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Sonntag- Montag, den 9. und 10. September 1934
Die Eröffnung
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In Prag wurde der VIII. internationale Philosophenkongreß eröffnet. Der letzte Kongreß hatte noch unter ganz anderen europäischen Verhältnissen, im Jahre 1930in Oxford getagt. Erschienen sind 600 Philosophen aus 21 Staaten. Die stärkste ausländische Gruppe stellen die Franzosen. Sie delegierten unter anderen Josephe Barthelemy und den bekannten Vorkämpfer der Liga für Menschenrechte, Victor Basch . Amerika entsandte neben anderen den Professor Montague von der Columbia- Universität in Neuyork, aus Polen ist als Führer der Delegation Tatarkiewicz , aus Jugoslawien sind Petronievic, Bazal, Dvornikovic u. a. erschienen. Die Oesterreicher führt Professor Moritz Schlick , unter den Gästen aus Deutschland , denen die zweifelhafte Ehre zufällt, die Weltanschauung des Herrn Goebbels philosophisch zu verteidigen, sind die bekanntesten Namen Hans Driesch und Willi Hell
pach.
Der Gruß Beneschs
Die Grüße des Präsidenten als Staatsoberhaupt überbrachte Minister Dr. Benesch, der in seinen weiteren Ausführungen in geistvoller Weise zu dem Verhältnis der Politik zur Philosophie und zu dem Problem der Demokratie Stellung nahm. Dr. Benesch bezeichnete den heutigen Zustand der Welt als ein beispielloses Chaos in der Gedankenwelt, im Moralleben und in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen wie auch in der Politik. Jeder verantwortungsbewußte Mensch sinne auf Abhilfe und sei bestrebt, mehr Ordnung, Ruhe und Festigkeit in die Welt zu bringen. Der Minister sprach dann von seiner Stellung als Philosoph, Soziologe und praktischer Politiker. Er habe jedes Problem, das er praktisch zu lösen hatte, erst wissenschaftlich analysiert, das so gewonnene Ergebnis dann an seinen philosophischen und moralischen Theorien geprüft, um so zu einer Synthese zu gelangen und die Idee in die Tat umzusetzen. Er habe sich immer grundsätzlich gegen jeden Experimentalismus in der Politik gewandt. Aehnlich scharf wandte sich Dr. Benesch auch gegen den Opportu nismus. Er forderte, daß jede Politik von stimmten philosophischen und sittlichen Idee geleitet sein müsse. Andererseits müßte aber die Philosophie den Mut haben, praktische Schlüsse aus ihren Ergebnissen zu ziehen.
einer be
da ,, Kreuz und Krone, Blut und Boden" angezweifelt werden und der ,, Kältetod der Werte" droht, mit ihrer Lehre die Welt umgestalten wollen. Diese kämpfende" Philosophie sieht so aus, daß die ,, Explosivstoffe und Radio" für Untergangssymptome der Menschheit erklärt, in germanischem Pessimismus" das nahe Aussterben des ,, Hirnsauriers" Mensch verkündet, die Diktatur für eine Stärkung des Charakters" ansieht, sich in vornehme Einsamkeit zurückziehen möchte und nichts anderes mehr erhofft als eine, wenn auch unwahrscheinliche Wiedergeburt der Menschheit.
Der germanische Philosoph" mußte sich in der Diskussion von zwei jungen auslandsdeutschen Kollegen sagen lassen, daß seine Ausführungen nichts mit Wissen. schaft zu tun hatten und, was ihm besonders peinlich war, daß sie stellenweise Anlehnung an die Lehre des Worauf der ermordeten Theodor Lessing waren. kämpfende Philosoph" in seinem Schlußwort das meiste von dem; was er gesagt hatte, abstritt und im übrigen, ohne Beweise beizubringen, erklärte, daß er auch in Deutschland als Philosoph ,, seinen Mann stehe", aber mit Vertretern gegnerischer Weltanschauung nicht diskutiere! Willi Hellpach gleichgeschaltet
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Am nächsten Tage wurde auf dem Prager Philosophenkongreß das Paradepferd der hitlerdeutschen Delegation vorgeritten: während der ,, Führer" der Gleichgeschalteten, Herr Emge aus Jena ( der sich noch vor vier Jahren als Kulturbolschewist aufspielte, um dann mit einem Wahlaufruf für Hitler eine neue Karriere zu begründen), sich tags zuvor in der Verhandlung über ,, Norm und Realität" versteckt hatte, trat Herr Professor Willi Hellpach( der 1925 bei der Reichspräsidentenwahl für die Demokratische Partei kandidierte) in der Plenarsitzung als Redner über den ,, zentralen Gegenstand der Soziologie" auf, um sich auf diesem, bisher von ihm wenig beachteten Gebiete als Hofphilosoph des ,, dritten Reiches" in Empfehlung zu bringen. Wer den Mut hätte, Karl Marx an satirischer Schärfe überbieten zu wollen, der könnte angesichts einer Erscheinung wie Hellpach von neuem über das ,, Elend der Philosophie" schreiben. Denn als wäre nichts geschehen und ohne seinen lässig- feuilletonistischen Stil im geringsten zu ändern, bekannte sich der einstige Demokrat und Mitarbeiter der„, Sozialistischen Monatshefte" zur Rassentheorie und zum ,, totali tären, intoleranten Staat" wie zu selbstverständlichen Grundsätzen. Mit Deduktionen, die sich auf Apho
Statt des Buches
Endlich kam Dr. Benesch auf das„ Zeitproblem" zu sprechen, als welches er die Krise der Demokratie ansprach. Es sei freilich mehr eine Krise der Demokraten, der Menschen also, die in der Demokratie führen. Von ihnen hänge es ab, ob die Demokratie sich durchsetze. Ihr moralisches und geistiges Niveau sei entscheidend. Dr. Benesch erkennt in der Geschichte der letzten Jahrhunderte ein Ringen zwischen dem Einzelwesen und der Gesamtheit, dem Indi- Neue braune Spionagemethoden viduum und dem Kollektivum. Bis zum Kriege habe alles nach größter Freiheit des Individuums gedrängt, seither neige man mehr zum Kollektivismus. Aber jede Uebertreibung nach der einen Seite bedinge ein Ausschlagen des Pendels nach der anderen. Es sei Aufgabe der Regierenden, nach der dauernden Harmonie zwischen Individuum und Kollektivum( Staat und Volk) zu streben.
Victor Basch über Kunst und Demokratie
Am ersten Verhandlungstage begann nach einer Plenarsigung über die Grenzen der Naturwissenschaft in allen sechs Gruppen die Reihe der Verhandlungen und Diskussionen. In der Gruppe D", in der über die„ Krise der Demokratie" gesprochen wird, hielt der Pariser Professor Victor Basch , der alte Vorkämpfer der Liga für Menschenrechte, eine formvollendete Rede über die Kunst und die Demokratie, in der er sich temperamentvoll mit den Argumenten auseinandersetzte, mit denen man die Unvereinbarkeit der künstlerischen Freiheit mit der Herrschaft der Volksmehrheit, des artistischen Fühlens und Träumens mit der politischen und sozialen Wirklichkeit, des ,, aristokratischen" Künstlers mit der demokratischen Popularisierung begründen will. Wo eine solche Unvereinbarkeit tatsächlich besteht, da zeugt sie, wie Basch betonte, nicht von einer Krise der Demokratie, sondern von einer Krise der Kunst. Denn das wahre Genie sei immer ein soziales Genie, und je tiefer die Kunst sei, desto tiefer wurzle sie im Volke. Der Ursprung der Künste sei ebenso sozial begründet wie ihre Glanzzeiten. Und in keiner Gemeinschaftsform könne sich ein solcher Reichtum der Kunst entwickeln wie in der Demokratie, in der die Kunst einer kleinen Elite
verschwinde, aber die Freiheit des Künstlers sich mit der Freiheit des Volkes vereine.
Feldkeller aus Hitler - Deutschland
Aber auch ein glühender Verteidiger der Demokratie wie Basch wies darauf hin, daß die Demokratie heute vielfach verstümmelt sei. Und der Prager Philosoph Joseph Fischer, der sich in französischer Sprache über die Prinzipien der Philosophie äußerte, führte seine Kritik bis an jenen Punkt, wo die demokratischen Grundsätze als Fiktionen bis an den Punkt, wo aus der Unfähigkeit der Demokratie, das Problem der gerechten Güterverteilung und der wahren Gemeinschaft zu lösen, der Uebergang zum Sozialismus als Notwendigkeit gefolgert werden muß.
erscheinen,
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In peinlichem Kontrast zu diesen ernsthaften und vorwärtsweisenden Vorträgen stand das Auftreten des hitlerdeutschen Abgesandten Paul Feld keller, der( bisher in weitesten Kreisen unbekannt) sich nicht nur über das Verhandlungsthema hinwegsetzte, sondern sich mit einem Wust unklarer Thesen als Diktator der Philosophie aufspielen wollte. Er wetterte gegen die reflektierenden Philosophen( als deren Vertreter er Hegel nannte, aber wahrscheinlich Kant meinte
über den auf diesem internatio
nalen Philosophenkongreß kein Deutscher, sondern ein Pole sprechen wird). Und er begeisterte sich, nachdem er noch schnell Marx und Engels für entsetzenerregend" erklärt hatte, für die ,, kämpfenden" Philosophen, die in einer Zeit,
rismen und Stilblüten gründeten, pirschte er sich ,, wissenschaftlich" an die Ideologie des Hitlerfaschismus heran. Aus eigener Machtvollkommenheit erklärte er zu diesem Zwecke, das Volk( nicht die Gemeinschaft) sei der zentrale Gegenstand" der Soziologie, das Volk, das eine Naturtatsache sei ( wobei er nicht verfehlte, auf die Rasse hinzuweisen, was er harmloserweise mit dem Hinweis auf Jakob Burckhardt und die Schilddrüsenforschung rechtfertigte). Und mit einem Sprung aus dem„ Geisterreich" ins Geistesreich", vom Geheimnis des primitiven Zauberers zur Uebermenschlichkeit des Führers kam Hellpach prompt zum gesteckten Ziel: das natur. tatsächliche Volk muß durch bewußte Willensschöpfung neu geschmiedet werden und es schien nur eine Höflichkeit des Redners gegenüber dem wissenschaftlichen Ansehen des Kongresses, daß er seine neu gewonnene" Erkenntnis nicht mit einem Heilruf auf Hitler , sondern mit historischem Geplauder begründete.
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Der Berliner Philosoph Nicolai Hartmann , der dann über das Wertproblem" sprach, bemühte sich im Gegensatz zu Hellpach , seinen wissenschaftlichen Ruf zu wahren. In vorsichtiger Beschränkung aufs Grundsätzliche erörterte er die Möglichkeit, das ,, Sein der Werte" anzuer. kennen, wobei er die Ewigkeit der Werte ebenso ausschloß wie ihre Leugnung. Was zwischen diesen beiden Lehrmeinungen liegt, versuchte er in einer Theorie der zwar existierenden, aber durch geschichtliche Veränderungen je. weils aktuell und nicht aktuell werdenden Werte auf eine Formel zu bringen. Und er warb um das Verständnis der Zuschauer mit der beispielhaften Bemerkung, daß in der parlamentarischen Demokratie der blinde Gehorsam, in einem Sklavenstaat aber der Bürgersinn" als Wert keine Geltung habe.
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Um welchen Wert es heute geht, das verkündete in der Diskussion über die Krise der Demokratie der Pariser Barthelemy, der( umrahmt von den Vorträgen der staatsautoritären Faschisten Del Vecchio und Michels) über den Wert der Freiheit" sprach:„ Die Freiheit und die Verantwortlichkeit vor dem Gesetz und nach Barthelemy auch der Individualismus- sind die Atmosphäre, in der die Demokratie allein leben kann. Die Freiheit ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Sie ist allerdings auch nicht, wie man in Frankreich allzu optimistisch annahm, ein Normalzustand, sondern etwas, das immer wieder im Kampfe errungen werden muß. Barthelemy bestritt die Behauptung, daß Ordnung und Freiheit Gegensätze seien. Denn nicht der auf die Willkür eines Herrschers oder Führers gegründete Staat, sondern nur der auf Freiheit gegründete Staat sei stabil...
Auf allen Gebieten der Kultur und Wissenschaft ist das ,, dritte Reich" auf ein erschreckendes Niveau hinabgesunken. Ausgenommen von diesem Niedergang ist die Spionage. Welche Formen, welche abgrundtiefe Raffinesse sie annimmt, davon möge folgender Vorfall zeugen:
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Vor einigen Monaten wurde im Zentrum einer rheinischen Großstadt ein neuer Buchladen eröffnet, der zu aller Erstaunen in seinen beiden Schaufenstern besonders viel ,, verbrannte Schönliteratur, wie Gorkis „ Die Mutter", Sinclairs ,, Hundert Prozent", Barbusses ,, Das Feuer" und ähnliches zu niedrigsten Preisen( meist 95 Pfennig) ausgestellt hatte. Mancher ließ sich nun verleiten, ging in den Laden und verlangte dies oder jenes Buch. Und immer wieder versuchte die Verkäuferin, unter irgendeinem Vorwand die Adresse des Käufers festzustellen. Entweder es hieß: ,, Das von Ihnen gewünschte Buch ist im Augenblick nur im Fenster; wir haben neue Exemplare bestellt; sobald sie gekommen sind, werden wir Ihnen das Buch zustellen. Dürfte ich darum vielleicht mal schnell Ihre Adresse notieren?" Oder: Aehnliche Werke kriegen wir demnächst zu noch niedrigeren Preisen geliefert. Wir können Ihnen dann ja eine Mitteilung zuschicken, vielleicht auch neue Prospekte. Würden Sie uns dazu vielleicht Ihre Adresse geben?" Die Naiven gaben Namen und Adresse an. Die Folge...?
Nicht das gewünschte Buch oder ein Prospekt, sondern Beamte der Geheimen Staatspolizei erschienen an einem der
Wiederkehr des Gleichen
Cäsaren ähneln sich in lächerlicher Weise. Ohne daß sie es ahnen, bewegen sich ihre Hirne in den gleichen geistigen Schraubengängen.
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..Es ist mein unerschütterlicher Entschluß, jeden, der es wagen sollte, diese Entwicklung zu hindern oder gar mit Gewalt zu hemmen, persönlich zur Verantwortung zu ziehen," echote Adolf I. in Hamburg .
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nächsten Tage zur Haussuchung! Wenn jemand Interesse für Gorki und Sinclair und Barbusse hat, ist doch anzunehmen, daß in seiner Wohnung noch mancherlei Literatur dieser Art zu finden ist. Von diesem Gedanken gingen die Herren der Gestapo aus. Nicht wenige sollen dem ,, Buchladen" und damit der Polizei in die Hände gefallen sein. Die meisten jedoch, auch wenn sie nichts Positives über diesen neuesten braunen Spionagetrick wußten, fanden es sehr seltsam, daß ein Buchladen zu einem großen Teil antifaschistische Literatur zu verkaufen wagte, und sie gingen kopfschüttelnd an den verlockenden Buchfenstern
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vorbei.
Da dieser Trick zuletzt keine Wirkung mehr hatte, verschwand der Buchladen eines Tages sang- und klanglos. Aber nur, um wenige Wochen später in einem anderen Stadtteil von neuem zu beginnen, hier aber geschickter und unauffälliger: Hinter den Ladenfenstern sieht man nun zu etwa drei Viertel gleichgeschaltete und einwandfreie braune Literatur. Nur dazwischen finden sich versteckt antifaschistische Bücher...
Nun behaupte einer, die Nazis seien geistesträge...! Wenn es darauf ankommt, Konzentrationslager und Gefängnisse zu füllen, arbeitet das Gehirn der braunen Herr schaften recht gut.
Ein Gangster muß eben schlau sein!
H. W.
,, Sowie mir der hochselige alte Herr die Verantwortung gab, habe ich keine Minute gezögert..." Auch Hitler hat seinen hochseligen alten Herrn, siebenundachtzigjährig verstorben, ebenfalls mit falschem Legendenruhm umkleidet und ebenso unantastbar wie der alte Kaiser Wilhelm in der Sentimentalität des deutschen Volkes geborgen. Er hält sogar ein„, Testament" des Hochseligen in Händen, das er als Berufung zur Nachfolgerschaft deutet.
Cäsaren ähneln einander in lächerlicher Weise. wird die geschichtliche Parallele zwischen Wilhelm und Adolf wohl fortlaufen und... bis zu welchem Punkte?! J. C.
Wie
,, Schwarzseher dulde ich nicht. Die Nörgler sollen den Keine Illusionen, Herr Hitler !
Staub des Vaterlandes von ihren Pantoffeln schütteln," lautete Wilhelms Diktat.
,, In meinen Augen ist Kritik keine lebenswichtige Funktion an sich. Ohne Kritiker kann die Welt leben, ohne Arbeiter nicht," schloß Adolf I. in Hamburg sich diesem Standpunkte an.( Sollte das Schicksal Deutschlands unter Wilhelm II. nicht eigentlich den Beweis erbracht haben, wohin es führt, wenn Kritik sich nicht durchsetzen kann?!)
,, Mein in Gott ruhender, hochseliger Großvater," das war der Heldengreis, hinter dessen legendärer Größe in Wahrheit auf den Taten Bismarcks und Moltkes beruhend der Enkel mit Vorliebe Schutzstellung bezog. Wer durfte wagen, an die Gestalt des neunzigjährigen verstorbenen ersten Wilhelm zu rühren!
Du scheinst am Ziel, bist Oberhaupt des Staates, Das heißt, des größten Täuschungsapparates, Den je die Welt in Tätigkeit gesehn. Dich schützen jetzo Diplomatensitten; Du aber wirst mit Siebenmeilenschritten Die Wege des Verderbens weitergehn.
Wie du ,, legal" bist, werden wir dich schonen! Dein Recht brüllt aus den Schlünden der Kanonen, Und unser Echo kann nur Todhaß sein, Zwar müssen wir die Worte leider dämpfen, Doch werden wir verbissen weiterkämpfen, Bis Recht und Freiheit ziehn in Deutschland ein. Horatie.