Deutsche Stimmen. Beliage sur

Bellage sur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten Deutsone

19

Dienstag, den 11. September 1934

Im Haus der Freudlosen

Gefängniserlebnisse von Felix Fechenbach

Die Tage im Gefängnis werden mir lang. Aber die Nächte sind fast endlos. Man sollte die Zeit im Gefängnis nicht nach Tagen, man müßte sie nach Nächten zählen. od soill

Diese qualvollen Nächte ohne Schlaf kennt außer dem Ge­fangenen nur noch der Kranke.

thus sid

Um acht Uhr löscht das Licht aus. Vier Stunden kann ich schlafen. Dann dehnt sich die Nacht in langen Stunden, und jede Stunde schleicht ihre sechzig Minuten in quälender Trägheit. Erst um sechs Uhr früh gibt's wieder Licht.

In die Schlaflosigkeit hinein erinnert mich das Eisengitter am Zellenfenster, wo ich bin. Immerwährend hab ich dies Gitter vor Augen. Auch des Nachts, wenn ich noch nicht oder

schon nicht mehr schlafe.

Meine Eisenbettstelle ist tagsüber an die Wand hinauf­geklappt. Nachts steht sie mit dem Fußende gegen die Tür, so daß ich das Fenster nicht sehe, wenn ich im Bett liege. Aber im Garten vor dem Zellenbau brennt eine elektrische Laterne, und ein tückisches physikalisches Gesetz will, daß sie ihr Licht durch das vergitterte Fenster und damit den Schatten des Fenstergitters scharf umrissen auf die gegen­überliegende Zellenwand wirft.

So kann ich dem Gitter nicht ausweichen. Ich muß seinen Schatten sehen, sobald ich nur die Augen öffne. Einmal, in der Zelle war's schon dunkel

-

machte ich mit ausgespreizter Hand eine zufällige Bewegung nach oben. Sofort erscheint an der Wand im Schattenbild des Gitters der scharf gezeichnete Schatten meiner Hand. Das Ganze sieht aus, als strecke sich eine Hand voll Sehnsucht durchs Gitter ins Freie. Unwillkürlich ballen sich meine Finger zur Faust und das Bild an der Wand wird zu drohender Anklage. Närrisches Schattenspiel. Und doch, wieviel Wahrheit liegt

in diesem Spiel!

Ist die Nacht sternhell, dann stehe ich oft auf meinem Schemel vorn beim Fenster und schaue die Majestät des nächtlichen Himmels.

Drüben, jenseits des Gartens, liegt das Hauptgebäude, das ehemalige Kloster. Daneben ragt die alte Basilika. Eine wuchtige Silhouette.

Wenn ich am Fenster stehe, muß ich mich vorsehen, daß der Nachtwächter mich nicht erwischt. Er schleicht zuweilen an den Zellentüren entlang und schaut durch die Gucklöcher. Werde ich gesehen und gemeldet, gibt's eine Hausstrafe.

Ist Vollmond, dann fällt das bleiche Mondlicht in meine Zelle auf die Nordwand. Ich beobachte das Weiterrücken des Lichtstreifens und zähle daran die Stunden. Ist das Licht hinten in der Ecke angelangt, wo die Opferschale steht, dann ist's fünf Uhr morgens.

In einer solchen Mondnacht hatte ich einmal Besuch in der Zelle. Eine Maus war unten beim Heizrohr hereingeschlüpft. Von meinen Papierdüten war eine auf den Boden gefallen. Darin raschelte die Maus herum, bis ich eine unbedachte Be­wegung machte. Da huschte das geängstete Tierchen er­schrocken davon.

Am nächsten Abend legte ich ein paar kleine Reste vom Abendbrot mit einem Stückchen Papier auf den Boden. Stundenlang wartete ich und lauschte angestrengt, ob meine nächtliche Besucherin sich nicht einstellen wolle. Um ein Uhr kam sie, Dem kleinen Mahl, das ich ihr bereitet, tat sie alle

Ehre an. Noch ein paar Nächte konnte ich mich an dem kleinen Tierchen freuen. Dann wurden eines Tages die Zellen ausgebessert und das Loch unten beim Heizrohr mit Gips verschlossen. Die Nächte waren jetzt wieder einsam, wie vorher.

Die Nacht läßt alle Geräusche deutlicher hören, als es der Lärm des Tages gestattet. Jede Viertelstunde höre ich die Turmuhr schlagen. Im Zellenbau folgt dann der silbrige Schlag der großen Standuhr.

Wenn der Nachtwächter seinen Rundgang macht, höre ich jeden Schritt am Gebäude entlang. Zuweilen dringt ein Geräuch herauf, das unten zwei Beamte führen. Und drüben

vom Dorfkrug schallt bis zwölf Uhr frohes, ausgelassenes

Gelächter herüber, manchmal auch Gesang.

Nach seinem Rundgang kommt der Nachtwächter wieder in den Zellenbau. Ich höre jede seiner Bewegungen. Wenn er sich auf den Schemel setzt, wenn er die Pfeife anzündet, ja, wenn er beim Lesen ein Blatt des Buches umwendet, höre ich's. Das laute Schnarchen seines auf den Mann dressierten Hundes dringt vernehmlich in meine Zelle.

Im Garten vorm Zellenbau ist ein Bassin. Karpfen sind drin. Ich höre sie, wenn sie sich im Wasser emporschnellen. Manchmal tut einer einen zu kühnen Sprung und fällt nicht ins Wasser zurück. Dann liegt er oft die ganze Nacht neben dem Bassin und schlägt mit dem Schwanz in eine Pfütze. Das klatschende Geräusch davon konnte ich mir lange nicht er­klären, bis ich eines Morgens einen Karpfen neben dem Bassin liegen sah.

Oft hatte ich nachts in halbwachem Zustande traumhafte Vorstellungen. Am häufigsten kehrte das drückende Gefühl wieder, als würden Mauern und Decke der Zelle auf mich eindringen, mich zu zermalmen. Und ich war an meinem Platz gehalten, konnte mich nicht bewegen.

Einmal sah ich mich auf einer Wiese inmitten einer Baum­gruppe.

Von fern koramt ein riesenhafter, ungeschlachter Mensch auf mich zu. Er ist nackt. Er kommt näher und ich sehe seinen brutalen Gliederbau, seine sehnigen Arme, seine krallenden Hände, die aussehen, als sollten Menschen damit erdrückt werden.

Auf den Schultern trägt er ein zusammengerolltes Stachel­drahtnet. Das befestigt er an einem Baum und ehe ich mich umschaue, hat er das Drahtnets um die ganze Baumgruppe herumgeschlungen und mich mit eingeschlossen. Ueber mir wächst der Stacheldraht zusammen.

Ich frage den cyklopenhaften Riesen entsetzt, was er will. Er antwortet nicht.

Ich frage, wer er sei.

Da grinst er zynisch:

,, Kennst du mich nicht? Ich bin die deutsche Justig." Jetzt sehe ich auf seinem klobigen Kopf eine hohe Krone aus lauter aneinandergereihten Paragrafenzeichen zusammen­gesetzt.

Das Bild verschwindet und ich wälze mich wieder unruhig auf meinem Lager. Die Minuten wollen sich nicht zu Stunden

Schacht

( Ein deutsches Porträt)

Zwei funkelnde Aeuglein, ein kletternder Schlips. Von Scheitel bis Sohle nichts Weiches.

Das lebende Hauptbuch für Sperrmark und Scrips, Der ragende Mark- Stein des Reiches.

Der Mund lispelt Schwäche, der Kneifer blitt Kraft. Oft wechselts. Mal schriftlich, mal mündlich. Der Hjalmar- Mephisto der Geldwissenschaft Bleibt gründlich- unergründlich.

Die Nase ist spitzt und der Hals autonom, Und das Bärtchen sagt trotzig: Na eben! Und der Mund ohne Lippen erfand das Axiom. , Wer gab, der hat noch zu geben!!"

99

Heckenroth.

So lang man nüchtern ist... Fridericus, Bismarck und Goethe auf der Kitschliste...

In der jetzt wieder veröffentlichten Liste von Gegenständen, die für unzulässig im Sinne des Gesetzes zum Schutz der nationalen Symbole erklärt wurden, finden sich: Ansteck­nadeln der Deutschen Christen, die mit einem Haken­kreuz versehen sind; Feinseife mit aufgeprägtem Haken­kreuz und den Worten, Heil Hitler" oder Deutschland er. wache"; Zigaretten unter der Marke Sanssouci ", auf denen die Silhouette Friedrichs des Großen abgebildet ist; Hausschuhe und Pantoffeln, in deren Oberteil aus Plüsch ein Hakenkreuz eingewebt ist; die Zeitschrift ,, Das Braune Blatt", die auf dem Titelblatt die Hakenkreuzfahne zeigt.

-

Außerdem wurden folgende von einer großen Brauerei ausgegebene Postkarten verboten: Postkarten mit dem Bilde Friedrichs des Großen und der Aufschrift: ,, Was wollen denn die Leute? Ich bin in meiner Jugendzeit mit Biersuppe auferzogen. Ihre Väter kannten nur das Bier, und das ist das Getränk, das für unser Klima paẞt", Postkarten mit dem Bilde Bismarcks und der Aufschrift: ,, Ich wurde von den Leuten behandelt wie ein neues Nilpferd für den Zoologischen, wofür ich Trost in sehr gutem Biere suchte", und Postkarten mit dem Bilde Goethes und der Auf­schrift: ,, So lang' man nüchtern ist, Gefällt das Schlechte; Wie man getrunken hat, Weiß man das Rechte; Nur ist das Uebermaß Auch glich zu Handen; Hafis , o lehre mich, Wie du's verstanden! Denn meine Meinung ist Nicht über­trieben: Wenn man nicht trinken kann, Soll man nicht lieben, Doch sollt ihr Trinker euch Nicht besser dünken, Wenn man nicht lieben kann, Soll man nicht trinken. Trunken müssen wir alle sein! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein; Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend, So ist es wunder­volle Tugend."

Warum denn in die Ferne und in die Geschichte schweifen? Es gibt keine bessere, keine aktuellere Bierreklame als ein Porträt des Führers der Deutschen Arbeitsfront ", des Herrn Dr. Robert Ley.

formen, und ich habe noch so viele schlaflose Nächte vor mir. Dolly Haas verdächtig?

Wie viele?

Die Philosophen in Prag

Die Wahrheit in Deutschland ist ,, illegal"

Zu den Debatten aus dem Internationalen Philosophen­kongreß in Prag schreibt uns noch Dr. Otto Fried­ länder

:

Es ist wohl kein Zufall, daß ein Berliner Dozent namens Feldkeller in einem Vortrage mit dem hübschen Titel: " Geophilosophie und Historiologie" wörtlich behauptete: " Der Staatsmann duldet keine Quertreibereien, Politik kann niemals tolerant sein. In der Zukunft wird sich daher in der Oeffentlichkeit nur noch politische Tendenz philosophie halten können." Warum nur in der auch noch Oeffentlichkeit? Deswegen, weil Philosophie als Geheimwissenschaft gibt. Denn Feldkeller sagt: Wer durchaus die Wahrheit ehren will, der tue es in kleinem Kreis und gebe acht, daß dieser Kreis dicht hält."

es

eine

Mit anderen Worten, Herr Feldkeller hat die phänome­nale Geschicklichkeit besessen, ehrlich auszusprechen, was außerhalb der schwarzweißroten Grenzpfähle jedermann sowieso weiß, daß nämlich die Wahrheitin Deutsch­ land nur illegal lebt.

Dabei gelang es doch nicht ganz ihre Stimme zu unter­drücken. Der hochbetagte Senior der deutschen Soziologie Ferdinand Tönnies , richtete ein Schreiben an den Kongreß, das als ein hohes Zeichen von Mut dieses heute noch in Kiel lebenden weltberühmten Gelehrten gewertet werden muß. Finden sich darin doch Sätze wie dieser: ,, Die politische Entwicklung mehrerer großer Staaten bewegt sich deutlich in der Richtung auf den Sozialismus, auch wenn diese Bewegung nur zum Scheine und zum Vorwande ge­braucht wird."... Oder: Im politischen Gebiete ist es offenbar und durch Erfahrung bewährt, daß tiefgewurzelte Einrichtungen nicht beliebig aufgehoben werden können

und daß daher eine absolute Verneinung des Liberalismus,

seiner Postulate und seines Geistes, die durch Jahrhunderte sich allmählich befestigt und vertieft haben, sinnlos ist; es hieße das hochkomplizierte Gebilde des modernen Staates vernichten wollen, wenn auch seine wesentlichen Institu­tionen für eine gewisse Zeit durch so etwas, wie cäsarische Alleinherrschaft ersetzt werden mögen- niemals für erheb­

liche Dauer!"

Der alte Ruf der deutschen Wissenschaft blieb gewahrt durch Vertreter jener als neupositivistisch anzusprechenden Richtung der Logisten, die von dem jetzt in Prag wirkenden

Professor Carnap , von Otto Curath und von Professor Hans Reichenbach geführt wurde. Reichenbachs Darlegungen über den relativen Wahrheitsgehalt naturwissenschaftlicher Kausalitätsgesetze waren nicht nur ein wissenschaftlicher Höhepunkt der Tagung, sondern auch ein indirekter Protest gegen eine Philosophie, deren Haupt­

merkmale Irrationalismus und Intoleranz, also die wesent­lichen Eigenschaften der Glaubenseiferer, nicht der Wahr­heitssucher sind. Allerdings ist das Schicksal dieses jungen Gelehrten selbst ein Beweis für die wissenschaftliche Intoleranz des ,, dritten Reiches", denn das Katheder Hans Reichenbachs steht nicht mehr in der Berliner Universität," Stambul ! sondern in

-

Der Vielbeschäftigte

-

Das Deutsche Künstlertheater" Berlin hat mit Dolly Haas in der Titelrolle Niccodemis ,, Scampolo" aufgeführt. Der Angriff" beschließt seine nicht eben freundliche Kritik mit dem Hinweis:

Uebrigens man sage nichts gegen die Großzügigkeit im nationalsozialistischen Staat, denn wenn wir nicht irren, ist weder Dolly Haas noch Karl Stepanek der Nachweis arischer Abstammung gelungen; trondem läßt man sie ungehindert spielen."

Goebbels ' Leibblatt dürfte mit dieser harmlos klingenden Bemerkung sowohl dem Künstlertheater als auch dem deutschen Film einen Bärendienst erwiesen haben. Man läßt nämlich nichtarische Künstler, die gute Kassen machen", mit Freuden solange auftreten, als über ihre verdächtige Großmutter nichts bekannt wird. Sobald eine Denunziation

wie die eben zitierte im, Angriff" auf den dunklen Punkt hinweist, sind die Künstler gewöhnlich nicht mehr ,, tragbar". Man darf gespannt sein, wie lange Dolly Haas und Stepanek deutschen Theatern noch Geld einbringen

dürfen.

Zeit- Notizen

Ein Inserat in der Deutschen Medizinischen Wochen- ,, Amt für Technik "

schrift":

Assistenzarzt für die chirurgische Abteilung( 120 Betten) des städtischen Krankenhauses Kaiserslautern ge­sucht... Ang. über die Zugehörigkeit zur NSDAP , SA. , SS. , NS.- Aerztebund erwünscht.

Kaiserslautern ... Das Bürgermeisteramt."

Der gesuchte Herr hat viel zu tun, ehe er sich neben­beruflich seinem eigentlichen Beruf widmen kann!

99

Wie geht es Ihnen?"

99

Wollen Sie die Wahrheit wissen?" ,, Natürlich!"

..Sie Lockspitzel! Mich erschießt man nicht so leicht auf der Flucht!"

Nepp in Nürnberg

,, Donnerstag, 6. September, 10 Uhr vormittags, Appell des NS - Arbeitsdienstes auf der Zeppelinwiese. Stehplay 30 Pfennig, Sitplats 1 Mark, 2 Mark, 3 Mark."

,, Donnerstag, den 6. September, 13.30 Uhr nachmittags, Vorbeimarsch des NS. - Arbeitsdienstes am Adolf- Hitler- Plats. Stehplay 1 Mark, Sitzplatz 5 Mark.

Vorbeimarsch des Fackelzuges am Bahnhof, Stehtribüne 3,- Mark."

Nordische ,, Galizianer" an der Arbeit!

Bei der obersten Leitung der PO. ist ein Amt für Technik errichtet worden. Das Amt für Technik ist eine Parteiein­richtung, die die deutsche Technik in ihren sachlichen Auf­gaben und Erfordernissen zu betreuen hat. Ihr erster Vor­sitzender ist Staatssekretär Feder, als Amtsleiter bei der Reichsleitung München wirkt Pg. Seebauer, während die ver­schiedenen Gauamtsleiter zunächst einmal die ihnen zuge tragenen Fälle zu berücksichtigen haben..." Dem Amt für Technik ist der ,, NS.- Bund deutscher Technik als Betreuer persönlicher Menschenführung" unterstellt. Das Amt soll eine Reichskammer deutscher Technik vorbereiten.

Bibliophilie

braun

Alle bibliophilen Gesellschaften wurden in die Reich­schrifttumskammer als besondere Fachschaft eingegliedert. Präsident der Weimarer Gesellschaft wurde Börries Freiherr von Münchhausen . Er schrieb auch bereits sein Programm nieder, worin es heißt, daß im Land der Bücherver­brennungen- er nennt es das ,, Land der Buchliebhaberei" , die Fahne einer neuen sozialen Sittlichkeit an den Flagg­stock genagelt werden soll".

99

Man verdirbt einen Jüngling am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten als den Andersdenkenden.

Morgenröte, IV. Buch, Verderblich- 297.