Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichten

Abschied in Prag

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Mittwoch, den 19. September 1934

Die Aufgabe der Philosophie der Gegenwart

Der letzte Tag des Prager Internationalen Philosophen­kongresses vereinte am Vormittag noch einmal die größte Zahl der Teilnehmer in einer Plenarsigung, in der unter dem Vorsitz des Prager deutschen Professors Oskar Kraus über die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart gesprochen wurde.

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Als erster Redner dieser Sitzung war Benedetto Croce vorgesehen, der als die stärkste geistige Potenz des faschistischen Italien gilt, aber seit einiger Zeit bei Musso­ lini in Ungnade gefallen ist. Zum Bedauern der Zuhörer war Croce jedoch nicht erschienen I und die faschistische Exzellenz Oretano konnte den Fehlenden mit der vagen Behauptung, daß die kritische Philosophie das konstruktive Denken hemme und zugunsten eines neuen Realismus über­wunden werden müsse, nicht ersetzen. Stärkeren Eindruck machte die Rede des früheren Hallenser Philosophen Emil Utit( der jetzt der Prager deutschen Universität angehört) über die Selbstverwirklichung der Philosophie". Denn in dieser Rede wurde ein klares Bekenntnis abgelegt: ein Be­kenntnis gegen die Verflachung der Philosophie, gegen den Formalismus, gegen die logische Auflockerung der Logik, aber auch gegen die Unterordnung der Philosophie unter die Mächte und Fragen des aktuellen Lebens. Utitz erkennt der Philosophie heute wie immer-nur diese eine Auf­gabe zu: sich selbst zu verwirklichen in vorurteilslosem und verpflichtendem Erkennen. Die Philosophie könne ihre Erkenntnisse nicht durch Experimente beweisen sie könne nichts anderes als sich in der Haltung der Philo­sophen bewähren, die nach ihrer Lehre leben müssen. Denn wie die Kunst sich im großen Künstler dokumentiere, so verkörpere sich die Philosophie in den großen Philosophen­gestalten aller Zeiten. Die Lehren der Philosophen mögen verschieden sein: gemeinsam aber müsse allen wahren Philosophen die Fernhaltung von Eitelkeit, Rechthaberei

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Philosophie überhaupt sei, und daß in dieser Wissenschaft, die von manchen Philosophen als Wissenschaft nicht an­erkannt wird und die ihre eigenen Voraussetzungen immer wieder in Frage stellt, heute weniger als je eine Summe der geltenden Erkenntnisse gezogen werden kann. Immerhin kann der Teilnehmer dieses Philosophenkongresses fest­

stellen, daß sich das Festhalten an der kritischen Erkenntnis und an der Vernunft gegenüber den Ansprüchen religiöser und diktatorischer Dogmen behauptet hat.

Für den Sozialisten war es interessant zu bemerken, wie die Diskussion über die Krise der Demokratie sich zu einer Kritik des Liberalismus einerseits und der faschisti­schen Romantik andererseits zuspitzte. Für den Marxisten war es aufschlußreich, die modernen kritischen Argumente gegen den Materialismus und die strenge Naturgesetzlichkeit von den Vitalisten und den Logisten zu hören.

Für den Deutschen war es lehrreich, mitzuerleben, wie der Trupp der hitlerischen Philosophen nichts anderes als seine Gleichschaltung beweisen konnte und sich bald geschlagen aus allen Debatten zurückzog, wäh­rend das große Erbe der deutschen Philosophie von Fran­ zosen und Polen aufgenommen, von Auslandsdeutschen und Emigranten verteidigt und weiterentwickelt wurde. Für den Anhänger internationaler Zusammenarbeit schließlich war dieser internationale Kongreß, der trotz aller Gegensätze in der Atmosphäre sachlicher Auseinandersetzung verlief, in dem die Vertreter vieler Nationen die gemeinsamen Pro­bleme der Menschheit diskutierten und in dem Deutsche , Franzosen, Polen und Tschechen sich auf den, regierenden Philosophen" Masaryk beriefen, eine Genugtuung in einer Zeit, in der nationalsozialistischer Wahn die Welt in neues Verderben stürzen will.

und Feigheit sein. Und Utits schloß mit der These, daß Hitler plus Edgar Wallace

der Mut zur Vernunft die Voraussetzung aller Philosophie und in der Gegenwart ihre besondere Aufgabe sei.

Während Utit also die Mission der Philosophie darin sieht, daß sie im Philosophen ein Vorbild erkennender und überzeugungstreuer Menschlichkeit hervorbringt, fragten die Redner in der Debatte zumeist nach der Möglichkeit, von der Philosophie aus die Menschheit und damit das Zeit­geschehen direkt zu beeinflussen. Bemerkenswert war die Aeußerung des greisen Leipziger Philosophen Hans Driesch , des bekannten Begründers der vitalistischen

,, Auf dem kürzlich abgehaltenen Anthropologenkongreẞ hat H. Poll- Berlin , wie die ,, Münchener Medizinischa Wochenschau" berichtet, den Nachweis geführt, daß man aus den Fingerabdrücken Schlüsse auf die Rassezugehörigkeit ziehen könne."

Gewiß. Und aus dem Inhalt der ,, Münchener Medizini­schen Wochenschrift" Schlüsse auf den Geisteszustand im ,, dritten Reich".

Naturauffassung. Offenbar unter dem Eindruck der deut- Wichtig, zu wissen

schen Katastrophe meinte er, daß es nicht genüge, die Ein­sichten der Menschen zu beeinflussen; man müsse das Un­bewußte in ihnen erfassen, wenn man auf sie wirken wolle - und er bezeichnete es als eine dringende Gegenwarts­aufgabe der Philosophie, die Methode der suggestiven Be­einflussung zu studieren und anzuwenden.

Die Debatte zeigte im übrigen, daß es innerhalb der Philosophie sehr verschiedene Meirungen darüber gibt, was

Die ,, F. Z." meldet: Der Obmann der Fachschaft deut­scher Bracken, Dr. Lutz Heck , der Direktor des Berliner Zoologischen Gartens, macht darauf aufmerksam, daß die Hundemeute, die das ,, Deutsche Opernhaus" bei seiner be­vorstehenden ,, Tannhäuser"-Aufführung benötigte, von ihm gestellt werde und daß es sich um echte und einzig gute, in die Zeit passende Jagdhunde handle. Im Mittelalter hätten sie als die edelsten Hunde gegolten.

Die große Dämmerung

Amnestie

( Legende aus dem Dschungel)

Im brütenden Urwald der gelbe Schakal

Ward Herrscher, nachdem er die Würde sich stahl Und seine Gegner erwürgte.

Und da er gesättigt die Wut und den Haẞ, Erließ er einen Gnadenerlaẞ, Für den er sich völlig verbürgte,

Darin ward gesagt: ER hat verziehn All denen, die IHM Hilfe geliehn Und seine Feinde zerrissen.

So laß er Geier, Hyäne und Hai

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Obwohl sie die Beute nie teilten- jetzt frei.

Sie würden wohl künftighin wissen...

Und weiter ward kundig: Wer einst IHN bekämpft,

Doch nun als Gefangner die Stimme gedämpft

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Und IHM folge im Guten und Bösen;

Wer also, ohne Reu und Qual,

Nun würge und morde, wie ER, der Schakal, Dem möge die Fessel man lösen.

Seitdem ruht der Löwe, verdauend, beim Lamm, Der Hahn beut dem Habicht mit Lächeln den Kamm Und läßt sich in Frieden verspeisen.

So hört man im Urwald, der brodelt und qualmt Derweil man in Freundschaft die Knochen zermalmt­Das Goldene Zeitalter" preisen. Karl Schmog

Der neue nennschatz Rickmer Rickmers erneuert ihn

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Im neuesten Heft der in Gotha erscheinenden bekannten geographischen Zeitschrift ,, Petermanns Mitteilungen" ver öffentlicht an leitender Stelle Dr. Rickmer Rickmers ( München ) eine Abhandlung über die Verdeutschung erd­kundlicher Ausdrücke. Unter anderem macht er folgende Vorschläge:

statt:

sta

Absorption alpin Antarktis asiatisch babylonisch Expedition Geologie

Hanseate

Insulaner

Konglomerat

Mineral

Oase

polar Sierra

venezianisch

vulkanisch

soll es heißent

die Schlucke

alpisch Südeisland asisch bablisch Kundfahrt

Flözkunde

Hanse

Inseler

Nagelfluh

Schürfling

Grünfleck

polisch Säge venedisch feuerbergisch

Bei den Dolomiten, die nach dem Mineral Dolomit heißen, welches selbst nach dem französischen Naturforscher Dolo­ mieu seinen Namen hat, scheint ihm ein Verdeutschungs­vorschlag wenig Aussicht zu haben und er beschränkt sich daher auf die Frage: ,, warum nicht deutsch etwa Zackenland oder Dolomen?" In seinem Kampf gegen die Fremdwörter in der erdkundlichen Terminologie verwendet übrigens Dr. Rickmer Rickmers auch für, Terminologie" selbst ein deut­für eine weitere Schlucke von Fremdwörtern nicht die Spucke weg!

Zwei Bücher aus dem Verlag Oprecht und Helbing sches Ersagwort: Nenn's chag". Hoffentlich bleibt ihm

Zu den bemerkenswertesten publizistischen Neuerschei­nungen der letzten Monate gehört zweifellos das im Verlag Oprecht& Helbing, Zürich , erschienene Buch von Hein. rich Regius, ,, Dämmerung. Notizen in Deutsch­ land ". Es sind zwanglos hingeworfene Gedanken des Ver­fassers aus den Jahren 1926 bis 1931, deren besonderer Reiz in ihrer Ungebundenheit und rücksichtslosen Schärfe liegt. Mit einer Hellsichtigkeit sondergleichen legt Regius die Triebkräfte und Wurzeln der nationalsozialistischen Konter­revolution bloß, deren Nahen schon in den vorhergehenden Jahren zu spüren war. In der Dämmerung dieser Jahre kristallisierten sich ihre Bestandteile heraus: die geschlossene Front des Monopolkapitalismus, die der Demokratie und dem Sozialismus den Kampf auf Leben und Tod ansagte; der nationalistische Furor, der alle Leidenschaften des Volkes aufpeitschte; der kleinbürgerliche Massenwahn, der auf der Suche nach einem ,, Retter" sich gläubig an einen patholo­gischen Abenteurer hängte. Alles Bestandteile des Nieder­ganges des Kapitalismus, der seine heiligsten Güter mit feineren Apparaten und furchtbareren Garden zu schützen sucht, als das Mittelalter es in Bezug auf seine Kirchen­heiligen tat.

Die Konterrevolution hatte ihre wirtschaftlich- sozialen und ihre geistig- kulturellen Wurzeln. Der Aufstieg der deutschen Arbeiterklasse hatte die Klassengegensätze ungeheuer ver­schärft, während die heraufziehende Wirtschaftskrise den Beden unterhöhlte, auf dem allein die Arbeiterschaft ihre bisherigen Errungenschaften festhalten und ihre Macht steigern konnte. Zu einer Zeit, wo sich viele noch von der Scheinkonjunktur der Jahre 1925 bis 1929 täuschen ließen, sieht Regius in der zunehmenden Differenzierung innerhalb des Proletariats die Wurzeln der Ohnmacht der deutschen Arbeiterbewegung. Die regulären ordentlichen Arbeiter be­finden sich im Gegensatz zu denen, die auch noch heute nichts zu verlieren haben als ihre Ketten. Zwischen den in Arbeit Stehenden und den nur ausnahmsweise oder vielmehr gar nicht Beschäftigten gibt es heute eine ähnliche Kluft wie früher zwischen der gesamten Arbeiterklasse und dem Lumpenproletariat. Heute ruht der eigentliche Druck des Elends immer eindeutiger auf einer sozialen Schicht, deren Mitglieder von der Gesellschaft zu völliger Hoffnungslosig­keit verdammt sind."

Diese Differenzierung des Proletariats als Folge einer tief­greifenden Strukturwandlung des deutschen Kapitalismus hat aber nicht allein zur politischen und wirtschaftlichen Schwä­chung des Proletariats, sondern auch zu seiner geistigen Degradierung geführt. Sie hat den Prozeß verstärkt, der zielbewußt vom Bürgertum gefördert wurde: den Prozeß der kulturellen Degradierung des Proletariats, dessen Auf­

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gabe darin bestand, die unterdrückten und ausgebeuteten. Massen an die Ideologie der herrschenden Massen zu fesseln. In demselben Maße, wie die wirtschaftliche und politische Stärke der Arbeiterbewegung zurückging und ihre Zer­rissenheit wuchs, erlahmte auch ihre geistige Widerstands­

kraft, schwand die Anziehungskraft ihrer sozialistichen Ideale, öffneten sich auch innerhalb der proletarischen Front breite Lücken, durch die der geistige Zersetzungsprozeß der nationalsozialistischen Konterrevolution in die Massen ein­

drang.

In welchen kulturellen Abgrund der Sieg dieser Konter­revolution geführt hat, zeigt die Schrift von C. Michaelis, H. Michaelis und W. O. Somin ,, Die braune Kultur"( Europa- Verlag, Zürich ) sowie das von den glei­chen Verfassern herausgegebene Bilderbuch ,, Derbraune Ha"( Verlag Librairie Lipschutz, Paris), das die Aus­führungen des ersten Buches wirkungsvoll ergänzt. Die Braune Kultur" ist im wesentlichen eine Dokumenten­sammlung, die das Wesen des nationalsozialistischen Regimes an Hand der amtlichen Dokumente, der Aussprüche der ,, Führer", der Meldungen der nationalsozialistischen Tages­presse sowie der theoretischen Konstruktionen maßgebender Publizisten und Wissenschaftler zu schildern sucht. Alle Seiten des nationalsozialistischen Alltags werden geschildert: Erziehung, Justiz, Stellung zur Religion und Kirche, Stel­lung der Frau im neuen Staat, Rassenfrage, Judenfrage, Stel­Literatur, Presse usw. Es ist keine erfreuliche Lek­lung zum Pazifismus und Sozialismus, Wissenschaft, Kunst, türe, die dem Leser hier geboten wird. Sie ist aber un­geheuer lehrreich, denn sie zeigt, mit welchen Mitteln der frühere Kulturstaat Deutschland in eine mittelalterliche Despotie verwandelt worden ist und ein Volk von 65 Mil­lionen, das verheißungsvolle Ansäge einer modernen Demo­kratie geschaffen hatte, in eine Herde sklavischer Unter­tanen umgeformt werden soll. Besonders wirkungsvoll sind die Abschnitte, die der nationalsozialistischen Erziehung, der

Das sagt die Basler ,, National- Zeitung" dazu.

Allgemein deutlich

Gerhart Hauptmann über Mahler

Bekanntlich ist die Aufführung von Werken Gustav Mah­lers, des großen deutschen Musikers jüdischer Abstammung, im ,, dritten Reich" verboten. Wir haben dies nicht einmal zu bedauern, denn die herrlichen Klänge etwa des Lieds von der Erde " sollen in den Sälen der Barbaren nicht er­tönen.

Aber es ist interessant zu erfahren, was einer der braunen Kulturhäuptlinge über Gustav Mahler denkt: Ger­ hart Hauptmann , offizieller Vertreter der gleichgeschalteten ,, Dichtkunst", schreibt in dem Buch ,, Gustav Mahler , Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen", R. Piper& Co., München 1910:

,, Das Genie Gustav Mahlers ist repräsentativ im Sinne der großen Traditionen deutscher Musik. Gegner, die seinen Sinfonien fernstehen, werden mir doch wohl beistimmen, wenn sie der schöpferischen Kraft gedenken, die Mahler auch dort auszeichnet, wo er die große Musik der Ver­gangenheit zur Gegenwart macht. Er hat die Dämonie und die Feuermoral deutscher Meister, den einzigen Adel, der seinen wahrhaft göttlichen Ursprung noch zu be­zeugen vermag. Es tut wohl, zu sehen, wie der Wert dieses seltenen Mannes mehr und mehr allgemein deut­lich wird. Gerhart Hauptmann ."

Es tut wohl, zu sehen, wie allgemein deutlich" Gerhart Hauptmann seinen Abstieg in die Barbarei vorgenommen hat. Wir wissen dann wenigstens, woran wir uns zu halten haben, wenn einmal...

Militarisierung des gesamten Volkslebens und der kul. Ein Literaturinstitut der Sowjetunion

turellen Beeinflussung des Volkes gewidmet sind.

Sie zeigen einerseits, in welchen Abgrund der geistigen Verblödung und Verdummung die nationalsozialistischen Führer im Bunde mit ihren käuflichen Trabanten aus dem Lager der ,, Intelligenz" das Volk hineinsteuern, sie lassen aber andererseits auch erkennen, daß die mit allen Mitteln der Lüge und des Betruges betriebene geistig- seelische Be einflussung des Volkes auf sehr schwachen Füßen steht und einer starken Gegenströmung, die aus den Schätzen der Menschheitskultur schöpft, nicht gewachsen ist.

Im vergangenen Jahre wurde die Errichtung eines ,, Gorki"-Literaturinstitutes in Moskau beschlossen, dessen Aufgabe die Organisierung der literarischen und folkloristi­schen Forschung und die Heranbildung von Literaturwissen­schaftlern sein soll. Für das Institut wird in Moskau ein großes Schulgebäude errichtet werden, in dem auch die Bibliothek von einer Million Bänden untergebracht werden soll. Als Leiter für dieses Institut ist der frühere Sowjet­botschafter in Rom Leo Kameneff ernannt worden,