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Fretheil

Nr. 1912. Jahrgang

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

INSERATEN ANNAHME für Frankreich  ( ausschließlich Elsaß- Lothringen  ): Publicité Megl, Paris  ( 3e) 51, rue de Turbigo( Ecke rue Réaumur Metro: Arts- et- Métiers). Telephon: Archives 84-95, 84-96. 84-97 Saarbrücken  - Paris  , Sonntag Montag, 18. 19. Aug. 1934 Chefredakteur: M. Braun

Nein!

Unser Ja für ein sozialistisches Deutschland  

Unser großer Renommierfritze"

Das Wort stammt nicht von uns. So pflegte der Stabs­chef Ernst Röhm   seinen Osaf zu nennen, und was immer man Hitlers langjährigem nächsten Freunde vorwerfen mag: er hat seinen Intimus gekannt.

Der Empfang in Hamburg   und Hitlers   Rede im Rat­hause der alten Hansestadt waren ein einziger Renommier rummel. Die Presseberichte lassen sich nur mit den Schil derungen über die Lohengrinfahrten Wilhelm II.   durch fein Reich vergleichen. Ein Volk Ein Reich- Ein Gott". Alle Zwietracht ist unter Ehrenpforten, Fahnen­meeren und Bolksjubel ausgelöscht. Ununterbrochen sind herrliche Zeiten, und zerschmettert liegen alle Reichsfeinde.

Nur ein Unterschied besteht: in jenen wilhelminischen Zeiten durfte eine nüchtern gebliebene Opposition die ekstatischen Zeitungsberichte auf ihren bescheidenen Wahr­heitsgehalt zurückführen. Jetzt ist das innerhalb der Grenzen des Reichs unmöglich. Die ganze deutsche Presse sucht den Anschein zu erwecken, als seien Hamburg   und die Hamburger in Hitlerdelirien verrückt geworden.

Nun: diese Republik hat immerhin im Jahre 1918 das Reich, das durch die Niederlage der Monarchie in Auf­lösung begriffen war, gerettet. Sie hat ihre Grenzen wieder befestigt. Sie hat die besetzten Gebiete 5 Jahre vor dem festgelegten Termin befreit. Sie hat die Reparationen gesenkt und bis zum tatsächlichen Ende gebracht. Sie hat die Fesseln des Vertrags von Versailles   gelockert. Sie hat das geächtete Deutschland   in den Völkerbund geführt, fie hat Deutschland   aus der Isolierung in die Völkergemeins schaft zurückgebracht, sie war der vollen Gleichberechtigung im Rate der Völker nahe. Diese Republik   hatte wirtschaft= lich eine im Jahre 1918 von niemanden erträumte Höhe erreicht. Einen Außenhandel von 14 Milliarden. Reichs= bankgoldbestände von mehreren Milliarden. Trotz Inflation wachsenden Wohlstand. Ein vorbildliches Erziehungs- und Wohnungswesen. Ein Arbeitertum mit den höchsten Löhnen Europas   und dazu der besten Sozialpolitik der Welt.

Was hat Hitler dem entgegenzustellen? Die Verwüstung der deutschen   Wirtschaft, den Ruin des deutschen   Wohlstandes, kulturellen Niedergang, das Mißtrauen und das Uebelwollen der Welt, den Verlust der fremden Märkte, vollendete Isolie= rung Deutschland, Preisgabe der nationalen Ziele gegenüber Polen   und für den Anschluß Deutsch  - Desterreichs. Zersetzung und Zerklüftung im ganzen Reiche. Abgründe, die nur für ganz unkritische Menschen durch buntbemalte Propaganda­Tulissen verdeckt werden können.

Von der parlamentarischen Demokratie wagt dieser Echwätzer zu sagen, daß sie jede Persönlichkeit töte, jede Initiative ersticke, jede Leistung lähme. Er sagt es angesichts der Tatsache, daß demokratische Länder wie die Schweiz  , Frankreich  , England, die nordischen Staaten turmhoch über dem dritten Reiche" stehen. Er redet diesen Unsinn daher, obwohl alle Welt weiß, daß im Weltkriege die diktatorisch

Daß dem nicht so ist, weiß aber alle Welt. Jn Hamburg gibt es viele Leute, die zu rechnen und zu urteilen ver­stehen. Keine Stadt ist durch die dumme Autarkiepolitik des dritten Reichs", die man nun gerne verlassen möchte, so heruntergewirtschaftet und verödet wie Hamburg   und sein Hafen. In keiner deutschen   Großstadt, Berlin   viel­leicht ausgenommen, ist noch mehr Not. Gerade darum hat der Führer" wohl aus Hamburg   seine Rede an die deutsche Nation gehalten. Und was brachte sie? Wirklich und wahrhaftig nichts! Rein nichts außer der abgeleierten Melodie über die fünfzehn Jahre und die politischen Par­teien von einst. Nicht die Spur eines konstruktiven Ge­dankens, nicht die Andeutung eines Planes, nicht den Schatten einer Linie für die Reichspolitik wußte der Mann aufzuzeigen, der im Begriffe steht das Ja des deutschen   Volkes mit allen Gewaltmitteln des staatlichen Gewaltapparates für eine Machtfülle zu erpressen, wie sie Mensch, der in anderthalb Jahren die ganze Kulturwelt

nie ein Monarch, und nie ein Diktator in der neueren Geschichte für sich in Anspruch genommen hat. Und was ist er?

Ein Propagandist, ein Demagoge, ein Renommier frize" für sich selbst. Sonst nichts.

Adolf Légalité

Adolf Hitler   will, wie seine Hamburger Rede hervorhebt, durchaus legal die Aemter des Reichspräsidenten   und des Reichskanzlers in sich vereinen. Legal war immer das Schlagwort der Nationalsozialisten, wenn sie durch tausend­fache Verbrechen ihre Gegner zu erledigen trachten. Adolf Légalité. In seinem Munde ist die Legalität eine Lüge. Er ist durch politische und militärische Schiebungen mit einer schon zerfetzten und zerstörten Reichsverfassung Reichs­kanzler geworden. Von der ersten Stunde an hat er sein Amt zu Verfassungs- und Gesetzesbrüchen mißbraucht. Die Reichstagsbrandstiftung, die außer ihm niemand mehr den Stommunisten zuschiebt, war das Fanal für Reichstags­wahlen, die nur durch verfassungswidriges Niederknüppeln der Opposition eine knappe nationalistische Mehrheit, keine verfassungsändernde Mehrheit brachten. Nicht ein ein= ziges Gesetz in Hitlers   Amtszeit ist legal zustande gekommen. Wir verstehen gut, daß er die Legalität für sich in Anspruch nehmen möchte. Nie werden wir sie ihm zugestehen. Er steht außerhalb der gültigen deutschen   Gesetze. Auch seine Drohungen und Fälschungen sich vollziehende Volksabstim­mung wird ihm keine Rechtmäßigkeit gewähren. Die wahre und ehrliche Volksentscheidung steht noch aus. An dem Tag, an dem sie sich vollzieht, wird Hitler   mit seinen Banden vernichtet werden.

unter

Mit welch elenden Mitteln arbeitet der deutsche   Reichs­fanzler. Er redet von 46 Parteien in der Republik   von Weimar  . Daß davon nur 40 im Reichsparlament vertreten waren, verschweigt er. Dieser Mann, der außer der Zer­schlagung des demokratischen Staatswesens auch in dieser Rede feine Leistung aufweisen kann, wirft der demokratischen Republik   vor: Unzulänglichkeit, Halbheit, Schwäche, Feig­beit."

absolutistischen Staaten zusammengebrochen sind und die demokratischen Länder politisch gesiegt haben. Er leistet sich

die Behauptung, daß das demokratische Deutschland   die Achtung in der Welt verloren gehabt habe. Das sagt dieser

dahin gebracht hat, einen eisigen Wall allgemeiner Ver­achtung rund um Deutschland   zu legen.

Jetzt bittet er um mildernde Umstände, um Nachsicht, um Geduld für sich. Jahrzehnte, hunderte, tausend Jahre werde der Nationalsozialismus brauchen, bis er seine Ziele erreicht habe. Er verweist auf die tausendjährigen Kirchen und ihre Unvollkommenheiten. Das ist derselbe Schreier, der dieser Republik von Weimar   am Ende des größten militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruchs in Deutsch­ land   nicht Jahre zum Wiederaufbau gönnen wollte und alle ihre Leistungen mit giftigen Verleumdungen herunter­gerissen hat. Kritik läßt er in seinem Reiche nicht zu. Er brüllt es zornig. Kritisieren sei kein Beruf.

Das sagt der Hetzer aus fünfzehn Jahren, der in dieser langen Agitationsperiode die Presse- und Redefreiheit mißbraucht hat zu maßlosen kritischen Ueberspizungen und Uebertreibungen gegen die Staatsmänner, die an schwer­fter Arbeit standen. Er selbst will keine Kritik hören. In grober, bewußter Unwahrheit behauptet er nun. daß er stets positive Hinweise gegeben habe, wie es besser gemacht werden könnte. Wo denn? Nirgends. Sein Programm war und ist nichts wert. Er beweist es selbst. In den andert­halb Jahren unumschränkter Herrschaft ha ben Hitler und seine Trabanten nicht einen einzigen Punkt dieses Programms in die Wirklichkeit umzusetzen versucht. Gerade darum ist ja die Enttäuschung in den Schichten, die einmal Säulen der nationalsozialistischen Bewegung waren, so groß: im Mittelstand und bei den Bauern.

Einen Monat freier Rede, freier Presse, freier Versamm lungen, einen Tag freier Aufmärsche und freier Wahl in Deutschland   und schon jetzt wäre Hitler gerichtet und er ledigt für immer.

Davor hat er Angst. Darum die wilden Drohungen in dieser Rede, die man auf eine Formel bringen kann: Wer nicht gehorcht, wird erschossen!" Diese emig grölende Energie von dem zu Boden Zwingen, von dem Zer­schlagen, von dem Zerschmettern seiner Gegner! Genau so trieb es auch Wilhelm II.  , der noch am Tage des Kriegs­ausbruchs vom Balkon seines Schlosses redete wie ein

Strolch: Nun wollen wir sie dreschen!" Sein Ende ist be= Fortsetzung fiebe 2. Sette.

Edition de Paris faut et pariser Ausgabe

,, Friedenskanzler"

und Waffencuhm

Seite 2

Volksabstimmung 1851

Seite 3

,, Deutsche Front" in not

Seite 3

Frankreich   und die Hitlercede

Seite 4

Geschichte des östereichischen

naziputsches

Seite 7

WIR ADOLF  ...

Die deutsche   Majestät tut beleidigt

Auf groben Klotz ein grober Keil, auf einen Schelmen anderthalben! Goethe.

Die Regierungskommission an der Saar   hat ein ebenso grobes wie merkwürdiges Schriftstück erhalten: eine Ver= balnote der deutschen   Reichsregierung. Im Befehlstone wird die Regierungskommiffion gerüffelt, weil sie angeblich zuge laffen hat, daß einige im Saargebiet erscheinende Zeitungen Deutschland   und seine führenden Männer in der denkbar niedrigsten Weise beschimpfen und verleumden".

Wir wissen nicht, ob die Regierungskommiffion fich die Mühe machen wird, der deutschen   Reichsregierung eine Sammlung der Verunglimpfungen zu überreichen, die in zahllosen deutschen   Zeitungen gegen die Regierungskom= mission, also gegen die führenden Männer des Saargebietes täglich gerichtet werden. Jedermann weiß, daß bei der Totalität der staatlichen Pressebeeinflussung im dritten Reich" diese Pöbeleien gegen die saarländische Regierungs­tommission nur mit Wissen und unter Billigung der Reichs= regierung dauernd wiederholt werden dürfen.

Ob die deutsche   Protestnote, die nur ein Angstruf gegen die freie Pressefritit im Saargebiet ist, auch gegen uns fich richtet, bleibt ungewiß. Der deutsche diplomatische Schritt gibt uns aber willkommene Gelegenheit, klar und deutlich einige Feststellungen zu treffen.

In der Deutschen Freiheit" hat nie ein Wort gegen Deutschland   gestanden und wird nie ein Wort gegen die deutsche Nation ge= schrieben werden.

Wenn freie Zeitungen an der Saar   sogenannte Führer des dritten Reiches" angreifen, so können sie auch bei der schärfften Sprache unmöglich den Schimpf überboten haben, den der deutsche Reichskanzler selbst seines Reiches führen= den Männern in der denkbar niedrigsten Weise" in die Gräber nachgebrüllt hat. Er hat in amtlichen Kundgebungen am 30. Juni seine ältesten Kameraden, seine bis dahin aller­nächsten Freunde, hochgefeierte Führer des dritten Reichs" beschimpft als: Sittlichkeitsverbrecher, Knabenschänder, Päderaften, Säufer, Meineidige, Spizbuben, Defraudanten, Boltsbetrüger, Freffer und Schlemmer, frankhafte Lügner, Verschworene Cliquen, Poftenjäger, Feiglinge, Lügner, Pathologische Ehrgeizlinge, Landesverräter, Erpresser, Ter=

roristen, Mörder.

Wir sind nicht verpflichtet, die führenden Männer" des ,, dritten Reichs" günstiger zu beurteilen, als es der deutsche Staatschef selbst getan hat. Ebenso wenig sind wir gehalten, anzunehmen, daß das Blutfest des 30. Juni schon alle Halun= fen der NSDAP.  , der SS. und der SA.   in Asche verwandelt hat. Wir glauben vielmehr, daß die größten Verbrecher noch leben. Mit Genugtuung nehmen wir zur Kenntnis, daß die Reichsregierung unter Berufung auf den Vertrag von Ver: sailles betont: das Saargebiet ist deutsches Land und seine Bewohner sind Deutsch   e. Das ist so und bleibt so. Weil dem so ist, können die aus den Kerkern des dritten Reichs" in das Saargebiet entronnenen Deutschen unmög= lich Emigranten" sein, wie der deutsche   Reichskanzler und leider nicht nur er oft genug durchaus undeutsch erklärt hat. Wer sich als Deutscher im Saargebiet aufhält, ist in deutscher   Gemeinschaft auf deutschem Boden. Er hat nur den Borzug, unerreichbar zu sein für diejenigen, die aus dem deutschen   Rechtsstaat ein in der ganzen Welt mißachtetes Barbarentum gemacht haben.

Die Reichsregierung verlangt von den fremden Treus händern des Saargebietes Schutz für sich. Wir halten das für würdelos. Ein andres deutsches Wort liegt näher, aber wir müssen es vermeiden.

Wie aber benimmt sich die Reichsregierung, wie redet ihr Chef, der internationale diplomatische Immunität für sich beansprucht? Wie redet er von seinen Gegnern? Nur eine fleine Blütenlese aus dem Sprachschatz des deutschen  Reichskanzlers: Marristische Untermenschen, Narren, Wahn­sinnige, gekaufte Subjekte, feile Emigranten, kriminelle Ver­brecher, rotes Pack, bei Nacht und Nebel geflohene Schur= ken, landesverräterische Schufte.

Wir werden nicht um Schuh betteln. Weder bei fremden, noch bei deutschen   Behörden.

Wir erwarten von diesem Hitler keine Schonung und geben ihm keinen Pardon. Er oder wir. Kampf bis zur Verz nichtung. Das ist und bleibt die Losung.

Unsere reiche und schöne Muttersprache wird uns immer die geistigen Waffen geben, die den Gegner an seinen ver= wundbarsten Stellen treffen werden, auch wenn Zensur und Gerichte die Klingen stumpf zu machen versuchen.

Bergebens wollen sich der deutsche Reichskanzler und seine Minister hinter den Schuß der internationalen Diplos matie verkriechen. Wir werden die für ein Meer von Blut und Tränen, für Raub und Diebstahl an deutschem Volks= vermögen, für tieffte Schmach und Deutschlands   Unglüc Verantwortlichen immer wieder hervorzuholen wissen, nm sie der ganzen Kulturwelt so zu zeigen, wie sie sind. Freiheitt