Der Sulzbacher Freiheitstag

Die Parole des Status quo

Ein katholischer Priester spricht feierlich zu den Massen- Eine Kundgebung, wie sie in solcher Macht und Größe das Saargebiet noch nie erlebt hat

Sulzbach im Saargebiet. Es ist eine Ortschaft von etwa 20 000 Einwohnern, gebettet in hügeliges Gelände, umgeben von Zechen und Fördertürmen. Viele Bergarbeiter wohnen hier, die in den nahen Gruben arbeiten. Seit diesem Sonn­tag ist Sulzbach zum Symbol geworden. Auf einen Hügel dicht bei dem Ort zogen viele Zehntausende von Menschen, erfüllt von einem Gedanken, einem Willen, einem Glauben: Kampf gegen Hitler , der die Saar in sein drittes Reich " mit allem Terror und aller Menschenerniedrigung ein­beziehen will. Stundenlang kamen die Menschen in unend­lichen Schlangen hinauf zur Höhe. Niemals hat das Saar­gebiet eine Massenfundgebung von solcher Größe erlebt.

Freiheitsruf!

Im Augenblick des Beginns, nach 3 Uhr, zogen noch immer die Menschen hinauf zum Plaze. Sie sprengten das um­zogene Gebiet, drängten von allen Seiten heran und besetzten die Hügel. Arbeiter, Landleute, Angestellte, Handwerker, Gewerbetreibende Menschen aller Berufe, der ver­schiedensten politischen Haltung, aber geeint in der Liebe zur Freiheit, die sie ihrer Heimat erhalten wollen. Eine Gemein­schaft der Menschenrechte gegen Hitler , jedem Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis. 2005

So wichtig die Zahl im Abstimmungstampfe ist: noch wich tiger war das Gefühl, das diese Menschen zu einer Gemein­schaft zusammenris. Manchmal schien es, als seien sie an diesem Sonntag erlöst worden, erlöft aus der Vereinsamung und Vereinzelung in ihrer engeren Umgebung, befreit von Drud und Feme der Hakenkreuznachbarn, bestätigt durch den Glauben in ihrem Bekenntnis gegen die braune Diktatur.

heitsfront und zur Siegesschlacht vom 13. Januar fand be­geisterte Zustimmung. Freiheit, Freiheit, Freiheit!" Dann ertönte, vom Ansager Theo Maret vorgesprochen, der Schwur von der freien Saar

,, Wir schwören!"

Wir Saarländer

aus allen Gauen und Orten der Saar,

ohne Unterschied der Parteien und Konfessionen, einig im Kampf gegen den Todfeind des Volkes, schwören:

Nie wird die Saar an Hitler fallen!

Nie wird die braune Best unsere Heimat verwüsten! Nie sollen Hunger, Knechtschaft, Mord und Krieg, Rie Brand und Barbarei das Saarvolk geißeln! Wir wollen frei sein! Frei! Frei! Frei! Darum ein Wille, ein Kampf, ein Ziel: Am 13. Januar stimmt die Mehrheit des Saarvoltes gegen Hitler ! 203 Gegen den Anschluß ans dritte Reich"! Für das kommende befreite Deutschland ! lie land allur

Die heldenhaften Millionen des 19. August rufen uns! Wir werden uns ihrer würdig zeigen!

Unser Sieg ist ein Sieg des deutschen Volkes! Unsere Freiheit wird seine Freiheit werden! Unser Triumph wird der Anfang vom Ende des ,, dritten Reiches" sein!

Darum auf, Freiheitskämpfer der Saar , auf in die Schlacht!

Mit uns das Volf, mit uns der Sieg!

Wir gedenken noch der Arbeitersänger und ihrer ans gezeichneten Chorvorträge, des Ansagers Theo Maret und des Arbeiterdichters Erich Weinert , der zwei ungemein packende Gedichte sprach An die katholischen Kameraden" und Einheitsfront, wachse". Dann erbrausten Arbeiterlieder und immer wieder die Rufe des vereinten Kampfes.

Wir sahen als Teilnehmer der Kundgebung hohe Beamte der Regierungskommission und Mitglieder der Abstim­mungskommission. Sie hat ihnen ein Bild gegeben von der Größe und von der Macht derer, die an der Saar nie zu Hitler " wollen, um ihrer Freiheit willen. Es war ein Sturmang iff, der bedrückte Seelen erleichterte und den Kämpfenden um die Freiheit an der Sar Fahne und Waffen in die Hand gegeben hat.

Brauns Forderungen für den Status quo

Neben der politischen Wirkung der Rundgebung, die feiner Wie der erstrebte freie Saarstaat werden soll

verkleinern fann( auch nicht Herr Sinmon, der in Koblenz von 7000 Männlein und Weiblein zu reden wagte) ist diese psychologische Wirkung nicht hoch genug zu werten. Diese Menschen von Sulzbach haben wieder Mut gefaßt. Sie wissen jetzt, wieviele mit ihnen gehen, wenn es hart auf hart kommt. Die Redner

Die Kundgebung verlief in bewundernswürdiger Disziplin. mnsmitrdiger 2 Es war eine Freiheitsfront im höchsten Sinne: Freiheit und Ordnung. Wer wird sie je vergessen, die Beifallsrufe der Zehntausenden, die zu dem mächtigen Blätterdache über ihnen emporrauschten! Die Sonnenstrahlen, die durch die Baum= kronen drangen und helle Flecken auf die Kundgeber warfen! Zuerst sprach der Leiter der örtlichen Organisation, Kirn= Sulzbach, dessen Gedächtnisworte für die eingekerferten Antifaschisten von der Masse stehend und mit entblößten päuptern entgegengenommen wurden. Telegramme an Dr. Mierendorff, Thälmann , sowie an die Reichsregierung ge= langen unter stürmischem Beifall zur Verlesung.

Nach Kirn sprach der Kommunist Frizz Pfordt: Hitler muß und wird an der Saar geschlagen werden. Die blutige Hand des Mordfaschismus, die nach dem Saargebiet aus= gestreckt ist, wird am 13. Januar zurückgeschlagen werden." Pfordts Bekenntnis zum Status quo fand stürmischen widerhall. Unter lauten Rundgebungen bestätigte die Menge Sätze wie diese: Status quo, das ist der schwerste Schlag gegen Hitler , das ist die beste Hilfe für das unterdrückte, merktätige deutsche Volk. Damit schaffen wir die Vor= bedingungen zum Anschluß an ein freies Deutschland ."

Nach Pfordt sprach ein katholischer Geistlicher. Man sah ihn in der Ferne im feierlichen schwarzen Priester­rod. Er wurde mit einem gewaltigen Beifallssturm begrüßt und immer wieder wurden seine mutigen Worte von Zu­stimmungsrufen unterbrochen. Dabei machte dieser Geist­liche keine Konzession an seine Hörer Er sprach als ein Mann, der mitten in der Kirche steht, getrieben von seinem Gewiffen, unter dem Anruf des Glaubens, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit. Er sei, so sagte er, allerdings nur ein Rückenbüßer. An seiner Stelle müßten heute die führenden Kräfte seines Standes stehen. Er hoffe, daß seine Tat die un­heilvollen Bande brechen werde. Er dankte den Kommunisten und Sozialdemokraten dafür, daß sie sich der verfolgten katho= lischen Geistlichen im Reiche angenommen hätten, während sie von den Anhängern des dritten Reiches" in ihrer Not verlassen worden seien.

Dieser Priester sieht unter der braunen Diftatur das Glaubensgut, für das er fämpft, gefährdet. Er will die Freiheit der Saar , um es vor seinen Feinden zu schützen. Man kann sich vorstellen, daß die Rede des katholischen Geistlichen in ungeheurer Bewegung aufgenommen wurde.

In seiner Ansprache auf der großen Kundgebung in Sulzbach stellte Mar Braun die Forderungen für den erstrebten freien Saarstaat auf, der notwendig ist, solange Hitler Deutschland vergewaltigt. Er erflärte unter begeisterter Zustimmung der Hunderttausend:

Wir fordern:

1. Weitgehende Selbstbestimmung und Mitwirkung des Saarvolfes im Rahmen der vom Völs terbund garantierten Verfassung. Der Status quo ist also nicht die Verlängerung der Regierung des aufgeklärten Absolutismus durch eine ausländische Regierungsfommission im Auftrage des Völkerbundes.

2. Die Möglichkeit einer neuen Entscheidung über das Saargebiet bei veränderten allgemeinen und besonderen Interes Ablaß a bes Saaritatuts gemäß den allgemeinen und besonderen Interessen des Saargebietes festgelegt werden soll. sen. Festlegung dieser Möglichkeit in der endgültigen Verwaltungsordnung des Saargebietes, die nach§ 31 3. Angemessene Beteiligung des Saarstaates am Besitz der staatlichen Kohlengruben, Ablehnung aller Privatisierungs­tendenzen, aber Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft an der Verwaltung sämtlicher Betriebe des Saargebietes. Neu­ordnung einer organischen Gesamtkohlenwirtschaft der Saar unter Ausschaltung wucherischer Monopolgewinne bei der Strombelieferung und Aufhebung volksschädigender Verträge der Gemeinden mit Privatkapitalisten. Stellung der großen Eisens und Hüttenwerke unter staatliche Kontrolle.

4. Planwirtschaftliche Regelung und Sorge für eine gesunde wirtschaftliche Weiterentwicklung des Saargebietes; Sicher: stellung eines vergrößerten Absages der Saarproduktion, namentlich von Kohle und Eisen, durch handelspolitische Abmachungen; staatliche Absatzförderung.

* Planmäßige Hebung der Kauffraft der arbeitenden Masse durch Sicherung ausfömmlicher Mindestlöhne; Regelung von Arbeits- und Freizeit; bezahlten Urlaub für alle Arbeiter und Angestellten.

Volle staatliche Garantie für Renten und Pensionen unter restloser Aufrechterhal= tung aller Ansprüche an die bisherigen Versicherungsträger; Schuß gegen Infla tionsverluste durch einen Marksturz; Berteidigung aller jaarländischen Rechte auf

Reichsmartforderungen.

6. Garantie vollkommener Koalitionsfreiheit für alle Arbeiter und Angestellten; Anerkennung ihres Rechts auf Ver: teidigung ihrer Interessen mit allen gewerkschaftlichen Mitteln; Schutz der Gewerkschaften gegen jeden von außen tommenden Drud. Nichtanerkennung der gelben Gewerkschaften; auch der politisch getaruten. Modernes Tarif- und Schlichtungsrecht, Ausbau des gesamten sozialen Arbeitsrechts.

7. Aufnahme einer vom Völkerbund garantierten Anleihe. Produktive Maßnahmen zur Arbeits: beschaffung. Bereitstellung billiger Hypotheken und billigen Stredits für die kleinen und mittleren Betriebe in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe. Förderung der landwirtschaftlichen Produktion unter schärfter Ableh= nung des Erbhofgesetzes.

8. Gewährleistung unparteiischer Rechtsprechung ohne Benachteiligung der Rechtsuchenden aus politischen, gesellschaft­lichen oder weltanschaulichen Gründen. Gewährung einer umfassenden Amnestie. Schaffung von Arbeitsgerichten. Säuberung der Behörden, namentlich auch des Polizei- und Landjägerforps, von Beamten, die das Vertrauen der werktätigen Bevölkerung nicht gerechtfertigt haben. Schutz des Volkes vor ungerechten Richtern und Beamten. Großzügige Verwaltungsreform.

9. Modernisierung und Ausbau des saarländischen Bildungswesens einschließlich der wissenschaftlichen und künstleri: fchen Fortbildung; Förderung der Entwicklung des Saargebietes zu einem Hort und Mittelpunkt wahrer deutschen Geisteskultur; Schaffung einer Saarakademie.

10. Freiheit der politischen Gesinnung und Betätigung im Rahmen der Geseze, Verbot ieder Einwirkung von Arbeit: gebern auf die politische, religiöse und weltanschauliche Betätigung ihrer Arbeiter und Angestellten. Schutz der reli: giösen und weltanschaulichen Bekenntnisse vor politischer Vergewaltigung. Schutz der Gesinnungsfreiheit.

Gottlose" applaudierten dem Redner, als wäre ibre ent- Fritz Pfordt

täuschte Liebe zu ewig- göttlichen Dingen von diesem Priester geadelt worden. Obwohl der Geistliche lange sprach: man hätte ihn wohl gern noch länger gehört.

Nach ihm sprach Mar Braun, stürmisch umjubelt und begrüßt. Aber in dem Augenblick, an dem er beginnen wollte, fam es zu einem 3 wischenfall. Ein verheizter und ver­mutlich von Burschen der deutschen Front" gekaufter junger Mann warf eine Tränengas bombe. Wir berichten, über den Vorfall, der einige Augenblicke den geordneten Ver­lauf der Kundgebung aufhielt, an anderer Stelle. Braun und der Wall seiner Zuhörer fanden ihre Fassung sofort wieder. Schon die einleitenden Worte Brauns führten zu heiteren Bei­fallsstürmen: Ihr habt aus der Kundgebung, die als eine solche der 50 000 gedacht war, die Kundgebung der 100 000 ge= macht ohne Goebbelsgelder, ohne Freibillette, ohne Freiz quartier und ohne Eintpofgericht. Ihr kamt, weil Ihr eines Opfers fähig seid, weil Ihr Bekennermut habt; Ihr kamt, weil Ihr von jener deutschen Art seid, die eine Sache wirf­lich um ihrer selbst willen tun fann."

Mar Braun verkündete dann die Forderungen für den zu­fünftigen freien Saarstaat, die unsere Leser gleichfalls an anderer Stelle finden. Sie sollen nach Brauns Darlegungen, ein Stück Mindestprogramm sein, die Voraussetzung schaffen für den Kampf um die Freiheit der Saar , zur Niederwer­fung des Nationalsozialismus und zur Erringung eines freien Deutschlands im freien Europa . Brauns Parole vom Zusammenschluß aller Antihitlerianer der Saar zur Ein

Die Reden in Sulzbach

Wir wollen nicht, daß das Saargebiet in ein Konzentra­tionslager verwandelt wird.

Wir wollen nicht, daß man unsere Gewerkschaften zer­schlägt und die Gelder raubt.

Wir wollen nicht, daß unsere Jugend in Arbeitsdienst lager getrieben, brutal ausgebeutet, zu Tode gequält und zu Kanonenfutter erzogen wird.

Wir müssen Hitler den Weg zur Saar versperren. Wir

Arbeit in brüderlicher Einheitsfront ist und erhebt eure Arbeiterfäuste zum Schwur:

Nicht zu ruhen und zu raften, bis eine gewaltige Mehr: heit gegen den Anschluß an das dritte Reich", für den Status quo an der Saar steht.

Jeder Werftätige an der Saar muß begreifen, auch die Katholiken werden es, daß wir riesenstart sind, wenn wir uns alle vereinigen gegen unseren gemeinsamen faschistischen Todfeind.

wollen frei werden und keine Knechte bleiben. Freie Men Der katholische Priester

schen und keine Sklaven. Wir wollen uns nicht von Tyrannen und Verbrechern regieren lassen, wir wollen uns selbst regieren in einem freien Deutschland .

Der 13. Januar muß zu einer schweren Niederlage Hit: lers durch die Stimmabgabe für den Status quo an der Saar werden. Das ist die beste Unterstützung des Helden: kampfes unserer deutschen Brüder, die am 19. August Hitler ein millionenfaches Nein entgegenschleuderten.

Denkt an die von den braunen Henkern erschlagenen und erschossenen besten Arbeitersöhne des deutschen Volkes. Denkt an die Zehntausende in den Zuchthäusern und Kon­zentrationslagern. Denkt an, unseren Führer, den proleta­rischen Freiheitshelden Ernst Thälmann . Denkt daran, daß die Millionen selbst von den braunen Betrügern zugegebenen Reinstimmen das Ergebnis einer bolschewistischen illegalen Heldenarbeit der kommunistischen und sozialdemokratischen

Lorbeeren gibt es für mich nicht zu erringen, das zeigten mir bereits die paar Wochen, seitdem ich in Eurer Front stehe, sondern nur

fanatischer Haß, Berleumdung, Verfolgung.

Mir genügt jedoch das Bewußtsein, einer guten edlen Tat; der äußere Lohn wird so Gott will auch noch kommen. Als Gegengabe für meinen guten Willen erwarte ich von Euch Nachsicht in der Beurteilung meiner Worte.

Da ich zu Euch spreche als Mensch, als Landsmann, als Freund und Kamerad, so liegt es mir auch durchaus ferne, einem von Euch, der nicht in demselben Lager steht wie ich, irgendwie nahezutreten. So sehr ich auch den Irrtum Irrtum heißen muß, ebenso liebe ich aber den Frrenden. Schließlich betone ich, daß ich als treuer Sohn der katholischen Kirche