Fretheil
Nr. 222 2. Jahrgang
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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Dienstag, 25. September 1934 Chefredakteur: M. Braun
Die Rüstungsindustrie
auf der Anklagebank
Seite 7
Lumpensammler und Prachtbauten
Die Reichsbankrotteure errichten Prunkpaläste aus den Arbeitern gestohlenen Summen Stadt der Arbeitsfront"
Köln , den 23. September. Unsere Dachböden werden„ entrümpelt", damit noch trgendwie brauchbares Zeug zur Linderung der Rohstoffnot herausgesucht wird. In den Betrieben werden wir ange= halten, die gebrauchten Puzzlappen wie Kostbarkeiten abzuliefern, weil sie aus Baumwolle bestehen und Del enthalten. Ueberall werden Lumpen gesammelt, die für die Textilfabrikation umgearbeitet werden. Die Löhne sinken und die Preise steigen. Auf allen Gebieten der Sozialpolitik sind wir in vollem Abbau. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich infolge der Unterernährung. Die Lungentuberkuloje nimmt zu und Lungenheilstätten werden wegen Mangel an Mitteln geschlossen, und
dennoch schwimmen wir" in Geld und die Herren Hitler und Ley können aus den gesammelten und gestohlenen Partei und Gewerkschaftsgeldern Prachtbauten planen, wie sie Deutschland noch nicht gesehen hat.
Nürnberg ist die„ Stadt des Parteitages". Riesige Dauerbauten einschließlich einem neuen Bahnhof sind mit einem Kostenaufwand von vielen Millionen Reichsmart errichtet worden.
München ist die Stadt der Kunst und die Residenzstadt des gottbegnadeten und er lauchten Führers". Er baut einen Palast der Kunst. Ganze Straßenzüge werden niedergerissen, um Platz zu schaffen für monumentale Bauten von Parteihäusern. Weitere gewaltige Baupläne leben einstweilen nur in den Fantajien des„ Führers".
Das alles ist aber nichts gegen das, was sich die santasierenden Gehirne der Herren Hitler und Ley gemeinsam für Köln ausgeheckt haben, das sie zur Stadt der Arbeitsfront" erheben wollen.
Für diesen hohen Zweck wollen sie auf der rechten Rheinseite Bauten errichten, deren Kosten nach den niedrigsten Schätzungen 50 Millionen Reichsmarf, nach anderen fachmännischen Schäßungen sogar 100 Millionen Reichsmart betragen sollen.
Diese Summe flingt fantastisch, ist es jedoch keineswegs, wenn man berücksichtigt, daß die erst vor wenigen Jahren mit einem Kostenaufwand von rund 20 Millionen Reichsmark errichteten Kölner Messebauten vollkommen verschwinden sollen, also die großen Messehallen, der Pressaturm, das Staatenhaus, die verschiedenen Gaststätten, die
gesamten Anlagen und der Baumbestand. Auf der noch
vergrößernden Riesenfläche soll das neue Gebäude und ein weit ausgedehntes Grünanlagensystem kommen.
Die Größenmaße übersteigen alle in Deutschland bisher gewohnten Vorstellungen. Ein gewaltiger Kuppelbau soll erstehen. Er ist als Kulthalle mit einem Ausmaß von 70 zu 80 Meiern gedacht, kann also das Innere des Kölner Doms bequem umfassen. Etwa hunderttausend Menschen werden allem von diesem Kultraum aufgenommen werden können. Daneben soll ein breiter Ehrenhain mit großen Wasseranlagen entstehen. Zum Rhein hin wird eine riesige Freifläche für eineinhalb bis zwei Millionen Menschen geschaffen werden. Eine große Terrrasse zum Rhein hin soll eine Breite von 580 Meter erhalten.
Das Maß der Gesamtanlage ist 950 Meter. Mit 1,6 Mil: lionen Kubikmeter umbauten Raumes wird das Haus der deutschen Arbeit oder, wie der„ Führer" es nennt, das Nationalhaus der deutschen Arbeit etwa doppelt so groß sein wie das neue gewaltige Reichsbankgebäude in Berlin . Die Kosten der geplanten Bauwerke werden durch Eisenkahn- und Brückenbauten so erhöht, daß eine genaue Berechnung überhaupt noch nicht möglich ist. Die Gleise des Bahnhofes in Köln - Deus, die heute noch durch das große Gelände der geplanten Neubauten führen, müssen weithin verlegt oder unterirdisch gelegt werden. Es ist die Errichtung eines neuen Ausladebahnhofes geplant, von dem aus die Massen sofort auf die große Versammlungswiese gelangen fönnen. Außerdem soll im Zuge des Deutschen Rings eine nene breite Schiffbrüde das linke Rheinufer mit den Bauten auf dem rechten Rheinuser verbinden. Das würde kostspielige Niederlegungen und Umbauten auch auf dem linken Rheinufer erfordern und außerdem die Schiffahrt auf dem Rhein behindern, die jetzt im Weichbilde Kölns unter vier großen festen Brücken sich vollzieht.
Die Kölnische Zeitung " versieht ihren Bericht mit einem sehr aufschlußreichen Satz:
" Der Führer wünscht, daß das Architekturbüro während der Bauzeit nach Müncher verlegt werde, da die Beschäftigung mit dem Bauvorhaben für den Führer eine geistige Erholung bedente." Das erklärt alles.
Es ist das klinische Bild Ludwigs II., des romantischen Bayernkönigs, dessen Geist sich in riesigen ebenso kitschigen wie prunkvollen Bauplänen verirrte....
Neue Judenverfolgungen im Reiche
Synagogen geschändet Grabsteine umgeworfen
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Berlin , 24. Sept. Aus dem ganzen Reich kommen neue Meldungen über Malträtierungen der jüdischen Be völkerung. Aus Buer in Westfalen wird gemeldet, daß die dortige Synagoge geschändet wurde. Mehr als die Hälfte der Fensterscheiben wurden zerbrochen. In das Innere des Goteshauses sind Steine, Abfälle und Unrat geworfen worden. Der Synagogenvorstand wandte sich mit der Bitte um Schuhmaßnahmen an den Oberbürgermeister. Aus Friedland in der Niederlausitz wird ein Anschlag auf den jüdischen Friedhof bekannt. Mehrere Grabsteine wurden umgeworfen. Die zuständige Behörde nahm sich des Falles an und setzte eine Belohnung für die Ergreifung der Täter aus. In die Synagoge in Groß= Gerau wurde eingebrochen und im Innern großer Unfug getrieben, mehrere Gegenstände wurden entwendet. Auch hier hat die Behörde eine Belohnung für die Nomhaftmachung der Täter ausgesetzt. Die„ Mainfränkische Zeitung" meldet aus Heßlar unter der Ueberschrift ur Nachahmung emp= fohlen", daß alle Wohn- und Wirtschaftsgebände seit einigen Tagen an Toren und Türen in roter Laciarbe die Warnung tragen: Juden ist der Zutritt verboten. Das städtische Strandbad in Heilbronn hat Plafate angebracht, wonach Juden der Besuch des Bades untersagt ist. Das Koblenzer Nationalblatt" beflaat sich, daß immer noch eine Anzahl von Bauern den Inden vom Viehhandel nicht ausgeschaltet haben. Das Blatt richtet an alle Bolfsgenossen, die es angeht, die Mahnuna:„ Paßt den Juden nom Sof! Tätigt eure Ein- und Verkäufe mit deutschen HändTern!"
Geeint im Hetzantisemitismus
Berlin , 24. Sept. Der Oberpräsident Wilhelm Kube , der Gauleiter der Kurmarf, ist wieder mit einer seiner antisemitischen Hezreden hervorgetreten. Er jagt u. a.: Der 9. November 1918 sah das Judentum in Mitteleuropa fiegen. Es hätte nicht siegen fönnen, wenn nicht der Kaiserstaat der
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Aechtung von Juden
Hohenzollern den Juden Tor und Tür geöffnet hätte. Wir wollen nicht vergessen, daß alle drei Kaiser aus dem Hause der Hohen= zollern betonte Judenfreunde waren. Die Stette führt von Bleichröder zu Ballin und Rathenau . Die meisten Dynastien in Deutschland handelten ebenso. Nach diesem Ausflug in die Geschichte sagte Kube: Auch nach unserem Sieg versucht das Judentum sich wieder breit zu machen. Daran denten wir als alte Nationalsozialisten, wenn wir in Nürnberg tagen Julius Streicher ist eine durchaus berechtigte Persönlichkeit in der Gesamtfront unseres Führers Adolf Hitler . ,, Schaltet den Juden vom Viehhandel aus!"
Nürnberg , 24. Sept.( 3.T.A. ) Die„ Fränkische Tageszeitung" veröffentlicht unter dem Titel" Frei von Juden! Der große Schlachtviehmarkt zu Frankfurt a. M. ohne jüdische Viehhändler" in fetten Lettern folgende Bekanntmachung der Kreisbanernichaft Ansbach über den letzten, zu Rosch Haschanah abgehaltenen Frankfurter Schlachtviehmarkt:
Wie ans ranfurt a. M. hierher gemeldet wurde, war der letzte grohe Schlachtvichmarft dort vollständig frei von jüdischen Händlern. Tics ist um so beachtenswerter als Frankfurt einen der größten und besten Schlechtvichmärkte hat. Au diesem Aniajie waren die Hollen des Marktes mit den Fahnen des neuen Deutschland geziert und sowohl bei den Häusern wie auch Verkäufern konnte man die Freude über den indenfreien und iudenreinen Marit von den Gefichtern ablesen.
Wir in Franken freuen uns umso mehr, daß die Fern haltung der Auden von den Viehmärkten nun auch auf den großen Eclecticnärften Platz gegriffen hat. Und noch einmal, deutscher Bauer: Schalte den Juden vom Viehhandel aus, damit du nicht mehr um den Lohn deiner Arbeit betrogen wirst,"
Ein Gotteslästerer
Ein
Es gibt jetzt eine neue Note im Abstimmungskampf an der Saar . Verzweifelt darüber, daß die Rückgliederung von Woche zu Woche fragwürdiger wird, sollen neben den politischen jetzt auch die religiösen Bataillone unter dem Kommando der„ deutschen Front" kämpfen. Das zu mehr als 70 Prozent katholische Saargebiet das ist der ungewisse Renner in den braunen Rechnungen. Darum werden jetzt immer zahlreicher katholische Geistliche in die vorderste Linie geworfen, die mit Rhetorik und Bibelzitat die Abstimmung zugunsten Hitler - Deutschlands zur christlichen und kirchlichen Pflicht erheben.
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Der erste war das frühere Zentrumsmitglied Pfarrer Wilhelm, der zweite Pfarrer Wüsten. Als dritter kommt zu ihnen jetzt Pfarrer Aren 3. Er hat, wir bekennen es offen, im Einsatz der Religion für die blutige Diktatur des dritten Reiches" den Gipfel erreicht.
Diese drei braunen Priester haben alle Gottes Wort zitiert. Jeder bekennt sich auf seine Weise zur BluboLehre: Blut und Boden stehen ihnen höher als die Entscheidungen des Geistes und des Gewissens unter der religiös- sittlichen Verantwortung im Namen der Liebe und der Gnade. Aber es ist, soweit wir sehen können, bisher nicht dagewesen, daß ein katholischer Priester von dem von Gott gesandten Führer Adolf Hitler " gesprochen hat, wie es der katholische Geistliche Arenz in einer Versammlung in Schwemlingen getan hat. Er hat sogar noch mehr getan. Er sagte, Gott der Herr habe ihn, Adolf Hitler , den„ seltenen deutschen Menschen", zur Führung von Volk und Reich gerufen, denn des Volkes Stimme sei Gottes Stimme. Per aspera ad astra! Des Volkes Stimme? Die Karriere des„ dritten Reichs" zeigt auf jeder Seite die Spuren zur Vergewaltigung eines Volkes. Auf jeder Zeile das Blut und die Tränen geschändeter Menschen. Braune Landsknechte, deren Unterführer später vom Oberführer als Verbrecher gebrandmarkt und„ rechtens" ermordet wurden, haben sich in den Besiz der Macht gesetzt. Ganz legal, natürlich. Für die politische Entrechtung des deutschen Volkes, für Konzentrationslager und Erschießung auf der Flucht verleiht Pfarrer Arenz dem Verantwortlichen den Heiligenschein des Gritgesandten. Er sieht, ohne daß sein Gottesbegriff und die ron ihm bei der Primiz geleisteten Schwüre ins Wanken geraten, gelassen über die Katholiken auf der langen Jagdstrecke des 30. Juni. Das heißt, wir möchten ihm nicht Ünrecht tun. Er hätte die erschossenen und zertrampelten Glaubensbrüder gar nicht sehen können. Man hat sie, dem Kirchengebot zuwider, in aller Stille verbrannt, damit 3artbesaitete wie Pfarrer Arenz nicht abgestoßen werden. Das, was er nicht im Detail weiß, macht ihn nicht heiß. Er ist vollkommen damit zufrieden, daß sich Adolf Hitler in Nürnberg erneut zum positiven Christentum bekannt hat. Ja, er gedenkt sogar„, dankbaren Herzens" des Konkordats!
Wir scheuen uns nicht, diesen katholi schen Priester als Lästerer Gottes zu be= zeichnen. Gäbe es in Deutschland ein Kirchenforum, das den Mut der Märtyrer mit echtem Katakombengeist vereinigte: es müßte diesen Priester aus der Gemeinschaft der Hirten ausstoßen. Denn die Kirche hat es zu bühen. Wenn ein Priester aufsteht und Hitlers Sein und wirken mit einer göttlichen Sendung verbindet, dann werden Millionen von Katholiken an Gott und an ihrer Kirche irre und wenden sich ab. Sie denken vielleicht an 1. Rön. 12. 11. im Alten Testament . Die Jungen, die mit ihm aufgewachsen waren", ¡ prachen zu Rehobeam, Salomons Gobn. er möge dem um Erleichterung stehenden Volke artworten:„ Mein Beter hat euch mit Ruten gezüchtigt. Ich will euch mit Skorpionen züchtigen."
Aber wir wollen Herrn Pfarrer Arenz auf seinen politi schen Pfaden folgen. Jeder müsse, so sagte er, ein Streiter sein„ für die gute Sache an der Saar ". Die französische Note habe den Saarländern ein„ Judasangebot" gemacht. Aber wir, wir Saar- Deutsche, wir wollen nicht als Judasse das Land ander Sar um 30 Silberlinge verkaufen, denn die Saarfrage ist für uns