Um hundert Jahre zurück

62 190 Plichtarbeit oder Arbeitshaus!

Am 23. Januar 1829 ordnete König Carlo Felice von Sar­

inien an, daß alle Arbeitsknechte und Lehrlinge" ein Wie Hitler- Deutschland die Arbeitslosigkeit beseitigt- Als Vollbeschäftigter 40 RM. Jrbeitsbuch führen müßten, in das der Unternehmer Lei Entlassung eintragen konnte, ob der Arbeitsknecht" sich demütig und gehorsam betragen hatte oder nicht. Niemand sollte ohne Arbeitsbuch beschäftigt werden.

Ueber hundert Jahre sind seitdem vergangen. Aus den italienischen Arbeitsknechten" wurden freie Arbeiter, die wie so viele andere sozialreaktionäre Bestimmungen auch den Zwang der Arbeitsbücher beseitigten. Aber der Faschis= mus hat die italienischen Arbeiterorganisationen zerschlagen und aus den freien Arbeitern wieder Arbeitssklaven gemacht und jetzt führt er das verhaßte Arbeitsbuch wieder ein. Der italienische Ministerrat hat bereits( am 30. Juni) das Detret über die obligatorische Einführung des Arbeitsbuches verab­schiedet, im Herbst soll es in Kraft treten. Jeder Arbeiter und Angestellte wird verpflichtet, fich bei den faschistischen Gemeindebehörden ein Arbeitsbuch ausstellen zu lassen. Die Behörden tragen bei der Ausstellung nicht nur die Art der fachlichen Ausbildung ein und bei Frauen noch ein ärzt­liches Gesundheitsattest, sondern auch, ob der Inhaber des Arbeitsbuches ein verdienstvolles Mitglied der faschistischen Partei" ist oder sich sonst besondere politische Verdienste" ut die faschistische Diktatur erworben hat. Von Anfang an iſt also das Arbeitsbuch ein politischer Steckbrief für jeden Antifaschisten.

Bei Arbeitsantritt muß das Arbeitsbuch dem Unternehmer abgegeben werden, der den gezahlten Grundlohn und die Höhe der eventuellen Sozialversicherungsbeiträge einträgt. Jede Arbeitsunterbrechung wird vom Unternehmer ver­merkt. Bei Entlassung fann der Unternehmer in das Arbeits­buch schreiben, ob der Arbeiter oder Anaeſtellte geschickt oder ungefchickt, zuverlässig oder unzuverlässig ist, und damit unter Umständen jede Arbeitsmöglichkeit vernichten. ist wieder wie vor hundert Jahren.

Unruhe in der Arbeitsfront

-

E3

( JTF.) Die Deutsche Arbeitsfront muß ihre Bönzlein sieben. Wer den verschärften Kurs gegen die Arbeiter nicht bedingungslos mitmachen will, soll entlassen werden. Die Reichsbetriebsgruppe Verkehr und öffentliche Betriebe hat vorsorglich allen ihren 1500 braunen Bönzlein zum 1. Of­tober gekündigt, in der Zentrale der Reichsbetriebsgruppe Holz erhielten von 300 Angestellten 100 das Kündigungs­schreiben. In den Büros der Arbeitsfront herrscht große Unruhe und Aufregung.

Gestohlene Arbeitergroschen

( JTF.) Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung zieht 6,5 Prozent des Bruttolohns der deutschen Arbeiter als Beitrag ein. Durch diesen hohen Beitrag erwirbt der Arbeiter heute aber nur noch ein An­recht auf 6 Wochen Arbeitslosenunterstüßung, danach erhält er nur nach einer scharfen Bedürftigkeitsprüfung" das Gnadenbrot der Krisenunterstützung. Die Reichsanstalt er­hebt trop des praktisch aufgehobenen Versicherungsprinzips die hohen Beiträge seelenruhig weiter, aber verwendet die eingezogenen Millionen nur zum kleineren Teil für die Arbeitslosen. Von insgesamt 1,5 Milliarden RM. wurden im( am 1. April 1934 abgelaufenen) Geschäftsjahr nur 45 Prozent, 700 Millionen RM., für Unterstützung der Arbeits­losen und Arbeitsvermittlung verwandt. 55 Prozent flossen auf den verschiedensten Wegen in die unergründlichen Kassen der Diktatur.

Der sogenannte Beitrag zur Arbeitslosenversicherung", der jedem deutschen Arbeiter abgezogen wird, ist eine Sonder­steuer geworden, ein Zuschlag zur Lohnsteuer.

im Monat- Dann verschwindet man aus der Statistik

Uns liegt das folgende Dokument im Original vor. Wir haben die Angabe der Stadt weggelassen, um den Absender von allen Nachforschungen der Gestapo zu beschützen:

Städt. Wohlfahrtsamt Abt. Allgemeine Fürsorge ( Bezirks fürsorgeverband.

Abschrift

-Stadt)

1934

Auf Ihren Antrag vom..... 34 wegen Erhöhung Ihrer Unterstützung haben wir Ihre Verhältnisse erneut geprüft. Zu der vom Wohlfahrtsamt gewährten Unterstützung von mon. 16 RM für Miete und 7 RM in bar wird Ihnen die Möglichkeit gegeben, an 6 Tagen der Woche Pflichtarbeit zu leisten, wobei Sie ausser mon. 5 RM in bar täglich ein warmes Mittagessen und 1 Gutschein für Vesper erhalten. Der notwendigste Lebensunterhalt ist damit sichergestellt. Sollten Sie glauben, mit dieser Unterstützung nicht auskommen zu können, bieten wir Ihnen Unterbringung in einem Arbeitshaus an.

Zur Zuweisung der 6 tägigen Pflichtarbeit haben Sie sich am Freitag, den.. 7. 34. vormittags 10 Uhr bei der Pflichtarbeiterstelle Zimmer... zu melden.

An Herrn

Man denke einen Augenblick darüber nach, was diese An­weisung zur Pflichtarbeit für einen Unterstützten bedeutet. Bisher erhielt er eine monatliche Unterstützung von 22 Mart. Jezt muß er in der Woche sechs Tage arbeiten und bekommt dafür eine Hilfe in bar in Höhe von 5 Mart im Monat. Das macht also monatlich 27 Mart. Setzt man das tägliche warme Mittagessen", das als Massenspeisung hergestellt wird, und den Gutschein für Vesper( Malzkaffee mit einer Brotschnitte) sehr hoch mit zusammen 50 Pfennig pro Tag ein, so kommen bei 26 Arbeitstagen wieder 13 Marf zu den 27 Marf hinzu. Damit erhöht" sich die Leistung dieses städtischen Wohl­fahrtsamts auf monatlich 40 Mart, wofür volle und harte Arbeit geleistet werden muß. Der Arbeitende gilt natürlich sofort als vollbeschäftigt und verschwindet aus der Arbeitslosenstatistit. Sollte er sich den sanften Vorstellungen des Wohlfahrtsamtes nicht fügen, so

Im Auftrag

gez.......

bieten wir ihnen Unterbringung in einem Arbeits­Hause an".

Viel ist zu diesem Dokument faum zu sagen. Es bestätigt nur, was wir wissen: die Ehre" und die Würde" des Arbeiters, deren Proklamation von keinem braunen Redner versäumt wird, bestätigt sich in der Praxis durch Frondienste und Hungerlohn. Wer sich dagegen auflehnt, der wird im Arbeitshause zur Zwangsarbeit angehalten. Das ist der Schutz der nationalen Arbeit im dritten Reich".

Die Arbeiterschaft hat in Weimar - Deutschland ihre sozialen Rechte und ihre Löhne oft geringgeschäßt. Jetzt zeigt sich, daß sie erheblich viel mehr zu verlieren hatte, als ihre Ketten". Man hat ihr unter Hitler alles genommen: die politische Freiheit, die iale Gleichberechtigung, die Ge­werkschaften und das Arbeitsrecht.

Man gab ihr Kraft durch Freude " und nahm ihr das Recht zum Leben.

9160264

รับ วาย ร้

Der Mittelstands- Sozialismus wird entdeckt

Werner Sombart in Braun

Von Dr. Otto Friedländer

Dem Nationalsozialismus ist ein großes Heil, dem An­sehen der deutschen Wissenschaft ein Unglück widerfahren: Der Wirtschaftsfeuilletonist Professor Werner Sombart bat den deutschen Sozialismus" wieder einmal entdeckt und zieht für ihn mit einem Temperament zu Felde, das man nur als feß und forsch, also echt hitlerdeutsch bezeichnen kann. Gleich zu Anfang gibt er uns eine schaudererregende Offenbarung zu fosten: Nur wer an die Macht des Teufels glaubt, fann verstehen, was sich in den letzten eineinhalb= jahrhunderten in Westeuropa und Amerifa zugetragen hat." Werner Sombart glaubt an ihn und also versteht er es. Er nennt das Satanswerk das ökonomische Zeitalter. Folgender= maßen sieht es aus: Weizen wurde auf der Erde geerntet: 50 Millionen Tonnen in den Jahren 1866-70, 130 Millionen Tonnen im Jahre 1930. Und der Vorrat an Gebrauchsgütern wuchs und wuchs und, wuchs. Es kamen das Motorrad und die Bananen und die Schokolade und die Reklame bei Tag und bei Nacht und das elektrische Licht und der sprechende Film und das W. C. und das fließende Wasser und 1000 Bücher am Tage und der künstliche Dünger und das Flug­zeug und die antifonzeptionellen Mittel und die Torpedos und die Lautsprecher und der Traktor und der Phonograph und die Suppenwürfel und die Mundwasser und die Gift­gase und der Staubsauger und die Luxushotels zu Lande und zu Wasser und der Wackeltopf mit elektrischem Antrieb. Nach dieser Kritik am modernen Turmban von Babel, setzt wehklagend der Teufelsaustreiber seine Philippa fort. Man meint, altväterische Schriftsteller aus jener Zeit zu hören, in der das Eisenbahnfahren für gesundheitsschädlich erflärt wurde! Kaninchenhaft haben sich die Menschen ver­mehrt, alle frommen alten Bindungen sind zerstört worden, Genußsucht und ein grober Materialismus haben eingefeßt, der komfortismus", cin Wort, um das Sombart den deutschen Wortschatz vermehrt-, hat in der Welt Einzug gehalten.

Des Autors Satz: Dieses Buch will gar kein wissenschaft­liches, sondern ein politisches sein", findet freilich weniger in diesen Wehrlagen, als dort seine Bestätigung, wo es sich dar­um handelt, zur fröhlichen Marristenhazz auszuziehen. Um den marristischen Sozialismus zu erlegen, muß Sombart zunächst das Messer des Begriffs weßen und feststellen, was er unter Sozialismus versteht. So erfahren wir die er= schütternde Tatsache, daß Sozialismus sozialer Norma­tivismus" sei. Frage an Herrn Professor Sombart: Welches menschliche Zusammenleben steht eigentlich nicht im Zeichen sozialer Normen?

Kein Wunder, daß Danf solcher Art der Begriffsbestim mung, troß allen lerigrafischen Wissens, unser gelehrter Schlapphut bei dem ernsten Zweifel landet, ob nicht vielleicht der Sozialismus doch nur jenen nacks" bezeichnet, den

nach Nietzsche das natürliche Leben der Menschheit be­kommen hat.

Nachdem Werner Sombart 187(!) verschiedene Sorten von Sozialismus aufgeführt hat, begibt er sich daran, die Ver­irrungen des Sozialismus im ökonomischen Zeitalter" auf­zuweisen. Er bekämpft dabei in der schon von früheren Mary­tötern beliebten Weise den Proletarismus" und den Mate= rialismus" dieser Anschauung. Er sucht den Marxismus als eine Art paradiesischer Heilslehre darzustellen und geißelt seinen Fortschrittsglauben, seinen sozialen Naturalismus". Mit dem ökonomischen Teil der Margschen Lehre sett er sich nur sehr oberflächlich auseinander, eine Kritik der Mehr­wertlehre wird uns ganz vorenthalten. Dafür aber sucht der Autor die Konzentrationstheorie unter Hinweis auf das Fortbestehen der Kleinbetriebe und die Erfahrungen über optimale Betriebsgrößen zu widerlegen. Als ob nicht das ge­samte Schrifttum des Marrismus voll wäre von Glossie­rungen dieser Tatsachen, die in nichts die Konzentrations­tendenz des Kapitals widerlegen, deren Vorhandensein wohl der Schreiber dickleibiger Bücher über den modernen Kapi­talismus ein im deutschen Industriestaate lebender National­öfonom, nicht gut ableugnen kann. Daß der Klassenkampf­theorie durch das Vorhandensein breiter ökonomischer Zwischenschichten der Boden unter den Füßen weggezogen worden sei, fann man nur dann behaupten, wenn man, wie Sombart , die Ursachen des Klassenkampfes mit einer ele­ganten Handbewegung negiert. So etwa, wenn er an der and von Inderziffern, die er wohlweislich bei den Jahren 1910-1913 also vor etwa 20-25 Jahren enden läßt, nachzu­weisen sucht, wie sehr der Reallohn im Laufe der Jahrzehnte gestiegen sei. Der Weise aus dem Berliner Grunewaldviertel sollte nur einmal sich die jammererregenden Berliner Lohn= tabellen von heutzutage vornehmen und sie mit den Jahren 1926/28, also mit der Zeit der Weimarer Republik ver­gleichen und er würde dann vielleicht über die Frage einer absoluten Verelendung der Arbeitermassen anders schreiben. Vor allem aber braucht dem Herrn Professor wohl doch nicht gesagt zu werden, was er pflichtgemäß jedem Studenten des ersten Semesters in seinem Kolleg mitzu­teilen hat, daß es nämlich nicht nur eine absolute, sondern auch eine relative Verelendung gibt, nämlich ein ver­stärktes Zurückbleiben der Arbeiter hinter dem Aufstieg der bürgerlichen Lebenshaltung.

Auf der gleichen Höhe wie die wissenschaftliche Kritik be­wegt sich die von Werner Kombart vorgetragene Lehre vom deutschen Sozialismus". Bei der Begriffsbestimmung des Deutschtums futschiert der Herr Professor zuerst über die gutgepflasterten Verkehrsstraken des statistischen Jahrbuchs. Die Zahlen, die er zur Beschreibung der Einkommens­

verhältnisse der sozialen Gliederung usw. des deutschent Bolkes beibringt, find allgemein befannt und besagen nichts neues. Sobald er sich freilich in das Gestrüpp der deutschen Seele" verliert, beginnt das Professorenwäglein zu schwanken, und gewinnt erst wieder sein Gleichgewicht, nach­dem es die Gründlichkeit, die Sachlichkeit und die Selbst­herrlichkeit" des deutschen Volkes festgestellt hat, alles Eigen­schaften, die mit den Ergebnissen der Massenpsychose der lezten Jahre ebenso trefflich übereinstimmen, wie der von Sombart zitierte Sah Brenfigs, der 1932 noch erklärte, daß die Bestrebungen aus dem sinnenden und versonnenen, eigenwilligen und versponnenen Deutschen , dem zum Strech­schritt gedrillten Rekruten einer Gesinnungsarmee zu machen, dem Kern unseres Wesens fremd seien". Und im Juli 1934 bekommt es Sombart fertig, hinzuzusetzen: Ich glaube, er hat recht gesehen". Für Herrn Professor Som­bart scheinen die SA. und SS., die Referendarlager, der studentische Arbeitsdienst, die Hitlerjugend und die Auf­märsche der diversen Verbände nicht zu existieren. Ebenso­wenig fene merkwürdige Erscheinung, die sich Gleichschal­tung" nennt und die der Herr Professor selbst auf den 338 Seiten seines Buches mit uns durcheɣerziert. Gelegentlich macht er freilich Seitensprünge, zu denen der Pg. Streicher seine Haltung in der Judenfrage rechnen dürfte. In dieser Frage hat er sich eine bemerkenswerte Zurückhaltung auf­erlegt und wär bereit, sich mit dem Vorkriegszustand zu be­gnügen. Allerdings unter der einen Voraussetzung, daß die Juden nicht mehr Universitätsprofessoren werden dürfen. Womit er peinlicherweise dem bösen Gegner wieder die Mög­lichkeit gibt, in Antisemitismus ein Stück Konkurrenzneid zu wittern.

Bei allem Reden über Natur, Volf, Rasse und dergleichen kommt der deutsche Sozialismus" etwas zu kurz weg. Aber das ist eigentlich fein Unglück, denn in der Kürze liegt die Würze! Und so erfahren wir denn, daß der deutsche Sozia­lismus ein Mittelstandssozialismus" sei. Das nennt man denn doch ehrlich, die Katze aus dem Sack lassen! Was Som­ bart über seinen Mittelstandsfozialismus" zu sagen weiß, liest man besser und gründlicher in den Schriften Ferdinand Frieds und des Tatkreises journalistisch packender in Otto Straffers Arbeiten. Allerdings muß man zu Ehren der Letzt genannten sagen, daß sie ihren Sozialismus bekenntnis­mäßig ernster nehmen, als der Feuilletonist auf dem Ber­ liner Katheder. Bei ihm wird vom Ständestaat philosophiert, von Kopitulation der Planwirtschaft gesprochen, die Unaus­weichlichkeit der Autarkie bewiesen, Siedlung unter Schonung des Großgrundbefizes gefordert und Arbeitsbeschaffung mit ( einem ganz kleinen bißchen) Inflation gefordert. Also furz und gut: Werner Sombart deckt gravitätisch den Mantel der Wissenschaft über die Gedankenblößen des dritten Reiches". Mit dem Zitat einer vortrefflichen Siedlerforre­spondenz" schließt das Buch. Wir müssen uns in unserem deutschen Boden geradezu eingraben, wenn wir uns in dem Wirrwarr der Welt behaupten wollen."

Serr Professor Werner Sombart hat das nun nicht mehr nötig. Mit diesem Buch hat er sich sein Grab bereits ge= schaufelt. Wenn man allerdings an feine Vergangenheit denkt, hätte man ihm einen besseren Grabstein gewünscht.