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Deutsche Stimmen Beilage sur Deutsofien Freiheit". Ereignisse und Geschichten

Samstag, den 1. September 1934

Die erloschene Kraus- Fackel

Ein Rebell begeht Selbstmord

Genie in

Im Fackelband Nr. 890-905 vollzieht Karl Kraus licher anmutet als die Selbstpreisgabe Gerhart Hauptmanns an sich ein Harakiri, das noch viel peinlicher und schmerz­vor dem Hakenkreuz. Hauptmann bewies bloß, daß ein immerhin bedeutender Dichter ein sehr fragwürdiger Charakter sein kann. Karl Kraus aber stellt die Wucht seines Wortes, die Schärfe seines Wites, das Pathos seiner Polemik, Kräfte, mit denen er gegen jeden falschen Schein und jeden unbegründeten Machtanspruch rebelliert hat Kraus also stellt sein ganzes, von Gerechtigkeits- und Wahr­heitsfanatismus gewecktes den Dienst Strafella- Regimes. Schon daß er, bis auf ein reichlich verspätetes, doch von echter Erschütterung eingegebenes Gedicht, zum Auf­bruch der Hitlerei nichts zu sagen wußte, wollte einigen seiner besten Anhänger nicht in den Sinn, und sie fünfunddreißig Jahre seines Lebens mit der Aufgabe identifizierte, reinigend dreinzufahren, wo immer Phrase, Lüge und Vergewaltigung ihre schmutzigen Orgien begehen; wenn ihm seine volle Stimmkraft erst zuwuchs, als die große Ilure ,, Presse" und öffentliche Meinung" das vierjährige Stahlbad der Völker ermöglichte; wenn er das tausendfältige Echo, das er fand, noch verhundertfachte, indem er zum geschriebenen auch die Macht des gesprochenen Wortes hinzu­

und gespeistes des Dollfuß- Starhemberg.

gesellte,

so dürfen allerdings jene, die auf ihn hörten, sich von ihm verlassen wähnen, sobald er just in dem Augen­blicke schweigt, wo sein ewiger Feind, die Gehirnvernebelung, sich anschickt, in Gestalt des ,, dritten Reiches" die deutsche Kultur, die deutsche Sprache und deutsche Bildung zu ver­wüsten. Das gutmenschliche Recht gerade des Meisters der

arten in versteinernde Wirklichkeit umsetzen, hat seine

Grenze; daß

es Pflicht aller Geistigen ist, gegen den

triumphierenden Ungeist mit den ihnen gemäßen Mitteln zu

zeugen.

Diesen kategorischen Imperativ widerlegt weder der Spott gegen eine Anti- Hitler- Kampfgemeinschaft, der sich Kraus nicht einreihen lassen will, noch widerlegen ihn die ernst­haften Gründe, die ,, der Verlag der Fackel" in neckischer oder neckisch sein sollender Verkleidung vorbringt: daß Kraus, um seine Anklage gegen Hitler zu formulieren, bisher Ungenannte hätte nennen und so gefährden müssen und daß seine Satire wirkungslos verpufft wäre, weil gegen das Un­sagbare Worte ohnmächtig seien. Ja, liegt denn nicht genug so eindeutig zutage, daß es kein Hitler und kein Goebbels ableugnen oder an den endgültig zu Tode Ge­marterten noch rächen kann? und gehörte nicht auch eines Karl Kraus vernichtender Hohn in den Pestkordon, den Abscheu, Haß und Verachtung um das ,, dritte Reich" so dicht zu ziehen vermochten, daß wir dessen Ende schon als voll­20gene Tatsache sehen zu können glauben?

Furchtbares

Aber sei dem wie immer: heute endlich hören wir ihn, heute verdanken wir Kraus das folgende verzweifelt wahre Porträt des hitlerschen Unwesens:

deckte

-

Diese grundstürzende Veränderung, von der auch der Außenstehende noch benommen ist, da sie doch von gestern auf heute die brauchbarsten Knechte zivilisato­rischen Betriebs in Feueranbeter und Bekenner eines Blut­mythos verwandelt hat, daß sie schier nicht wieder­zuerkennen sind; diese Umwälzung, von Ideen bewirkt, so einfach wie das Ei des Kolumbus, bevor er Amerika ent­wird sie gar von einem Verbrauch von Symbolen, Fahnen und Feuerwerkskörpern gefördert, wie ihn die Entwicklung noch nicht gekannt und nicht geahnt hat, ferner von einer Hypertrophie der geredeten und gedruck­ten Klischees, der der Aether und die Papierfabriken bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit genügen: so geht sie wie eine epidemische Gehirnerschütterung einher, der nichts, was noch Odem hat, widerstehen könnte und vor der sich der Abgewandte taktlos vorkommt wie nur einer, der beim Begräbnis der Menschheit den Hut nicht ab­

nimmt."

ans Kruken- statt ans

Man braucht an dem Gemälde eben nicht viel zu ändern, braucht bei den, Symbolen" nur Hakenkreuz, bei den ,, Feuerwerken" an die Praterfahrten der Wiener aristokratischen Gespenster, bei den geredeten und gedruckten Klischees", statt an Rasse und Blut an Katholiken!",, Oesterreicher!", denken und man hat das ganze schwarz gelbe Oesterreich in einer knappen Formel bei­

Bammen

-

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, Vaterlandstreue!" zu

aber Karl Kraus will diese nahe Verwandt­

id

Mussolini , dessen spät genug und sehr oberflächlich zivilisier ter ,, westlicher" Faschismus nunmehr die Umgangsformen des österreichischen Lebensraumes bestimmt. Sondern indem sie das Gesetz brachen und den Verzweiflungskampf provo­zierten, wollten sie nur sich und den anderen, auch den Juden und Arbeitern ,, die sozialpolitischen Dinge", sagt Kraus ,,, dürften bei Faulhaber, Inniter und Mercier in bes­serer Obhut sein als bei Hilferding , Bauer und Blum"- ein würdiges, vor barbarischen Ausschreitungen behütetes Da­sein bewahren, und darum waren die Schutzbündler, die solch Fürsorge abzuwehren versuchten, bedauernswerte Ver­führte, sind Otto Bauer , Julius Deutsch und die anderen sozialdemokratischen Bonzen Narren, Lügner, Feig­linge, kurz, unheilbar dumme Lumpen zur zehnten Potenz. Oder um Kraus selbst sprechen zu lassen:

,, Hoffentlich wird man einmal zu der Einsicht gelangen, die Bezeichnung Arbeitermörder', mit der die Radau­presse herumschmeißt wie mit der Ideotie von den , Kanonenchristen' gebühre denen, die die Blutschuld so sinnloser Opferung auf sich geladen haben( nicht ohne den frevlen Wunsch, sie zu vermehren); und, Arbeiter­retter' seien die Beschimpften, die die Arbeiter schließlich vor dem größeren Unheil bewahrt haben werden." Und später einmal:

,, Weg damit! Es steht der Ehre der Menschheit im Wege. Es lügt zuviel und will den andern zur Lüge nötigen. Sie wollen alles auf einmal. Sie haben nicht Krieg geführt und sie klagen sich gegenseitig des. Verbrechens an, die Kämpfer in solch hoffnungslose Situation hineinmanöv­riert zu haben; sie sind überfallen worden und sie werfen einander vor, die innere Stadt nicht in die Luft gesprengt zu haben. Sie haben Ekrasit und Humanität in Händen. Sie möchten zugleich Demokraten und Kommunisten sein, weil es, wenn man schon lügt, auf den Unterschied nicht ankommt. Sie sind Taktiker und tun sich etwas auf ihre Fassungslosigkeit zugute."

So hemmungslos und haßbesessen diese Scheltreden auch sein mögen und so wenig zu dem Bilde des geretteten Daseinsfriedens, wie Kraus es sieht, der auf jedem lastende Gewissenszwang, die nazistische Verseuchung aller Behörden, die Freisprüche hakenkreuzlerischer Schwerverbrecher, die uniformierten Heimwehrapachen als Ordnungshüter und die unaufhörlichen Attentate bis hinauf zum Dollfuẞmord auch stimmen wollen wir ließen sie unbesehen passieren, wenn Kraus nur eine Frage einleuchtend zu beantworten wüßte: warum das ,, kleinere Uebel" des Dollfuẞputsches not­wendig war und ob nicht Christlichsoziale und Sozial­demokraten vereint die Hitlerbarbarei viel leichter und sicherer hätten verhindern können?

Das Ethos dec nazis

Sie hüpfen wild in kriegerischem Tanze Solang sie überlegen sich vermeinen,

Und wedeln zahm und friedlich mit dem Schwanze. Sobald die Gegner kräftiger erscheinen.

Besonders mutig sind sie gegen solche, Die hilf und wehrlos sind in ihrer Macht. Einst nannte man so biedre Kämpen Und hat sie mittels Galgen umgebracht.

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Strolche

Doch heute läßt die Welt sich fromm erzählen, Daß sowas neues Heldenethos sei, Und gutbezahlte Einfaltspinsel quälen

Sich wissenschaftlich mit dem Phrasenbrei. Wenn Schurkerei und Feigheit sich vermählen, Nennt man das konzentrierte Hitlerei.

Horatio,

Don Quichotte und die Türkei

In Tokoso, einem Marktflecken in der Provinz Toledo , der Heimat der berühmten Dulcinea aus ,, Don Quichotte ", hat man kürzlich eine internationale Bibliothek eröffnet, in der alle auf Cervantes und sein Werk bezüglichen Bücher aus der ganzen Welt gesammelt sind. Jetzt hat der türkische Bot schafter in Madrid seine Regierung gebeten, dieser Bibliothek auch einige türkische Werke überreichen zu dürfen. Diese Bitte wurde von der türkischen Regierung zustimmend auf­genommen und so hat der Botschafter dieser Tage der Cer­vantes- Bibliothek zwei intéressante Bände überreichen kön nen: eine Ausgabe des ,, Don Quichotte " und eine Studie über Cervantes, beide in türkischer Sprache. Die beiden Werke waren begleitet von einem Schreiben, in dem die tür­ kische Regierung ihre Freude darüber ausdrückt, daß die Türkei jetzt auch in der Cervantes - Bibliothek vertreten ist,

Endlich Wirtschaftsaufschwung Champignons und Schnecken

Berliner Blätter melden:

,, Die Feinschmecker können jubeln. Die Champignons sind in diesem Jahre in reichstem Maße aufgetreten. Die Ernte war noch nie so groß wie 1934."

Die alte Geschichte: Warum schreien die Leute? Sie haben kein Brot! Ja, warum essen sie nicht Champignons? Und warum nicht Schnecken? Eine fette Ueberschrift in einer Berliner Zeitung kündigt das große Neue an: ,, Schneckenzucht eine neue deutsche Erwerbsquelle!" Ersatz für den Ausfall der Exportindustrie?

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Daß die Sozialdemokraten bereit waren, die Demokratie Keincich Heine- unbekannt

mit gesetzlichen Mitteln gegen die Hakenkreuzseuche zu schützen, haben sie bewiesen, als sie in allen Landtagen der Aberkennung der Hakenkreuzmandate zustimmten wären, was nach dieser Probe außer Zweifel steht, unter den

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sie

entsprechenden Garantien auch für eine Verfassungsreform

und für ein Ermächtigungsgesetz an eine verläßlich ver­fassungstreue Regierung zu haben gewesen. Trogdem aber hätten Verhandlungen, hätte ein Abwehrbündnis mit ihnen unmöglich sein sollen, weil man denke, weil dadurch, wie Karl Kraus auf Seite 194 in denkwürdiger Uebereinstim­mung mit Otto Bauer feststellt, die Christlichsozialen ein

Ein Pariser Buchhändler, so berichtet eine französische Zeitschrift, wollte sich für eine Schaufensterausstellung Doku­mente über Heinrich Heine beschaffen. Er hatte erfahren, daß die Stadt Düsseldorf ihrem großen Sohne vor wenigen Jahren, noch unter der Weimarer Republik , ein kleines Museum errichtet hatte, er wandte sich also dorthin und er­bat einige Auskünfte und Dokumente. Er war sehr erstaunt, als er dieser Tage die folgende lakonische Antwort erhielt: ,, Die Stadt Düsseldorf will Heinrich Heine nicht kennen",

paar Mandate an die Nazis eingebüßt hat. Er kannte sein Deutschland ten? Und deshalb, wegen des heiligen Mandatsbesityes einer Partei, die Ablehnung jedes Verständigungsversuches, die Sprengung des Parlaments, die Lahmlegung der Ver­fassung, der Zweifrontenkrieg nach rechts und links? Des­halb der provokatorische Abbau der politischen Rechte, das schrittweis vorbereitete Bürgerkriegsmassaker, die aber­wigige Beleidigung und Entmündigung der Arbeitermassen, die, der Regierung planvoll gewonnen, Oesterreich nie und nimmer in sein heutiges Unheil hätten hineinschlittern lassen?

Das Geburtshaus des Dichters Hoffmann von Fallersleben ist in den Besitz einer Brauerei übergegangen. Es verlautet, daß es später zu einer SS.- Kaserne ausgebaut werden soll. Ja, wie sang er doch selber?

Um solchen Beweggrund und solche Folgen in gehöriger Proportion zu finden, muß man für Größenverhältnisse blind geworden sein; man muß vor Haß gegen die Roten rot sehen, um einen Mann, der ohne Not die stärkste hitlerfeindliche Organisation und die stärkste hitlerfeindliche Partei tot­schlägt, als klugen Retter vor dem Hakenkreuz zu feiern; in Summe: man muß Besonnenheit, Wirklichkeits- und Gerechtigkeitssinn in sich ausgelöscht haben, um sich bei so brüchiger Basis zu so wütender Partei­nahme, zu solchen Argumenten, Hohn- und Lobesworten hinreißen zu lassen. Was wir da erleben, ist das grausamste

Ganz Europa ist eine Kaserne! Alles Dressur und Disziplin!

Freude durch Kitsch

Die Kamera", Unter den Linden in Berlin , wird durch die NS. - Volksgemeinschaft ,, Kraft durch Freude " neu er­öffnet werden. Als erstes ist ein neudeutscher Film ,, Heimat im Meer" in Aussicht genommen.

Die ,, Kamera" nannte sich einst mit Recht das Theater des guten Films. Jetzt ist sie, von den Nazis gestohlen, auf die Freude durch Kitsch gekommen!

geistige Harakiri, das man sich vorstellen kann, und das Goldene Worte

sollte uns nicht erschüttern, Karl Kraus ?

Erich Mühsam- Fonds

Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Sektion Frank­

Rettung der eingekerkerten Schriftsteller Deutschlands , zur Unterstügung ihrer Frauen und Kinder und der Witwen und Waisen der Getöteten.

schaft, diese Blutsbrüderschaft im Geiste der Ungeistigkeit, der Phrase und des Zwanges so wenig wahrhaben, daß er Dollfuß , ohne sich weltanschaulich mit ihm gleichzuschalten, trotzdem einen Retter", die Lage, die Dollfuß handeln ließ, eine Notwehr ohne weltgeschichtliches Vorbild" nennt und menschliche" oder ,, staatsbürger­liche Undankbarkeit" Dollfuß gegenüber des äußersten reich, hat einen Erich- Mühsam- Fonds geschaffen zur Abscheus" wert erklärt. Weil der Bundeskanzler in Oester­ reich die Aufrichtung der Hitlerbarbarei mit ihren Steh­Bärgen, ihren Prangern und sadistischen Massenmorden ver­hindert habe, ist Kraus bereit, ihm die Beseitigung der Ver­fassung, die Ausrottung der Parteien, das Bombardement der Gemeindehäuser und sogar die Standrechtgalgen ,, unselige Schriftsteller Klaus Neukrant, Karl von Ossietky, Dr. Theo Herren Fey und Starhemberg entdeckt er sympathische Gegensatz zu den der englischen Oeffentlichkeit gegebenen

Zutat der Kriegstat"

Züge.

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zu verzeihen, und auch an den

Sie und ihresgleichen begannen den Feldzug gegen die Sozialdemokraten nicht etwa, weil ihnen die Ausrottung des Marxismus durch Hitler den notwendigen Mut dazu machte; sie handelten nicht als Beauftragte jenes alt- öster­reichischen Adels-, Soldaten- und Pfaffenklüngels, dem Kraus Leyte Tage der Menschheit" seinerzeit das Grablied Eesungen haben, und nicht vielleicht im innigen Verein mit

Dem Komitee sind in den letzten Tagen besonders alar­mierende Nachrichten über Behandlung und Zustand der Neubauer und Ludwig Renn zugekommen, die in krassem Zusicherungen des Hitlerschen Pressechefs Hanfstaengl stehen.

Dem Erich- Mühsam- Fond haben sich bereits eine Reihe der bekanntesten literarischen Persönlichkeiten Europas und Amerikas zur Verfügung gestellt, in deren Namen das Schrifttum der ganzen Welt zur Befreiung der deutschen Schriftsteller aus den Konzentrationslagern und Kerkern auf­gerufen wird.

Die Unterdrückung hätte nie die Oberhand gewinnen können, wenn nicht Feigheit, Niederträchtigkeit und gegen­seitiges Mißtrauen der Menschen untereinander ihr den Weg geebnet hätten. Sie wird so lange steigen, bis sie die Feig­heit und den Sklavensinn ausrottet, und Verzweiflung den verlorenen Mut wieder weckt. Dann werden die beiden ent­gegengesetzten Laster in allen menschlichen Verhältnissen einander vernichtet haben, und das Edelste in allen mensch­lichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen her­vorgegangen sein.

Johann Gottlieb Fichte ,

Die Bestimmung des Menschen, 3. Buch, Glaube, Seite 144.

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Wer dient seinem Vaterlande besser: derjenige, der den Mut hat, die Wahrheit zu sagen, oder derjenige, der die auf­fälligsten Gebrechen mit patriotischen Lügen verdeckt? Anselm Feuerbach .

Was moralisch falsch ist. kann politisch nicht richtig sein. Gladstone.