Deutsche Freiheit", Nr. 217

ARBEIT UND WIRTSCHAF? ch, den 13. Sept. 1934

Die Kunstscidckonzerne fischen im trüben

Von der Einfuhrdrosselung sind am stärksten die Textil­rohstoffe betroffen. Insbesondere sind rigorose Maßnahmen zur Einfuhrdrosselung von Rohwolle ergriffen worden. Während sich die Rohwolleinfuhr noch im April auf 22,4 Millionen Kilogramm stellte, ist sie im Juni auf 3,2 Millionen Kilogramm gesunken. Im Laufe der nächsten Monate wird die Einfuhr von Rohwolle, Baumwolle, Jute und Seide auf ein Minimum beschränkt. Das

dritte Reich" steht somit, auf lange Sicht gesehen, vor der Frage, wie sich die Dinge bei der deutschen Textil­industrie, deren Produktion ohnehin schon seit Ende Juli um 30 Prozent eingeschränkt worden ist, entwickeln werden. Deutschland , das 95 Prozent seines Textilrohstoffbedarfs aus dem Auslande einführt( bei Baumwolle und Jute sind es 100 Prozent) ist nicht imstande, die ausländischen Rohstoffe auch nur teilweise durch inländische Erzeugnisse zu ersetzen. Der Anteil der inländischen Rohwolle- und Flachserzeugung bleibt minimal, und es wird deshalb nicht zu vermeiden sein, die Textilproduktion weiter einzuschränken. Die Aus­wirkungen einer erneuten Produktions­einschränkung in einem Industriezweig, in welchem gegenwärtig etwa 2 Millionen Menschen beschäftigt sind, würden für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ,, dritten Reich" katastrophal sein.

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Die Aufgabe der neugeschaffenen Ueberwachungsstellen würde es also sein, die größten Anstrengungen zu machen, um in Zukunft die Produktion der Textilindustrie wenigstens auf einer gewissen Höhe aufrechtzuerhalten. Bei der be­denklichen Devisenlage des Reichs scheinen aber geringe Aussichten dafür zu bestehen.

Nun versuchen aus dieser äußerst schwierigen Situation, in die die Textilindustrie durch die Hitler - Mißwirtschaft hineinmanövriert wurde, gewisse Industrielle für sich Kapital zu schlagen. Die Vereinigten Glanzstoffabri­ken A. G. und die I. G. Farbenindustrie A. G. ennen beim Reichswirtschaftsministerium die Türen ein, um den maßgebenden Stellen einzureden, daß sie die Retter" aus der deutschen Textilnot seien. Aber nicht nur das Reichswirtschaftsministerium, auch die Presse wird von diesen beiden Industriekonzernen entsprechend bearbeitet. So fand beispielsweise kürzlich eine Besichtigung des Kunst­seidenwerkes Sydowsaue bei Stettin statt, zu der die Ver­treter der maßgebenden Zeitungen Deutschlands eingeladen wurden. Bei dieser Gelegenheit wurde den Pressevertretern auseinandergesetzt, welch große Bedeutung der Kunstseide in der jetzigen schwierigen Lage zukommt.

Die Bearbeitung der öffentlichen Meinung setzt sich weiter fort, und in dieser Beziehung ist der Artikel bezeichnend, den Dr. Konrad Herrmann, Vorstandsmit­glied der Vereinigten Glanzstoffabriken A. G., sowohl in der Kölnischen Zeitung " als auch in der ,, Rhein- Mainischen- Wirtschaftszeitung" veröffentlichte. Nach­dem Dr. Herrmann die bedenkliche Lage der deutschen Textilindustrie angesichts der mangelnden Rohstoffversor­gung schildert, macht er für die Kunstseide Reklame. Er schreibt:

,, Es ist naturgemäß, daß sich gerade in den heutigen Zeiten die Augen auf dasjenige Erzeugnis richten, das bereits seit Jahrzehnten als Textilrohstoff synthetisch hergestellt wird und sich als solcher bewährt hat. Es handelt sich um die Kunstseide, deren Ausgangsprodukt der Zellstoff ist, also chemisch derselbe Grundstoff, aus dem auch die Baumwolle gebildet ist.

Aus der Tatsache, daß es wirklich gelungen ist, in weitem Umfang die echte Seide durch die Kunstseide zu ersetzen, kann man schon zum Teil den Beweis herleiten, daß es sich bei der Kunstseide nicht um ein minderwertiges Ersagerzeugnis handelt.

Viel wichtiger ist aber, daß sich die Kunstseide neben allen anderen ausländischen Textilprodukten ein eige nes Verarbeitungs- und Verwendungs­gebiet geschaffen hat, in dem sie sich volt bewährt hat. Als Ersatzprodukt hätte die Kunstseide niemals den Siegeslauf durch die ganze Welt antreten können, den sie tatsächlich durchgemacht hat; denn sie wäre darauf angewiesen gewesen, einen Teil des Ver­brauchs an echter Seide zu ersetzen, während sie in Wirk­lichkeit ein Absatzgebiet gefunden hat, das in den einzelnen Ländern verschieden im Durchschnitt min­

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der Baumwoll- oder Wollfaser. Es handelt sich also um ein Produkt, das ähnlich wie die exotischen

Mittwoch,

wieder eingereiht ist, dann wird der Bedarf nach der qualitativ besseren Baumwolle und Wolle so groß sein, daß die künstlich aufgeblähte Kunstseidenproduktion wieder auf ihren normalen Stand zurückgeschraubt sein wird.

Rohproduk erst von weiterverarbeitenden Spinnereien Arno 17 zum laufenden Faden gestaltet werden muß. Da gerade diejenigen Arbeitsprozesse, die bei der Kunstseide ver­teuernd wirken, bei der Stapelfaser gespart werden kön­nen, so ist die letztere wesentlich billiger als die Kunst­seide, immerhin aber teurer als Baumwolle, jedoch billiger als Wolle.

Bei einer ausgesprochenen Rohstoffnot ist ein höherer grund für die Verwendung, aber immerhin erschwert er dieselbe bis zu einem gewissen Ausmaß. Den höhern Preis Preis kein unbedingter und unüberbrückbarer Hinderungs­gegenüber der unter kolonialen Verhältnissen erzeugten Baumwolle wird man bei dem Kunstprodukt ebenso in Kauf nehmen müssen wie auch den höhern Preis unsers heimischen Getreides gegenüber ausländischem usw.

Zum Schluß erklärte der Beauftragte des Glanzstoffkon­zerns, die Hauptsache sei ,,, daß wir das Bewußtsein haben, auch diesen neuen Rohstoff in einer Qualität liefern zu kön­nen, die ihn befähigt, die große Aufgabe, ausländischer Roh­stoffe durch heimische Erzeugnisse zu ersetzen", zu erfüllen. Dieser Feldzug der Kunstseidenkonzerne bedeutet eine Gefahr für die deutsche Volkswirtschaft. Die Kunstseiden­magnaten wollen die für sie günstige Situation ausnutzen, um eine erhebliche Steigerung ihrer Produktion auf Kosten der übrigen Textilindustrie herbeizuführen. Diese Pläne er­scheinen ja zwar auf den ersten Blick etwas fantastisch. Während im Januar 1933 die Erzeugnisse von Kunstseide in Deutschland rund 31 000 Tonnen betrug, stellte sich der Baumwollverbrauch im gleichen Jahre auf 400 000 Tonnen. Allein aus diesen Vergleichszahlen ist die ganze Bedeutung der Baumwollindustrie in Deutschland zu ermessen. Um die bisherige Baumwollproduktion zu ersetzen, müßte also die Kunstseide ihre Erzeugung mehr als verzehnfachen. Bei dem Kapitalmangel in Deutschland besteht für die Kunstseiden­

In einem Aufruf an die Unternehmer und die Betriebs­gefolgschaften unterstreicht die Industrie- und Handelskam­mer Gladbach- Rheydt- Neuß mit Nachdruck die Bedeutung des Kampfes gegen die Rohstoffvergeudung. Die Erfahrung lehre nur zu deutlich, daß bei der Verarbeitung von aus­ländischen Rohstoffen noch manche Verlustquelle gestopft werden kann. Man solle bei der heutigen Zeit bei der Verarbeitung der Textilfasern die bestmögliche Schonung der Rohstoffe im Auge haben und lieber die Ma­schinen etwas langsamer laufen lassen, lieber etwas mehr Lohn bezahlen, aber jeden unnötigen Abfall vermeiden. Die frühere Rechnung, wonach es oft zweck­mäßiger war, die Maschinen schneller anzutreiben, Arbeits­lohn zu sparen und mit dem Rohstoff großzügig umzugehen. sei in unserm rohstoffarmen Land durchaus falsch.

,, Ist es in der heutigen Zeit nötig", so sagt die Kammer in ihrem Aufruf, daß die Reiß, Streck und Spinnmaschinen, die Krempelsätze und Webstühle vielfach mit einer Geschwindigkeit laufen, die auf die Scho­nung des Rohstoffs keine Rücksicht nimmt, die Fasern vielfach zerreißt und die Abfallmengen erhöht? Solite man nicht allgemein dazu übergehen, die Schmierung der Maschinen durch einen besonderen Mann vorzunehmen, der dafür verantwortlich ist, die Schmierlöcher offen hält und nicht unnötige Mengen Oel verschwendet? Viele derartige Fragen ließen sich aufwerfen und einer Lö­sung entgegenführen. Es kommt nur darauf an, sich zunächst einmal mit dem Gedanken des Einsparens ernst zu beschäf­tigen. Wer das tut, wird von selbst dazu kommen, sparsam mit den ihm anvertrauten Gütern umzugehen. Denn jedem wird dann vor Augen stehen, welchen großen Dienst er da­mit der deutschen Wirtschaft leisten kann."

Industrie keine Möglichkeit, die Baumwollindustrie völlig Lebhafte Wirtschaft in Palästina

aus dem Felde zu schlagen. Aber immerhin wollen die Duisbergs, Benraths, Froweins und Konsorten, vorläufig wenigstens, in ein Teilgebiet des Baumwollwarenmarktes eindringen.

Die Produktionssteigerung in dem geplanten Ausmasse be­deutet aber eine wesentliche Erweiterung der Produktions­kapazität der bestehenden Kunstseidenfabriken und darüber hinaus die Notwendigkeit der Errichtung neuer Werke. Zur Verwirklichung dieser Pläne müßten Neuinvestitionen für viele Millionen Mark vorgenommen werden. Aber die Kunst­seidenindustrie selbst will diese Millionen nicht zur Ver­fügung stellen. Die Großkonzerne wollen für ihre ,, nationale Tat zur Rettung der deutschen Wirtschaft" die Millionen vom Reich gepumpt bekommen. Deshalb rennen auch die Glanzstoff - und I.G.- Farbendirektoren die Türen im Reichs­wirtschaftsministerium ein.

Es läßt sich vorläufig noch nicht übersehen, inwieweit es den Kunstseidenkonzernen gelingen wird, ihre, für die Ge­samtheit der deutschen Volkswirtschaft gefährlichen Pläne zu verwirklichen. Zunächst einmal muß die Feststellung ge­macht werden, daß die Kunstseidenindustrie keineswegs aus­schließlich auf inländischem Rohstoff aufgebaut ist. Minde­stens 10 Prozent ihres Rohstoffbedarfs bezieht sie aus dem Auslande. Eine Steigerung des Kunstseidenverbrauchs würde also zwangsläufig eine entsprechende Belastung des deutschen Devisenbestandes der Reichsbank bedeuten.

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Aber was viel wichtiger ist die Pläne der Kunstseiden­konzerne würden der übrigen deutschen Textilindustrie, ins­besondere der Baumwollenindustrie, einen derartigen Schlag versetzen, daß sie auf Jahre hinaus zur Verkümmerung ver­dammt wäre.

Die Kunstseidę würde die Baumwoll- und Wollindustrie auf dem Markt verdrängen, und die zahlreichen kleineren und mittleren Betriebe der Textilindustrie müßten dann ihre Tore schließen. Bei der starken Durchrationalisierung der Kunstseidenindustrie würde diese bei einer Erweiterung ihrer Produktion bei weitem nicht so viel Arbeiter einstel­len können, wie Arbeitskräfte ihre Stelle verlieren. Und da­zu soll der deutsche Steuerzahler, um des Profits der Kunst­seidenmagnaten willen, seine letzten Groschen hergeben!

Diese Pläne sind um so gefährlicher, als es sich hierbei um Fehlinvestitionen handelt. Denn, wenn in einigen Jahren der Hitlerspuk vorbei und Deutschland in die Weltwirtschaft

Das American Economic Committee hat eine Erhebung über industrielle Neugründungen in Palästina durchgeführt und festgestellt, daß in den ersten sieben Monaten des Jah­res 1934 mindestens 115 Industriebetriebe in Palästina neu eröffnet wurden. Das Committee hatte nicht von sämtlichen Firmen die erbetenen Informationen erhalten, konnte aber immerhin eine Reihe wichtiger Daten sammeln, die für die lebhafte Wirtschaftsentwicklung in Palästina charakteristisch sind. In 87 von den neuen Betrieben werden insgesamt 815 Personen beschäftigt, das investierte Kapital von 81 Be­trieben beträgt 172.000 Pfund. Die neuen Firmen wurden vom American Economic Committee in folgende Gruppen eingeteilt: Metalle und Metallwaren: 17; Holzindustrie: 14; Nahrungs- und Genußmittel: 13; chemische Betriebe: 12; Druckereien, Papierwaren- und Büroartikel- Industrie: 9; Baumaterialerzeugung: 8; Glas-, Spiegel- und Keramikwerk­stätten: 5; Kleiderindustrie, Textilwarenerzeugung, Leder­fabriken und Gerbereien: je 4; Elektroartikel, Automobil­Industrie und Garagen, medizinische Artikel: je 3; Tape­zierer- Werkstätten, Malerfirmen, Tabakerzeugung: je 2: ferner 8 verschiedene Betriebe. Knapp vor der Eröffnung stehen folgende 28 Industriebetriebe: 5 Metallwarenfabriken, 4 Lederfabriken und Gerbereien, je 3 chemische Nahrungs­mittel- und Spinnerei- und Weberei- Betriebe, je 2 Glas- und Spiegelfabriken und keramische Fabriken, 1 Papierwaren­und Büroartikel- Fabrik und 5 verschiedene weitere Fabriker. Das American Economic Committee weist darauf hin, da von dieser Aufstellung nicht sämtliche neuen Industrie­betriebe erfaßt wurden; ihre Gesamtzahl ist größer als die angegebene. Auch wurden nur Fabrikbetriebe berücksichtigt, dagegen die kleinen Werkstätten außer acht gelassen.

50 000 Automobile der Moskauer Stalin - Werke Am 6. September hat das 50 000ste Automobil das Fließ­band der Moskauer Automobilfabrik ,, Stalin "( früher AMO.) verlassen. Die Fabrik, die ursprünglich zur Montage von Wagen aus importierten Bestandteilen errichtet war, hat im Laufe der letzten 4 Jahre eine völlige Umstellung erfahren und ist heute eine der bedeutendsten der Union , deren Lastwagen und Autobusse sich besonderer Beliebtheit er­freuen.

destens 30 bis 40 mal so groß ist wie das Verwendungs- Der Manganerzabschluß mit Sowjetrußland

gebiet der echten Seide.

Es ist ganz selbstverständlich, daßjett aus volkswirtschaftlichen Gründen die größten Anstrengungen gemacht werden müssen und auch mit Hilfe der Regierung gemacht werden, um nicht nur dieses Zurückbleiben wieder aufzuholen, son­dern um auch die Kunstseide zu einem Produkt zu entwickeln, das in noch weit höherem Maße als bisher fremde Roh. stoffe erseyen kann. In dieser Beziehung fallen einer Abart der Kunstseide, der sogenannten Stapelfaser, ganz besondere und vielleicht noch höhere Aufgaben zu. Die Stapelfaser wird chemisch in ähnlicher Weise wie die Kunstseide erzeugt, kommt aber nicht als unendlicher Faden auf den Markt, sondern eben in Stapel geschnitten, in der Länge und Struktur

Zwischen der Berliner sowjetrussischen Handelsvertretung einerseits und den Vereinigten Stahlwerken der Gute- Hoff­nungshütte und, der Friedrich Krupp AG . andererseits ist eine Vereinbarung auf eine Lieferung von 25 000 Tonnen von Manganerzen für das Jahr 1935 getroffen worden. Was bei diesem Abkommen auffällt, ist die verhältnismäßig ge­ringe Menge von Manganerzen, die die Russen liefern wer­den. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres betrug die deutsche Einfuhr an Manganerzen rund 140 000 Tonnen, davon wurden allein aus Rußland 110 000 Tonnen einge­führt. Wie die gleichgeschaltete Presse berichtet, waren die Russen zu größeren Lieferungsverpflichtungen in Anbetracht ihrer starken Inlandsbeschäftigung nicht zu bewegen. In Wirklichkeit ist die Haltung der Russen auf politische

Gründe zurückzuführen.

Manganerz ist bekanntlich ein wichtiger Rohstoff für die Rüstungsindustrie. Nachdem nun die Sowjetunion durch die Provokationen der Hitler- Regierung sich veranlaßt sah, der Rapollo- Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland ein Ende zu machen, besteht für sie kein Anlaß mehr, der dent­schen Rüstungsindustrie Manganerze in größeren Mengen zu liefern. In sowjetrussischen Kreisen ist man der Ansicht, daß es nicht angängig sei, dem Hitler- Reich einen Rohstoff zu geben, der dann später einmal unter Umständen nach seiner Verarbeitung gegen die Sowjetunion angewandt wird. Um aber nicht vollends einen offenen Bruch herbeizuführen, hat sich die Sowjetregierung bereiterklärt, im nächsten Jahre eine Menge zu liefern, die ungefähr nur einem Sechstel ihrer legtjährigen Lieferung entspricht.

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