Nr. 201

Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

-2. Jahrgang

Saarbrücken , Freitag, 31. August 1934

Chefredakteur: M. Braun

Die Finanzen des Gangsters

Bewegte Sitzung

Seite 2

im Saacparlament

Seite 3

Ende der deutschen Binnen­

konjunktur

Seite 4

Ferien in der Heimat

Seite 7

Rüstungen für den Saar- Putsch

Hochspannung und Bürgerkriegsatmosphäre- Dic Nationalsozialisten bereiten einen neuen 25. Juli vor- In Gelassenheit sicht die Welt zu

Total verrückt geworden". Unter dieser Ueberschrift be= schäftigt sich die Presse der sogenannten deutschen Front" im Saargebiet mit Pariser Putschdelirien". Der Paris­Soir" gibt nämlich im Zusammenhang mit nationalsozia­listischen Putschvorbereitungen im Memelland seiner Ueber­zeugung Ausdruck, daß man auch im Saargebiet vor einem nationalsozialistischen Handstreich stehe. Das soll also, wie die Presse des Herrn Reichsfanzlers es nennt, Verrücktheit und Delirium sein?

Beantworten wir die Frage der Putschgefahr mit rein nationalsozialistischem Tatsachenmaterial.

Wie wurde der Putsch vom 25. Juli vorbereitet? National­fozialistische Oesterreicher wurden in Deutschland organisato­risch zusammengefaßt und militärisch ausgebildet. Zwischen ihnen und den Kampforganisationen der Nationalsozialisten in Destereich war reger Austausch an Personen und Mate= rial. Waffen wurden nach Desterreich geschmuggelt. Eine dauernde nationalsozialistische Rundfunkhezze bereitete den Butsch in Desterreich geistig vor. Als er mißlungen war, wurden die Führer, die ihn in Deutschland organisiert hatten, Frauenfeld und Habicht , faltgestellt. Wäre die Volts­erhebung", wie der deutsche Rundfunk sie gefeiert hat, fieg­reich gewesen, so wären Frauenfeld und Habicht in die höchste Klasse der nationalsozialistischen Heroen aufgerückt.

Für eine nationalsozialistische Boltserhebung" im Saar­gebiet sprechen mindestens dieselben Indizien, die vor dem 25. Juli in Desterreich vorhanden waren, ohne daß sie von der österreichischen Regierung und der europäischen Oeffentlich­feit ernst genug genommen worden sind:

Im Saargebiet ist eine Organisation Deutsche Front", die unausgeseßt der vom Völkerbund beauftragten Regie: rungsfommission jedes Recht zu ihrer Tätigkeit ab: Spricht. Unter Legalitätsphrasen wird der Bevölkerung flar gemacht, daß diese Landfremden" im Saargebiet nichts mehr zu suchen haben und es ein verdienstliches Wert ist, die politischen Maßnahmen der Regierungskom­mission möglichst zu sabotieren. Die führenden Zeitungen der deutschen Front" sprechen von der Regierungskom: mission, insbesondere aber ihrem französischen Mitglied und vom Völkerbund nur mit Verachtung und mit Hohn. Planmäßig wird der Bevölkerung eingeredet, daß die Or­gane des Völkerbundes im Saargebiet eigentlich nur noch geduldet seien. Daß die gesamte Polizeierefutive bis auf wenige Ausnahmen zur deutschen Front" gehört, bestärkt diese Stimmung.

Attentate wie das auf Max Braun und das auf den Polizeikommissar Machts werden von der gesamten dent­schen Front" nur scherzhaft behandelt. Wie sicher die jungen Leute der deutschen Front" sich fühlen, beweist, daß einige von ihnen mit Tränengasbomben ausgerüstet sich in die Riefentundgebung von Sulzbach mischten. Von den gleich geschalteten Richtern erwarten fie Freispruch oder lächerlich geringe Bestrafung.

Durch das von der Regierungsfommission veröffentlichte Material steht dokumentarisch fest:

Die deutsche Front" ist ein Organ des nationalsoziali: stischen deutschen Staatsapparats. Ihre Korrespondenz wird durch die Geheime deutsche Staatspolizei vermittelt. Es gibt im Reiche- genau nach dem österreichischen Bor: bild eine saarländische Legion. Die aus dem Saargebiet für den Arbeitsdienst gemusterten und ausgehobenen jun gen Leute werden im Reich im Wehrsport" und politisch ausgebildet und find ins Saargebiet zurückgekehrt die

Die Schuld Berlins

Oesterreichs Regierungsmaterial über den Putsch Wien , 30. August.

Aus unbedingt gut unterrichteten Kreisen verlautet, daß bei der nächsten Vollversammlung des Völkerbundes der den Außen­österreichische Bundeskanzler Schuschnigg ministern Großbritanniens , Frankreichs und Italiens wich­tige Dokumente vorlegen würde. Aus diesen Dokumenten sehe die Schuld Deutschland om Wiener Putsch Tlar hervor, the jeten in den lebten Wochen bei vielen verhafteten natin

getarnten Formationen der ES. und der A. Es ist ftrens Mussolinis Doldistoß

ges Gebot, die Ausbildung und die sonstigen Vorgänge im Lager geheim zuhalten.

Saarländische Statsbeamte, die sich dem Terror der ,, deutschen Front" nicht fügen, werden mit Entlassung be= droht von der Landesführung der NSDAP .

Saarländer , die nach ihrer Heimkehr über die wehrs sportliche Ausbildung und sonstige Erlebnisse etwas vers lauten lassen, werden mit dem Konzentrationslager bes droht. Tatsächlich find Saarländer ins Konzentrationslager gebracht worden, weil man befürchtete, sie würden im Saargebiet etwas ausplaudern.

Mit diesen Geheimrüstungen ist, genau wie bei dem öster­reichischen Beispiel, cine dauernde Bearbeitung durch den Rundfunk verbunden. An dieser Propaganda beteiligten fich die höchsten nationalsozialistischen Würdenträger des Reichs mit den niedrigsten Beschimpfungen. So hat erst am Sonntag der deutsche Reichskanzler von Ehrenbreit: stein aus durch den Rundfunk die gegen das Dritte Reich in Opposition stehenden Saarländer als Judasse bezeichnet. So mißachtet der sogenannte Führer des deutschen Volkes das zwischen Frankreich und Deutschland geschlossene Ab: kommen über die Freiheit der Abstimmung an der Saar . Daß andere deutsche Regierungsmänner die saarländische Opposition als Volksverräter, als Landesverräter, als Separatisten, als Lumpen und Halunken benennen, und damit für vogelfrei erklären, ist bekannt.

Niemand wird uns sagen können, wo hier ein Unterschied zwischen den Putschvorbereitungen in Desterreich und denen im Saargebiet besteht. In den Auswirkungen gibt es aller­dings eine sehr wichtige Differenz. In Desterreich stieß die nationalsozialistische Erhebung auf eine schwerbewaffnete und, wie sich gezeigt hat, zuverlässige Exekutive. Im Saar­gebiet hat die Regierungsfommission einer spontanen Volks­bewegung, einer Volkserhebung oder wie sonst man das nennen wird, was aus irgendwelchem künstlich ge­schaffenen Anlaß entstehen soll, nichts entgegen zu setzen. Niemand im Saargebiet, er stehe in einem politischen Lager mie immer, glaubt daran, daß die Exekutive der Regierungs­kommission sich einer nationalsozialistischen Massenbewegung ernsthaft widersetzen würde. Da aber auch selbstverständlich ist, daß die Sozialdemokraten, Kommunisten und oppofitio­nellen Katholiken nicht die Absicht haben, sich mehrlos und widerstandslos abschlachten zu lassen, ist die Gefahr eines Ausbruchs von Bürgerkriegsgefechten im Saargebiet jeden Tag gegeben.

Es mögen im Völkerbund und in den europäischen Kabi­netten trotz aller traurigen und blutigen Erfahrungen noch immer Männer sitzen, die vernunftgemäße Erwägungen bei der Beurteilung der nationalsozialistischen Politik anstellen. Das ist leichtfertig und unverantwortlich. Die nationalsozia­listischen Führer und ihre Politik sind unberechenbar und nicht nach zivilisierten Regierungsmethoden zu bewerten.

Die Reichsregierung und ihre Massenbasis im Saargebiet, die deutsche Front", schaffen die Atmosphäre gewalttätiger Auseinandersetzungen, und sie rüsten darauf. Sie tun es um so mehr, je unsicherer für das dritte Reich" die Aus­sichten eines Erfolges am Abstimmungstage werden. Die Be­völkerung an der Saar hat das Recht, zu verlangen, daß an der Saar ein 30. Juni oder ein 25. Juli verhindert wird. Das ist nur möglich, wenn die Regierungskommission eine Eretu­tive erhält, die für die Nationalsozialisten den geplanten " Voltssturm" unmöglich macht.

nalsozialistischen österreichischen Führern beschlagnahmt

worden.

Ein weiterer Beweis für die Schuld Deutschlands am Wiener Putsch dürfte durch den in kurzer Zeit stattfindenden Sensationsprozeß wegen Landesverrat gegen den Ex minister Bachinger, den Führer der landwirtschaft­lichen Vereinigung und ehemaligen Mitarbeiter von Doll­ fuß , und gegen den Helfershelfer Bachingers, einen gewissen Pampel erbracht werden. Bachinger sei angeklagt, seit Feb­ruar 1934 aus München 300 000 Franken für die nationals sozialistische Parteikasse bezogen zu haben; er ist weiter an­geflagt die Stimmen der landwirtschaftlichen Parlaments fraktion an München für 1 Million Franten vertauft au fraktion an München für 1 Million Granien vertauft au haben,

Nach dem Ende des faschistischen Staatenblocks

Deutschland am Brenner würde auf Süd­ tirol und Triest , auf die Adria und das Mittelmeer drücken, es würde die Sicherheit, es würde die Freiheit Italiens bedrohen. Es wäre außerdem das Ende der politischen und wirtschaft­lichen Durchdringung der Donauländer durch Jta­lien, die Geldopfer, die Italien für Desterreich ge­bracht, wären vergeblich gewesen und die ungarische Freundschaft würde abgelenkt.

Gazeta del Popolo".

A. Sch. Der haßerfüllte Feldzug, der von der italieni schen Presse in den Tagen nach der Ermordung Dollfuß' gegen das Hitlerdeutschland geführt wurde, ist nicht ein gestellt worden. Bereits am 10. August berichtet bestürzt der Völkische Beobachter: Wiederaufleben der italieni­schen Pressehetze". Die deutschfeindliche Position ist in Italien bereits zur Gewohnheit, ja selbst zur politischen Methode geworden. Von der Entrüstung nach dem Mord vom 25. Juli geht die Presse und die Diplomatie Mussolinis zum System der aktiven antideutschen Politik über. Am 22. August schrieb der Völkische Beobachter": Italien ist heute für gewaltsame Lösungen- gegen Deutschland .

Die Wiener Schüsse haben nicht allein Dollfuß, sie haben auch das deutsch - italienische Bündnis mitten ins Herz ge­troffen. Hitlers Bündnispolitik ist gesprengt worden. Die deutsch - italienische faschistische Koalition ist die ent scheidende Variante der Außenpolitik der deutschen Rechten schlechthin, das Kernstück der nationalsozialisti. schen Außenpolitik gewesen. Die Nord- Süd- Richtung Berlin - Rom sollte die West Ost Richtung Paris­Warschau- Moskau durchstoßen. Auf Jtaliens Hilfe und Unterstützung beruhte die ganze europäische Politik des dritten Reiches". Berlin erwartete von Rom aktive Bündnispolitik, mindestens aber wohlwollende Neutrali tät und sichere Deckung. Es hat sie genossen. Wenn Hitler in 18 Monaten seiner Diktatur trotz aller Katastrophen­politik außenpolitisch noch nicht endgültig geschlagen wurde, so hat er dies Jtalien zu verdanken. Mussolini hat um das Hitlerdeutschland ein künstliches außenpolitisches Gleichgewicht geschaffen, das dem Nationalsozialismus Be­wegungs- und Manövrierfreiheit in der europäischen Politik gab. Jtalien hat ein volles Jahr England von der Teilnahme an der antideutschen Front zurückgehalten, und gleichzeitig hat es durch sein Gegengewicht die antideutsche Position Frankreichs neutralisiert. Im Angriff und in Verteidigung war das dritte Reich" gleich auf die Unter­stüßung Mussolinis angewiesen. Nur durch diese Unter­stüßung konnte Hitler aggressiv gegenüber dem Völker bund und der Abrüstungskonferenz auftreten, Revisions. ansprüche aufrechterhalten, die Anerkennung der Auf­rüstung verlangen. Nur dank dieser Unterstützung konnte sich das dritte Reich" auch in seiner Rückzugsstrategie ge­borgen fühlen. Der diplomatische Beistand Jtaliens war für die hitlersche Außenpolitik was die Hindenburg - Linie für das deutsche Heer im Weltkrieg gewesen ist: der ent­scheidende Betonwall, der gleichzeitig Stüßpunkt für jede Offensive und Deckung für jedes Zurückweichen war.

Nun ist diese entscheidende Frontlinie gesprengt worden. Der Verratdes Bundesgenossen ist noch ge. fährlicher als die Aktivierung der Gegner. Mussolinis Dolchstoß bedroht das dritte Reich" noch mehr als der Frontalangriff Barthous und Litwinows. Mit dem offenen und aggressiven Uebergang Mussolinis zur anti­deutschen Front bricht die ganze außenpolitische Strategie Hitlers in Angriff und in Verteidigung zusammen. Go lange Jtalien bewußt das Hitlerdeutschland decken wollte, war die Einheitsfront der Westmächte gegen das dritte Reich" unmöglich. Mit Roms Kampfansage gegen Berlin ist die Möglichkeit der restlosen Einkreisung des deutschen Faschismus oom often het gegeben. Während Balowin im Unterhaus den Satz prägt, daß Englands Grenze aut Rhein steht, gibt Mussolini durch die Truppenkonzen

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