Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Geschichten

Mittwoch, den 29. August 1934

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Der fröhliche Koch von Manfred

Durch die Straßen der Stadt wandelte ein Koch. Hose, Jacke und die hohe Ballonmütze leuchteten schneeweiß. Dazu war er riesengroß; man sah ihn schon von weitem größer als alle Menschen herankommen.

Auf dem linken Arme trug er, als ob er es servieren wolle, ein Tablett, auf dem die Schüsseln und Teller eines reichen Menüs befestigt waren. Es waren nur Atrappen, aber der Fisch und der Braten und das Dessert waren so naturgetreu nachgebildet, daß den Vorübergehenden das Wasser im Munde zusammenlief, weil sie den verlockenden Duft einer gebratenen Gans zu spüren meinten. Die rechte Hand machte eine einladende Geste, die den sympathischen Stolz eines tüchtigen Kochs ausdrückte.

Auf der Brust und auf dem Rücken trug der Koch große Plakate, auf denen deutlich zu lesen stand: Der Fein­schmecker speist im Hotel Aurora". Und auf dem Rücken: ,, Sie sind verwöhnt? Das Hotel Aurora bedient Sie mit feiner Küche."

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So wandelte der Koch durch die Straßen. Leuchtend und appetitanregend. Sein rotes Gesicht strahlte so heiter, als ob es in der Welt nur darauf ankomme, den Magen zu be­friedigen, um glücklich zu sein. Die abstehenden Ohren, die verschmitzten Augen, die im Fett fast versanken, die runden Backen, die vor Wohlleben zu platzen drohten, der rote Mund, der vom guten Essen zu glänzen schien alles an ihm drückte eine so idiotische Zufriedenheit aus, daß die Vor­übergehenden zu ihm aufsahen und lachten. Mit langsamen Bewegungen wandte sich der Koch den Damen zu und ver­neigte sich gravitätisch vor ihnen. Er wiegte sich in den üppigen Hüften, ließ seinen feisten Bauch rollen und tänzelte wie eine Bajadere auf todernste Männer zu, die im Gehen die Zeitung lasen und verdutzt zu ihm aufsahen. Kinder liefen hinterher und zupften den Koch an seinen weiten Hosen. Manchmal trat der Koch auf die Fahrbahn, so daß die Autos einen kleinen Bogen um ihn fahren und die Insassen das Plakat lesen mußten: Der Feinschmecker speist im Hotel Aurora". Beim Anblick des roten, dummpfiffigen Gesichts lachten auch die Fahrer, die soeben noch ärgerlich auf die Hupe gedrückt hatten. Und die Straßenbahner lachten; Sie

waren

dem fröhlichen Koch auf ihrer Fahrt vor Stunden schon in anderen Stadtteilen begegnet und erkannten ihn wieder. An den Haltestellen trat der Koch ganz nahe an die Straßenbahnwagen heran, so daß seine weiße Jacke die Schei­ben streifte. Sein glückliches Gesicht strahlte die Insassen an und die sorgenlose Dummheit seines Lächelns wirkte so er­heiternd, daß alle lachten; wildfremde Menschen knüpften raiteinander Gespräche an. Und alle fühlten sich angesichts der gebratenen Gans auf dem Tablett wohlgesinnt ver­brüdert.

So wandelte der fröhliche Koch durch die Straßen der Stadt. Ueberall verbreitete er die glückselige Heiterkeit seines dummen, vollgefressenen Gesichts, und alle lasen die Inschrift: ,, Sie sind verwöhnt? Das Hotel Aurora bedient Sie mit feiner Küche."

Vier Stunden lang lief er schon. Es war drückend heiß. Die Sonne brannte und der Asphalt wurde weich. Allen tat es wohl, im Schatten zu sein. Hinter den großen Scheiben der Restaurants sah man die Leute bei Tische sitzen. Manche speisten noch, andere waren schon beim Kaffee. Geschirr funkelte. Bier schäumte in beschlagenen Gläsern. Zigarren­rauch stieg über den Tischen auf wie Opferrauch.

Draußen wandelte der fröhliche Koch vorüber. Seine weiße Jacke leuchtete. Die Leute an den Tischen sahen ihn und lächelten. Die Plakate des Hotels Aurora lasen sie nur flüchtig; sie waren gesättigt. Aber das feiste, strahlende Ge­sicht des fröhlichen Kochs tat seine Wirkung. Auch die Kellner lächelten. Sie lächelten ironisch und bedienten ihre Gäste auch anderswo speiste man um eine Spur vertraulicher gut; diese aufdringliche Reklame hatte ein wirklich gutes Restaurant gar nicht nötig; es empfahl sich selbst. Das un­gefähr drückten die Mienen der Kellner aus.

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Mit einem Male aber begann der fröhliche Koch sonderbar zu schwanken. Sein riesiger Körper, rund und dick wie ein Faß, schaukelte besorgniserregend hin und her. Und plötzlich schlug der große Kerl mit einem hohlen Krach längshin. Im Fallen riß er den kleinen Blumenstand einer alten Frau mit sich. Und nun lag der Koloẞ quer über den Fußsteig, mit Rosen und roten Nelken bestreut. Sein dickes Gesicht lächelte glückselig zum Himmel. Sein Leib aber machte seltsame Be­aus dem Innern drang leises, schweres wegungen und Stöhnen.

Die Leute umstanden den Gestürzten sofort als dichte Mauer, durch die sich ein Schutzmann drängte. Einige der Umstehenden waren behilflich. Sie streiften dem Riesen die weißen Hosen ab und rissen hinderliche Hüllen beiseite.

Es war eine regelrechte Entpuppung. Aber nicht ein schim­mernder Schmetterling schlüpfte aus der fetten Puppe, son­dern einen dürftigen, schlecht gekleideten Menschen zogen die Helfer heraus. Er sah die Umstehenden mit Augen an, die nichts zu erkennen schienen. Die blassen Lippen waren ein wenig geöffnet. Auf die Frage des Schutzmannes, was ihm geschehen sei, flüsterte der Mann kaum hörbar:

,, Ich habe Hunger."

Es war ein armer Arbeitsloser, der unter der Last der Reklamefigur, die er zu schleppen hatte, zusammengebrochen

war.

Die Umstehenden redeten durcheinander. Man sollte so einen Mann erst einmal satt füttern, ehe man ihn als Reklame für feine Küche laufen lasse! Ein anderer verteidigte das Hotel, für das die Figur Reklame machte. Dort wisse man ja gar nicht, wer mit der Puppe gehe. Man gibt den Auf­trag an ein Reklameunternehmen, das die Puppen herstellt, Träger anwirbt und sie mit den Figuren auf die Straße schickt.

Jawohl, das stimmt, sagte ein Dritter. Sieben Stunden lang müssen die Leute laufen, mit zwei dreiviertelstündigen Pausen dazwischen. Und das Reklameinstitut schickt ihnen Aufpasser hinterher, die kontrollieren müssen, ob die Träger auch durch die vorgeschriebenen Straßen gehen und die vor­geschriebenen Bewegungen machen.

Na ja, wandte ein vierter ein, aber die Träger ver dienen doch dabei! Sie werden doch bezahlt.

Ja, aber wie! rief der Dritte. Fragen Sie mal den Mann da! Und kriechen Sie mal in eine solche Puppe hinein! Wie es Ihnen da zumute sein wird bei der Hitze! Zwanzig bis vierzig Kilo schwer ist so ein Ding. Schleppen Sie das mal sieben Stunden lang! Ich habe auch mal mit so einer Frate herumlaufen müssen. Ich weiß Bescheid! Einmal und nicht

wieder!

Er stieß die hohle Puppe verächtlich mit dem Fuße. Der fröhliche Koch rollte ein bißchen mit dem dicken Kopfe und lächelte idiotisch zum Himmel. Das umgestülpte Plakat klappte langsam zurück und verkündete: ,, Der Feinschmecker speist im Hotel Aurora."

Der hungernde Mann saß auf dem Pflaster, an einen Lei­tungsmast gelehnt. Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Die Haare hingen ihm verklebt ins Gesicht.

Ein Kellner aus dem Restaurant brachte ein Glas Wasser. Da erbot sich ein Mann, für den Erschöpften ein Mittagessen zu bezahlen. Daraufhin half der Kellner den Hungrigen ins Restaurant führen. Der Geschäftsführer stand bereit und deutete nach hinten, anscheinend nach einem Raum fürs Per­sonal. Der Mann, der sich erboten hatte, das Mittagessen zu bezahlen, prostierte: ,, Nein, hier herein, ins Gastzimmer. Der Mann ist mein Gast!" Aber der Erwerbslose schüttelte bit­tend den Kopf. Er wollte nicht von all den Leuten betrachtet werden. Also verschwand die Gruppe nach hinten.

Draußen in der prallen Sonne lag, vom Schutzmann be­wacht, der fröhliche Koch. Sein dicker Leib war aufgerissen. Aber sein rotes Gesicht strahlte heiter zum blauen Himmel empor. Er schien sich darüber zu amüsieren, daß in dieser Welt ein Mann so lächerlich verkleidet für feine Küche

Des deutschen Bürgers deittes Reich

Im deutschen Reiche Nummer zwei War leider auch der Kuli frei. Das ärgerte den Bürgersmann, Weil ers's nun mal nicht leiden kann, Daß auch ein ganz gemeiner Knecht Geschützt ist durch das Menschenrecht. Drum pflegte er den Hitlerseich Und stolperte ins ,, dritte Reich". Das führte sich gleich bestens ein Mit Reichstagsbrand und Folterpein; Es zeigte sich im hehrsten Glanz: Parademarsch mit Totentanz !

Die Aufbauarbeit setzten fort Der Knüppel und der Meuchelmord, Und kunstgerechte Marterung Zwecks rassischer Veredelung.

Der Bonze kann sich breit entfalten, Der Bürger muß die Schnauze halten. Viel Hiebe gibts und wenig Brot, Und immer krasser wird die Not. Zu spät, mein deutscher Bürgersmann, Kommt dich das große Kogen an. Wenn du im stillen noch so keifst, Du hast den Staat den du begreifst!

Beaune Splitter

SM

Liberator.

Der Angeklagte wurde aus der Untersuchungshaft vorge­

führt.

99

Was sehe ich," rief der Vorsitzende erstaunt ,,, Sie sind angeklagt, den italienischen Duce einen, Lumpenker!" ge­nannt zu haben? Wissen Sie, was darauf steht?" ,, Zuchthaus ," murmelte resigniert der Angeklagte. ,, So sehen Sie aus!" meinte der Vorsitzende ,,, Pensionsbe­rechtigung für Lebenszeit!"

Was ist das: ,, einer gegen alle, alle gegen einen?" ,, Deutsche Außenpolitik!"

Zeit- Notizen

Furtwängler- Ausschuß"

Der von dem Preußischen Kultusministerium eingesetzte und von dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda für das Reichsgebiet anerkannte Ausschuß für Programmberatung, der sogenannte Furt­wängler- Ausschuß, ist auf die Reichsmusikkammer überge gangen. Der Präsident der Reichsmusikkammer hat den Aus­schuß in folgender Zusammensetzung bestätigt: Wilhelm Furtwängler , Wilhelm Backhaus , Georg Kulenkampff , Sieg­ mund von Hausegger , Hans Sellschopp und Hugo Rasch . Die Geschäftsleitung liegt beim Reichsverband für Konzertwesen in Berlin .

Vorbilder für Hitlers Sturz

Soeben erscheint im Verlage Nouvelles Editions Latines das angekündigte Catalina- Buch des aus Deutschland emi­grierten Rechtsanwalts Dr. Botho Laserstein. Es führt den Titel: ,, Justizmord am Catalina, Vorbilder für Hit­ lers Sturz" und stellt die großen Provokationen der Welt­geschichte, also Vorbilder und Parallelen für den Reichstags brand und für die mörderischen Vorgänge in Hitler- Deutsch­land dar. Damit gibt es gleichzeitig eine Analyse des not­wendigen Sturzes von Hitler und der Befreiung von der braunen Pest. Die deutsche Regierung hat durch Beauftragte versuchen lassen, das Erscheinen des Buches zu verhindern,

Der fröhliche Koch ging vorüber. Er verneigte sich nicht, er tänzelte nicht. Er ging nur langsam die Straße entlang. Auch er schien von der irrsinnigen Hitze ermüdet. Sein schleppender Gang stand jetzt eigentlich sehr im Widerspruch Reklame machen und dabei vor Hunger zusammenbrechen Zwei Forscher verschwunden zu der fröhlichen Visage, die er zur Schau trug. மரியான்:

kann. Gar

Emigranten mitten im ,, dritten Reich"

Knüppel gegen den Geist!

Die schriftstellerischen Werke und dichterischen Ergüsse der neudeutschen Literaten finden trots größter Propaganda und größter Unterstützung durch alle amtlichen Stellen in der deutschen Bevölkerung keinen Widerhall und keinen Ab­sat. Niemand will das Zeug lesen und die Verleger und Buchhändler befinden sich in großer Verlegenheit. Und so haben sie es gewagt, die alten, geächteten und verbrannten Autore aus dem zweiten Reich wieder aus den Verstecken hervorzuholen und zum Verkauf zu stellen. Und siehe, das Publikum beiẞt an!

Die nationalsozialistischen Konkurrenten bersten vor Wut und bereiten einen neuen Büchersturm vor. Den Auftakt dazu liefert der, Angriff", der letzte Woche auf der ersten Seite einen großen Artikel Juden sehen Dich an" brachte. Der Verfasser ist in Berlin spazieren gegangen und hat sich dabei die Buchhandlungen angesehen.

,, Hundert gute deutsche Schriftsteller," so jammert er, die im Kampfe schwere finanzielle Opfer gebracht, deren lautere Gesinnung ihnen dutende Abweisungen bei den verschiedenen Verlagen eingetragen, sind in den Schau­fenstern einiger Buchhandlungen einfach nicht zu finden. An den ihnen zukommenden Plätzen die Bücher von Leuten. die im Auslande als Emigranten leben, durch Wort und Schrift das neue Reich beschimpfen und verleumden." Und dann kommt die Aufzählung dieser Schriftsteller, die trog ihres Kampfes gegen das nationalsozialistische Deutsch­ land beim bücherlesenden deutschen Publikum so hoch im Kurse stehen. Da ist die Wienerin Rose Meller ,.

,, die Hitler verleumdet hat und noch heute Tantiemen für ihre in Deutschland verkauften Bücher bezieht. Ihr folgt Egon Erwin Kisch . Obwohl man ihn nach kurzer Schuthaft ungeschoren in die Schweiz fahren ließ, brachte er es fertig, eine Zeitschrift herauszugeben, in der er in mehr als einem Artikel die Behauptung aufstellte, in den Schutzgefängnissen würden die Leute auf das Brutalste mißhandelt, ihnen die Augen ausgestochen und die Hände abgehackt. Es kommen noch Balder Olden , Paul Frischauer , Leo Perut, Hermann Kesten , Gustav Regler , ja, in einer Leipziger Buchhand­lung fand ich sogar Ilja Ehrenburg , Tucholski und Alfred Polgar aufgestellt."

Nach Meldungen aus Nairobi sind zwei englische Forscher namens Dyson und Martin auf dem Rudolfsee in Uganda verschwunden. Die beiden Forscher gehören einer größeren Expedition an und waren vor drei Wochen im Faltboot nach der auf dem See gelegenen South- Insel abge­fahren. Es wird befürchtet, daß Dyson und Martin auf der Insel, die noch nie von Weißen betreten worden ist, den Tod gefunden haben. Auf Bitten des Expeditionsleiters haben die englischen Behörden eine Suchexpedition organi­siert und dafür mehrere Flugzeuge zur Verfügung gestellt. Ganz klar

Wenn der Nationalsozialismus ein Ziel erkannt hat, so schafft er auch die Mittel und Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Der Weg besteht hier in einer zwangsläufigen Re­volutionierung, d. h. in einer Erneuerung auf ganz neues Grundlagen der deutschen Wirtschaft, beziehungsweise des Betriebe. Der Nationalsozialismus geht auch hier folgerichtig vor. Er durchdringt die unterste Einheit und besetzt diese mit neuen Menschen und leitet das hieraus entspringende Wachstum in richtige Bahnen."( ,, Frankfurter Volksblatt" vom 9. August.)

Am Schluß wendet sich der Angriff" an den deutschen Buchhandel zur Mitarbeit an der endgültigen Säube Briefe von Jakob Wassermann rung des deutschen Schrifttums", appelliert an das Verantwortungsgefühl dem deutschen Volke und seinen jungen Autoren gegenüber. Das Blatt hat auch Auf­nahmen von Schaufenstern machen lassen, in denen es diese jüdische Literatur" gefunden hat und re­produziert sie in dem Artikel. Das bedeutet selbstverständ­lich, daß man diese Fensterscheiben möglichst bald ein­schlagen soll, ebenso wie man die ganze deutsche Kultur zu­sammengeschlagen hat. Das aber deutsche Buchhändler das Risiko auf sich nehmen, die in Acht und Bann getanen Werke hochverräterischer Emigranten trotz allem zu verkaufen, wie wenig man mit dem Knüppel gegen den Geist auszu­richten vermag!

Frau Maria Wassermann- Karlweis bittet als Verwalterin des literarischen Nachlasses des Dichters alle Empfänger von Briefen Wassermanns, ihr diese für kürzere Zeit zur Ab­schrift zu überlassen. Die Originale der Briefe werden den Empfängern unbeschädigt zurückgegeben, ohne deren Ein­verständnis keine Veröffentlichung vorgenommen wird. Man bittet, die Briefe eingeschrieben an Frau Marta Wassermann Karlweis , Altaussee / Oesterreich , zu senden. Die Wahrheit

Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum uns immer wieder gepredigt wird,

Goethe,