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Freihei

Nr. 205 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, 5. September 1934 Chefredakteur: M. Braun

Schacht

als Führer des ,, Führers"

Seite 2

Die Leipziger Messepleite

Journalist vor der Gestapo

Seite 3

Deutsche Wirtschaftslage

Seite 4

Prozeß

um die Weisen von Zion

Seite 8

Rote Fahne vor Hitlers Auto

Die preußische Staatsregierung befürchtet eine Niederlage im Saargebiet

Ein Brief von Rechts

Einer unserer Mitarbeiter erhielt durch Kurier aus seiner Heimat den folgenden Brief, der von einer auch jegt noch im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeit stammt. Die Glaubwürdigkeit dieses Mannes steht außer jedem Zweifel. Er hat übrigens stets zur politischen Rechten gehört; die Sozialdemokratie hat er immer bekämpft, jedoch in Formen, die Achtung und persönliche Be­ziehungen nicht ausschlossen.

Sein Brief lautet:

. ,, daß ich mit diesem Schreiben an Sie allerlei wage, weiß ich natürlich. Aber ich weiß auch, daß ich Ihrer Ver­nunft und Ihrem Anstand vertrauen darf. Darum stelle ich auch in Ihr Belieben, ob und wie Sie den Brief verwenden wollen. Sie wissen, daß ich mich gleichgeschaltet" habe, ob­wohl ich bis zuletzt gegen die Alleinmacht der Nationalsozia­listen mich gesträubt habe. Vielleicht schelten Sie mich schwach, aber Sie tun mir darin Unrecht und vielen anderen von uns ebenfalls. Wir sahen zuletzt keine anderen Ausweg mehr, als uns redlich zu bemühen, in dem neuen Deutschland mitzu­arbeiten und es gestalten zu helfen. Ja, ich bekenne, daß ich mich sogar bis in die jüngste Zeit bemüht habe, National­fozialist in Hitlers Sinne zu werden. Nun habe ich es auf­gegeben,

denn ich sehe in den jetzigen Regierungsmagimen, wenn man für Grundsazlosigkeit dieses Wort gebrauchen darf, feine Rettungsmöglichkeit für Deutschland , das sich doch alles in allem nicht nur in einer wirtschaftlichen, sondern in einer ganz großen nationalen Krise befindet. Eine so tiefe Bersetzung und Erschütterung fann nicht nur mit einem gewaltigen Propagandaapparat und Rügen, immer wieder Reklamelügen überwunden werden, wie wir fie jetzt wieder bei der Volksabstimmung vom 19. August er­lebt haben. Darüber werde ich einmal mit Ihnen sprechen, und ich werde die Gelegenheit dazu suchen und finden. Schließlich brauche ich ja nicht ganz so ängstlich zu sein wie andere. Noch immer erlauben mir meine Vermögenslage und mein Beruf, mich ohne Sorgen außerhalb Deutschlands zu bewegen, wenn es gar nicht anders mehr gehen sollte. Heute möchte ich Ihnen zunächst einiges berichten, was Ihnen doch wohl nicht bekannt geworden sein dürfte.

Um den jüngsten Besuch Hitlers in Köln wurde sonderbar viel Geheimnis gewoben. Die Presse durfte das Kommen des Führers" nicht ankündigen, aber er blieb natürlich nicht geheim, weil SA. und Stahlhelm zur Absperrung mobilisiert wurden. Davon, daß Hitler in dem industriellen Vorort Ehrenfeld besonders gefeiert worden sei, wie die Bresse log, fann gar feine Rede sein. Die Straßen vom Flug­hafen bis nach Ehrenfeld hinein zeigten überhaupt kein Publikum. In der Venloer Straße allerdings, die stets zu den belebtesten Vorortstraßen gehört, gab es zahlreiche Neu­gierige. Die Girlanden, die an den Häusern zu sehen waren, find nicht, wie die Zeitungen schrieben, für Hifler angebracht worden, sondern für das gerade stattfindende Ehrenfelder Schützenfest.

Marristische Arbeiter aber schickten dem Reichskanzler und Führer statt Ovationen einen unerwarteten Gruß: Vor sein Auto wurde mitten in Ehrenfeld eine rote Fahne geworfen, jedoch ohne Hakenkreuz. Die Täter konnten bisher nicht

ermittelt werden.

Von einem mir befreundeten Herrn der rheinischen Presse wurde mir ein dickes Heft gezeigt, das den Zeitungen als eine Art Kochbuch für Stimmungsrezepte zur Wahl" über geben worden ist. Da wird bis ins einzelne den Redakteuren, die doch in diesem Reiche eigentlich nur noch Abschreiber sein nahe zu bringen haben. Insbesondere wird vorgeschrieben, dürfen, befohlen, wie sie den Führer" im Bilde dem Volke daß Arbeitern, mit Bauern und auch mit Frauen zu bringen haben. Warum Herr Hitler nicht selbst eine Familie mit Frau und Kindern gründet, wird freilich nicht gesagt. Von demselben Herrn erfuhr ich authentisch, daß acht Tage vor der Wahl die Zeitungsredaktionen des Wahlkreises Köln­Aachen zu einem Presseappell vor dem Gauleiter Grohe anzutreten hatten. Dabei gab es einen lehrreichen Zwischen fall. Der Chefredakteur des katholischen Blattes...( Name von uns gestrichen. Red. d. D. F.") nahm sich ein Herz und fragte den allmächtigen Gauleiter, ob es nicht angebracht

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wäre, wenn die katholische Preffe in der Woche vor dem

19. August einiges über das Schicksal der ermordeten Katholikenführer Dr. Klaufener und Probst schreiben dürfe; das könne in einer Form geschehen, die beruhigend wirfe und der Regierung nüße. Herr Grohe, von dem Sie ja gut wie ich wissen, daß er nicht gerade ein Lumpen ist, drehte sich und wendete sich und kam schließlich mit der Be­merfung heraus, das scheine ihm nicht zweckmäßig zu sein, denn am 30. Juni feien zahlreiche Fälle" vorgekommen, die nicht im Sinne des Führers waren. Das ist doch unn eine sonderbare Sache, denn diese Verbrechen, die nicht im Sinne des Führers" waren, sind doch von demselben Führer" für rechtens" erklärt und die Mörder sind mit­hin von dem Führer" rehabilitiert worden. Derselbe Führer hat im Reichstage die Ermordeten in Bausch und Bogen als Meuterer, Landes- und Hochverräter beschimpft, hat kein Wort davon gesagt, daß im Zuge seiner Aktion Unschuldige ermordet worden sind und hat kein Wort des Bedauerns gefunden. Und schließlich darf auch nicht ver­gessen werden, daß von Berliner Regierungsstellen ein Katholik wie Dr. Klausener als Selbstmörder verleumdet worden ist. Was sind das alles. für Zustände und welch eine Moral beherrscht diese Führung und diese Presse und was wird werden, wenn das alles in Deutschland einmal auf­gedeckt wird? Ich weiß von Ministerkollegen, daß in ge­wissen Berliner Amtsstuben Papiertüten mit der Asche von Ermordeten herumstanden. Man wußte nicht recht, wohin damit...

Es sind wohl noch lange nicht alle Toten des 30. Juni be­fannt. Wissen Sie zum Beispiel, daß auch der Stellvertreter des Breslauer Polizeipräsidenten Heines, Herr Oberregie­rungsrat Dr. Engels getötet worden ist? Sein Fall scheint besonders tragisch zu sein und beweist zugleich, daß noch mehrere Tage nach dem 30. Juni, als mithin jede Gefahr für den Staat vorüber war, durch die Nationalsozialisten falt­blütig und grundlos gemordet worden ist.

Herr Oberregierungsrat Engels hat noch am 2. Juli mit Verwandten telefonisch gesprochen, um sie über sein Schick= sal zu beruhigen. Am Tage darauf wurde denselben Ver= wandten die Asche des Herrn Engels zur Verfügung ge=

SA- Mann Kruse

Der letzte Reichstagsbrandstifter sagt aus

Paris , 4. September. SA.- Mann Kruse, aus dem Stabe Röhms und dessen persönlicher Diener während mehrerer Jahre, hat vor einiger Zeit in der Deutschen Freiheit" einen Brief an den Reichspräsidenten Hindenburg veröffentlicht und darin die letzten Geheimnisse der Brandstiftung des Reichss tagsgebäudes aufgedeckt. Er hat alle an dem Verbrechen Beteiligten einschließlich Röhm und Heines mit Namen aufs geführt und nachgewiesen, daß die Brandstiftung aus dem Palais des Reichstagspräsidenten Göring erfolgt ist.

Kruse stellt ferner unter Beweis, daß alle an der Brand­ stiftung Beteiligten im Zuge der Säuberungsaktion" am 30. Juni als gefährliche Mitwisser ermordet worden sind. Er allein sei entkommen. In seinem Besitz sollen sich die seit mehreren Jahren geführten Tagebuchblätter Röhms und zahlreiche Geheimakten befinden, darunter in Original Mord: befehle gegen der NSDAP . mißliebige Personen.

Man würde diese Beschuldigungen gegenüber führenden Männern anderer zivilisierter Länder für fantastisch und ungeheuerlich halten. Gegenüber gewissen deutschen Staatss führern erscheinen sie jedoch überall in der Welt als glaub= haft, weil man inzwischen begriffen hat, daß diesen national: sozialistischen Häuptlingen jedes Verbrechen erlaubt und ge= boten erscheint, wenn es ihrer Partei und ihnen selbst diens lich ist.

Nun teilt der berühmte amerikanische Anwalt says als Mitglied der Internationalen Untersuchungs= kommission über den Reichstagsbrand mit, daß die amerikanischen Mitglieder der Kommission in Kürze den SA. - Mann Kruse in einer öffentlichen Sigung verhören

werden.

Die deutsche Reichsregierung, aus der so hervorragende Mitglieder wie Reichsminister Göring durch den Kruse= Brief schwerstens beschuldigt werden, hat bisher zu der Ans gelegenheit geschwiegen.

ſtellt, und sie wurden gefragt, wer für die Begräbniskosten Internationale Polizci

aufkomme. Ich übergehe die Noheit und frage nur: wo ist, da noch irgendeine Führer- und irgendeine Rechts:

autorität?

Sehr mißfallen hat es hier in anständigen nationalen Kreisen, daß das Staatsoberhaupt seine Rheinfahrt von Köln nach Koblenz auf einem Motorboot gemacht hat, das ausge­rechnet der großkapitalistische Gerling- Konzern zur Verfügung gestellt hat. Vergeblich suchten wir übrigens am Montagmorgen, also nach dem Tag von Ehrenbreitstein , die Rede Hitlers in der Kölnischen Zeitung ". In behördlichen Kreisen erzählt man sich, daß die Redigierung der Rede durch Hitlers Pressechef und ihn selbst bis in die späte Nacht ge­dauert habe.

Daß wir mit besonderem Interesse den Kampf an der Saar verfolgen, werden Sie verstehen, und ich brauche Ihnen nicht weiter zu versichern, daß ich längst nicht mehr an die Vaterlandslosigkeit der Sozialdemokratie glaube, wie ich es leider Sie wissen es allzulange getan habe. Wir haben doch schließlich an der Ruhr und in der Besatzungszeit zu lange gemeinsam in der deutschen Front gestanden, als daß ich Sie und Ihre saarländischen Freunde wirklich für Separatisten" halten könnte. Ich kann von hier aus nicht jede Einzelheit der Vorgänge dort beurteilen, weiß aber insofern mehr als Sie, als meine Beziehungen zu den regierenden Kreisen mich über deren Auffassung unterrichten.

So kann ich Ihnen denn verbürgt und mit aller Bestimmts heit sagen, daß die für das Saargebiet maßgebenden Herren in der preußischen Staatsregierung jezt schon mit einer

Minderheit von etwa 40 v. 5. für den Status quo rechnen. Es wird Sie belustigen: ich weiß es aus dem Munde der Gräfin von Rödern, die dort im Saargebiet wohl eine Art Beauftragte der Regierung ist. Sie sagte es zwar nicht zu mir, aber in meiner Gegenwart, gelegentlich des Führerbesuches in Köln , und fügte hinzu, daß sie selbst viel optimistischer ist, aber Mühe hat, sich mit ihrem Optimismus gegenüber der preußischen Regierung durchzusetzen. Es wer­den übrigens mancherlei Fehler zum Schaden der deutschen Fortiebung fiebe 2. Seite,

Endlich erwacht der Völkerbund

hat ein Rundschreiben an sämtliche Mitglieder des Völker­Der Generalsekretär des Völkerbundes, Herr Avenol, bundes gesandt. Er geht von dem bekannten Briefe des Präsidenten der saarländischen Regierungskommission aus und unterstreicht die darin enthaltenen Beweise für die Notwendigkeit, die Saarpolizei durch ausländische Kräfte zu verstärken. Der Brief schließt mit dem Satze: Der amtsführende Ratspräsident hat mich infolgedessen beauftragt, den Regierungen der Mitgliedsstaaten des Bundes mitzuteilen, daß er ihnen im Namen des Völker­bundsrats lebhaft empfiehlt, der Regierungskommission des Saargebiets jeden Beistand zur Erleichterung ihrer Aufgabe zu leihen."

Darob große Aufregung in der gleichgeschalteten Presse des Saargebietes. Der Präsident Knox und nun auch das Generalsekretariat des Bölkerbundes ziehen aber nur die Folgerungen aus den gefährlichen Zuständen, die von der sogenannten deutschen Front" durch ihre rein terroristische Politik gegenüber allen Andersdenkenden geschaffen worden sind. Welche Atmosphäre des Hasses und der Aechtung gegenüber allen herrscht, die sich nicht unter die materielle und geistige Knechtschaft des Hitler­tums beugen wollen, dafür liefert soeben der katholische Hitlerpfarrer Wilhelm einen deutlichen Beweis. Er nennt jeden Saarländer , der sich für den Status quo er Zeitung" Nr. 234 vom 4. September). Wenn so ein Geist, klärt, einen Gesinnungslumpen( Saarbrücker licher spricht, so mag man ermessen, mit welchen bestia­lischen Haßgefühlen die von solchen rohen Fanatikern auf gehetzte Menge gegen die deutsche Freiheitsfront" beseelt ist. Dieser sonderbare Wilhelm, dieser eigenartige Prediger christlicher Nächstenliebe, wie er sie auffaßt, gibt die Parole der Aechtung aller Marristen und Katholiken Er muß aus der Erfahrung massenhafter Terrorfälle aus, die ihr Deutschtum reiner und edler auffassen als er. wissen, wie das von den nationalsozialistischen Horden