst verbrannt und verscharrt worden seien, ohne daß die Deffent­lichkeit etwas davon erfuhr. Wir zählen sie noch einmal auf: Schrammüller, Engels, Breslau   und Engel, Stettin  ; der Breslauer SS.  - Führer Weiersch; der österreichische SA.- Führer Geister; die SA.- Führer Fiedler, Schwarz, Markus; der Stahlhelmführer Pasinsti und ein Mitarbeiter Boses, Keppler. Weiter werden als ermordet gemeldet: Oberst von Marlow  , ein Freund des Generals von Bredow; Friedrich Weber  , der Führer des Bundes Oberland; Obwurzer, der als Verbindungsmann zwischen Gregor Straßer   und Schleicher genannt wurde und im Kolumbiahaus das Büro einer wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP.

der Hitlerjugend im Stabe der Obergebietsführung Mitte. Er war beschuldigt, zugunsten von Röhm oder Anhänger von Röhm Kurierdienste geleistet zu haben.

Nach dem Kabinettsgesetz vom 3. Juli 1934 sind die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen als Staatsnotwehr rechten 8" erklärt worden. Es war somit auch der Mord an Laemmermann   für rechtens er= klärt worden.

Die Mutter hat sich aber nicht beruhigt. Es ist ihr auch gelungen, den Nachweis zu erbringen, daß ihr Sohn, der aus Staatsnotwehr rechtens" Erschossene, in Wirklichkeit unschuldig" gewesen ist. Darum hat ste in der Nr. 180 des Vogtländischen Anzeigers und Tageblattes", dem Amtsblatt der Polizeidirettion Plauen und des Stadt= rates zu Plauen  , vom 5. August 1934, auf Seite 12 obige Anzeige einrücken lassen.

leitete; Hauptmann Fischer von der Berliner   Gestapo  , Abreibung" mit Todeserfolg

der zum Kreise des erschossenen von Kessel gehörte, Klaus Heim, der holsteinische Bauernführer; Dr. Heimsoth, der Empfänger der Briefe Röhms aus Bolivien  , die von Dr. Kloz veröffentlicht wurden. Verschwunden seit dem 30. Juni ist der frühere Staatssekretär von Rohr, der Mitarbeiter Hugenbergs im Wirtschaftsministerium. Bisher haben wir weder eine hitleramtliche Bestätigung oder ein Dementi erhalten. Aus naheliegenden Gründen. Jede Bestätigung bedeutet eine Vermehrung der amtlich zuge­gebenen Zahl von 77 Opfern. Jedes Dementi fordert die Frage heraus, wer denn eigentlich noch lebe und wer zu den Toten gehöre. Vor solchen Fragen haben die Führer" ehrliche Angst. Immer glaubhafter wird die private Schäzung, daß die Zahl der Ermordeten mehr als 500 betrage.

Aber es scheint, daß auch diese Summe mit der Wirklich­feit nicht übereinstimmt. Sonst wäre es nicht möglich, daß wir aus entfernter liegenden, der Weltöffentlichkeit schwie­riger zugänglichen Gegenden nahezu täglich Beweise mit allen erforderlichen Unterlagen über die Opfer grauenhafter Morde erhalten.

Statt besonderer Anzeige

Ich erfülle die traurige Pflicht, den Tod meines einzigen Sohnes

Karl Laemmermann  ,

Unterbannführer in der Hitlerjugend  , im Stabe der Obergebietsführung Mitte, bekanntzugeben.

Er starb schuldlos und aufrecht. Gern gab er sein Leben für das Vaterland und die Bewegung, seinem Führer getreu bis zum Tode. Plaueni. V., den 4. August 1934. z. Zt. Bahnhofstr. 12.

Gerda verw. Laemmermann zugleich im Namen der sonstigen Hinterbliebenen. Die Beisetzung findet Mittwoch, 8. August, nach­mittags 3 Uhr, Hauptfriedhof Reusa, statt. Zuge­dachte Blumenspenden werden nach dem Haupt­friedhof erbeten.- Von Beileidsbesuchen bitte ich abzusehen.

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Karl Laemmermann  

Am Mittwoch erreichte uns folgender Brief:

Am 30. Juni 1934 wurde im Zuge der notwendig ge­wordenen Säuberungsaktion" der 19jährige Ober­primaner am Realgymnasium in Plauen  i. V., Karl Laemmermann  , das einzige Kind einer Mitwe. erichossen. Laemmermann war Unterbannführer in

Woher nahm die Mutter Lämmermanns aber den Mut, durch eine solche Todesanzeige die braunen Autoritäten Sachsens   herauszufordern? Was war geschehen? Unter welchen Umständen war ihr Sohn er­mordet worden? Dem an uns gerichteten Briefe waren nähere Darstellungen beigegeben worden, die folgendes Bild ergeben:

Der junge Unterbannführer in der Hitler- Jugend   war seit langem mit der Kassenführung in seiner Abtei­Iung höchst unzufrieden. Einige Tage vor dem 30. Juni wagte er es, den für die Kassenführung verantwortlichen

Hitler  - Jugendführer um Auskunft zu bitten. Von diesem

Tage an sann der Führer auf Rache. Da kam der 30. Juni; es begannen die Tage des großen Mordens, der Bespitelung und der Denunziationen. Jetzt war die Stunde für den bewußten Führer gekommen. Er verbreitete das Gerücht, daß Laemmermann Beziehungen zur Röhm- Gruppe unterhalte und auf dem Wege über die nahe Tschechoslowakei   in enger Verbindung zu ihrer Mün­ chener   Zentrale stehe. Der Kassenführer alarmierte eine Anzahl seiner Getreuen, daß sie Laemmermann eine träf­tige Abreibung" besorgen sollten. Das verstanden fie so, wie es in jenen Tagen, in denen die braune Mordbestie raste, von allzuvielen verstanden wurde: fie prügelten ihren Kameraden und unterbannführer Lämmermann zu Tode. Seine Angehörigen durften seine Leiche nicht sehen, so entsetzlich war sie zugerichtet. Daraufhin fam die Parole von höherer Stelle, die sich schon bei vielen Gelegenheiten bewährt hatte, daß der Gemordete heimlich verbrannt werden müßte. Und es geschah...

und habe gern fromme Diener'

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Wäre es ein einfacher Proletarierjunge gewesen: die Sache wäre schnell vergessen worden. Karl Lämmermann  aber war der Sohn eines Fliegeroffizier 3, der im Kriege gefallen war. Dadurch gelang es der Mutter, einfluß­reiche Kreise auszubieten. So wurde ihr Junge rehabili­

tiert".

Es gab eine Beisetzung( der Urne des Ermorde­ten), wie sie Plauen   noch nie erlebt hat. Die Lehrer und die Schüler des Realgymnasiums durften öffentlich dem ermordeten Primaner einen feierlichen Nach­ruf widmen. Die Beisetzung selbst wird im Vogtländischen Anzeiger und Tageblatt"( Nr. 184, 10. August 1934) fol­r. 184, 10. gendermaßen geschildert:

Am Mittwochnachmittag fand im Krematorium die Beisehungsfeierlichkeit für den Unterbannführer in der Hitlerjugend im Stabe der Obergebietsführung Mitte, Karl Laemmermann  , unter außerordentlich starker Beteilt­guno statt. Die Rahl der Leidtragenden war so groß daß der zur Verfügung stehende Raum nur einen fleinen Teil der Erschienenen aufnehmen konnte. Die sterblichen Ueberreste von Karl Laemmermann   waren umgeben von Fahnentuch des neuen Reiches und kostbaren Blumen- und Kranzspenden. Links und rechts hatten Abordnungen der Hitlerjugend und des BdM. aus Plauen   und dem Gebiete des Oberbannes Südwestfachsen mit ihren Fahnen und Wimpeln Aufstellung

genommen. Weiter bemerkte man die umflorte Fahne des Realgymnasiums, dessen Schüler der Heimgegangene war. Weihevolles Harmoniumspiel leitete über zu dem Liede: Sei getreu bis in den Tod", gesungen von Chorsänger Rein­hard Wunderlich. Pfarrer Klemm legte seiner herzandrin­genden Rede das Wort aus der Heiligen Schrift, Offen­barung 2, Vers 10: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des ewigen Lebens geben" zugrunde. Nachdem der Geistliche seinem Empfinden über den tiefen Schmerz der Mutter Ausdruck verliehen hatte, gedachte er in eindring­lichen Worten der Tätigkeit des Verstorbenen bei der HJ. wie dessen aufrichtiger Treue und Gesin= nung zur Bewegung, und spendete den Hinterbliebenen den Trost der Kirche. Die Trauerrede endigte mit dem Lied­vers: A ch bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ".

Nach dem Gebet des Geistlichen legte Kreisleiter Hitler  auftragsgemäß einen großen Lorbeerkranz des Führers mit Schleife nieder, die das Haken­freuz und den Namen Adolf Hitler   frug. Wei­tere Kränze wurden unter ehrenden Ansprachen niedergelegt vom Konrektor des Realgymnasiums, Segnis, von dem Primus omnium Eberhard Groß, von Herbert Haueis im Auftrage der Aktivitas des Musikverbandes des Real­gymnasiums, von Günther Blum als dem fommissarischen Führer der Hitlerjugend   in Sachsen   und Vertreter der Reichsjugendführung im Namen des Reichsfugendführers Baldur v. Schirach und von Bannführer Schwuchow, dem Führer des Oberbannes 4/16, im Auftrage des Ober­bannes Südwestsachsen. Schließlich legten noch verschiedene Abordnungen der Hitlerjugend   Kränze mit Schleifen nieder. Fortsetzung fiehe 2. Seite.

Stimme aus Walhall  

Dar fragwürdige Hindenburg  - Testament

Vor einer Woche hat der Führer des Reichs und des Volkes seinem Vorgänger Hindenburg   befohlen, einzu­treten in Walhall  . Er hat ihm nur wenige Tage Ruhe gelassen. Schon muß Hindenburg   in der großen Propagandaaktion für die Volksabstimmung am 19. August aufmarschieren. Selbstverständlich stimmt er mit Ja. Er tut es, indem er mit etlicher Verspätung sein Testament in die treuen Hände des Reichskanzlers legt.

Dieses Testament hat es an sich. Es war bekannt, daß der alte Herr einen letzten Willen hinterlassen hat. Das Dokument sollte unmittelbar nach seinem Tode dem deutschen   Volke bekannt gemacht werden. Das geschah aber nicht. Statt dessen schwirrten Gerüchte durchs Land, daß Hindenburgs Testament nicht zu finden sei. Glück licherweise ist es inzwischen irgendwo entdeckt worden. Und nun sollen wir glauben, daß uns Hindenburgs echtes und unverändertes Testament vorgelegt wird.

Es wäre zweckmäßig gewesen, böswilligen Zweiflern gleich dadurch zu begegnen, daß man die Urkunde im Faksimile veröffentlicht hätte. Aber vielleicht würde das nicht überzeugend wirken, wenn etwa das Testament nur in Schreibmaschinenschrift vorhanden ist und nur Hinden­burgs Unterschrift drunter steht, die man natürlich unter jedes beliebige Schriftstück gesetzt haben könnte. Wie soll man Respekt gegenüber diesem angeblichen letzten Willen Hindenburgs haben, wenn man weiß, daß nicht einmal sein und seiner Familie Wunsch erfüllt worden ist, den Leichnam des Alten im Park seines Gutsbesiges zu be= graben. Sogar Wilhelm II.  , der wirklich nicht mit einem Uebermaß von Pietät gesegnet war, hat seines Todfeindes Bismarck   letzten Wunsch geachtet und ihm das friedliche Grab im Sachsenwalde gegönnt.

Für Adolf Hitler   ist der Hindenburg   in Walhall  , ist der Leichnam des toten Feldmarschalls nur ein Propaganda­stück der nationalsozialistischen Agitation. Nichts anderes war der Akt am Tannenbergdenkmal   und nichts anderes ist Hindenburgs angebliches Testament. Wie könnte man sonst auf den Gedanken kommen, dieses Schriftstück drei Tage vor einer Parteiabstimmung zu reinen Parteis zwecken auszubeuten!

Immerhin: die kritische Betrachtung des sogenannten Testaments läßt selbst in der veröffentlichten Fassung